Predigt zu 1.Thessalonicher 5,14-24 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
5,14-24

Liebe Gemeinde,

mit diesen Ermahnungen beendet der Apostel Paulus seinen ersten Brief an die Gemeinde in Thessaloniki. Wenn man sie einmal zählt, dann sind es gleich dreizehn Stück; dreizehn Ermahnungen, eine ganze Menge. Aber man spürt, dass Paulus, während er diesen Brief noch schnell zu Ende bringen will, nicht einfach noch ein paar gute Ratschläge erteilen möchte, nicht g´schwind noch einige fromme Wünsche und Floskeln aufschreiben will. Nein, er ist mit seinen Gedanken ganz bei den Christenmenschen in Thessaloniki. Er erinnert sich an gemeinsam Erlebtes, an Begegnungen, an Gespräche; auch an schwierige Gespräche, an offen gebliebene Fragen. Er sieht die Gesichter der Gemeindeglieder noch vor sich, die unterschiedlichen Persönlichkeiten und Charaktere, auch die schwierigen darunter. Auch die chaotisch-unordentlichen, die schüchternen-kleinmütigen, die wenig selbstbewussten-schwachen, auch die, denen gegenüber er am liebsten aus der Haut gefahren wäre; die ihm so viel Geduld abverlangt haben. Hinter jeder der dreizehn Ermahnungen des Apostels stehen gemeinsame Erfahrungen, Erlebnisse, Erinnerungen.

Und ich erinnere mich an die vielen Nachmittage, die ich als Bub bei dem alten Nachbarn verbracht habe. Und an seine letzte Ermahnung an mich. Er krank auf dem Sterbebett, ich verängstigt im Türrahmen. „Gell, nur nicht mogeln“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Und was hatten wir gemogelt und geschummelt bei unseren Brettspielen. Damit jeder einmal gewinnen darf.

Die dreizehn Ermahnungen des Apostel Paulus stecken voller Erlebnisse. Und die Gemeinde wird sie verstanden haben. Und wird sich erinnert haben und ist erinnert worden. Auch an das, was nicht in Ordnung ist. Das Leben als Christenmensch ist kein Kinderspiel. Es kann ganz schön schwierig sein. Es kann ganz schön enttäuschend sein untereinander. Und es verlangt manchmal ganz schön viel Geduld miteinander und Zuwendung zueinander, trotz alles gegenteiliger Erfahrungen.

Erinnern wir uns an das Evangelium, das wir gehört haben (Lk. 17, 11-19): was für eine Enttäuschung für Jesus. Von zehn geheilten Aussätzigen kommt ein einziger, um Gott für seine Heilung zu danken. Ein einziger spürt, dass er an Leib und Seele gesund wurde. Nur 10% Erfolg. Oder, deutlicher ausgedrückt: 90% Misserfolg. Lohnt sich da der Einsatz überhaupt bei einer Erfolgsquote von lediglich 10%?

In unserer Vesperkirche betreuen wir in den Wintermonaten täglich über 600 Gäste. Zur Abendandacht bleiben noch 40-60 da. Und wie viele, oder wie wenige bekommen durch den unermüdlichen Einsatz der Ehrenamtlichen der Vesperkirche und der Diakonie ihr Leben wieder in den Griff? Kann, ja darf man da überhaupt nach einer Zahl fragen?

Gott ist treu. „Treu ist er, der euch ruft“ (v24). Daran erinnert der Apostel Paulus die Gemeinde in Thessaloniki und unsere Gemeinde. Mit dieser Treue hat sich Jesus allen zehn Aussätzigen zugewandt. Das Ergebnis war enttäuschend. Aber trotzdem gilt das Evangelium allen Menschen. Da gibt es also keinen „der Einsatz lohnt sich doch nicht“-Einwand.

Und jetzt verstehen wir vielleicht auch den eigentlichen Grund für die Ermahnungen des Apostel Paulus besser, doch die Chaotischen, die Kleinmütigen und die Schwachen und die, wegen derer man aus der Haut fahren könnte, nicht fallen zu lassen; und nicht Böses mit Bösem zu vergelten und dem Guten nachzujagen untereinander und allen gegenüber: Der Grund dafür liegt darin, dass Gott treu ist. Dass er niemanden fallen lässt, auch wenn er 90% Misserfolg verbuchen muss.

Natürlich ist jeder Misserfolg, zwischenmenschlich und beruflich, enttäuschend. Aber er lässt sich einfacher verdauen, wenn man weiß, dass Gott treu zu einem steht. Ein kleines Gedicht von Eugen Roth scheint geradezu von unserem Predigttext inspiriert worden zu sein; es heißt:

„Seelische Gesundheit

Ein Mensch frisst viel in sich hinein:
Missachtung, Ärger, Liebespein.
Und jeder fragt mit stillem Graus:
Was kommt da wohl einmal heraus?
Doch sieh! Nur Güte und Erbauung.
Der Mensch hat prächtige Verdauung.“

„Treu ist er, der euch ruft.“ Von diesem Grundsatz aus formuliert Paulus seine Ermahnungen nach Thessaloniki. Durch diese Brille sieht er die Schwächen und den Kleinglauben und die Fehler der Gemeinde und ihrer Mitglieder. Auf Gottes Treue, Nähe und Zuwendung zu vertrauen, dazu ruft er auf. Das gibt, um es einmal salopp zu formulieren „ein gutes Lebensgefühl“; dieses Gefühl, dieses Wissen, diesen Vertrauen, dass Gott treu ist, auch den 90% gegenüber, den Undankbaren, Kleingläubigen, Chaotischen, Schwachen und manchmal Bösen – unter denen ich mich manchmal wieder entdecke.

Und deshalb bekommen die weiteren Ermahnungen des Apostels Paulus nun auch einen anderen Klang. Aus Ermahnungen werden Ermunterungen: Seid allzeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen. Dämpft den Geist Gottes nicht. Diesen Geist, des Evangeliums, das allen Menschen gilt. Haltet die Beziehung dazu aufrecht. Betet ohne Unterlass. Haltet den Kontakt zu Gott.

Und das kann auf so vielfältige Weise geschehen. Im Nachsprechen vorformulierter Gebete, denen man sich anvertrauen kann, die man wiederholen kann, bis sie einem zu Herzen gehen. Martin Luther hat einem Frisör einmal den Rat gegeben, die Zehn Gebote immer und immer wieder zu wiederholen im Gebet. In ein inneres Gespräch mit ihnen zu treten. An dem einen oder anderen hängen zu bleiben, bis es zum Herzen zu sprechen anfängt. Sie kennen das vielleicht vom Vaterunser am Ende des Gottesdienstes. Manchmal bleibe ich im Herzen an einer Bitte des Vaterunsers hängen. Und sie beginnt zu mir zu sprechen; ja, auch mich zu ermahnen.

Manchmal fehlen mir auch einfach die Worte für ein Gebet, einfach weil manches so elend, so verfahren, so furchtbar ist – wie gerade die Verfolgung der Christen in Syrien und im Irak. Paulus nennt das an anderer Stelle „das unaussprechliche Seufzen der Kreatur“; das Seufzen über Schuld und Sünder, über Leiden und Tod, über all das Untragbare und Unerträgliche. Betet ohne Unterlass.

Auch das ganz alltägliche Schaffen ist für Luther Gebet; das zu tun, was dran ist. Da klingt die Ermahnung des Paulus durch: Weist die Unordentlichen zurecht. Überhaupt meint Luther, man solle so beten, als ob alles Arbeiten nicht helfe; und so arbeiten, als würde alles Beten nicht helfen. Haltet an am Gebet. Dazu ermuntert uns Paulus.

Dreizehn Ermahnungen, dreizehn Ermunterungen gibt uns unser Bibelwort heute mit auf den Weg. Wenn Sie sie zuhause noch einmal durchdenken, diese Worte des Apostels Paulus am Ende des 1. Thessalonicherbriefes, dann fallen Ihnen bestimmt zu jeder der dreizehn ein Erlebnis, eine Geschichte, eine Begegnung, ein Gespräch ein.

Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird´s auch tun.

Amen

 

Gewissenserforschung

Ein Mensch, statt dass er sich beklag
Darüber, dass kein Mensch ihn mag,
Prüf, als Gerechter, vorher sich:
»Genau genommen – wen mag ich?!

 

Perikope