Liebe Gemeinde!
Der erste Petrusbrief richtet sich an Christinnen und Christen in der Verfolgung in verschiedenen kleinen Gemeinden in Kleinasien im ersten Jahrhundert nach Christus. Sie befanden sich in der Minderheit in einem andersgläubigen Umfeld. Kleinasien, das Gebiet der heutigen Türkei, war eine Provinz des römischen Imperiums.
Christinnen und Christen lebten in der Minderheit. Unsere Verhältnisse sind völlig anders. Die Mehrheit gehört im Westen Deutschlands der Kirche oder einer christlichen Gemeinde an. Wir hier in Ostfriesland leben nicht in einer Minder-heitensituation, jedenfalls jetzt noch nicht. Das mag sich in künftigen Generationen ändern. Wir werden als Christinnen und Christen auch nicht verfolgt, jedenfalls nicht in diesem Land. Wir dürfen frei unseren Glauben leben, können in aller Ruhe unseren sonntäglichen Gottesdienst feiern, brauchen keine Angst zu haben, dass wir nachts von Soldaten aus den Betten geholt, verschleppt oder bedrängt werden. Wir haben auch keine Nachteile im Beruf oder im Alltagsleben zu befürchten, wenn es zur Sprache kommt, dass wir zur Kirche gehören. Für uns gehört das Christsein zum Alltag dazu, ohne dass wir besonders darüber nachdenken. Gibt unser Predigttext für den heutigen Sonntag uns Richtlinien, wie sich christlicher Glaube äußert? Kann er, obwohl er in einer ganz anderen Situation als unserer heutigen geschrieben wurde, uns dennoch Aufschluss darüber geben, wie sich christlicher Glaube in der Gegenwart gestaltet und was den christlichen Glauben ausmacht?
Der 1. Petrusbrief ist verfasst für christliche Gemeinden in Kleinasien in der Verstreuung. Orte werden genannt: Pontus, Galatien, Kappadozien, die Provinz Asien und Bithynien. Der Verfasser geht davon aus, dass das Ende nahe ist und dass bald Gottes Gericht kommt, wo ein jeder sich für seine Werke verantworten muss. Die Leiden der Christinnen und Christen werden bald ein Ende haben. Den Bedrängten und Verfolgten in Christus wird Gerechtigkeit widerfahren. Mit der Vorstellung der Naherwartung des kommenden Gerichts steht der Verfasser des 1. Petrusbriefes in guter Tradition mit dem Evangelisten Matthäus. Er verknüpft den Einbruch der Herrschaft Gottes mit einem Aufruf zur Buße. Johannes der Täufer ist der große Bußprediger, der zur Umkehr aufruft: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen (Mt 3,2).
Wir leben nicht in der nahen Endzeiterwartung. Das Christentum gibt es seit über 2000 Jahren; die Vorstellung der Wiederkunft Christi mit dem einhergehenden Endgericht rückt in große Ferne. Viele können darüber hinaus mit dem Gedanken der Endzeiterwartung immer weniger anfangen. Für die frühen christlichen Gemeinden war er von großer Wichtigkeit. Würde sich doch am Ende allen Völkern Gottes Macht erweisen. Der Anbruch der Endzeit jedoch ließ auf sich warten, die Wiederkunft Christi verzögerte sich. Das war für die Christinnen und Christen der frühen christlichen Gemeinden ein Problem.
Sie waren enttäuscht, dass der Einbruch des Reiches Gottes auf sich warten ließ. Sie sehnten sich nach dem endgültigen Erweis der göttlichen Wahrheit. Für sie stellte die Wiederkunft Christi keine Bedrohung dar, die verbunden war mit der Sorge, nicht im Endgericht bestehen zu können. Als vom christlichen Glauben Überzeugte bemühten sie sich um ein Gott wohlgefälliges Leben. Für sie bedeutete das Endgericht das Offenbarwerden der Gerechtigkeit Gottes, das ihnen, den jetzt Verfolgten und Drangsalierten, Recht verschaffen würde. Ihnen würde Gerechtigkeit widerfahren, was sie im Alltag so sehr vermissten. Der 1. Petrusbrief ist ein Trostbrief an Christen in der Verfolgung, der sie ermutigt, die Hoffnung zu behalten, standhaft zu bleiben und durchzuhalten. Er erinnert sie daran, besonnen und nüchtern zu bleiben und am Gebet festzuhalten. Wie sich ihre Lebensumstände auch gestalten mögen, - auch in Gefahren und Drangsal - sollen sie das Gebet nicht aufgeben. Im Gebet vergewissern sie sich der Gnade und Verheißung Gottes; im Gebet verbinden sie sich mit Jesus Christus, der leiden musste, bevor er in die Herrlichkeit Gottes einging. Im Gebet erfahren sie Trost und Kraft. Das Gebet ist eine zuverlässige Trost- und Kraftquelle.
Der 1. Petrusbrief will das Leiden nicht verherrlichen. Er thematisiert das Leiden, weil es der Realität vieler Christinnen und Christen in Kleinasien zu der damaligen Zeit entspricht.
Plinius, der Statthalter der Provinz Bithynien in Kleinasien, fragt in einem Brief beim Kaiser Trajan in Rom an, wie er mit Christinnen und Christen umgehen soll. Bei ihm würden immer mehr Anklagen gegen Christinnen und Christen eingehen. Er habe bisher Verhöre geführt und sie abschwören lassen. Manche erklärten, sie seien früher Christen gewesen, hätten sich aber nur unregelmäßig am Lobgesang beteiligt und verpflichtet, bestimmte Dinge wie z.B. Diebstahl, Raub und Ehebruch zu unterlassen. Wer abgeschworen hätte, den habe er römische Götter öffentlich anbeten lassen. Sie hätten dem Kaiserbild mit Weihrauch und Wein opfern und Christus lästern müssen. Danach habe er sie freigelassen. Damit sie dem Kaiser opfern konnten, habe er extra ein Standbild vom Kaiser aufstellen lassen.
Der Statthalter Plinius in Kleinasien war gegenüber den Christinnen und Christen nicht feindlich eingestellt. Für ihn waren sie Menschen, die einem Aberglauben verfallen waren, die man wieder auf den richtigen Weg bringen sollte. Man müsste ihnen eine Chance geben abzuschwören. Viele ließen sich bessern, wenn man ihnen nur die Gelegenheit zur Reue gäbe. Kaiser Trajan billigte die Verfahrensweise des Statthalters. Man sollte Christinnen und Christen nicht aktiv aufspüren. Anonyme Anzeigen sollten gar nicht weiter verfolgt werden. Konkreten Anklagen hingegen sollte Plinius nachgehen. Wer sich strikt weigerte, den römischen Göttern und dem Kaiser zu opfern, galt als Staatsfeind und war mit dem Tod zu bestrafen. Christinnen und Christen konnten ihr Leben retten, wenn sie ihren Glauben verrieten, was viele auch taten. Ihnen war gar nicht klar, dass sie nicht gleichzeitig Christus und die römischen Götter bzw. den Kaiser verehren konnten. Nicht umsonst weisen christliche Autoren auf die Ausschließlichkeit der Christusverehrung hin. Dadurch, dass anonymen Anzeigen nicht weiter nachgegangen wurde und der Statthalter Plinius Christinnen und Christen für verirrte Schafe hielt, die man bekehren müsste, erhielten diese eine Chance, am Leben zu bleiben. Daher konnte sich das Christentum weiter ausbreiten. Wer sich allerdings zu stark hervorhob, dazu unliebsame Mitmenschen hatte, die einem Böses wollten, lebte in ständiger Gefahr, denunziert zu werden.
Der erste Petrusbrief ermahnt Christinnen und Christen am Gebet festzuhalten. Das Gebet verleiht ihnen Kraft und stärkt ihr Vertrauen. Ferner sind im Briefabschnitt Regeln aufgestellt, wie sich Gemeindeglieder innerhalb der Gemeinde verhalten sollen. Es wird betont, dass sie vor allen Dingen in der beständigen Liebe bleiben sollen. Wenn sie gefehlt haben, wird die Liebe die Verfehlung wettmachen. Die Liebe macht die Schwere der Last nicht ungeschehen, aber sie wiegt die Übertretungen auf. „Hass erregt Hader, aber Liebe deckt alle Übertretungen zu.“ Diese Worte spricht König Salomo, der bekannt ist für seine Weisheit (Spr 10,12). Jesus sagt über die Sünderin, die seine Füße salbt, sie mit ihren Tränen benetzt, sie küsst und mit ihren Haaren trocknet: „Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt“ (Lk 7,47a). „Die Liebe deckt der Sünden Menge zu“, so der Verfasser des 1. Petrusbriefes. Die Liebe ist ein Grundpeiler des christlichen Glaubens. Liebe in der Gemeinde untereinander zu üben, könnte auch bedeuten, diejenigen, die dem Druck des Statthalters nicht standhalten konnten und dem Kaiser geopfert hatten, nicht aus der christlichen Gemeinschaft auszuschließen. „Die Liebe erfreut sich nicht über die Ungerechtigkeit …, sie erträgt alles, … sie hofft alles, sie duldet alles“ (1. Kor 13). Es ist als ein Akt der Liebe anzusehen, sie wieder aufzunehmen, auch wenn sie nicht die Kraft hatten, ihr Leben für ihren Glauben zu lassen. Liebe sollen sie untereinander und gegenseitig üben, nicht einmal oder gelegentlich, sondern beständig und beharrlich. Liebe zu üben, erfordert harte ausdauernde Arbeit.
Im Folgenden werden Beispiele genannt, was Liebe zu üben beinhaltet. Sie sollen gastfrei untereinander ohne Murren sein. Gastfreundschaft zu gewähren, wurde in der Antike grundsätzlich hoch bewertet. Für die Gemeinde Jesu Christi wird die Gastfreundschaft zu einem Markenzeichen. Für durchreisende Christinnen und Christen war es unerlässlich, dass sie Herberge und Schutz in der Fremde fanden. Im Ersten Testament wird berichtet, dass Gott Abraham und Sara in Gestalt von drei Engeln besucht. Abraham bewirtet die fremden Gäste und erkennt im Nachhinein, dass Gott in Gestalt dieser drei Männer bei ihm zugegen war. Im Zweiten Testament wird im Zusammenhang mit dem Weltgericht erzählt, dass Jesus uns im Fremden begegnet. „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35). „Was ihr einer meiner geringsten Schwestern und einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40b). Sprichwörtlich ist ein Wort aus dem Hebräerbrief geworden: „Bleibt in der Liebe, vergesst nicht, gastfrei zu sein, denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt“ (Hebr 13,1). Die Liebe muss konkret werden, sonst bleibt sie leer und unverbindlich.
Zur Ausübung von Liebe gehört unweigerlich das Dienen. „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der Gnade Gottes“ (V 10). Weltliche Maßstäbe werden auf den Kopf gestellt. Bei Jesus hat das Streben nach persönlicher Ehre und Macht keinen Wert. „Wer unter euch groß sein will, der diene“, sagt Jesus zu zwei Jüngern, als diese einen Ehrenplatz im kommenden Reich Gottes haben möchten. Weltliche Hierarchien sind bei Jesus bedeutungslos. Er hat seinen Jüngern die Füße gewaschen. Jesus war sich nicht zu schade, sich klein zu machen und zu dienen. Jeder ist aufgefordert, es ihm gleichzutun. Wir sollen mit der Gabe dienen, die wir empfangen haben. Jeder hat Gaben mitbekommen. Keiner kann alles und keiner kann nichts. Jeder kann etwas. Diese uns geschenkte Gabe dürfen wir nutzen zum Wohl des Nächsten, zum Wohl der Gemeinschaft. Ein solidarischer Einsatz wird sich als eigenes Wohl entpuppen. Wenn wir Gutes tun, stellt sich Zufriedenheit auch bei uns selber ein. Die größte Zufriedenheit ist bezeichnender Weise bei Personen nachgewiesen, die bei der Feuerwehr ihren Dienst ausüben. Menschen möchten im Grunde ihres Herzens helfen. Es wird nur dann schwierig, wenn von uns erwartet wird, über unser Vermögen hinaus Hilfe zu leisten. Ein Christ hat eine Sozialpflichtigkeit, aber er hat nicht die Pflicht, sich selbst zu überfordern. „Ein jeder diene mit der Gabe, die er empfangen hat.“ Das heißt doch: Ich kann die Gabe, die ich empfangen habe, einsetzen. Niemand kann von einem Menschen alles erwarten. Niemand kann Gaben einsetzen, die ihm nicht zur Verfügung stehen. Ein Christ braucht sich nicht ausnutzen zu lassen.
Durch die Gabe, die wir bekommen haben und einsetzen, wird Gott gepriesen. Aus der Vielfalt der geschenkten Gaben werden zwei Beispiele genannt: die Verkündigung des Wortes Gottes und der Dienst am Menschen. Damit sind die Verkündigung und die karitativen Tätigkeiten als Pfeiler der christlichen Gemeinde in den Blick genommen. Es geht an dieser Stelle nicht um die Vielfalt der Gaben, sondern um die Rückbindung an Gott. Denn Verkündigung und Dienst gehören untrennbar zusammen. Reden und Tun sind eine Einheit. Im Reden und Tun wird Gott gepriesen. Die Gaben, die wir empfangen haben, dienen nicht der Selbstdarstellung, sondern der Verherrlichung Gottes. In allen Dingen soll Gott durch Jesus Christus gepriesen werden, sein sind Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dass das so sein soll, bekräftigt der Verfasser des Briefes mit einem feierlichen „Amen“.
Was der Verfasser in der konkreten Situation zu den in der Bedrängnis lebenden Christinnen und Christen in Kleinasien geschrieben hat, hat Gültigkeit für eine christliche Gemeinde über Ort und Zeit hinaus. In einer christlichen Gemeinde hat das Gebet eine grundlegende Bedeutung, unabhängig davon, ob Christinnen und Christen in Gefahr leben. Dass Christinnen und Christen verfolgt werden, gibt es bis heute. Die christliche Minderheit der im Irak lebenden Menschen wird bedrängt und bedroht. Sie werden aufgefordert, entweder zum Islam überzutreten oder hohe Schutzsteuern zu zahlen. Die Situation für Christinnen und Christen im Irak spitzt sich zu. Die meisten von ihnen fühlen sich dort nicht mehr sicher, haben Angst und sind aufgrund der gefährlichen Situation inzwischen geflüchtet. Weltweit gibt es zahlreiche andere Beispiele, in denen Menschen ihren Glauben nicht ungehindert leben können.
Grundsätzlich gilt neben dem Festhalten am Gebet für eine christliche Gemeinde, Liebe zu üben und gastfrei zu sein. Das schließt ein, Fremde, sprich Flüchtlinge aufzunehmen, ihnen Obdach und Nahrung zu geben. Auch hier gilt: Nicht jeder muss und kann alles. Aber jeder kann etwas dazu beitragen, dass Not gelindert wird. Wir sollen die von Gott geschenkten Gaben als gute Haushalter nutzen. Eine Liebe, die nicht spürbar wird, ist nutzlos. In allem und jedem, was wir mit unseren Gaben anfangen, werden nicht wir, sondern Gott und Jesus Christus geehrt. Gott und Jesus Christus gebühren Anbetung, Ehre, Dank und Ruhm (EG, Psalm 68,6). Wir verkünden den barmherzigen Gott und leben in der Nachfolge Jesu Christi, bis dass er wiederkommt und das Reich Gottes in Gerechtigkeit aufrichtet. Amen.
EG-Nr. 675: Lasst uns den Weg der Gerechtigkeit gehen, dein Reich komme, Herr, dein Reich komme…. (EG Ausgabe Rheinland, Westfalen, Lippe, Ev.-ref. Kirche)