Predigt zu 2. Korinther 8,9 von Werner Klän
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Predigt zu 2. Korinther 8,9 von Werner Klän

„Ihr kennt die Gnade unseres Herr Jesus Christus: obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet.“

Liebe Schwestern in Christus, liebe Brüder im Herrn!

A ]          Jesus Christus verarmt, um uns zu bereichern. Ein reicher Gott, der unsere Armut teilt; ein armer Jesus, der seinen Reichtum mit uns teilt: Das heißt „Gottes Gnade“. Ein hilfsbereiter Beistand, der uns aufrichtet; ein einsatzwilliger Freund, der uns vermögend macht: Das meint „Gottes Gunst“. Ein Gott, der nicht auf Abstand hält, sondern unsere Nähe sucht; ein Jesus, den es nicht im Himmel hält, der vielmehr mit uns Gemeinschaft pflegt: Das sagt „Gottes Güte“. Ein göttlicher Helfer, der sich zu uns herab begibt, ohne herablassend zu sein; ein himmlischer Befreier, der sich selbst aufs Spiel setzt, damit wir gewinnen; das ist der Kern der Weihnachtsbotschaft: „Gott wird Mensch, dir, Mensch, zugute!“ Aber was bedeutet es, dass wir arm sind? Was heißt es, dass der reiche Jesus arm wird? Was will es besagen, dass wir reich geworden sind? Dem wollen wir heute nachsinnen, indem wir folgendes betrachten: 1. Weihnachten zeigt uns unsere bedürftige Armut. 2. Weihnachten offenbart uns Jesu bereichernde Armut. 3. Weihnachten schenkt uns erstaunlichen Reichtum.

B 1]        Weihnachten zeigt uns unsere bedürftige Armut.

Haben wir denn nicht alles? Geht es uns nicht gut? Bei den allermeisten von uns werden die Gabentische reich gedeckt gewesen sein, Teller, Töpfe, Terrinen wohl gefüllt. Viele Geschenke werden in bereits volle Häuser gebracht worden sein, weil alles Nötige im Haushalt, im Büro, im Regal, im Kleiderschrank schon längst vorhanden war. Die Nachricht, dass auch in unserem Land jeder Fünfte von Armut bedroht ist, bleibt den meisten von uns eher fern; zumeist sind wir selbst nicht unmittelbar betroffen, auch wenn sie uns für einen Augenblick betroffen machen mag. Wir haben noch Teil an der Wohlfahrt unseres Landes und genießen unsern Wohlstand. Und ich denke mir, dass mach einer unter uns, oft ohne viel Aufhebens davon zu machen, von seinem Überfluss auch abgibt und teilt. Das Spendenaufkommen anlässlich entsprechender Galas im Fernsehen spricht für solche Vermutung. Nein, an irdischen Gütern fehlt es uns nicht. Wir sind gut versorgt, haben meist auch fürs Alter ordentlich vorsorgen können. Dass es nicht wenigen anders gehen mag, ist eher eine ferne Wirklichkeit. Andere mögen auf Unterstützung angewiesen sein, auf die „Tafeln“, die unverkaufte Lebensmittel verteilen, auf die Kleiderspenden, die man sich im „Anzieh-Eck“ abholen kann, auf Gaben aus den Sondersammlungen für die Opfer von Naturkatastrophen und Geld aus dem Aufkommen der vielfältigen Spendenaufrufe, die uns in den letzten Wochen ins Haus geflattert sind. Und wir geben unsern Teil dazu. Uns fehlt es doch an nichts!? Wir haben doch übergenug!? Was soll da die Rede von „bedürftiger Armut“?

Doch auch bei vollen Schränken kann das Leben leer sein. Auch bei gefüllten Tellern kann die Seele hungrig sein. Bei allem geschäftigen Treiben kann das Herz einsam sein. Und bei äußerlicher Fröhlichkeit kann das Gemüt traurig sein. Gerade zu Weihnachten spüren viele Menschen diese Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Festtage besonders deutlich. Erwartungen an einen friedlichen Verlauf der Feiertage werden enttäuscht von Einkaufs-, Back-, Koch- und Geschenke-Besorge-Stress. Hoffnungen auf Gemeinschaft in der Familie werden zunichte, weil alter Streit aufbricht. Sehnsucht nach Tagen der Ruhe erstickt unter Sorgen um die Gesundheit lieber Menschen, um die Zukunft der Kinder, um das Geschick der Eltern und ihre Versorgung. Bedürftige Wesen sind wir Menschen allemal: Ein erfülltes Leben wünschen wir uns, eine beruhigte Zufriedenheit auch. Eine erfüllende Gemeinschaft suchen wir, ein getröstetes Gemüt brauchen wir. Tief empfundene Verletzungen mögen heilen, und krank machenden Ärger möchten wir hinter uns lassen. Sorgen, auch und gerade die berechtigten, sollten möglichst schwinden oder sich als gegenstandslos erweisen. Innere Unruhe und Friedlosigkeit sollten weichen und einem wirklichen Seelenfrieden Platz machen, Auseinandersetzungen in der Verwandtschaft, mit Mitarbeitern durch befriedete Verhältnisse abgelöst werden. Es fehlt an vielem; bedürftige Wesen sind wir Menschen allemal.

Diese Bedürfnisse verweisen aber noch auf etwas anderes, eine tiefer liegende Armut und Not: Wir kranken an einem gestörten Verhältnis zu Gott; uns mangelt echte Beziehungsfähigkeit, was Gott betrifft; wir leiden, wenn wir auf uns selbst schauen, an mangelnder Erfüllung unseres Menschseins. Wir bleiben ja, so, wie wir sind, weit hinter dem zurück, was Gott von uns erwartet. Wir entsprechen bei weitem nicht dem Bild, das Gott von uns hatte, als er uns schuf. Es fehlt uns an Unschuld, es mangelt an Vollkommenheit. In vieler Hinsicht sind wir allzu sehr mit uns selbst beschäftigt, kreisen um uns selbst, sind nicht auf Gott gerichtet. Die Verbindung zu Gott ist abgerissen. Das Gespräch mit Gott ist unterbrochen, verstummt. Das ist unser Mangel: Wir sind, wie wir sind, mit Gott nicht im Reinen. Und wir sind, was uns selbst angeht, nicht in der Lage, mit Gott in Verbindung zu treten, um diesem Mangel abzuhelfen. Indem Gott zur Weihnacht selbst zu uns kommt, wird erst recht offenkundig, wie bedürftig, wie arm wir in Wirklichkeit sind.

B 2]        Weihnachten offenbart uns Jesu bereichernde Armut.

Die Armut des Jesuskindes ist mit Händen zu greifen. In unsern Weihnachtsliedern wird sie vielfach besungen. Doch die bekannten, geliebten Worte und Melodien verstellen uns oft den Blick auf die Härte seiner Lage, auf das Elend, in dem er sich befindet. Unterwegs kommt dieses Kind zur Welt, nicht in einem Zuhause, in fremder Umgebung. Nachts wird er geboren, im Dunkel eines Stalles und in der Finsternis einer Höhle, fernab von jeder sauberen Umgebung. Geordnete Verhältnisse kann man seine Familie auch nicht unbedingt nennen, zumindest oberflächlich betrachtet. Damit nicht genug: Bald ist der Säugling mit Maria und Josef auf der Flucht, weil sein Leben bedroht ist von den Mördertruppen und dem Vernichtungswillen des Königs Herodes.

Die Welt, in die Jesus hineingeboren wird, gleicht eher der hoffnungslosen Wirklichkeit von Flüchtlingen in Syrien, der ausweglosen Lage in den Lagern der benachbarten Ländern, oder den Baracken für die afrikanischen Bootsmenschen auf der Insel Lampedusa im Mittelmeer, weit mehr als unseren heimeligen Wohnzimmern. Es ist kalt, es zieht, es ist nicht gesund, es ist gefährlich, wo Jesus sich einfindet auf unserer Erde.

Aber so wehrlos, so machtlos, so hilflos teilt er unser Menschenschicksal. Ein fast unsagbares Elend kennzeichnet diesen Anfang. „Er äußert sich all seiner Gewalt, wird niedrig und gering“, singen wir mit der Christenheit. Jesus verzichtet auf alle Macht. So an den Rand gedrängt, so von der Gesellschaft ausgeschlossen, fängt sein Erdenweg bei uns an. Eine große Härte liegt über diesem Beginn. Jesus nimmt das in Kauf. „Er liegt dort elend, nackt und bloß in einem Krippelein“, stimmen wir ein. So armselig, so niedrig, so vorbehaltlos nähert Jesus sich uns. Eine kaum zu beschreibende Ärmlichkeit überschattet diesen Beginn. „Dein König kommt in niederen Hüllen“, singen wir. Jesus schreckt das nicht ab: „Ach Herr, du Schöpfer aller Ding, wie bist du worden so gering…“.

In alledem zeigt sich, dass Jesus Christus, Gottes ewiger Sohn, sich ganz in diese Welt hineinbegibt; er scheut nicht die Gegenden, wo sie am dunkelsten ist. Schon an seiner Geburt wird erkennbar, wie er sich ganz und gar mit unserm Menschenschicksal gemein macht; er schrickt nicht vor der Wirklichkeit zurück, wo es am schwersten ist. Schon an seinem ersten Erdentag wird deutlich, dass er ganz einer von uns wird, sich mit uns auf eine Stufe stellt, sich uns ganz gleich macht; ihn schaudert nicht vor unserer Not. Und da wir seinen Lebensweg auf Erden kennen, wissen wir, dass es so bleiben wird bis ans Kreuz, bis ins Grab. „Du hast dich bei uns eingestellt, an unserer Statt zu leiden“, singt die Kirche. Ihm, unserem Gottesbruder, ist wahrhaft nichts Menschliches fremd.

Doch gerade so will er bei uns sein; so will er uns nahe sein; so will er uns helfen. Nicht nur, dass Gott in Jesus uns nahekommt, um uns nahe zu sein. Nicht nur, dass Gottes ewiger Sohn in unsere Bedürftigkeit eintaucht, um sie zu teilen. Nicht nur, dass der Messias Israels und Heiland der Welt sich unserer Ärmlichkeit, Armut und Armseligkeit annimmt, damit wir darin nicht allein sind. Gewiss tut er das auch, damit wir nicht verlassen und verloren sind. Schon das ist bereichernd für uns in unserer Einsamkeit, in unsern Sorgen, in unserer Hinfälligkeit, in unserer Angst.

Zugleich aber sucht er unsere Nähe, um unser Unglück und Leid, unsern Kummer und Jammer, unsere Last und Not von uns zu nehmen. Indem Jesus zur Welt kommt, indem Jesus zu uns kommt, ändert sich nämlich unsere Lage gründlich. Denn der arme Jesus nimmt sich so unser an, dass er uns annimmt. Der arme Jesus wendet sich uns zu, um unser Geschick zu wenden. Der arme Jesus bringt uns Gottes Freundlichkeit und Warmherzigkeit, trägt in sich Gottes Güte und Barmherzigkeit: Jesus Christus, Gottes Sohn, bringt uns Gott nahe. Willst du von Gott etwas wissen, dann wirf einen Blick auf das Kind in der Krippe; willst du Gott erfahren, dann schau auf das Windelbündel im Stall zu Bethlehem.

B 3]        Weihnachten schenkt uns erstaunlichen Reichtum.

Jesus bringt uns Gott. Damit erst bereichert er uns wirklich. Jesus Christus, Gottes Wort in Person, sagt, zeigt und vermittelt uns, wie Gott zu uns steht. Er macht sich auf den Weg zu uns, die wir den Weg zu ihm nicht wissen. Er sucht die Verbindung mit uns, die wir ihm fernstehen. Er tritt in eine echte Beziehungsarbeit mit uns ein, die wir, was Gott betrifft, oft beziehungslos dahinleben. Er trägt Gott in diese Welt hinein, die gottvergessen ihren Gang geht, im alten gott-losen Trott dahintrabt.  Er beendet unsere Gottverlassenheit. Denn in ihm ist Gott selbst gegenwärtig, zu sehen, zu hören, zu greifen, zu spüren, zu haben. Wenn nun Gott freundlich, menschlich zu uns kommt, dann wird es im Dunkel unseres Lebens hell. Wenn nun Gott versöhnungsbereit, friedfertig auf uns zukommt, dann wird es in der Kälte dieser Welt warm. Wenn Gott trostreich, hilfreich bei uns ist, dann fassen wir neuen Mut. Wenn Gott uns warmherzig, barmherzig, liebevoll in seine Arme schließt, dann werden wir neu lebendig.

In Jesus Christus wird das alles wirklich, ist all das wahr. Denn in ihm sind Gott und Mensch nun eins. In ihm ist Gott mit seinen Menschen versöhnt. In ihm ist das Verhältnis zwischen Gott und seinen Geschöpfen befriedet. In ihm ist die Feindschaft zwischen Mensch und Gott beseitigt, der Krieg zwischen der Menschenwelt und Gottes Welt beendet. Denn in ihm, Jesus Christus, sind der ewige Gott und die todverfallene Menschheit geeint, nun auf ewig geeint. Und in Ihm, durch ihn, mit ihm wird alles, was Gott ist und hat, uns angeboten, dargereicht, ausgeteilt und mitgeteilt. Gott hat viel für uns übrig. Er lässt uns alles zukommen, was wir brauchen, um mit ihm in Einklang zu leben. Er lässt uns an allem teilhaben, was wir benötigen, damit unser Leben gelingt. Er stellt uns alles zur Verfügung, was uns fehlt, damit wir vor Gott bestehen. In Jesus ist und alles gegeben, dessen wir bedürfen, um bei Gott bleiben zu können. Von Jesus Christus, in unserm Gottesbruder, wie er in der Krippe liegt, sind wir überreich beschenkt. Er bringt uns Gott.

Und er bringt uns zu Gott; damit macht er uns wahrhaftig reich. Denn er nimmt alles fort, was uns den Weg zu Gott verstellt. Er nimmt uns alles ab, was uns am Zugang  zu Gottes Liebe hindert. Er bricht die Mauern, die uns von Gott trennten, nieder; so erschließt er uns den Zugang zu Gott. Er reißt die Wälle, die uns gegen Gott abschotten, ein; so ebnet er uns Wege zu Gottes Herz. Er überbrückt den garstigen Graben, der uns von Gott scheidet; so eröffnet er uns neue Möglichkeiten der Begegnung mit Gott. Er stellt die Verbindung wieder her, die abgerissen war zwischen uns und Gott; so sind wir neu mit Gott verbunden. Er heilt die zerbrochene Beziehung zwischen uns und Gott; nun ist Gott wieder erreichbar für uns. Er tritt mit uns ins Gespräch ein; nun ist Gott wieder ansprechbar für uns. Er räumt alle Hindernisse aus; so können wir zu Gott kommen. Er verschafft uns freie Bahn; so können wir bei Gott landen. Er macht einen neuen Anfang mit uns; so wird die Härte unseres Herzens erweicht, und wir können einen Neubeginn wagen. Er bringt uns zu Gott.

C]           Das alles macht uns unermesslich reich. Wenn nämlich, und weil Gott die alles entscheidende Größe ist, hängt alles davon ab, wie er zu uns steht. Wenn dann aber, und weil Gott in Jesus Christus uns alles gibt, was er hat und ist, dann fehlt uns nichts. Und wenn dann noch, und weil mit Jesus Gott in unser Leben tritt, dann mangelt es uns an nichts. Wenn dann schließlich Jesus Christus in unser Herz einzieht, dann haben wir alles, was wir zum Leben, zum Überleben und zum ewigen Leben brauchen. Denn wir benötigen nichts weiter als Gottes liebevolle, heilvolle, gnadenvolle Gegenwart, die uns im Kind in der Krippe geschenkt ist.                                                                                      Amen.