Predigt zu 2. Korinther 12, 1-10 von Stefan Henrich
12,1

Predigt zu 2. Korinther 12, 1-10 von Stefan Henrich

Der Predigttext steht im zweiten Korintherbrief des Paulus im 12. Kapitel, das ist ein Auschnitt aus der sogenannten Narrenrede des Paulus:
  
  1 Gerühmt muß werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn.
  2 Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren - ist er im Leib gewesen? ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? ich weiß es auch nicht; Gott weiß es -, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel.
  3 Und ich kenne denselben Menschen - ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es -,4 der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. 5 Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. 6 Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört.
  7 Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.8 Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, daß er von mir weiche.
  9 Und er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.10 Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Mißhandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.
  
  
  Liebe Gemeinde,
  der scharf denkende und ebenso sich äußernde Christusverkündiger Paulus ist unter Beschuss geraten. In Korinth sind Apostel aufgetaucht, die ihm die Botschaft von dem gekreuzigten Christus streitig machen, schlimmer noch eine Reihe von Leuten sprechen ihm ab, dass er den wahren Christus verkündigt.
  Wie es dazu gekommen war?
  Die anderen Apostel sind geistvoll begeisternde Leute, die rühmen und preisen sich selber, die haben tolle ekstatische Erfahrungen gemacht, und die können was erzählen von Glanz und Herrlichkeit des Himmels. Da waren sie mittendrin, und doch, auch das:  da oben haben sie Christus gesehen, und die Korinther glauben es ihnen, hängen ihnen wie an den Lippen.
  Und Paulus?
  Der kann ja nicht mal vernünftig reden, und wenn er es versucht, dann erzählt er von dem gekreuzigten Gott, der die Weisheit und Wahrheit dieser Welt sein soll.
  Was für eine Narretei, was für ein Unsinn ist das doch. Wie konnte der mit dieser Botschaft nur so erfolgreich auch in Korinth eine Gemeinde gründen?
  Die Korinther zweifeln an sich selber und an dem Evangelium, das Paulus ihnen brachte.
  Dass er ungeschickt in der Rede ist, das räumt Paulus selber ein, griechisch ein „idiotäs too logo“ (Kap 11,6),  und andere erzählen von seinen langweiligen Predigten, wie dabei einmal der auf der Fensterbank sitzende Eutychus eingeschlafen ist und nach hinten raus fiel in den Garten (Apg 20,9).
  Aber schreiben kann Paulus, und da in einem Brief an die geliebte Gemeinde in Korinth  fährt er den Superaposteln in die Parade, verteidigt sich und das Evangelium von Jesus Christus, dem Gott, der ganz unten schon bei uns ist und ganz nah den Notleidenden, Trauernden und Hoffnungslosen.
  Wenn die Wahrheit des Evangeliums auf dem Spiel steht, dann kennt Paulus  keinen Spaß,  karikieren lässt er sich den Gekreuzigten nicht.
  Paulus sagt unmißverständlich, dass Gottes Wort verfälscht wird, wenn die je eigene Glaubenserfahrung die Bindung an das Kreuz Christi verliert. ( vgl. Jürgen Becker, Paulus: der Apostel der Völker, Tübingen 1989,  S. 244)
  Um das zu unterstreichen, schreibt Paulus einen Angriff auf seine Gegner als eine Narrenrede, die vor Selbstruhm nur so trieft. Dabei macht er genau das, was er den Gegnern vorwirft, und verdreht es gleichzeitig doch auch ins Gegenteil.
  Während die Überapostel sich selber pausenlos in das rechte Licht zu stellen und sich so gerade so zum Narren machen, (Paulus sagt: ...“was Wunder, selbst der Satan verstellt sich zum Engel des Lichtes“ 2. Kor.11,14), nimmt Paulus die Rolle des Narren an und rühmt und rühmt sich, auch wenn das eigentlich zu gar nichts nütze ist, wie er gleichzeitig wohl innerlich lachend  feststellt.
  Gut, aber wenn die Überapostel von der Eroberung des Himmels sprechen, dann will auch ich, Paulus, von meinen Himmelserfahrungen reden. Ich spreche von mir und auch wieder nicht von mir, ich komme euch ganz persönlich und rede doch auch wieder von einem Fremden, weil ich mir selber doch fremd bin und war:
  Vor vierzehn Jahren war es, da war ich im Leib oder auch nicht, auf jeden Fall: ich ward entrückt bis in den dritten Himmel und war im Paradies, da hörte ich unaussprechliche Worte, die ein Mensch nicht sagen darf.
  Also wirklich, man will drein rufen und fragen, was soll denn das, geht es nicht doch ein bisschen konkreter?
  Die Gegner, die Überapostel, die reklamieren für sich, dass sie den erhöhten Christus im Himmel voll Gloria gesehen haben, sie sind „Virtuosen der ekstatischen Erfahrung“(Becker, S. 243) und Paulus steigt den gleichen Berg hinauf und sieht nichts, merkt nichts und was er hört, darf er nicht weiter geben?
  Nimmt er uns nun alle auf den Arm, oder ist Christus der Gekreuzigte auch im Himmel immer noch der unter dem Erweis des Gegenteils sich zeigende Gott?
  Paulus treibt es auf die Spitze:
  Ich will mich dessen, der da im Himmel war, rühmen, auch wenn ich nichts weitergebe (wie kann ich unaussprechliches weitergeben?), von mir selber aber rühme ich nichts, außer meiner Schwachheit.
  Und dann wird Paulus ganz persönlich, ehe er zu dem Offenbarungswort kommt, welches als einziges Offenbarungswort Gottes an Paulus uns überliefert ist:
  Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
  
  Dieses Wort, unsere Jahreslosung, allerdings wird gerade nicht im Himmel an Paulus überbracht, vielmehr im tiefsten Dunkel der irdischen Existenz. Wie es dazu gekommen ist?
  Paulus wird nach seiner unaussprechlichen himmlischen Erfahrungsreise wieder geerdet.
  Damit er sich nicht selber überhebe daran, sei ihm ein Pfahl ins Fleisch gegeben, ein Stachel in den Leib gelöckt.
  Krank ist Paulus gewesen, was immer das gewesen ist. Die Liste der Vermutungen reicht von epileptischen Anfällen (A. Schweitzer) bis hin zu endogenen Depressionszuständen (K. Bonhoeffer). Hysterie, Augenmigräne, Malaria und Ischias wurden auch vorgeschlagen, wir aber bleiben am besten bei der lapidar genialen Auskunft von Friedrich Lang  in seinem Korintherbriefkommentar, dass eine eindeutige Diagnose heute nicht mehr möglich ist, angesichts der Tatsache, dass der Patient schon vor 1900 Jahren gestorben ist.
  (Vgl. Lang, Korintherbriefe, NTD 7, Göttingen 1986 S. 350; die Aussage geht auf H. Lietzmann zurück)
  Interessanter ist, dass Paulus davon berichtet, er habe dreimal zum Herrn gebetet, dass der Pfahl, sprich die Krankheit von ihm weiche.
  Die Gebete wurden erhört, aber nicht im Sinne des Paulus beschieden.
  Wer immer über Heilungsgottesdienste nachdenkt und über besondere charismatische Gaben dafür, bekommt hier zumindest den kritischen Einwand ihrer Grenzen geliefert.
  Und wer immer im Zuge irgendwelcher selbsternannter Heiler hört, dass bei Ausbleiben der Heilung die Gebete nicht brennend genug waren, kann den Paulus als Kronzeugen für sich nicht anführen:
  Selbst des Apostels Gebete wurden nicht erhört, so wie er das wollte,-  und dann aber doch: welche Gottesoffenbarung wurde ihm gerade im Widerschein seiner Krankheit zuteil!
  Trostwort und Zuspruch, Gnade und Kraft in Schwachheit und Not, welche aufsprengende Botschaft im Hier und Jetzt unter den Bedingungen dieses begrenzten Lebens.
  Das ganze Evangelium von Jesus Christus leuchtet auf, die Blinden und die Zöllner, die Huren und die Lahmen, die Kleinen und Schwachen, in ihnen zuerst ist Gottes Macht am Wirken, sie sind die, denen Wert und Würde zugesprochen wird, sie müssen sich nicht selber rechtfertigen und rühmen, sie dürfen leben unter der Gnadensonne Gottes, weil Gott im Schatten seiner selbst sich in der Tiefe des Lebens und vor allem doch auch an den Tiefpunkten unseres Lebens sich uns zuwendet und hilft.
  Paulus der Langeweileredner würde das später ausformulieren für sie im Nachhinein, im Voraus für uns, die wir versuchen sein Wort von Jesus Christus auszulegen für uns und unsere Gemeinde:
  Guten Mutes ist er in Schwachheit, in Not, Gefahr und in Ängsten. Das ist die wahre spirituelle Erfahrung nach Paulus, die durch Christus geschenkt wird.
  
  Zum Schluss: Nach einem Wort von Karl Barth gleicht derjenige, der sich auf Paulus einlasse, einem Menschen, „der in einem dunklen Kirchturm sich treppaufwärts tastend, unvermutet statt des Geländers ein Seil ergriffen, das ein Glockenseil war und nun zu seinem Schrecken hören musste , wie die große Glocke über ihm soeben und nicht nur für ihn bemerkbar angeschlagen hatte.
  (vgl Dieter Hildebrandt, Saulus/Paulus. Ein Doppelleben, Carl Hanser Verlag, 1989, S. 15ff.)  
  Die Narrenrede des Paulus ist so ein Glockenschlag, der uns gleichsam erschütternd doch auch heilsam umfängt mit dem ganzen Evangelium der Gnade und der Liebe Gottes, die in Christus ist, seinem lieben Sohn. Amen