Predigt zu 2. Mose 32,7-14 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
32,7-14

Predigt zu 2. Mose 32,7-14 von Christoph Hildebrandt-Ayasse

Liebe Gemeinde,

Mose hätte es auch anders machen können. Er hätte sagen können:

„Recht hast Du, Herr. Mit diesen Israeliten wird das nichts mehr. Ich ärgere mich mindestens genauso über die wie du. Immer dieses ständige Kritisieren, dieses Meckern und Maulen. Dieses Gejammer. Da errettest du sie aus diesen menschenunwürdigen und ausbeuterischen Verhältnissen in Ägypten – und sie murren: Früher war alles besser als heute. Da gibst du ihnen alles, was man zum Leben braucht – und sie quengeln: wir wollen aber mehr. Da wird’s mal ein bisschen schwierig – und schon können und wollen sie nicht mehr. Da bleib ich mal etwas länger weg als erwartet – und schon tun die so, als würden sie uns nicht mehr kennen und sympathisieren mit anderen. So als wären wir Luft für sie. Bauen sich ausgerechnet dieses goldene Kalb. Das zeigt doch, was sie von dir halten, Herr; und von mir, nebenbei gemerkt: auch: austauschbar sind wir für sie. Einer unter vielen bist du für sie, Herr. Das Gold spielt für sie die entscheidende Rolle. Was glänzt und glitzert, was viel kostet und worum andere sie beneiden, das wollen sie haben. Total oberflächlich, diese Leute. Alles Fassade. Kein Tiefgang.

Ich verstehe, Herr, deine Wut“, hätte Mose also sagen können. „Sollen sie doch zu Grunde gehen. Sie haben es nicht anders verdient. Mit denen brauchen wir uns nicht mehr abzugeben. Und, danke: ja, ich nehme dein Angebot an, es ab jetzt mit mir allein zu versuchen. Das ist eine große Ehre für mich. Mich zu einem großen Volk zu machen. Ich werde dich nicht enttäuschen, so wie die da es ständig getan haben. Über mich wirst du dich nicht so furchtbar ärgern müssen. Ich weiß, worum es geht, Herr. Also: fangen wir die Geschichte noch einmal neu an. Ich glaube, wir werden sehr erfolgreich sein, du Herr und ich. Alles wird ganz anders werden, versprochen.“

So, liebe Gemeinde, hätte Mose auch mit Gott sprechen können. Er hätte Gott in seinem Zorn bestätigen können. Er hätte Gott benutzen können, um seine eigene Wut raus lassen. Er hätte diese göttliche Chance nutzen können, um mit diesen halsstarrigen Leuten abzurechnen. Es wäre für Gott und Mose eine win-win-situation gewesen.

Gott wäre diese schwierigen und enttäuschenden Leute losgeworden, und mit Mose hätte er einen verlässlichen Partner für sein Vorhaben. Und Mose wäre jeder weitere Ärger erspart geblieben. Sein Glück wäre vollkommen gewesen. Endlich keine Probleme mehr im Umgang mit Gott. Endlich glauben können ohne diese nervige menschliche Realität. Ohne diese weltlichen Dinge, diese Sorgen, diese Unfähigkeit zu Glauben, gegen die er immer zu kämpfen hatte. Die Exoduserzählungen sind voll von diesen Murre-Geschichten der Israeliten. Mose muss ständig die Probleme zwischen dem Volk und Gott lösen, muss klären, muss vermitteln. Hier hätte er die Chance gehabt, das alles ein für alle Mal zu beenden. Und wäre dabei selber sehr gut weg gekommen. Vom Vermittler zwischen diesem schwierigen Volk zu Gottes Exklusivpartner.

Moses aber lehnt dieses Angebot Gottes ab.

Und wir bedenken diesen Abschnitt aus der Heiligen Schrift heute am Sonntag Rogate. Rogate heißt: Betet. Das Gebet ist das Thema des heutigen Sonntages.

„Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott in Bitte und Fürbitte, Dank und Anbetung.“ Mit diesen schönen Worten beschreibt der Württembergische Reformator Johannes Brenz das Gebet. Das klingt schön und gut. Und es ist richtig. Mose bittet für das Volk, das ihm anvertraut ist. Es liegt ihm am Herzen. Und er merkt dabei, wie schwer eine echte Gebetsbitte sein kann.

In einem „Bitte, bitte, lieber Gott, mach das alles wieder gut wird.“, einem so einfach formulierten Gebet, einem Stoßseufzer, einem Herzensgebet liegt so viel verborgen. Liegen mehr Fragen als Bitten.

Was heißt „alles wieder gut“? So wie früher? Oder ganz neu „wieder gut“? Irgendwie verändert, zum Besseren zum Guten. Versöhnt, getröstet, vergeben, geheilt.

Bitten ist wahrscheinlich die schwierigste Art zu Beten. Wirklich Bitten. In einer echten Gebetsbitte steckt viel eigenes Herzblut. Da merken wir, wie wir mit jeder Faser des Herzens verbunden sind mit jemandem und seiner Situation. Da kommen wir selber darin vor. Da stehen wir mitten drin. Da wird die Bitte zur persönlichen Frage: was ist wirklich gut? wie viel liegt an mir? wie geht es auch für mich jetzt weiter? und auch: was habe ich versäumt? Eine wirklich von Herzen gesprochene Bitte im Gebet zeigt immer die Verbindung, in der wir stehen. Sie zeigt, dass nichts nur so ist, wie es ist. Eine Gebetsbitte macht erst deutlich wie schwer, wie verworren oft das ist, was wir in der Bitte vor Gott bringen. Aber wir möchten doch so sehr, dass es anders wird; und dass alles wieder gut wird.

Erinnern wir uns an Mose: wie verworren ist die Situation. Gottes Wut ist verständlich. Aber sie steht gegen seine Verheißung. Die Menschen enttäuschen Gott ohne Ende. Und doch hat er ihnen seine Verheißung gegeben. Die Realität ist ernüchternd. Die Menschen werden sich nie ändern. Aber wie soll dann alles gut werden? Wäre nicht ein radikaler Schnitt besser? Aber wie steht es dann mit Gottes Liebe? Wie mit seiner Zusage, zu versöhnen, zu trösten, zu vergeben und zu heilen?

Während Mose so in seiner Fürbitte mit Gott ringt, merkt er, wie sehr er verwoben ist mit diesen Menschen. Für sie ist er verantwortlich. Und er merkt, wie sehr er Gott vertraut, der versprochen hat, dass alles gut wird. Seine Fürbitte macht ihm Mut, Gott selber an seine Verheißung zu erinnern. Seine Fürbitte schenkt ihm Hoffnung, dass es einen Weg gibt. Einen Weg, begleitet von Gottes Verheißung mitten in der trostlosen Wirklichkeit.

Und Mose merkt, wie das Gebet ihn verändert. Er spürt, dass die einfache Lösung diese ärgerlichen Leute loszuwerden, zu einfach ist. Er fühlt, wie er mit ihnen verwachsen ist; Verantwortung für sie hat, trotz allem. Er betet für sie.

Er erfährt im Gebet, dass es Gott selber schier zerreißt zwischen Verzweiflung und Verheißung. Und Mose bittet für das Verheißungsvolle. Er wählt den schwierigeren Weg. Einen Weg, den auch schon andere vor ihm gegangen sind, vor ihm gehen mussten: Abraham, Isaak und Jakob. Den Weg, den auch Gott selber in Jesus Christus gehen wird.

Mose redete mit Gott wie mit einem Freund, heißt es in dem Kapitel nach unserem Predigttext. „Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott - wie mit einem Freund - in Bitte und Fürbitte, Dank und Anbetung.“ Bei Mose können wir es lernen.

Amen