Predigt zu 1. Thessalonicher 5,14-24 von Ulrich Pohl
5,14-24

Predigt zu 1. Thessalonicher 5,14-24 von Ulrich Pohl

Liest man diesen Abschnitt in der Lutherbibel, sieht man, wie viele Verse darin fett gedruckt sind. In den ganzen fünf Kapiteln des Thessalonicherbriefes finden sich sechs Verse, die als besonders wichtig markiert werden. Fünf davon stehen in unserem Predigtabschnitt. Einer ragt aus diesen fünfen noch einmal heraus. Es ist der vom Prüfen und Behalten, der Vers aus dem Thessalonicherbrief, der am häufigsten zitiert wird. Wohl deshalb, weil er nirgendwo sonst in der Bibel eine Entsprechung hat. Die anderen Verse haben irgendwo im neuen Testament einen großen Bruder oder eine große Schwester, die das gleiche aussagen. Der Vers vom Prüfen findet sich so pointiert, so klipp und klar nur hier in unserem Predigtabschnitt.

Prüfet alles, das gute behaltet.

Alles auf den Prüfstand stellen, und nur das gute behalten. Wie gut kennen wir das aus den Presbyteriumssitzungen, aus Gemeindeversammlungen, aus den Synoden unserer Kirche. Die Kirche befindet sich im Umbruch. Für vieles reicht das Geld nicht mehr. So müssen wir uns von manchem trennen. Müssen das, was in der Kirche an Arbeit getan wird, einer genauen Sichtung unterziehen. Aber wie schwer ist das! Nur das Gute behalten! Es gibt soviele Dinge, an denen gute Erinnerungen hängen, wer jemals zu Hause Grund reingebracht hat, der weiß das: Das uralte Service von Tante Anni zum Beispiel. Es hängen Erinnerungen aus einer beinahe versunkenen Zeit daran. Das kann ich doch nicht auf den Sperrmüll stellen! Andererseits: Wirklich auf den Tisch gestellt habe ich es noch nie. Wenn ich es noch länger behalte, wird es zum Ballast!

Ähnlich schwer fallen uns diese Entscheidungen in der Kirche und in unserer Gemeinde. Wir müssen prüfen: Was soll mit in die Zukunft, was macht die Gemeinde lebendig? Manches müssen wir zurücklassen. Und das wird manchem wehtun. Worum wir beten und woran wir arbeiten, ist, dass uns der Abschied und der damit verbundene Schmerz nicht trennt, sondern als Gemeinde Jesu Christi enger zusammenwachsen lässt.

Aber nun ist B-Stadt nicht Thessalonich. Und die Aufgabe, vor der die Gemeinde in Thessalonich damals stand, war doch eine andere, als unsere hier. Die Gemeinde dort war gerade im Entstehen begriffen. Täglich kamen neue Gemeindemitglieder hinzu. Ja, das wünschen wir uns für B-Stadt auch, aber damit waren für die Gemeinde viele Spannungen verbunden. Thessalonich, das heutige Saloniki, war damals schon eine große Hafenstadt, ein Schmelztigel gewissermaßen. Aus aller Herren Länder kamen die Menschen, die auf den Kais landeten, sich in den Gassen bewegten und in Spelunken herumtrieben. Sie sprachen verschiedene Sprachen, hatten unterschiedlichen Sitten und Gebräuchen. Immer wenn jemand von ihnen neu in die junge Christengemeinde fand, stellte sich erst einmal die Frage, was bringt er, was bringt sie mit? Was bringt er mit an kulturellen Eigenheiten, an Lebenseinstellung und Überzeugungen? Was bringt er mir an Glaubensvorstellungen aus seiner bisherigen Religion. Für den einen war es ganz selbstverständlich, sich beim Beten mit dem ganzen Körper auf den Boden zu werfen. Für den anderen war es ebenso selbstverständlich, beim Beten laut und tränenreich zu Gott zu rufen. Und für den nächsten war das Gebet meditative Stille und Zuwendung in Geist und Seele. Es wird nicht leicht gewesen sein, am Sonntagmorgen den Gottesdienst so zu feiern, dass alle sich in ihrem neuen Glauben, dem Glauben an Jesus Christus, sich zurechtfinden und zu Hause fühlen konnten.

Die Unterschiede zwischen den Gemeindegliedern betrafen nicht nur Sitten und Gebräuche. Sie betrafen auch moralische Fragen: Ist es einem Christen, ist es einer Christin zum Beispiel erlaubt, mit einem Sklavenhändler Umgang zu haben. Durfte jemand, der so mit Menschen handelte, gar selbst zur Gemeinde gehören? War es nicht richtig, sich von bestimmten Gruppen von vornherein abzugrenzen?

Paulus bleibt gelassen: Guckt euch erst mal alles genau an, sagt er. Bleibt aufgeschlossen, Christen sind weltoffene Leute. Vieles begegnet euch, das ist fremd oder erscheint euch abwegig. Was auch immer es ist, lasst euch erst einmal darauf ein. Versucht, es zu verstehen. Schaut es euch genau an. Prüft alles. Und wenn sich etwas als gut erweist, behaltet es.

Diese Worte sind getragen von einer großen Toleranz. Wir leben in einer Zeit, in der manche allen Ernstes behaupten, sie müssten bekämpfen und ausmerzen, was nicht mit ihrer religiösen Einstellung übereinstimmt. Wir haben schreckliche Bilder vor Augen von der Verfolgung der Jesiden im Irak. Wir hören, wie Christen in manchen Ländern drangsaliert werden und sind empört. Überall sind sogenannte Gläubige am Werk, die die Welt mit Gewalt so umbauen wollen, dass sie ihren ärmlichen Idealvorstellungen entspricht. Es sieht beinahe so aus, als wollten sie Beton über die Gesellschaft schütten. Dabei entsteht vielleicht ein großer Grabstein. Eine Welt, an der Gott Freude hat, wird gewiss nicht daraus.

Prüft alles, das gute behaltet – diese Worte atmen dagegen eine tiefe Gelassenheit. Das, was es gibt, ist alles von Gott gemacht. Das, was unsere Augen sehen, was unsere Ohren hören und was unsere Herzen fühlen, kommt von ihm. Die Welt ist vielfältig und sie ist, wie sie ist. Rheinisch gesprochen: Et jibbt nix, wat et nit jibbt. Und Gott hat seinen Gefallen daran. Wer auf ihn vertraut, will der Welt keine vermeintlich bessere Ordnung aufzwingen. Wer auf Gott vertraut, darf die Schöpfung lieben. Darf sie lieben, wie sie ist.

Und das Böse?

Der Apostel Paulus hat wohl gespürt, dass seine Toleranz, wenn er sie zu weit fasst, in Unverbindlichkeit und Gleichgültigkeit umschlagen könnte. So als sei alles einfach deshalb erlaubt, weil es zur Schöpfung gehört, weil es von Gott geschaffen ist. Zur Klarstellung fügt Paulus an: Gebt Acht! Es gibt das Böse in der Welt. Macht einen Bogen darum! Meidet es!
Wohlgemerkt, nicht: Verurteilt das Böse. Auch nicht: Vernichtet das böse. Meidet es nur. Wenn ihr etwas geprüft habt und es als böse erkannt, wendet euch konsequent davon ab. Geht nicht hin, wo es euch begegnen könnte. Beschäftigt euch nicht damit.
Die Versuchungen in der Hafenstadt Thessalonich werden nicht geringer gewesen sein, als die unserer Zeit. Und ihnen still und fest zu widerstehen, ist weit schwieriger, als sie lauthals anzuprangern und zu bekämpfen. Die selbsternannten Sittenwächter von der Wuppertaler Scharia scheinen mir insgeheim doch viel zu sehr an dem interessiert zu sein, was sie nach außen hin ablehnen. Diskotheken, Lust und Lasterhöhlen, Kneipen mit Alkoholausschank -  warum sucht ihr diese Orte eigentlich auf, würde Paulus sie fragen. Warum meidet ihr sie nicht? Lasst sie doch einfach links liegen, wenn ihr meint, dass sie euch schaden. Führt doch zuerst einmal den Kampf, der jedem Gläubigen aufgetragen ist. Nämlich den, sich selbst im Griff zu halten und den Versuchungen zu widerstehen. Das bedeutet: Wegklicken, wenn mir im Internet Schund begegnet. Ausschalten, wenn Übles über den Bildschirm flimmert. Einen Bogen machen, wo immer mir das begegnen will, wovon ich weiß, dass es mich beschmutzt, verwirrt, verstört. Meiden, was bei mir dazu führt, dass ich mich selbst nicht mehr kenne. Mit einem Wort: Meidet das Böse. Das genügt. Und es ist viel!

Paulus weiß, schwer diese Aufgabe ist. Er weiß, wie sehr alle, die sie annehmen, auf Gott angewiesen sind. In seinem letzten Satz betet er für die Gemeinde in Thessalonich. Betet darum, dass sie heilig werden soll, also allem Bösen und aller Unreinheit fern. Wie er für die Gemeinde damals betet, betet er für uns heute. Und er lehrt uns, wie wir für einander beten sollen: Darum, dass Gott uns täglich neu die Orientierung und die innere Kraft gibt, die wir brauchen. Darum, dass Gott uns bewahrt zu aller Zeit und an allen Orten – dass er uns bewahrt an Leib und Geist, vor allem aber an unserer Seele. Und Gott ist treu. Er hat es gesagt. Wenn wir ihn bitten: Er wird es tun.