Predigt zu 2. Könige 5, 1-19 von Werner Schwartz
5,1
1 Naeman, der Feldhauptmann des Königs von Aram, war ein trefflicher Mann vor seinem Herrn und wertgehalten; denn durch ihn gab der HERR den Aramäern Sieg. Und er war ein gewaltiger Mann, jedoch aussätzig.
2 Aber die Kriegsleute der Aramäer waren ausgezogen und hatten ein junges Mädchen weggeführt aus dem Lande Israel; die war im Dienst der Frau Naemans.
3 Die sprach zu ihrer Herrin: Ach, daß mein Herr wäre bei dem Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz befreien.
4 Da ging Naeman hinein zu seinem Herrn und sagte es ihm an und sprach: So und so hat das Mädchen aus dem Lande Israel geredet.
5 Der König von Aram sprach: So zieh hin, ich will dem König von Israel einen Brief schreiben. Und er zog hin und nahm mit sich zehn Zentner Silber und sechstausend Goldgulden und zehn Feierkleider
6 und brachte den Brief dem König von Israel; der lautete: Wenn dieser Brief zu dir kommt, siehe, so wisse, ich habe meinen Knecht Naeman zu dir gesandt, damit du ihn von seinem Aussatz befreist.
7 Und als der König von Israel den Brief las, zerriß er seine Kleider und sprach: Bin ich denn Gott, daß ich töten und lebendig machen könnte, daß er zu mir schickt, ich solle den Mann von seinem Aussatz befreien? Merkt und seht, wie er Streit mit mir sucht!
8 Als Elisa, der Mann Gottes, hörte, daß der König von Israel seine Kleider zerrissen hatte, sandte er zu ihm und ließ ihm sagen: Warum hast du deine Kleider zerrissen? Laß ihn zu mir kommen, damit er innewerde, daß ein Prophet in Israel ist.
9 So kam Naeman mit Rossen und Wagen und hielt vor der Tür am Hause Elisas.
10 Da sandte Elisa einen Boten zu ihm und ließ ihm sagen: Geh hin und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder heil und du wirst rein werden.
11 Da wurde Naeman zornig und zog weg und sprach: Ich meinte, er selbst sollte zu mir herauskommen und hertreten und den Namen des HERRN, seines Gottes, anrufen und seine Hand hin zum Heiligtum erheben und mich so von dem Aussatz befreien.
12 Sind nicht die Flüsse von Damaskus, Abana und Parpar, besser als alle Wasser in Israel, so daß ich mich in ihnen waschen und rein werden könnte? Und er wandte sich und zog weg im Zorn.
13 Da machten sich seine Diener an ihn heran, redeten mit ihm und sprachen: Lieber Vater, wenn dir der Prophet etwas Großes geboten hätte, hättest du es nicht getan? Wieviel mehr, wenn er zu dir sagt: Wasche dich, so wirst du rein!
14 Da stieg er ab und tauchte unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geboten hatte. Und sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben, und er wurde rein.
15 Und er kehrte zurück zu dem Mann Gottes mit allen seinen Leuten. Und als er hinkam, trat er vor ihn und sprach: Siehe, nun weiß ich, daß kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel; so nimm nun eine Segensgabe von deinem Knecht.
16 Elisa aber sprach: So wahr der HERR lebt, vor dem ich stehe: ich nehme es nicht. Und er nötigte ihn, daß er es nehme; aber er wollte nicht.
17 Da sprach Naeman: Wenn nicht, so könnte doch deinem Knecht gegeben werden von dieser Erde eine Last, soviel zwei Maultiere tragen! Denn dein Knecht will nicht mehr andern Göttern opfern und Brandopfer darbringen, sondern allein dem HERRN.
18 Nur darin wolle der HERR deinem Knecht gnädig sein: wenn mein König in den Tempel Rimmons geht, um dort anzubeten, und er sich auf meinen Arm lehnt und ich auch anbete im Tempel Rimmons, dann möge der HERR deinem Knecht vergeben.
19 Er sprach zu ihm: Zieh hin mit Frieden!
Eine merkwürdig fremde Geschichte an diesem 3. Sonntag nach Epiphanias. Der Sonntag steht unter dem Thema Der Heiden Heiland. Er zeigt, wie Gottes Liebe über die Grenzen seines Volkes hinausgeht, die Fremden, die Unfrommen, die Gottlosen, die ganze Welt erreichen will. Zu den Bibeltexten des Sonntags gehören Der Hauptmann von Kapernaum aus Matthäus 8,das Evangelium von der Gerechtigkeit Gottes aus Römer 1, Die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten aus Johannes 4, Jesus und die Samariterin aus Johannes 4, Petrus und Kornelius aus Apostelgeschichte 10 und eben diese Geschichte: Elisa heilt Naeman.
Was erzählt uns diese Geschichte?
Mitten im Krieg, gerade haben die Aramäer einen Sieg über das Nordreich Israel errungen – Samaria ist die Hauptstadt des Nordreiches -, mitten im Krieg wird ein erfolgreicher Feldhauptmann aus Aram krank. Er leidet unter Hautausschlag und sucht Heilung, findet sie aber nicht. Da erfährt er von einer kriegsgefangenen Israelitin, die seine Frau im Haushalt als Dienerin beschäftigt, dass in Israel, beim Feind, ein Prophet lebt, dem man heilende Kräfte zuschreibt.
Naeman überlegt: Die diplomatischen Kanäle benutzen, um Heilung zu finden? Den eigenen König bitten, beim fremden König nachzufragen, ob er hilft oder Hilfe zulässt? Den Gott des fremden Volkes um Heilung bitten? Eine pikante Geschichte. Mitten im Krieg den Feind brauchen. Das ist nicht einfach. Aber wir wissen: Krankheit überwindet Grenzen. Wer krank ist, sucht Heilung, manchmal um jeden Preis. Selbst wenn man sich vor dem Feind demütigen muss. Als der große, stattliche, erfolggewohnte und einflußreiche Mann, der man ist.
Wer ernstlich krank ist, greift nach jedem Strohhalm. So sind wir Menschen, verständlicherweise. Was irgend helfen kann, ist uns recht. Es geht ja um uns, um unsere Gesundheit, um unser Leben.
So macht sich Naeman auf, fragt seinen König um diplomatische Unterstützung, kriegt den Brief und macht sich auf den Weg, vollbeladen mit Schätzen, die mehr als ein Vermögen ausmachen. Gesundheit ist uns ja was wert.
Den israelitischen König Joram trifft die Anfrage des Naeman unverhofft. Wie soll er helfen können? Er ist schließlich kein Wunderheiler. Er ist nicht Gott, der töten und lebendig machen kann. Und auch nicht der Dienstvorgesetzte der Propheten im Land. Eine für Israel wichtige Einsicht. Es gibt kein Gottkönigtum wie in Ägypten. Der König ist der König, von Gottes Gnaden wohl, aber nicht mehr. Auch diese Botschaft steht in dieser Geschichte. Kein Mensch ist Gott. Kein Politiker ist allmächtig. Und wenn die Versuchung, sich groß aufzuspielen, noch so verlockend ist.
Der König gesteht seine Ohnmacht ein. Er sieht sich dennoch provoziert durch die Anfrage des feindlichen Offiziers. Ob man da gleich seine Kleider zerreißen muß, weiß ich nicht. Besonnenheit und Sparsamkeit würden einen von solchem Verhalten abhalten. Aber hilflose Wut macht sich gelegentlich einfach Luft.
Da kommt Elisa, ein bedeutender, einflussreicher Prophet in Israel, ins Spiel. Er ist ausgewiesen durch eine Reihe von Wundern, die er vollbracht hat, mit Gottes Hilfe, in Gottes Auftrag, um zu zeigen, daß Gott Macht hat und daß man sich auf ihn verlassen kann. Er hat eine Quelle gesund gemacht und spottende Knaben von Bären auffressen lassen, er hat einer Witwe das Öl im Krug vermehrt, einer kinderlosen Frau ein Kind verheißen und es vom Tod erweckt, als es gestorben war. Er hat vergiftete Krautspeise – O Mann Gottes, der Tod im Topf – durch die Zugabe von Mehl genießbar gemacht und mit zwanzig Broten hundert Mann gesättigt.
Dieser Elisa schickt zum König und bietet seine Hilfe an. Er ist zwar auch nicht Gott. Aber er vertraut auf Gott. Vielleicht läßt sich ja zeigen, daß der Gott Israels ein großer, mächtiger Gott ist, mächtiger als die menschengemachten Götter der Nachbarschaft, auch als die Götter in Aram.
Naeman kommt, mit Rossen und Wagen, exakt vor die Tür Elisas. Der ist alles andere als beeindruckt. Er geht nicht selbst heraus, er schickt einen Boten, der Naeman sagt: Siebenmal waschen im Jordan.
Eine Zumutung. Erstens, weil dieser Prophet nicht selbst herauszukommt. Wer bin ich denn?, fragt Naeman. Kann man mich abspeisen mit einem Diener? Schließlich sind das doch Protokollfragen. Mit mir redet nur einer, der mir ebenbürtig ist. Das kann ich schließlich erwarten. Ich habe Chefarztbehandlung verdient. Mit einem Assistenzarzt gebe ich mich nicht zufrieden. Und zweitens: Mich im Jordan waschen? Wo die Flüsse in Damaskus doch eine ganz andere Qualität haben als dieser Jordan. Nein, das kann ich nicht hinnehmen. Das kann er mit mir nicht machen, mit mir nicht. Da würde ich anderes erwarten. Einen irgendwie großen Akt der Anrufung dieses Gottes hier. Das würde mir Eindruck machen. Es darf gern auch ein bißchen theatralisch sein. Halt ein bißchen professionell, ein bißchen Aufwand. Schließlich bin ich nicht irgendwer. Nein, mit mir nicht.
Er kehrt sich ab im Zorn. Wie das den Großen so ansteht. Wie man’s von ihnen gewohnt ist. Schließlich kennt man ihre Arroganz. Wegsehen, weggehen, nie mehr ein Wort wechseln, auf einen anderen nicht mehr zugehen. Ich nicht. Die Nase hoch und weiter. Krankheit hin oder her. Was auch drüber kaputtgeht. Lieber aufrecht untergehen als über den eigenen Schatten springen.
Es sind die Diener, die den Versuch unternehmen, ihren Herrn umzustimmen. Manchmal ist das so, wenn einer eingeschnappt ist. Wenn’s gut geht, gibt es jemand, der ihm auf die Sprünge hilft. Wenn’s gut geht. Einfach vergessen, was war. Keine vermeintliche Beleidigung, keine vermeintliche Verletzung zu wichtig nehmen. Einfach noch einmal ansetzen, aus der Zuversicht heraus, es müsse doch weitergehen, aus dem Zutrauen heraus, eine Beziehung dürfe doch nicht so schnell abgebrochen werden. Gibt’s nicht, gibt’s nicht. Auch: Geht nicht, gibt’s nicht. Es gibt immer einen Weg. Und man vergibt sich nichts durch Einlenken. Nicht einmal als vermeintlich Großer.
Alles wegstecken und einlenken. Das braucht eine gewisse Reife. Oder gute Berater. Die Diener sind es. (Um’s konkret, am anderen, eigenen Beispiel zu sagen: Meine Frau ist eine solche Beraterin. Eine ganz hervorragende obendrein.) Hab dich nicht so. Die sind so, wie sie sind. Die Menschen um dich rum. Aber das heißt nicht, daß du ihnen mit gleicher Münze heimzahlen mußt. Das hast du nicht nötig. Du hast doch mich. Du hast deinen Gott. Da bist du doch frei. Du kannst doch drüberstehen. Du musst doch nicht eingeschnappt reagieren oder gar auf Vergeltung sinnen.
Lass sie, wie sie sind. Und lass dich’s nicht bedrücken. Geh durch, verkrafte es. Du weißt doch: Es gibt Menschen, die dich mögen, und Gott bist du recht. (Sie ahnen, ich habe viel gelernt von meiner Frau, auch was meinen Glauben betrifft, meine Beziehung zu Gott und sicher auch das, was ich vom Glauben und der Beziehung von Gott weitersagen kann.)
Naeman akzeptiert den Auftrag, er geht zum Jordan, überredet durch seine Diener, taucht siebenmal unter und wird rein, wird geheilt. Untertauchen heißt fast: getauft werden. Das Alte abwaschen, neu werden. Dazu passt das Bekenntnis, das Naeman abgibt: Siehe, nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel. Naeman hat eine neue Orientierung. Er hat seinen Gott gefunden. Den Gott Israels, den Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat und sie vollendet. Er hat Hilfe erfahren. Das ist ihm gewiss. So ist ihm der Glaube an Gott gewiss.
Wie’s uns gelegentlich geschehen kann. Dass wir Gott erfahren und unseres Glaubens gewiss werden können. Allen gegenlaufenden Erfahrungen zum Trotz, aller Krankheit und Bedrohung zum Trotz, aller Enttäuschung und Verletzung zum Trotz.
Daß Elisa die Dankesgabe des Naeman nicht annimmt, verweist darauf, dass Gott sich nicht bestechen läßt. Gott gibt freiwillig und gern, er braucht keine Gegengabe, nicht in materiellen Werten. Er will allein, dass Menschen ihm folgen, ihm treu sind, an ihn glauben, mit ihm leben, in seinem Sinn, in seinem Geist leben. Und wenn Gott sich nicht bestechen lässt, dann braucht dies sein Diener auch nicht. Eine honorige Haltung. Eigentlich bis heute.
Wenn Naeman dann in seine alte Umgebung zurückkehrt, in seine Heimat, sein Volk, dann sieht er ganz realistisch, dass ein Konflikt auf ihn zukommen könnte. Der König wird ihn zum Gottesdienst mitnehmen, in den heidnischen Tempel. Darf er mitgehen? Wo er doch vom Gott Israels geheilt wurde und an den Gott Israels glaubt und ihm verbunden sein will? Er will sogar geweihte Erde aus Israel mitnehmen, in der Ahnung, dass der Gott des Landes an die Erde dieses Landes gebunden ist. Er will den Gott Israels, den Herrn der Welt, mitnehmen nach Aram, damit er dort auch seinen Platz hat, sein Zuhause. Er will auf geweihter Erde den Gott verehren, dem er zu Dank verpflichtet ist, den er als seinen Herrn anerkannt hat. Aber er sieht die Notwendigkeit zu Kompromissen. Wenn der König in den Tempel des Rimmon, des aramäischen Wetter- und Sturmgottes, geht, wird er ihn begleiten müssen. Das möge der Gott Israels ihm verzeihen.
Kompromisse im Leben. Wie sie immer wieder einmal von uns gefordert sind. Nicht immer geht es nach schwarz und weiß allein. Nicht immer behalten wir die reine Weste. Manchmal sieht es so aus, als müssten wir Kompromisse eingehen. Und darauf hoffen, dass Gott das versteht und weiß, wie wir’s meinen, auch wenn wir Kompromisse machen. Unser Leben ist offenbar so. Nicht immer einfach. Manchmal eher ein bisschen kompliziert, so dass nicht von vornherein klar ist, was richtig und was falsch ist. Dass wir hin- und herdenken müssen und unseren Weg finden müssen. Schön, wenn es dann am Ende heißen kann: Zieh hin mit Frieden!
So kompliziert ist das menschliche Leben, offenbar so kompliziert. Ob uns das tröstet? Ob uns das hilft, unsere Tage zu bestehen? In der Gewißheit unseres Glaubens und in  der Nachfolge dieses Gottes?
Zu wünschen wäre uns das. Und die Geschichten der Bibel machen uns Mut dazu. Auf Gott vertrauen und aus diesem Vertrauen leben. Heute. Und morgen.
Liedvorschläge:
302 Du meine Seele, singe – 323 Man lobt dich in der Stille – 293 Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all – 347 Ach bleib mit deiner Gnade
Gebet
Gott, Du lässt mich in den alten Geschichten mein Leben anschauen. Ich darf auf Heilung hoffen. Ich kann mich zu Dir auf den Weg machen. Du schickst mir Hilfe, wenn mein aufgeblasenes Ich mich blockiert. Du heilst mich. Du erwartest, dass ich Dir folge. Und gehst meinen verschlungen Weg mit. Ich danke Dir. Amen.
Perikope
22.01.2012
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