Predigt zu 2.Thessalonicher 3,1-5 von Heinz Behrends
3,1-5

„Fußball ist mein Ding“, sagt er mir letztes Wochenende. „Ich habe fast alle Spiele der WM angeschaut“. Ich versteh ihn. Fußball. Da ist das ganze Leben drin. Begeisterung, Spannung, Überraschungen , Glück, Helden, tragische und fröhliche, von Neymar bis Schweinsteiger, von Messi bis Götze. Sieg und Niederlage. Tränen vor Freude und vor Traurigkeit. Spieler und Fans weinen, Männer umarmen sich. Fußball ist mein Ding.

„Und der Glaube?“ „Der Glaube ist nicht mein Ding“, sagt er. Ich sage: „Beim Glauben geht es doch auch um Freude und Leid, um Sieg und Niederlagen. Spieler beten und zeigen zum Himmel. (Ein) Götze erlöst Deutschland,  hieß es in den Zeitungen“.- „Nee, das ist was anderes“.

„Der Glaube ist nicht jedermanns Ding“, sagt der Apostel. Mich wundert das nicht. Geht es doch im Glauben nicht um ein Spiel. Vor 4 Jahren sagt der Arzt nach der Biopsie zu mir: „Es ist Krebs“. Zwei Jahre später sagt er dasselbe zu meiner Frau. Es geht nicht mehr um Sieg oder Niederlage. Es geht um Leben oder Tod. Mein Glaube wurde durchgeschüttelt. Ich konnte nicht mehr beten. Meiner Frau ging es genauso. Gott wird das Wachsen der kranken Zellen nicht stoppen. Ich verschone ihn mit meinen Bitten, dachte ich. Das Vertrauen war gestört. Glaubst du nur, wenn es dir gut geht? Fragte ich mich selbstkritisch.

Ich habe nach vertrauten Worten gesucht. „Gott wird dich stärken und bewahren vor dem Bösen“. Aber der Trost legte sich nicht beruhigend auf meine Seele.

Nicht Worte, sondern Musik wurde mein Trost. Gesungene Worte, in Harmonien gesetzt. Sie heben mich wie mit einer unsichtbaren Hand aus den schweren Gedanken. „Denn er hat seinen Engeln befohlen über Dir“ höre ich die Kantorei singen. Ich sehe mich in Taize im Gottesdienst auf dem Boden sitzen und „Laudate omnes gentes“ singen. Ich singe mit Ihnen „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Meine Seele findet Frieden. Wenn gesprochene Worte versagen, treten die gesungenen an ihre Stelle.

Die vertrauten Texte, die zu Melodien geworden sind. Sie wohnen in mir. Sie klingen in mir, ich höre sie, sofort rühren sie mich an.
Sie machen stark für das Sterben und für das Leben. Der Glaube wird schön in der Musik.

Aus der Schönheit wächst eine unglaubliche Stärke zum Handeln. Beides gehört zusammen.
„Wer gregorianisch singt, muss auch für die Juden schreien“, hat Dietrich Bonhoeffer gesagt, als er ahnte, dass Menschen sich mit Musik verstecken können.

Das lateinische „bonum“ hat eine doppelte Bedeutung. „Gut und schön“. Aus dem Schönen wächst das Gute. (Das Hässliche erzeugt Hass). Selbst die griechische Sprache spielt mit dem Gedanken. Zwei Fremdworte zeigen das auch in unserer Sprache. Ästhetik und Ethik. Aus der Ästhetik, dem Schönen, wächst die Ethik, das Tun des Guten. Darum ist es wichtig, das Schöne zu genießen.

Ich stehe kurz vor Ende meiner Dienstzeit. Aber schon als Abiturient vor 47 Jahren habe ich mich mit dem 20. Juli beschäftigt, es war mein Abi-Thema. Im Studium waren die Texte von Bonhoeffer mir die wichtigsten. Die Entschiedenheit der anderen Männer und Frauen.

„Betet, dass wir erlöst werden von den falschen und bösen Menschen“, sagt der Apostel. Böse Menschen gibt es, denen zu widerstehen ist. Sie haben es sich nicht leicht gemacht, damals vor 70 Jahren. Sie kannten das 5. Gebot: „Du sollst nicht töten“. Sie waren sich ihrer Verantwortung bewußt, sie haben sich nicht mit ihrer Tat, Hitler zu töten, gebrüstet. Sie haben die Schuld auf sich genommen. Sie haben bewußt ihr Leben eingesetzt für das Ende des Krieges, für ein neues, anderes Deutschland.

Als Schüler kannte ich alle ihre Namen, noch heute erinnere ich viele. Graf Stauffenberg, Oster, von Dohnanyi, Klaus Bonhoeffer, von Moltke, Goerdeler, Mierendorf, Delp.  Einer von ihnen ist Adam von Trott zu Solz. Er machte sein Abitur ganz  in unserer Nähe, in Hannoversch Münden, er studierte in Göttingen und zog durch viele Reisen ein enges Netz des Widerstandes mit dem Ausland, vor allem in England und Schweden, sogar in China  Er war enger Freund des Attentäters Graf von Stauffenberg.

Er wurde am 20. Juli verhaftet, am 26. August mit 35 Jahren wie viele von ihnen in Plötzensee gehängt. Er handelte wie andere aus tiefem Glauben. An seine Frau schrieb er.

„Liebes Claritchen, Vergib mir den tiefen Schmerz, den ich dir verursachen musste. Sei gewiss, ich bin in Gedanken auch weiter mit dir und sterbe in tiefer Zuversicht und Glauben. Gott behüte dich, ich weiß, du wirst dich nicht unterkriegen lassen. Gott segne dich und die Kleinen“.

Und an seine Mutter schrieb er:

„Liebste Mutter, Du bist mir immer, auch jetzt, nahe. Ich halte dankbar alles fest. Gott ist mir in diesen Wochen gnädig gewesen und hat mir frohe klare Kraft zu fast allem geschenkt. Er hat mich gelehrt, wo und wie ich fehlte. Ich bitte dich um Vergebung für allen großen Schmerz“.

Seine Frau, später seine Tochter haben den Familiensitz in Imshausen bei Bebra im Hessischen zu einem Zentrum der Begegnung gemacht, eine Kommunität gegründet, Gastgeber für viele Menschen, die dort Frieden finden.

Ich weiß nicht, ob ich seinen Weg gehen könnte. Aber ich möchte eindeutig sein. Wenn es um Schutz und Würde von Menschen geht, darf es für uns Christen kein Wenn und aber oder sowohl als auch geben.

In den Briefen und Tagebüchern der Widerstandsleute wird deutlich. Sie haben im Gefängnis stark von der Poesie, den Gedichten und den gesungenen Worte gelebt. Aus dem Schönen wächst die Kraft gegen das Böse.

Gerade weil ich das Schöne liebe, hasse ich das Böse.

Die Schönheit der Musik, der Einsatz gegen die Tyrannen, kommt schließlich in einem sehr bekannten Text zum Ausdruck, den  Bonhoeffer, selbst am 20. Juli beteiligt, als seinen letzten an seine Familie geschrieben hat. Der Glaube macht ihn unabhängig von der Macht der Bösen. Mit seinem vertrauten Text, der zur Melodie geworden ist, schließe ich.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“


 

Perikope