Predigt zu 2. Petrus 3,(3-7),8-13 von Frank Zeeb
3,3-13

Predigt zu 2. Petrus 3,(3-7),8-13 von Frank Zeeb

Liebe Gemeinde,

„Ich krieg die Krise“. Diese typische Redewendung der Jugendsprache ist längst in den ganz alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen. Wie oft erleben wir das: eine Situation nicht richtig in den Griff zu bekommen, etwas zu erleben, was man nicht verstehen und verarbeiten kann, irgendwie in eine Lage geraten zu sein, auf die man nicht vorbereitet ist, in der man nicht weiß, wie man reagieren soll. Eine Lage, die Angst macht, weil man nicht absehen kann, wie es ausgeht. Da sagt man oft: „Ich krieg die Krise“.

Ich möchte im ersten Schritt fragen, was eine solche Krise im Alltagsleben sein kann. Wenn zum Beispiel eine Beziehung in die Krise kommt, dann ist irgend etwas vorgefallen, das diese Beziehung gefährdet. Kann sein, dass die Beiden wieder zueinander finden, aber wenn er oder sie von „Krise“ spricht, dann steht wohl zu fürchten, dass das nicht leicht sein wird. Und selbst, wenn die Krise überwunden werden kann, dann ist damit noch nicht gesagt, dass es wieder so ist wie vorher. Womöglich bleiben Narben zurück, die nie mehr weggehen. Und trotzdem: Es kann auch vorkommen, dass beide Partner aus dieser Krise gestärkt hervorgehen, und so die Krise letztlich etwas positives bewirkt. Durch die Krise haben die Zwei ihr gemeinsames Leben neu geordnet, und es ist ihnen lebenswerter geworden als zuvor. Da ist die Sprache der Psychologie übrigens etwas genauer als unsere Umgangssprache. Für sie ist „Krise“ jede Situation, die bisheriges in Frage stellt und Weichen für die Zukunft stellt. Jede Krise trägt damit auch die Angst in sich. Es ist einfach so, dass uns Menschen vor Weichenstellungen oftmals ein ungutes Gefühl beschleicht. Wir können ja nicht in die Zukunft sehen, und deshalb sind wir verunsichert und ängstlich. Weil wir nicht wissen, welche Folgen die Krise für unser persönliches Leben haben wird.

Ganz offensichtlich ist das bei Trauernden, die einen lieben Mitmenschen verloren haben. Das ist im wahrsten Sinn des Wortes eine Krise, für den, der zurückbleibt. Vertrautes ist abgebrochen, für immer verloren. Das fängt bei ganz alltäglichen Lebensabläufen an. Viele Ehepaare haben ja gewisse Rituale zum Tagesablauf und der hinterbliebene Partner muss sich nun neue Rituale suchen. Da ist der Schmerz, kein Gegenüber mehr zu haben. Dazu kommt die Frage, wie kann ich weiterleben, wenn mein lieber Mann, meine liebe Frau nicht mehr da ist? Kann ich überhaupt weiterleben? Was soll werden?

Der Schmerz und die Angst, wenn ein lieber Mensch gestorben ist, kommt aus der Erfahrung, Vertrautes verloren zu haben. Der Tod wirft Fragen auf, Fragen, die ganz tief gehen und jetzt laut werden: Was wird aus mir, was wartet auf mich, was wartet auf die Verstorbenen, was wartet auf die Welt. Typische Fragen für Krisensituationen – angesichts eines Todesfall rücken sie ganz nah, aber es sind Fragen nicht nur für Hinterbliebene, sondern für alle Menschen.

Mir scheint, dass die Frage nach dem Weltende in den letzten Jahren immer häufiger geworden ist. Vielleicht trügt mein persönlicher Eindruck. Aber für mich ist das Weltende lange Jahre ziemlich weit weg gewesen. Nicht dass es mich nicht interessiert hätte. Aber andere Dinge waren mir näher. Freilich, vor ungefähr 30 Jahren, da war die Frage nach dem Weltende hochaktuell. Es war damals eine weltpolitische Frage, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Was wird geschehen, wenn tatsächlich die Russen ihre Atombomben auf uns werfen? Oder wenn die Amerikaner den Präventivschlag führen? Gibt es dann noch eine Welt? Und wenn ja, ist diese Welt dann noch lebenswert? Das waren Fragen, die mich und viele Menschen aus meiner Altersgruppe damals sehr stark beschäftigt haben. Danach ist es stiller geworden um das Ende aller Dinge, vielleicht auch weil die politische Situation anders war und sich die Freude über den Mauerfall und die neue Freiheit für die Menschen in den vormals sozialistischen Ländern mehr auf das Diesseits richtete. Aber in den letzten Jahren, vielleicht seit den Terroranschlägen von New York, da war das mögliche Ende der Welt plötzlich wieder da, es war eine drohende Gefahr, mit der man sich beschäftigte und beschäftigen musste. Die Weltuntergangsstimmung hängt auch an den Prognosen zur Klimaentwicklung, vielleicht gepaart mit der Unsicherheit der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine gewisse Krisenstimmung scheint unsere Gesellschaft, ja die ganze Welt zu lähmen und bei all den Nachrichten aus dem Nahen Osten ist das ja nur zu verständlich. Leider gibt es in der Politik, aber auch in der Gesellschaft, durchaus gefährliche Rattenfänger, Weltanschauung, Sekten und Ideologien, die von der Krise profitieren. Sie versuchen, die menschliche Angst auszunutzen und dem Menschen seine angeborene Freiheit zu rauben. Davor kann ich hier nur warnen. Seid allezeit nüchtern und wachsam.

Aber was haben wir Christen dem entgegenzusetzen? Gerade heute am Ewigkeitssonntag stehen uns die Fragen ja besonders deutlich vor Augen. Wir fragen uns: Was wird aus unseren Lieben, nun, da sie sich nicht mehr da sind. Was wird aus mir selbst, wie wird es der ganzen Welt ergehen. Der christliche Glaube gibt darauf Antworten: Wir glauben an ein ewiges Leben, an eine Wirklichkeit in Gottes ewigem Reich, daran, dass ein neuer Himmel kommt, eine Zeit ohne Leid, Krieg, Krankheit, Schmerz und Tod.

Nun kann es natürlich sein, dass es einem Christenmenschen so ergeht, wie es dem Verfasser des Petrusbriefes gegangen sein muss. Er vertraut fest auf die Zusage Gottes, dass es ein ewiges Himmelreich geben wird. Und für uns Christen ist dieses Reich ja daran gebunden, dass Jesus Christus in die Welt gekommen ist. Damit hat etwas ganz neues angefangen. Seit Christi Tod und Auferstehung gibt es Hoffnung auf eine freudevolle, endzeitliche Zukunft. Wir Christen warten darauf, dass unser Herr wiederkommt, und dann wird alles in seiner ganzen Fülle war, was jetzt nur bruchstückhaft aufscheint, und worauf wir hoffen. Dem Verfasser des Petrusbriefes sind nun andere Menschen entgegen getreten, die ihn in seinem Glauben und seiner Hoffnung verunsichert haben. Die sogenannten „Spötter“. Dabei muss es sich um Christen gehandelt haben, die sich in der Welt eingerichtet haben, für die das Warten auf die Rückkehr des Herrn nicht mehr viel mehr war als ein Lippenbekenntnis. Sie lebten nach dem Motto, lasst uns das Leben genießen, wir wissen ja nicht, ob der Herr heute oder morgen oder überhaupt noch kommt. Eine solche Geisteshaltung, im Brustton der Überzeugung vorgetragen, kann verunsichern. Die Spötter – und es gab solche Denkhaltungen nicht nur damals, sie sind auch heute gar nicht selten – die hatten ein Argument, das schwer zu widerlegen war. Dieses Argument lautete ganz einfach: „Wo bleibt er denn, euer Herr. Jetzt ist er schon so lange nicht gekommen! Schöne Versprechungen sind das! Wahrscheinlich hat er sich nicht bloß verspätet, sondern er kommt überhaupt nicht mehr, und dann ist eure Hoffnung auf seine Verheißung wertlos“. Diese Denkweise hat bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren, im Gegenteil. Die christliche Kirche wartet nun schon seit zweitausend Jahren, und wo bleibt er denn jetzt?

Der Verfasser des Petrusbriefes findet eine ganz überraschende Antwort. Er sagt, es geht gar nicht darum, die Zeit zu wissen. Gott hat ohnedies ganz andere Maßstäbe. Für ihn sind tausend Jahre wie ein Tag, und auch das ist nicht als Zeitangabe gemeint. Bei Gott gibt es keine Zeiträume, die sich mit Uhren und Kalendern messen lässt, sondern für Gott zählt die Zeit nach ihren Inhalten. Und deshalb kommt der Auferstandene noch nicht. Seit dem ersten Osterfest ist eine neue Zeit in der Welt, nämlich die Zeit, in der die Menschen nach dem Willen Jesu leben und an ihn glauben sollen. Er möchte sozusagen nicht einen Stichtag setzen, und dann einen Strich ziehen, wer vor dem Stichtag geglaubt hat, der kommt in den Himmel, und wer nicht, der halt hat Pech gehabt. Der Verfasser versteht das Ausbleiben der Endzeit also nicht als eine Verzögerung oder gar als Vertröstung, sondern eher als eine Chance.. Gott möchte uns die Gelegenheit geben, so in der Welt zu leben, dass unser Leben Sinn hat. Wir leben also gleichsam zwischen Zeiten. Zum einen blicken wir zurück in die Zeit vor der Auferstehung. In dieser Zeit gab es noch keinen christlichen Glauben und damit konnte ja auch niemand an Christus glauben. Und wir blicken nach vorn, auf das was uns durch die Botschaft von der Auferstehung und dem ewigen Leben verheißen. Zwischen diesen beiden Polen müssen wir uns nun einrichten. Wir sollen also so in der Welt leben, als ob der Herr morgen oder womöglich sogar heute kommt, aber eben auch so, als ob es noch sehr lange dauern könnte. Unser Leben soll davon bestimmt sein, dass die Ewigkeit kommt.

Der Petrusbrief tut das mit einem Bild, das uns heute eher abstößt. Er spricht von einem Gericht, das wie ein großer Weltbrand ist, und dem niemand entfliehen kann. Dieses Bild mutet uns eher mittelalterlich an, es macht Angst. Ich würde es eher so ausdrücken: Das Wissen darum, dass die Welt und ihre Abläufe nicht ewig Bestand haben, eröffnet ungeahnte Chancen. Wir können uns frei machen in unserem Denken von der Anpassung an die sogenannten Sachzwänge. Sachzwänge sind ja meistens Dinge, die von Menschen gemacht sind, damit alles so bleibt, wie es ist. Es wäre eine sehr lohnende Aufgabe, die derzeitige Debatte um den demographischen Wandel und die Zukunft des Sozialstaates einmal auf diesen Gesichtspunkt hin durchzusehen. Christen, die um die Vergänglichkeit des Himmels und der Erde wissen, könnten ja auch fragen: Wie könnte denn ein Sozialsystem aussehen, das darum weiß, dass einmal — Zitat aus dem Predigttext! — ein neuer Himmel und eine neue Erde nach Gottes Verheißung kommen, in denen Gerechtigkeit wohnt? Aus diesem Gedanken lassen sich vielleicht Ideen entwickeln, wie Gottes Gerechtigkeit und seine Liebe zu den Menschen auch jenseits von Verteilungskämpfen spürbar wird.

Was wird, so war die Ausgangsfrage, aus mir, aus den Verstorbenen, aus der Welt. Wenn ich ehrlich bin: Beantwortet habe ich sie nicht. Das kann ich nicht, und niemand kann es. Ich kann nur auf die Verheißung Gottes verweisen. Ihr braucht keine Angst vor der Zukunft zu haben. Jesus kommt wieder, und die neue Welt wird lebenswert sein. Es wird zu Weichenstellungen und Entscheidungen kommen, aber die Richtschnur ist Gottes unbedingter Heilswillen und seine grenzenlosen Liebe. Ich habe zum Beginn gesagt, jede Krise schafft Unsicherheit, weil wir Angst haben vor dem, was die Zukunft bringen mag. Aber die Krise bietet auch Chancen. Und das, was Gott zusagt, das ist eine positive Zukunft, für uns, für die Verstorbenen und für die Welt. In diesem Sinne kann ich nur sagen: Ich krieg die Krise, ja bitte, ja Herr Jesus, komme bald. Amen.