Predigt zu 1. Timotheus 3,16 von Martina Janßen
3,16

Predigt zu 1. Timotheus 3,16 von Martina Janßen

Lied vor der Predigt: Dies ist die Nacht, da mir erschien… (EG 40, Strophen 1, 3, 5)

I. „Die Bedeutung eines besonderen Moments wird einem oft erst im Nachhinein bewusst. Gerade manche Kindheitserlebnisse erweisen sich erst im Rückblick als Sternstunden der eigenen Biographie. Das müssen keine besonderen Erlebnisse sein. Es sind Momente, in denen Gefühle zählen. Der Zauber einer Zirkusvorstellung kann so eine Sternstunde sein, die ein ganzes Leben lang in Erinnerung bleibt. Der traurige Clown, die Spannung, wenn der Jongleur nicht nur die Teller kreisen, sondern auch die Tassen fliegen lässt, der Geruch von Sägespänen und des Parfüms der Mutter, die einen beschützend in den Arm nimmt, wenn die Tiger in die Manege einlaufen, das alles bleibt unvergesslich. Die magische Aura des fabelhaften Zirkus ist das Weihnachtsthema.“ Ich sitze in der S-Bahn und lese in einer Hochglanzzeitung des Hamburger Alsterhauses. „Sternstunden. Weihnachten im Alsterhaus“ – so lautet der Titel des Magazins (http://www.alsterhaus.de/de/home/content/sternstunden-weihnachten-im-alsterhaus/). Ein glamouröses Werbeheft für teure Kleidung, Parfüms und Accessoires – kunstvoll vor einer Zirkuskulisse in Szene gesetzt. Die Sägespäne erinnern an den Stall von Bethlehem; die festliche Kleidung lässt einen an Heiligabend denken. Gekonnt gemacht – denke ich - durchaus mit einem Hauch Magie, aber eigentlich nichts, was meine Aufmerksamkeit länger als für einen kurzen Augenblick binden kann – schon allein, weil die meisten Dinge für mich unerschwinglich sind. Aber an diesem Vorwort bliebe ich hängen. „Gerade manche Kindheitserlebnisse erweisen sich erst im Rückblick als Sternstunden der eigenen Biographie.“ – Ja, denke ich, das stimmt. Als Kind ist man offen für den Zauber, für die magischen Momente im Leben. „Das müssen keine besonderen Erlebnisse sein. Es sind Momente, in denen Gefühle zählen.“ Der Zauber eines Weihnachtsabends kann so eine Sternstunde sein, die ein ganzes Leben lang in Erinnerung bleibt. Das zerbrechliche Wachsgesicht des alten Weihnachtsengels, die Spannung, wenn die Glocke zur Bescherung in die gute Stube ruft, der Lamettafaden, der sich wie feingesponnenes Gold um die Tannennadeln wickelt und zum Träumen einlädt, der Duft von Plätzchenteig an den Händen der Mutter, wenn sie einem unterm Weihnachtsbaum die Locken aus dem Gesicht streicht, das alles bleibt unvergesslich. Aus solchen Momenten sind jene Sternstunden gewoben, die mit ihrem ganz eigenen Glanz unser Herz streifen und ein Geheimnis in sich tragen.

Weihnachten hatte für mich als Kind immer etwas von Geheimnis, von Zauber, von Magie: Was verbirgt sich wohl hinter den Türchen im Adventskalender? Wie kann ein „Ros‘ entspringen aus einer Wurzel zart und ein Blümlein bringen mitten im kalten Winter“? Auf welchem Weg schleicht sich das Christkind ins Haus? Auch wenn ich mittlerweile längst das Geheimnis um Christkind und Weihnachtsmann gelüftet habe, bleibt etwas von diesem Zauber, diesem ganz besonderem Glanz, der auf den Weihnachtstagen liegt, so als sei das Staunen aus meiner Kinderzeit nie ganz vergangen.

„Wisst ihr noch, wie es geschehen? Immer werden wir’s erzählen: wie wir einst den Stern gesehen mitten in der dunklen Nacht, mitten in der dunklen Nacht.“( EG 52, Strophe 1)

II. Während ich in der S-Bahn sitze und die mittlerweile in Dunkelheit getauchten Landschaften an mir vorüberrauschen lasse, löse ich meine Augen von den zauberhaften Bildern in dem Hochglanzmagazin und verliere mich in all den Erinnerungen aus meiner Kindheit. Wieder einmal wird mir bewusst: Das Geheimnis von Weihnachten besteht nicht darin, seine Kreditkarte geschickt einzusetzen und kleine teure Päckchen unter dem Weihnachtsbaum zu platzieren. Wenn das alles sein sollte, dann wäre der Weihnachtszauber ein fauler Zauber, ein allzu billiger Taschenspielertrick, der einen schon in dem Moment enttäuscht zurücklässt, in dem das neue Spielzeug seinen ersten Zauber eingebüßt und seinen Reiz verloren hat. Mehr noch: Wenn sich die weihnachtlichen Sternstunden in Kaufkraft umrechnen ließen, dann würde das Kind in der Hütte zum Kitsch in den Palästen werden. Und das darf nicht sein. Denn es gibt zu viele Hütten und zu wenig Paläste auf unserer Welt. Da reicht ein Blick zum Hamburger Alsterhaus. Vor dem glamourösen Kaufpalast betteln Menschen, weil sie in Not sind. Ein solches Bild ist niemals eine Sternstunde der Menschheit.

Nein, die Magie von Weihnachten erschöpft sich nicht in Glanz und Glamour, sie riecht nicht nach einem Parfüm von 200 Euro, sondern nach Plätzchenteig, Kerzenwachs und Tannenduft. Zauber kann man nicht kaufen, Sternstunden kann man nicht inszenieren. Sie kommen blitzartig und unverhofft, bahnen sich ihren Weg in die Hütten und in die Paläste. Sie blenden nicht, sondern öffnen Auge und Herz himmelwärts. Der Zauber von Weihnachten ist so eine Sternstunde. Alle Jahre wieder. Geheimnisvoll und sternenklar zugleich. Was da mit einem passiert, das kann man nicht wirklich kalkulieren, analysieren oder inszenieren, aber das kann man fühlen und sich ahnend dem Geheimnis aussetzen!

„Stille war es um die Herde. Und auf einmal war ein Leuchten und ein Singen ob der Herde, dass das Kind geboren sei, dass das Kind geboren sei.“ (EG 52, Strophe 2)

III. Ich fahre mit der S-Bahn in meinen Zielbahnhof ein und klappe mein Weihnachtsmagazin zu. Viele Einkaufstipps habe ich gelesen und auch die ein oder andere Geschenkidee bekommen, viele Hochglanzfotos habe ich bestaunen können, ein Hauch von Magie hat mich gestreift und zum Träumen eingeladen, aber die Geheimformel für Weihnachten habe ich auf all den wohl arrangierten Seiten nicht gefunden. Dazu braucht es weniger als 90 Hochglanzseiten, dazu braucht es nur ein paar Zeilen- egal ob auf dünnem Papier oder kostbarem Pergament gedruckt.

Lesung 1 Tim 3,16

Ein altes Lied besingt das Geheimnis von Weihnachten. „Geoffenbart im Fleisch“ – eine kleine unscheinbare Zeile für das größte Wunder aller Zeiten! Gott ist da, mitten in unserem Leben, hier bei uns, in unseren Hütten und Herzen. Er bleibt nicht im Himmel, wo er mit erhabener Hand die Sterne lenkt und die Engel jubilieren lässt. Er wird Mensch. Wir kennen das aus der Weihnachtsgeschichte. Das kleine Kind im Stall. So und nicht anders kommt Gott in unsere Welt. Vieles sucht man in der Weihnachtsgeschichte vergebens. Das sind kein Hochglanzpalast, keine 30.000 Euro Babybadewanne, kein Joseph „dressed for success“ und auch Maria duftet nicht „glamourous“ (by Ralph Lauren) oder „magic“ (by Guerlain), sondern so wie eine Mutter eben riecht wenn sie gerade ein Kind geboren hat. Diese - und keine anderen - sind die Rahmenbedingungen für die größte Sternstunde der Menschheit, für das Geheimnis von Weihnachten, den Zauber, der seit dieser Nacht auf unser aller Leben liegt. Jemand hat einmal gesagt: Das Geheimnis der Weihnacht besteht darin, dass wir auf unserer Suche nach dem Großen und Außerordentlichen auf das Unscheinbare und Kleine angewiesen sind. Genau in diesem Unscheinbaren und Kleinen leuchtet der Himmel auf. Nicht über den Wolken, nicht durch übermenschliche Höhenflüge, sondern mitten in unserer Welt, in unserem Leben und in unseren Dunkelheiten lässt Gott sich finden, in einem kleinen Kind im Stall, geoffenbart im Fleisch, mitten unter uns. Unsere Welt ist vom Himmel durchdrungen. Und darum kann es sein - für eine Stunde, für eine Sekunde - dass sich unsere Hütten und Herzen verwandeln in „magische Orte des Absoluten und der Transzendenz, wo das Wort ein Gesang, das Gehen ein Tanz ist, den es nicht gibt auf Erden. Aber wir gehen ihm entgegen (M. Houellebecq).“

„Eilte jeder, dass er’s sähe arm in einer Krippe liegen. Und wir fühlten Gottes Nähe. Und wir beteten es an, beteten es an.“ (EG 52, Strophe 3)

IV. Als sich die S-Bahntür öffnet, bläst mir ein scharfer Wind ins Gesicht. Ich bleibe eine Weile auf dem Bahnsteig stehen, warte bis die Menschenmassen vorübergezogen sind und blicke in den Himmel. Sternenklar ist die Nacht und bitterkalt. Plötzlich erinnere ich mich an einen Weihnachtsabend. Ich war ein kleines Kind und es war ein strenger Winter – jener Winter, in dem unsere Heizung über Weihnachten ausgefallen war. In unserer Weihnachtsstube stand ein kleiner Heizlüfter, der aber nicht wirklich gegen die Kälte ankam. Alle hatten ihre festliche Weihnachtsbekleidung gegen warme Pullover eingetauscht. Wir boten eine recht eigenwillige Festtagsgesellschaft: tropfende Nasen, klamme Hände um heiße Kakaobecher geklammert und dicke Pudelmützen über der Festtagsfrisur. Irgendwann machte mein Opa das Licht aus und zauberte ein Kleinfeuerwerk aus der Jackentasche, jene kleinen funkensprühenden stabförmigen Feuerwerkskörper mit dem Draht dran, den man in der Hand halten kann. Nichts Glamouröses! 40 Stück für ca. 2 DM! „Wunderkerzen“, auch „Sternenfeuer“, „Sternenwerfer“ genannt. Ganz einfach und preiswert. Zwei Minuten Brenndauer sind lang genug für ein kleines Wunder: Das Aufflackern von tausend kleinen Sternen, das Knistern der Funken, der Schein des Lichts auf unseren lachenden Gesichtern, der Geruch von Feuerwerk, die Rauchfiguren, die sich verteilen und sich irgendwann im Nichts verlieren, all das bleibt unvergesslich. Ein Hauch von Magie, eine Sternsekunde, und das Wissen um ein Geheimnis tief in uns: Gott ist da - mitten unter uns, bei unseren tropfenden Nasen und klammen Händen, in unserer kalten Hütte und in unseren lachenden Herzen! „Die Bedeutung eines besonderen Moments wird einem oft erst im Nachhinein bewusst. Gerade manche Kindheitserlebnisse erweisen sich erst im Rückblick als Sternstunden der eigenen Biographie. Das müssen keine besonderen Erlebnisse sein. Es sind Momente, in denen Gefühle zählen.“ Der Zauber eines Weihnachtsabends kann so eine Sternstunde sein, die ein ganzes Leben lang in Erinnerung bleibt.

„Wisst ihr noch, wie es geschehen? Immer werden wir’s erzählen: wie das Wunder einst geschehen mitten in der dunklen Nacht, mitten in der dunklen Nacht.“ (EG 52, Strophe 6)

Amen