Predigt zu 4. Mose 21, 4-9 von Jörg Coburger
I
Nachts schleicht sich ein Mann ein griechischer Jude namens Nikodemus zu Jesus. In einer Zeit, wo Kirche und Synagoge endgültig am Auseinanderbrechen sind, weil die messiasbekennenden Juden keinen gemeinsamen Gottesdienst mehr ermöglichen, sieht sich der wissbegierige Nikodemus zu dieser Schutzmaßnahme in der Dunkelheit veranlasst. Es ist ein spannendes Gespräch. Wer ist dieser Jesus? Das fragt ihn Nikodemus zwar nicht wortwörtlich, aber sein Interesse geht eben dahin. Wer bist du? Was machst du? Wer bevollmächtigt dich dazu? Jesus antwortet ihm unter anderen mit einem Verweis aus der Zeit seiner Väter. Aus der Zeit der Wüstenwanderung, nach der wunderbaren Erfahrungen, dass Gott sein Volk befreit und führt. Mose kommt darin vor und die an einem Stab für alle sichtbar erhöhte kupferne Schlange. Joh.3,14
II
Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Auch in der Wüste. Wenn Leib und Seele schmerzen, wenn der Wüstenweg nicht enden will, wenn nirgends Licht am Ende des Tunnels, kein Ziel am Horizont sichtbar, Gottes Verheißungen auf Einmalankommen nicht mehr greifbar sind, dann ist die Stunde von Aggression und Depression. Dann werden mörderische Fragen gestellt, oft mit tödlichen Folgen.
„Und das Volk war verdrossen auf dem Weg und redete wider Gott und Mose. Warum hast du uns aus Ägypten geführt, daß wir hier sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise. Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, daß viele aus ihnen starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, daß wir wider den Herrn und wider dich geredet haben. Bitte den Herrn, daß er die Schlangen von uns nehme. Da sprach der Herr: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einem Pfahl hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.
Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie auf. Und wenn jemanden die Schlange biß, so sah er die Schlange an und blieb am Leben.“ 4. Mose 21, 4-9
III
„So spricht der Herr: Ich bin dein Gott, der dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt hat…“ Ex.20,2 Gott befreit sein Volk. Gott lässt Schlangen los, wie es richtig heißen muss, eigentlich nicht, „er sandte“.
So hatte es schon oft begonnen, dass Gott nichts mehr zurückhält, nicht einschreitet, das Unheil loslässt. Jeremia z.B. ist der große Zeuge dafür und die Frage der Psalmen „Ach Herr, wie lange noch?“ geht ebenfalls in diese Richtung. Dass Gott dem Bösen nicht den Giftzahn zieht. Gott lässt es laufen, dass er einen ins Verderben rennen lassen kann. Gegen Hunger kann man etwas unternehmen, aber gegen Sattheit…? Gott straft mit dem selbst gewählten beißenden Bösen.
Es ist eine verwunderliche Geschichte. Viele interessante Erklärungen sind dazu abgegeben worden. Vor allem die Religionswissenschaften und die Psychologie wissen Interessantes zu sagen. Der sogenannte „Analogiezauber“, der bis in unsere Literatur, bis hin zum „Kleinen Prinzen“ Saint-Exuperys wandert und zu den grauen Zeitfressern in „Momo“ von Michael Ende, Eingang in die Literatur fand. Er spricht davon, dass die bösen Dinge gebannt werden, wenn man darauf zugeht und nicht wegläuft oder wegschaut. Wer die Bedrohung bildlich darstellt, bekomme sie damit in seine Gewalt; sie sei damit gebannt. Und nicht umsonst ist der Stab des Asklepios aus griechischer Zeit mit der umwundenen Schlange daran zum Symbol der Apotheker geworden.
Psychologische Aspekte sind eine Bereicherung. Ich habe viel dadurch gewonnen. Sie haben jedoch ihre Grenze, weil sie allzu schnell aus Gotteswerk, etwas selbst verliebt, Menschenwerk machen und es würde auf rein Zwischenmenschliches reduziert. Etwa: Selbstheilungskräfte durch unsere Erinnerung. Es hat viel Richtiges, wenn z.B. Eugen Drewermann betont: „Es ist stets die Überwindung des eigenen Traumas, das zum Heilen befähigt.“ Ja, richtig, ohne unsere Erinnerungsarbeit und auch Trauerarbeit geht es ganz gewiss nicht. Mit der Aufforderung allein, nichts zu verdrängen und hinzuschauen, werden wir dem nicht gerecht, was uns über die Frage, wer dieser Jesus ist, sagen will.
Dazu will uns besonders in der Passionszeit als einer Zeit der Umkehr und Neuausrichtung die Geschichte ermutigen. „Wir haben gesündigt gegen Gott und dich, Mose“ Das wäre ein erster wichtiger Schnittpunkt: Sich an alte böse Zeiten zu erinnern, ist noch nicht dasselbe, als sich an die eigene Brust zu schlagen und zu sagen: mea culpa; meine Schuld, ich habe versagt! Nicht meine Eltern, meine Kinder, oder die DDR, oder die Kirche, oder die da oben, oder der Heilige Bimmbamm, oder wer auch immer…
Mit seinen Traumata kann doch jemand auch kokettieren, oder? Der Bußgedanke scheint derzeit nicht gerade tres chic, aber ohne ihn verfehlen wir das, was uns das 4. Mose- Buch sagen will. Gerade hier bricht alles Wichtige und Neue verheißungsvoll auf. Das Erlittene hat mit uns selbst zu tun. Hier liegt nicht ein Müssen und schon gar nicht Moral, sondern die große Lebenschance, neu anfangen zu dürfen.
Das Johannesevangelium beruft sich doch auch etwas verändert auf die Schlangengeschichte. Zum einen: Jesu Handeln ist nicht ein Handeln für die eigene Heilung, sondern stellvertretend für die Menschen. Und zum anderen: Jesus gibt nicht ein Zeichen, er ist auch kein Symbol, er selbst als Person ist das Zeichen und die Heilung. Es gibt keinen heiligen Ort, bzw. Schlangenstab; Christus ist unser heiliger Ort! Jesus ist nicht nur eine gute noch so professionelle therapeutische Methode, die man, als gelingendes Modell, zur Not auch ohne ihn hinbekäme. Jesus verrät uns mit der Schlangengeschichte keinen bloßen Trick. Joh.3,14
IV
Hinschauen, nicht wegsehen. Erinnern und nicht Verdrängen ist für eine Heilung unabdingbar, wie die richtige Diagnose vor der erfolgreichen Therapie. Wer bei der Diagnose betrügt, bringt sich um die Therapie bzw. Heilung. Und als Gegenpol: Fasziniert, heißt festgehalten/gebunden von der eigenen Schuld, oder erstaunt und überrascht über die rettende Möglichkeit? Was meint das Hinschauen eigentlich? Ein bloßes „Gucken“ oder gar „Gaffen“, ein: Zur-Kenntnis-Nehmen? Was im 4.Mosebuch und im Johannesevangelium geschieht, ist jedoch keine Magie.
Hinschauen heißt Anerkennen. Was geschah und was geschieht?
Hinschauen heißt über eigene Schuld trauern können.
Hinschauen heißt, nicht von der Schuld gefesselt, sondern fasziniert von neu eröffneten Wegen.
Hinschauen heißt, hinschauen lassen, denn die Selbstdiagnose wäre mehr als nur trügerisch. Wer wir in Erfolg und Scheitern sind, darf von Gottes Handeln her in den Blick genommen werden. „Wer die Schlange ansieht, der soll leben und nicht sterben!“ Gott will, dass wir leben und nicht an den Folgen unserer Eigenmächtigkeit zu Grunde gehen.
Hinschauen heißt von außen wahrnehmen wollen, wie ich gesehen werde.
Gott gibt uns nicht auf. Der große Menschenfreund Christus ist kein distanzierter nobler Olympier. Die Götter der Religionsgeschichte sind
Rivalen, Konkurrenten, gar Feinde des Menschen. Zeus zum Beispiel steht dem Menschen argwöhnisch, neidisch und missgünstig gegenüber. Im „Gefesselten Prometheus“ des Aischylos sehen wir das. Und diese göttliche Eifersucht sieht unseren menschlichen Lebenswillen nur als Hochmut und als Anmaßung an.
Mose hatte etwas zu veranlassen. Christus schafft nun selbst. Von seinem Lebensopfer FÜR UNS ist die Rede, vom Dahingeben seines Lebens. Joh.3,16 Das erschreckt uns. Plausibel ist das Kreuz nicht. Wir wollen wegschauen oder es umdeuten. Aktuell z.B. die Behauptung, es sei ja gar kein Opfertod gewesen… Christus gibt nicht etwas, sondern sich selbst. In Bethlehem war er selbst gekommen. Nun vollendet sich der Weg von der Krippe zum Kreuz.
V
Wir brauchen ein neues Hinschauen und eine Neubesinnung, was das Lebensopfer Jesu wirklich bedeutet. Wir möchten schon als Erlöste leben, aber Gott habe das bitteschön so zu tun, wie wir uns das dachten. Und in einer Zeit, wo wir stets nur noch die Niedrigschwelligkeit wollen, muss uns das Kreuz befremdlich sein.
Hinschauen heißt dann auch, nach unseren heutigen zeitbedingten Dogmen zu fragen – die übrigens so neu und uptodate sind, wie gern behauptet, gar nicht sind. Ist es nicht auffällig: Das Kopfschütteln in der Antike betraf nur den Umstand, dass der Gott und König Jesus AUCH zugleich Mensch ist; heute ist es umgekehrt, denn das Kopfschütteln besteht darin, dass Jesus zugestanden wird, ein toller Mensch gewesen zu sein, aber Gott, wieso denn zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott. Ich finde das auffällig… So zeitgebunden sind die Anfragen.
Ist es nicht eine Gottesvergiftung, sondern vielleicht eine Gottes-verwechslung. Wer ist der, der uns und Nikodemus an die alte Wüstengeschichte erinnert? Es ist der, der für uns die Hölle leergelitten hat.
Gott fordert nicht, oder, wie oft böse formuliert wird: „braucht“ keine Opfer. Er opfert nicht etwas, sondern sich! Sein Kreuzestod ist Ausdruck seiner Liebe zu uns und nicht, wie unterstellt, Voraussetzung seiner Liebe. Und das trifft uns, Christen und Juden, Gott sei`s gedankt, in unserer Erlösungsbedürftigkeit damals wie heute. Gott ist gnädig. Und souverän.
Und er ist zu unser aller Rettung es auf seine Weise.
Wenn wir das ganz neu hören, ist das in der Tat ein erschreckender und heilsamer Stich zugleich.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Nachts schleicht sich ein Mann ein griechischer Jude namens Nikodemus zu Jesus. In einer Zeit, wo Kirche und Synagoge endgültig am Auseinanderbrechen sind, weil die messiasbekennenden Juden keinen gemeinsamen Gottesdienst mehr ermöglichen, sieht sich der wissbegierige Nikodemus zu dieser Schutzmaßnahme in der Dunkelheit veranlasst. Es ist ein spannendes Gespräch. Wer ist dieser Jesus? Das fragt ihn Nikodemus zwar nicht wortwörtlich, aber sein Interesse geht eben dahin. Wer bist du? Was machst du? Wer bevollmächtigt dich dazu? Jesus antwortet ihm unter anderen mit einem Verweis aus der Zeit seiner Väter. Aus der Zeit der Wüstenwanderung, nach der wunderbaren Erfahrungen, dass Gott sein Volk befreit und führt. Mose kommt darin vor und die an einem Stab für alle sichtbar erhöhte kupferne Schlange. Joh.3,14
II
Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Auch in der Wüste. Wenn Leib und Seele schmerzen, wenn der Wüstenweg nicht enden will, wenn nirgends Licht am Ende des Tunnels, kein Ziel am Horizont sichtbar, Gottes Verheißungen auf Einmalankommen nicht mehr greifbar sind, dann ist die Stunde von Aggression und Depression. Dann werden mörderische Fragen gestellt, oft mit tödlichen Folgen.
„Und das Volk war verdrossen auf dem Weg und redete wider Gott und Mose. Warum hast du uns aus Ägypten geführt, daß wir hier sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise. Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, daß viele aus ihnen starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, daß wir wider den Herrn und wider dich geredet haben. Bitte den Herrn, daß er die Schlangen von uns nehme. Da sprach der Herr: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einem Pfahl hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.
Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie auf. Und wenn jemanden die Schlange biß, so sah er die Schlange an und blieb am Leben.“ 4. Mose 21, 4-9
III
„So spricht der Herr: Ich bin dein Gott, der dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt hat…“ Ex.20,2 Gott befreit sein Volk. Gott lässt Schlangen los, wie es richtig heißen muss, eigentlich nicht, „er sandte“.
So hatte es schon oft begonnen, dass Gott nichts mehr zurückhält, nicht einschreitet, das Unheil loslässt. Jeremia z.B. ist der große Zeuge dafür und die Frage der Psalmen „Ach Herr, wie lange noch?“ geht ebenfalls in diese Richtung. Dass Gott dem Bösen nicht den Giftzahn zieht. Gott lässt es laufen, dass er einen ins Verderben rennen lassen kann. Gegen Hunger kann man etwas unternehmen, aber gegen Sattheit…? Gott straft mit dem selbst gewählten beißenden Bösen.
Es ist eine verwunderliche Geschichte. Viele interessante Erklärungen sind dazu abgegeben worden. Vor allem die Religionswissenschaften und die Psychologie wissen Interessantes zu sagen. Der sogenannte „Analogiezauber“, der bis in unsere Literatur, bis hin zum „Kleinen Prinzen“ Saint-Exuperys wandert und zu den grauen Zeitfressern in „Momo“ von Michael Ende, Eingang in die Literatur fand. Er spricht davon, dass die bösen Dinge gebannt werden, wenn man darauf zugeht und nicht wegläuft oder wegschaut. Wer die Bedrohung bildlich darstellt, bekomme sie damit in seine Gewalt; sie sei damit gebannt. Und nicht umsonst ist der Stab des Asklepios aus griechischer Zeit mit der umwundenen Schlange daran zum Symbol der Apotheker geworden.
Psychologische Aspekte sind eine Bereicherung. Ich habe viel dadurch gewonnen. Sie haben jedoch ihre Grenze, weil sie allzu schnell aus Gotteswerk, etwas selbst verliebt, Menschenwerk machen und es würde auf rein Zwischenmenschliches reduziert. Etwa: Selbstheilungskräfte durch unsere Erinnerung. Es hat viel Richtiges, wenn z.B. Eugen Drewermann betont: „Es ist stets die Überwindung des eigenen Traumas, das zum Heilen befähigt.“ Ja, richtig, ohne unsere Erinnerungsarbeit und auch Trauerarbeit geht es ganz gewiss nicht. Mit der Aufforderung allein, nichts zu verdrängen und hinzuschauen, werden wir dem nicht gerecht, was uns über die Frage, wer dieser Jesus ist, sagen will.
Dazu will uns besonders in der Passionszeit als einer Zeit der Umkehr und Neuausrichtung die Geschichte ermutigen. „Wir haben gesündigt gegen Gott und dich, Mose“ Das wäre ein erster wichtiger Schnittpunkt: Sich an alte böse Zeiten zu erinnern, ist noch nicht dasselbe, als sich an die eigene Brust zu schlagen und zu sagen: mea culpa; meine Schuld, ich habe versagt! Nicht meine Eltern, meine Kinder, oder die DDR, oder die Kirche, oder die da oben, oder der Heilige Bimmbamm, oder wer auch immer…
Mit seinen Traumata kann doch jemand auch kokettieren, oder? Der Bußgedanke scheint derzeit nicht gerade tres chic, aber ohne ihn verfehlen wir das, was uns das 4. Mose- Buch sagen will. Gerade hier bricht alles Wichtige und Neue verheißungsvoll auf. Das Erlittene hat mit uns selbst zu tun. Hier liegt nicht ein Müssen und schon gar nicht Moral, sondern die große Lebenschance, neu anfangen zu dürfen.
Das Johannesevangelium beruft sich doch auch etwas verändert auf die Schlangengeschichte. Zum einen: Jesu Handeln ist nicht ein Handeln für die eigene Heilung, sondern stellvertretend für die Menschen. Und zum anderen: Jesus gibt nicht ein Zeichen, er ist auch kein Symbol, er selbst als Person ist das Zeichen und die Heilung. Es gibt keinen heiligen Ort, bzw. Schlangenstab; Christus ist unser heiliger Ort! Jesus ist nicht nur eine gute noch so professionelle therapeutische Methode, die man, als gelingendes Modell, zur Not auch ohne ihn hinbekäme. Jesus verrät uns mit der Schlangengeschichte keinen bloßen Trick. Joh.3,14
IV
Hinschauen, nicht wegsehen. Erinnern und nicht Verdrängen ist für eine Heilung unabdingbar, wie die richtige Diagnose vor der erfolgreichen Therapie. Wer bei der Diagnose betrügt, bringt sich um die Therapie bzw. Heilung. Und als Gegenpol: Fasziniert, heißt festgehalten/gebunden von der eigenen Schuld, oder erstaunt und überrascht über die rettende Möglichkeit? Was meint das Hinschauen eigentlich? Ein bloßes „Gucken“ oder gar „Gaffen“, ein: Zur-Kenntnis-Nehmen? Was im 4.Mosebuch und im Johannesevangelium geschieht, ist jedoch keine Magie.
Hinschauen heißt Anerkennen. Was geschah und was geschieht?
Hinschauen heißt über eigene Schuld trauern können.
Hinschauen heißt, nicht von der Schuld gefesselt, sondern fasziniert von neu eröffneten Wegen.
Hinschauen heißt, hinschauen lassen, denn die Selbstdiagnose wäre mehr als nur trügerisch. Wer wir in Erfolg und Scheitern sind, darf von Gottes Handeln her in den Blick genommen werden. „Wer die Schlange ansieht, der soll leben und nicht sterben!“ Gott will, dass wir leben und nicht an den Folgen unserer Eigenmächtigkeit zu Grunde gehen.
Hinschauen heißt von außen wahrnehmen wollen, wie ich gesehen werde.
Gott gibt uns nicht auf. Der große Menschenfreund Christus ist kein distanzierter nobler Olympier. Die Götter der Religionsgeschichte sind
Rivalen, Konkurrenten, gar Feinde des Menschen. Zeus zum Beispiel steht dem Menschen argwöhnisch, neidisch und missgünstig gegenüber. Im „Gefesselten Prometheus“ des Aischylos sehen wir das. Und diese göttliche Eifersucht sieht unseren menschlichen Lebenswillen nur als Hochmut und als Anmaßung an.
Mose hatte etwas zu veranlassen. Christus schafft nun selbst. Von seinem Lebensopfer FÜR UNS ist die Rede, vom Dahingeben seines Lebens. Joh.3,16 Das erschreckt uns. Plausibel ist das Kreuz nicht. Wir wollen wegschauen oder es umdeuten. Aktuell z.B. die Behauptung, es sei ja gar kein Opfertod gewesen… Christus gibt nicht etwas, sondern sich selbst. In Bethlehem war er selbst gekommen. Nun vollendet sich der Weg von der Krippe zum Kreuz.
V
Wir brauchen ein neues Hinschauen und eine Neubesinnung, was das Lebensopfer Jesu wirklich bedeutet. Wir möchten schon als Erlöste leben, aber Gott habe das bitteschön so zu tun, wie wir uns das dachten. Und in einer Zeit, wo wir stets nur noch die Niedrigschwelligkeit wollen, muss uns das Kreuz befremdlich sein.
Hinschauen heißt dann auch, nach unseren heutigen zeitbedingten Dogmen zu fragen – die übrigens so neu und uptodate sind, wie gern behauptet, gar nicht sind. Ist es nicht auffällig: Das Kopfschütteln in der Antike betraf nur den Umstand, dass der Gott und König Jesus AUCH zugleich Mensch ist; heute ist es umgekehrt, denn das Kopfschütteln besteht darin, dass Jesus zugestanden wird, ein toller Mensch gewesen zu sein, aber Gott, wieso denn zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott. Ich finde das auffällig… So zeitgebunden sind die Anfragen.
Ist es nicht eine Gottesvergiftung, sondern vielleicht eine Gottes-verwechslung. Wer ist der, der uns und Nikodemus an die alte Wüstengeschichte erinnert? Es ist der, der für uns die Hölle leergelitten hat.
Gott fordert nicht, oder, wie oft böse formuliert wird: „braucht“ keine Opfer. Er opfert nicht etwas, sondern sich! Sein Kreuzestod ist Ausdruck seiner Liebe zu uns und nicht, wie unterstellt, Voraussetzung seiner Liebe. Und das trifft uns, Christen und Juden, Gott sei`s gedankt, in unserer Erlösungsbedürftigkeit damals wie heute. Gott ist gnädig. Und souverän.
Und er ist zu unser aller Rettung es auf seine Weise.
Wenn wir das ganz neu hören, ist das in der Tat ein erschreckender und heilsamer Stich zugleich.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Perikope
Datum 25.03.2012
Reihe: 2011/2012 Reihe 4
Bibelbuch: 4. Mose
Kapitel / Verse: 21,4
Wochenlied: 76
Wochenspruch: Mt 20,28