Predigt zu 2. Korinther 5,14–19 von J.-Stephan Lorenz
5,14-19

Predigt zu 2. Korinther 5,14–19 von J.-Stephan Lorenz

Liebe Gemeinde,

an diesem Karfreitag sollen wir über die Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an seine Gemeinde in Korinth nachdenken.

Was mich treibt, ist die Liebe, die ich von Jesus, dem Messias empfange. Der neue Maßstab ist: weil einer für alle gestorben ist, kommt sein Tod  allen zugute, und wir sind alle tot für unsere früheren Verfilzungen und Lasten. Weil der Messias Jesus für alle gestorben ist, dürfen wir unser Leben zwar scheinbar behalten, aber doch nicht darüber verfügen, als wäre es unser eigener Besitz, sondern wir unterstellen es jetzt dem, dem wir gehören, weil er für uns gestorben ist und auferweckt worden ist. Von jetzt an hat sich unsere Beurteilung von Menschen grundlegend geändert. Der Maßstab ist nicht mehr das, was äußerlich Eindruck macht. Auch Jesus, den Messias, habe ich vielleicht einmal so beurteilt, aber das ist Vergangenheit.  Alle die mit Christus verbunden sind, sind wie neu geschaffen. Das Alte ist vergangen, alles ist neu geworden. Der Ursprung dafür liegt bei Gott, der Jesus Christus gesandt hat, damit er zwischen ihm und uns Versöhnung stiftet. Und mich hat er beauftragt, dabei zu helfen. Denn durch den Messias Jesus hat Gott zwischen sich und der Welt Versöhnung gestiftet. Er hat den Menschen in der Welt ihre Schuld vergeben und mich beauftragt die Versöhnungsbotschaft auszurichten. (2. Korinther 5, 14 – 19)

Wie immer, wenn man die Briefe des Paulus liest, kommt einem alles schwierig und unverständlich vor. Das liegt daran, dass Paulus nicht erzählt, sondern eher theoretische Sätze schreibt. Und: wir lesen sozusagen einen kleinen Ausschnitt aus einer längeren brieflichen Unterhaltung, die wir als ganze aber nicht kennen. So muss man sich den Kontext immer wieder irgendwie erschließen. Der Hauptanlass dieses Briefes ist, dass in diese Gemeinde andere Apostel gekommen sind und dort predigen. Sie scheinen sich in der Botschaft gar nicht so sehr von ihm zu unterscheiden. Aber Paulus scheint sich wie ein gekränkter Vater zu fühlen. Seine Kinder haben sich anderen „Vätern“ zugewendet.  Er wirbt also um seine Kinder, sie mögen doch bei ihm bleiben. Die Eindringlinge werde er verscheuchen, sobald er wieder nach Korinth komme. In seinem Werben wiederholt er noch einmal seine Botschaft. Das ist unser Briefabschnitt.

Worum geht in seiner Botschaft?

Wenn jemand von uns gestorben ist, dann müssen wir uns das erklären. Wir müssen einen Sinn finden, weil wir Menschen das sinn-lose nur schwer ertragen können. Bei Jesu Tod war das nicht anders. Sein Tod hat die Jünger geschockt. Sie dachten doch, wenn sie mit ihm nach Jerusalem ziehen, dann würde das Reich Gottes anbrechen. Was immer das konkret heißt. Was tatsächlich geschieht, ist Verrat, Prozess und Hinrichtung Jesu auf die grausamste Weise, die es damals gab, dem Tod am Kreuz.

Alles, was wir im Neuen Testament an Schriften lesen, sind Versuche, diesen Tod Jesu am Kreuz zu verstehen, sich einen Sinn daraus zu machen. Wie kann es sein, dass ein solcher Mensch, der so unmittelbar mit Gott in Verbindung war, der ihnen, wie kein anderer zuvor, Gott so nahe gebracht hatte, wie kann es sein, dass dieser Jesus von Gott verlassen wurde, im wahrsten Sinnen des Wortes, hängen gelassen? Jesus selbst hat seine Gottverlassenheit in Anlehnung an den 22. Psalm hinausgeschrieen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast DU mich verlassen?

Das schreit nach einer Erklärung. Paulus’ erste Feststellung ist: das alles geschah aus Liebe!  -  Wie das? Ein Tod steht für die Liebe? Es scheint, als ob das eine Unverständliche mit noch einem Unverständlichen erklärt werden soll.  

In der letzten Woche ist auf der Station E eine Krankenschwester im Nachtdienst an akutem Herzversagen gestorben. Das war für alle, besondern für das Team der Pflegenden, ein furchtbarer Schock. Wir haben dann am nächsten Morgen von ihr hier in der Kapelle Abschied genommen. Bei diesem Abschiednehmen haben wir viel über die verstorbene Schwester gesprochen, und ebenso viel über uns. Was dieses Sterben mit uns macht. Und an einer Stelle sagte dann eine Schwester: Solch ein Sterben zwingt uns ja gerade dazu, über uns selbst nachzudenken. Wer sind wir? Wie leben wir? Sind unseres Beziehungen und Werte eigentlich angemessen?

Das ist ein bemerkenswerter Satz. Denn er fasst das zusammen, was Paulus seinen Christen in Korinth sagen will.

Weil der Messias Jesus für alle gestorben ist, dürfen wir unser Leben zwar scheinbar behalten, aber doch nicht darüber verfügen, als wäre es unser eigener Besitz, sondern wir unterstellen es jetzt dem, dem wir gehören, weil er für uns gestorben ist und auferweckt worden ist

Der Tod Jesu geschah für alle Menschen. Sein Tod ermöglichte zuerst den Jüngern und Apostel, aber dann auch uns, anders auf unser Leben, auf unsere Werte, auf unsere Beziehungen zu schauen. Wir sind nicht mehr nur an unsere eigene subjektive Perspektive gebunden, also das, was wir uns so im Leben an Sinn zusammenstoppeln, sondern wir können die Perspektive Gottes einnehmen.

Ich will das mal erläutern. Wenn ich den Ärzten hier im Krankenhaus beibringen will, wie man am Besten mit Patienten und Angehörigen spricht, dann stelle ich ihnen immer ein Bild vor Augen. Es ist das Bild des Theaters. Auf der Bühne ist der Patient mit seinem Leiden, mit seinen Wünschen, Ansprüchen, seinen Gefühlen, seinen Befürchtungen und Ängsten.

Um jemanden zu verstehen, muss man sich auf seine Bühne begeben. Anders ist Verstehen nicht möglich. Im Alltag sagen wir: um jemanden zu verstehen, muss man eine Weile in seinen Schuhen gegangen sein.  Aber, um jemanden wirklich zu helfen, dazu braucht es noch einen weiteren Schritt. Man muss nämlich von Zeit zu Zeit die Bühne verlassen und sich in den Zuschauerraum setzen. Sich sozusagen das Schauspiel von einer anderen, dritten Position aus anschauen. Zum angemessenen Verstehen ist also ein Perspektivwechsel vom Mitagierenden auf der Bühne zum ruhigen, überlegenden Beobachter nötig. Würde man nur auf der Bühne bleiben, würde man sich völlig mit der Position des Anderen identifizieren. Im schlimmen Falle würde man es also selber mit der Angst zu tun bekommen, mit der Hoffnungslosigkeit, mit der Aggression, die so eine Krankheit in einem auslöst.  Man wäre kein Gegenüber mehr. Würde man nur in der Rolle des Beobachters bleiben, würde die Beziehung, das Gespräch sozusagen an Unterkühlung sterben. Dann würde man an den Anderen appellieren, er möge sich doch mal zusammenreißen. Man würde ihn mit billigen Worten abspeisen wie: das wird schon wieder. Nur Augen zu uns durch. Man würde Rat-schläge erteilen.

Hilfe geschieht anders. Im Sich-Einfühlen und beobachtenden Sich-Betreffen lassen, um daraus ein treffendes Handeln zu entwickeln.

Genau das macht Gott. Er ist in der Person Jesu sozusagen auf unseres „Bühne“ gekommen. Wenn man jemanden verstehen will, muss man ihm nahe kommen, sich in seine Geschäfte verwickeln lassen. Aber man muss sich auch wieder aus den Verwicklungen lösen. Helfen kann man nur aus der Zusammenschau beider Perspektiven, der des Identifizierten und der des Beobachters. Das ergibt das treffende, angemessene Handeln.

Im Tod Jesu geht Gott den Weg der leidenden Menschen bis zur letzen Sekunde mit. Sein Tod ermöglicht uns den Perspektivwechsel. Jetzt können wir nämlich selbst die Bühne, unsere Bühne verlassen. Jetzt können wir aus der Perspektive Gottes, aus der Perspektive seiner Liebe zu uns auf uns selber, auf unsere Beziehungen, auf unsere Mitmenschen schauen.

In den Worten des Paulus hört sich das so an:

Von jetzt an hat sich unsere Beurteilung von Menschen grundlegend geändert. Der Maßstab ist nicht mehr das, was äußerlich Eindruck macht.

Der Tod Jesu verändert unsere Maßstäbe. Der äußerliche Eindruck ist nicht mehr entscheidend. Was heißt: ob jemand alt oder jung ist, Mann oder Frau, Sklave oder Freier, Reich oder arm, ob jemand gebildet ist oder nicht so viel weiß, ob jemand krank ist oder gesund oder was es sonst noch für Gegensätze gibt – das ist jetzt alles ziemlich wurscht – wichtig ist: schaut er mit dem Blick Gottes auf die Menschen, also lebt er die Liebe Gottes zu seinen Menschen oder nicht.  Die Liebe (Gottes) entscheidet wie wir auf Menschen schauen und sie behandeln.

Dieser Perspektivwechsel hat weit reichende Folgen. Wer einen anderen mit den Augen Gottes, mit den Augen der Liebe, anschaut, erkennt in ihm einen Bruder und eine Schwester, niemals aber einen Fremden oder gar einen Feind. Alles ist dann neu. So sagt es Paulus.

Alle die mit Christus verbunden sind, sind wie neu geschaffen. Das Alte ist vergangen, alles ist neu geworden.

Dass alles Neu werden kann, ist aber nicht unser Verdienst oder unser Können. Das hat Gott uns in Jesus Christus vorgemacht. In seinem Leben und in seinem Tod hat Jesus Christus die menschliche Perspektive mit der Perspektive Gottes „versöhnt“, also ausgeglichen. Sie sind nun kein Gegensatz mehr, sondern gehören zusammen. Das griechische Wort Versöhnung heißt „katallagä“ und es kommt ursprünglich aus dem Wortschatz der Banker. Katallagä ist eine Ausgleichszahlung, die zwei Geschäftspartner tätigen, damit beide ein gutes Geschäft machen.

In der Antike haben die Menschen gedacht, man müsse den Göttern eine solche Ausgleichzahlung mit allerlei Opfergaben erbringen. Das aber ist bei Lichte gesehen magisches Denken. Wir kennen solch magisches Denken alle. Wenn ich meine Suppe aufesse, dann gibt es schönes Wetter. Manche Fußballer stehen vor einem Spiel immer mit dem rechten Fuß zuerst auf. Mit solch en Opfergaben meinen wir das „Schicksal“ beeinflussen, ausgleichen zu können. Wir wissen alle, dass das ziemlicher Blödsinn ist – und machen es doch immer wieder.

So geschieht aber kein Ausgleich zwischen Gott und den Menschen, jedenfalls nicht für uns Christen. Magisches Denken und Handeln schafft keine Geschäftsgrundlage zwischen uns und Gott.

Wie kann zwischen Gott, unserem Schöpfer, dem Allmächtigen, dem Ewigen und uns, den Geschöpfen, den Hilflosen, Verängstigten, auf den Tod zugehenden Menschen ein Ausgleich herbeigeführt werden. Ein Ausgleich, der uns an Gottes Wesen, an seiner Liebe selber Anteil haben lässt. Der uns den Perspektivwechsel schon jetzt möglich macht.

Paulus sagt. Das geschieht durch eine symbolische Handlung: dem Tod Jesu am Kreuz. So wie der Frieden zwischen zwei verfeindeten Parteien durch einen symbolischen Handschlag und Bruderkuss besiegelt wird, so haben wir Menschen durch den Tod Jesu am Kreuz unseren Anteil an der Liebe Gottes. Von nun an sind wir Partner Gottes! Wir können die Perspektive wechseln und alle Menschen als unsere Schwestern und Brüder erkennen.

In  Jesus erfährt Gott selber, wie es sich anfühlt, ein gottferner, von Gott verlassener Mensch zu sein, bis in den gottverlassenen Tod hinein. Unser Leben wird richtig, gerecht,  durch den Ausgleich, den Gott selbst herbeiführt.

Alle die mit Christus verbunden sind, sind wie neu geschaffen. Das Alte ist vergangen, alles ist neu geworden. Der Ursprung dafür liegt bei Gott, der Jesus Christus gesandt hat, damit er zwischen ihm und uns Versöhnung stiftet.

Paulus endet seinen Abschnitt mit den Worten:

Gott hat …  mich beauftragt diese Versöhnungsbotschaft auszurichten.

Wir können jetzt sagen: Gott hat uns alle beauftragt, diese frohe Botschaft allen Menschen weiterzusagen.

Gottes Heiliger Geist befestige diese Wort in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf daß euer Glaube zunehme und ihr endlich selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen