Predigt zu 2. Korinther 4,3–6 von Walter Meyer-Roscher
4,3-6

„Immer sind es die Menschen
Du weißt es
Ihr Herz ist ein kleiner Stern
Der die Erde beleuchtet“

Liebe Gemeinde,
Rose Ausländer, die so viele Jahre von Krankheit und Siechtum bedrängte Dichterin, hat das geschrieben. Ist es nur ihr Traum von einem Licht, das aus den Herzen der Menschen hervorleuchtet und die Dunkelheit durchdringt?

Für uns scheint sie ja oft undurchdringlich – die Dunkelheit von Gewalt, Terror und Krieg, von Flüchtlingselend und Hunger, die vielen Menschen das Lebenslicht nimmt. Die Dunkelheit, die in unserer Gesellschaft Angst macht, den geforderten Leistungen nicht zu genügen, in einer vom Nutzwert und von der Gier bestimmten Welt nicht bestehen zu können. Eine Dunkelheit, die uns in unserer eigenen Umgebung oft die Sicht auf eine lebenswerte Zukunft verstellt und die in weiten Teilen unserer Welt noch ungleich bedrohlicher ist.

Viele resignieren und ziehen sich in die Einsamkeit ihrer Ohnmachtsgefühle und Depressionen zurück – mit angstvollen, vielleicht schon versteinerten Herzen, die zu leuchtenden Sternen nicht mehr taugen. Für sie ist der Traum von einem Licht, das aus dem Herzen kommt und nach außen dringt, ausgeträumt. Aber insgeheim bleibt die Sehnsucht, dass Gott nicht fern sein, dass schließlich doch der Glanz seiner göttlichen Herrlichkeit die Dunkelheit in uns und um uns aufhellen möge. Nein, der Traum der Rose Ausländer hat sich längst in uns festgesetzt, lässt uns nicht mehr los. Wenn doch Gott ihn Wirklichkeit werden ließe, so wie er einst am Beginn allen Lebens in unserer Welt Licht aus der Finsternis hat hervorleuchten lassen.

An diesen Anfang denkt der Apostel Paulus zurück – in der Dunkelheit körperlicher Überforderung und Krankheit, vor allem aber persönlicher Anfechtung, Verfolgung und Gegnerschaft derer, die sich im Besitz der Wahrheit wähnen und ihre Gotteserkenntnis als Waffe einsetzen.

Vielleicht stimmen die ihm noch zu, wenn er schreibt: Gott, der sprach, Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes.

Doch für die Gegner des Paulus ist Gottes Herrlichkeit mit Macht verbunden, die man selbst im Namen dieses Gottes in Anspruch nehmen möchte. Ja, schon damals haben religiöse Wahrheitsansprüche, mit Macht und oft auch mit brutaler Gewalt umgesetzt, die Dunkelheit einer auf göttlichen Glanz und göttliche Herrlichkeit wartenden Welt nur noch mehr verfinstert. Für Paulus ist da nicht der Gott, der alles Leben geschaffen hat, im Blick, sondern der Gott der Welt, wie er ihn nennt, der Zeitgeist, der die Herzen der Menschen verblendet.

Ein Licht, das unser Herz erleuchtet, Lebensorientierung ermöglicht, muss einen anderen Glanz, eine andere Leuchtkraft und Wärme haben.

Paulus sieht das Licht der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi aufscheinen. Auf ihn müssen wir sehen, wenn wir dieses Licht suchen. Paulus sagt: Er ist der Herr für alle, die ihm glauben.

Aber er war kein Machtmensch. Er wollte nicht herrschen, nicht Menschen mit Gewalt bekehren, sich von ihnen feiern lassen. Er wollte nur eins: Gottes Menschenfreundlichkeit durch Wort und Tat – Taten der Liebe und Barmherzigkeit-  den Menschen nahe bringen. Dafür hat er gelebt, und dafür ist er auch gestorben. Das Licht der Herrlichkeit Gottes hat sich da gezeigt, wo dieser Jesus sich Menschen in ihrer Not zuwandte und wo er andere zur Nächstenliebe ermutigte.

Nur ein schwaches Licht in so viel Dunkelheit? In der alten Geschichte von den „Weisen aus dem Morgenland“, die zum Epiphaniastag gehört, ist es ein Stern, der auf Gottes Licht hinweist. Die weisen Männer hat er im fernen Orient aus ihrem alltäglichen Leben fort gelockt und sie auf einen langen, dunklen und gefahrvollen Weg geschickt. Ein Stern, ein schwaches Licht in der Nacht leuchtet ihnen. So sehen wir sie noch heute auf den Bildern der alten Maler. So bleiben sie uns in lebendiger Erinnerung.

Vom Glanz der Mächtigen lassen sie sich nicht blenden. Ihren Programmen, ihren Verheißungen, es hell werden zu lassen, trauen sie nicht. Sie ahnen: da werden nur immer mehr Menschen ins Dunkle verbannt. Stattdessen lassen sie sich vom schwachen Licht des Sterns, der ihre Sehnsucht geweckt hat, leiten.

Sie gehen weiter und finden ein kleines Menschenkind, in dem sie das Licht der Herrlichkeit Gottes wieder entdecken – ein Licht, das Gottes Nähe anzeigt, Ängste nimmt, Dunkel aufhellt, Wege in die Zukunft weist.

Ja, Gott leistet sich die Schwäche, dieses Licht im Angesicht eines Menschen aufscheinen zu lassen – im Angesicht des Kindes, das die Weisen als Ziel ihrer Sehnsucht finden, in der Gestalt seines Sohnes und unseres Menschenbruders.

Der ist noch weiter gegangen. In einem seiner Gleichnisse hat er gesagt: Ich werden den Menschen zu allen Zeiten begegnen in der Gestalt der Geringsten meiner Menschengeschwister. In den Ohnmächtigen und Unterdrückten, in den von den Mächtigen und Erfolgreichen Abgeschriebenen und an den Rand Gedrängten werde ich auf sie zukommen. In den Gesichtern dieser ihrer Mitmenschen müssen sie mich erkennen. Dann werden sie das Licht Gottes sehen, auch wenn das manche ihrer Gottesvorstellungen und Leitbilder in Frage stellt. Ja, was ihr euren Mitmenschen im Bösen oder im Guten antut, das tut ihr mir an. So verdunkelt oder verstärkt ihr dieses Licht in unserer Welt.

Paulus hat es schon angedeutet: Gottes Herrlichkeit scheint auf in Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit. Gott leistet sich die Schwäche, seine Macht in dieser Welt letzten Endes von unserer Barmherzigkeit abhängig zu machen, die wir in der Nachfolge Jesu Christi unseren Mitmenschen erweisen.

Wer sich an seinem Weg orientiert, dem geht ein Licht auf, das ihm den Weg weist und das andere in diesen Lichtkreis mit hineinzieht. Da wird Rose Ausländers Traum wahr, da wird unser Herz zu einem kleinen Stern, der die Erde beleuchtet.
Amen.

Perikope