Predigt zu 2. Timotheus 2,8 von Martina Janßen
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Predigt zu 2. Timotheus 2,8 von Martina Janßen

I. Ostern ist einfach wunderbar! Nach dem Winter hat die Sonne wieder Kraft. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche (J. W. v. Goethe).“Alles lebt auf, wird hell und bunt: die Vögel, die Blumen und auch in den Schaufenstern kann man die neuste Frühjahrskollektion bestaunen, mehr noch: Mit dem Kauf eines jeden neuen Rockes gibt es die Chance auf frohe Ostern gleich mit dazu. „Frohe Ostern zu gewinnen – mit jedem Einkauf bei Gerry Weber.“ – so der Werbeslogan einer Bekleidungskette in diesen Tagen. Frühlingsgefühle kommen auf. Wir dekorieren neu – unsere Gärten, unsere Häuser und uns selbst. Alles reizt, lockt und neckt. Bunte Schokohasen in den angesagten Farben der Saison, Ostereier zwischen kulinarischer Extravaganz und altbewährt wie zu Omas Zeiten. Osterbräuche, Ostermarkt, Osterfeuer, Osterbrunch - das Leben regt sich überall, umrahmt von den neusten Oster-Deko-Ideen für Haus und Garten. Wir blühen auf: Zeit für ein langes Frühstück, einen ersten Flirt, einen gemächlichen Osterspaziergang oder einen Ausflug ins Grüne. Ostern ist einfach wunderbar. Auch bei uns hier in der Kirche. Wie bunt unser Altar geschmückt ist! Die ruhigen, gedämpften Töne der Passionszeit sind verklungen; langsam werden unsere Stimmen fester und unsere Lieder fröhlicher, wir triumphieren, jubilieren mit Herz und Mund. Hell und warm legt der Schein der Osterkerze seinen Glanz in unsere Augen. Das Dunkel ist vertrieben, etwas Neues, Lebendiges, Helles beginnt. Darauf freue ich mich immer wieder, Jahr für Jahr. Ich kann mich noch gut an meine Kindheit erinnern. Meine streng katholische Großmutter aus Niederbayern hatte eines Jahres die Idee, mir einen selbstgebastelten Osterkalender zu schenken. Mitten in der Fastenzeit habe ich ihn bekommen. Hinter jeder Tür war ein kleines gemaltes Motiv. 14 Kreuzwegwegstationen, dunkle Bilder in gedeckten Farben, auf denen Szenen aus der Passionsgeschichte zu sehen waren. Jedes Mal, wenn ich eine Tür öffnete, stellte sich für einen Moment eine leichte Traurigkeit ein. Am Ostersonntag durfte ich das letzte Türchen öffnen – es war ein wenig größer als die anderen so wie der 24. Dezember in vielen Adventskalendern. Was für ein Unterschied! Das letzte Bild zeigte Jesus als Auferstandenen in bunten Farben, sogar mit einem Hauch von feinem Goldstaub und mit einem Lächeln auf den Lippen, wenn man die Phantasie spielen ließ und ein wenig genauer hinsah. Wie war ich froh! Endlich Farben und Leichtigkeit! Endlich Leben!

II. Ostern ist wunderbar! Immer wieder in unseren Kirchen, unseren Häusern und Gärten, in unseren Herzen. Die Schwere vergeht, die Welt wird hell und bunt, wir leben auf! Eine runde Sache – auch für Shopping Mals, Gärtnereien und die Gastronomie. Osterzeit ist schließlich auch Schlemmerzeit. Was aber wenn Ostern ins Wasser fällt? Für dieses Jahr ist Regen angesagt! Das korrigiert unsere Erwartungen und durchkreuzt viele Pläne. Die neuen Frühlingskleider ruhen im Schrank, die roten Pumps warten weiterhin ungetragen im Schuhkarton, Ausflug und Brunch auf der Terrasse fallen aus und die Eiersuche findet gezwungenermaßen drinnen statt. Da kann sich schon mal über die langen Feiertage Osterfrust einstellen und auf einmal ist nicht mehr viel übrig von Friede, Freude, Eierkuchen – und das nur, weil das Wetter nicht mitspielt. Mehr noch: Was machen eigentlich die Menschen zu Ostern, denen die süßesten Eier nicht schmecken, weil es zu viel Bitterkeit in ihrem Leben gibt? Wie können diejenigen in den österlichen Jubel einstimmen, denen Angst die Kehle zuschnürt und denen Hass Lippen und Herz verschließt? Nicht für jeden ist Ostern eine runde Sache. Viele sind blind für das bunte Farbenspiel draußen und drinnen; und so manchem steht in diesen Tagen nicht der Sinn nach süßen Leckereien oder angesagten Styling-Ideen für Haus, Garten und Figur - einfach weil es ihm nicht gut geht. Das müssen nicht die großen Katastrophen in unserer Welt sein, auch unter uns sitzt so mancher mit seinem ganz eigenem Kummer im Herzen, der nicht einfach so weggeht, weil das Leben rundherum mit aller Kraft neu erblüht. Was bedeutet der österliche Sieg des Lebens für die, die täglich ihre großen und kleinen Tode sterben? Woran sollen die sich halten in diesen Tagen?

III. „Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten, aus dem Geschlecht Davids, nach meinem Evangelium! (2 Tim 2,8)!“ Mitte des zweiten Jahrhunderts bringt jemand unter dem Namen des Paulus mit diesen Worten Ostern auf den Punkt. Das war nötig, denn Jesu Auferstehung war ein Streitpunkt. Ist nur Jesu Seele auferstanden? Ziemt es sich für einen Gott, Angst, Schmerzen, einen geschundenen Leib zu haben? Viele Christen glaubten das und waren überzeugt: Jesu Auferstehung ist eine saubere Sache, so wie es sich für einen Gott gehört. Es ist die reine Seele, der unverwundbare Gottessohn, der aufersteht und im Himmel triumphiert. Jesu Leib, sein Menschsein, die Wunden, die Angst – all das bleibt zurück. Dagegen geht der unbekannte Theologe an. Sollte der auferstehende Gottessohn bei seinem Durchmarsch in den Himmel etwa all das Leiden, all das Menschliche, all uns Menschen mit unserer Not und unserem Schmerz zurücklassen? Das sei ferne! So glatt ist Ostern nicht. So unverwundbar ist Gott nicht. Und darum schreibt der Verfasser des zweiten Timotheusbriefes: Auferstanden ist Jesus Christus, aus dem Geschlecht Davids, der Mensch Jesus aus Nazareth, einer von uns, unser Bruder, einer wie du und ich. Er will damit sagen: Es ist der ganze Mensch, der auferweckt wird, mit Haut und Haaren, mit seinen Ecken und Kanten, mit seinen Wunden und seinen Narben! Wie in dem Osterkalender von meiner Großmutter. Wenn man das bunte, glitzernde Bild des Auferstandenen genau ansah, waren da die Wundmale an seinen Händen, Zeichen seiner Menschlichkeit, seiner Verwundbarkeit und Angst. All das wird nicht abgespalten, verleugnet, kaschiert oder betäubt. Ostern ist kein buntes Trostpflaster, das zudeckt und abdeckt; kein saisonaler Stimmungsaufheller, der für ein paar Tage gute Laune zaubert und der Wirtschaft neuen Schwung gibt; kein buntes, fröhliches Frühlingsfest, das beim ersten Regen ins Wasser fällt. Ostern ist mehr und etwas ganz anderes. Was Ostern ausmacht, das kann man nicht dekorieren, backen, planen oder gar mit einem Einkauf bei Gerry Weber gewinnen. Ostern nimmt den ganzen Menschen ernst, alles – auch das Dunkle und Schwere – alles von uns ist hineingenommen in den Sieg des Lebens, verwandelt und geheilt. Unsere bunt geschmückten Ostersträucher, unsere Fröhlichkeit, unser Trubel - all das ist gut, ein wunderbarer Ausdruck unserer Freude über den Sieg des Lebens. Doch der Grund unserer Freude ist ein anderer. „Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten, aus dem Geschlecht Davids, nach meinem Evangelium! (2 Tim 2,8)!“ Was Ostern ausmacht, ist wetterunabhängig und findet nicht nur auf den Sonnenseiten des Lebens statt, sondern durchzieht die dunkelsten Ecken unserer Welt und erreicht die härtesten Herzen unter uns Menschen.

IV. Ostern ist wunderbar - auch fernab unserer heiteren Ostermärke, heilen Familien und Frühlingsgefühle! Jetzt, in diesem Moment, bricht der Morgen an und verwandelt unsere Nacht in neues Leben. Auch da, wo man sich aus Hunger über ein trockenes Stück Brot mehr freut als hierzulande über den raffiniertesten Osterbrunch; auch da, wo man keinen Sinn für die neusten Deko-Ideen hat, weil das Dach über dem Kopf fehlt; auch da, wo die neusten Modetrends nicht wirklich passen, weil die Körper zerschunden und gequält sind – auch da bricht die neue Wirklichkeit an. Unsichtbar, verborgen und subversiv durchdringt sie jeden Winkel und jedes Herz: Unsere kleinen und großen Tode werden im Leben aufgehoben sein, wunderbar verwandelt, geheilt, durch Jesus Christus, auferstanden von den Toten, unsern Bruder und unseren Gott.

Amen.