Predigt zu Apostelgeschichte 10,10,34a.36-43 von Wolfgang Vögele
10,10,34a.36-43

Predigt zu Apostelgeschichte 10,10,34a.36-43 von Wolfgang Vögele

Der Predigttext für den Ostermontag steht Apg 10,34a.36-43:

„Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit (…): Er hat das Wort dem Volk Israel gesandt und Frieden verkündigt durch Jesus Christus, welcher ist Herr über alle. Ihr wisst, was in ganz Judäa geschehen ist, angefangen von Galiläa nach der Taufe, die Johannes predigte, wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit Heiligem Geist und Kraft; der ist umhergezogen und hat Gutes getan und alle gesund gemacht, die in der Gewalt des Teufels waren, denn Gott war mit ihm. Und wir sind Zeugen für alles, was er getan hat im jüdischen Land und in Jerusalem. Den haben sie an das Holz gehängt und getötet. Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen, nicht dem ganzen Volk, sondern uns, den von Gott vorher erwählten Zeugen, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden war von den Toten. Und er hat uns geboten, dem Volk zu predigen und zu bezeugen, dass er von Gott bestimmt ist zum Richter der Lebenden und der Toten. Von diesem bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.“

Liebe Gemeinde,

eine Kanzel, eine Bibel und ein Altar machen das Predigen leichter. Denn der Ort des Gottesdienstes bestimmt die Worte, die der Prediger spricht. Kein unbefangener Zuhörer erwartet von dem Mann auf der Kanzel, der dort im schwarzen fußlangen Talar steht, etwas anderes als auferbauende, tröstende, segnende Worte. Wenn sie gelingt, holt die Predigt die Zuhörerinnen und Zuhörer in ihrem Alltag ab. Sie erzählt von wunderreichen Lebensgeschichte des Jesus von Nazareth, die weit über seinen Tod am Kreuz hinausreicht. Der Prediger entläßt die Zuhörer mit der Verheißung neuen Lebens in die bevorstehende Woche.

Die Prediger auf der Kanzel könnten sich aber für ihre Worte auch an ganz andere, fremde und ungewöhnliche Orte stellen, wo sie ihre Zuhörer überraschen, verblüffen oder gar verärgern würden. Auf dem Marktplatz, im Fußballstadion, auf dem Bahnsteig oder im Supermarkt erwartet niemand einen Menschen im schwarzen Talar oder gar eine Predigt. Der Apostel Paulus immerhin hat sich in Athen auf den Marktplatz, den Areopag gestellt, und den athenischen Bürgern eine Predigt über den unbekannten Gott gehalten. Petrus, sein Apostelfreund, besucht nach einer komplizierten Vorgeschichte, auf die ich gleich noch komme, das Haus eines römischen Hauptmanns und predigt dort.

Der Evangelist Lukas sagt: Petrus öffnet seinen Mund und fängt an zu predigen. Bis zum Amen dauert die Predigt nur ganz kurz. Jedem Zuhörer verschafft das Erleichterung. Schön, wenn sich alle Prediger der Weitschweifigkeit enthalten würden: von der Taufe zur Auferstehung in wenigen, lakonischen Sätzen. Das ist viel leichter zu schlucken als langwierige Erläuterungen mit rhetorischen Umwegen und eleganten Finessen.

Johannes tauft Menschen in der Wüste. Jesus wird getauft. Jesus zieht heilend in Galiläa umher und rettet Menschen vor dem Bösen. Jesus wird ans Kreuz, ans Holz geschlagen. Er stirbt. Gott erweckt ihn auf am dritten Tage. Weil er auferstanden ist, predigen nun seine Jünger. Der Rest ist Mission und Osterfreude, der warme, erfrischende Frühlingsregen des Glaubens, der die Gemeinden wachsen läßt.

In der Mitte der Predigt des Petrus steht die Auferstehung. In der Auferstehung überwindet Gott das Kreuz: Dieses Ereignis wendet die Geschichte der Menschen zum Guten. Deswegen steht die Auferstehung in allen Geschichten und Briefen des Neuen Testaments im Mittelpunkt, selbst dort wo sie nicht erwähnt wird. Aber die Auferstehung ist eben nicht alles. Richtig verstanden wird sie nur, wenn wir die biblische Vorgeschichte und die evangelische Nachgeschichte mit einbeziehen.

Die Vorgeschichte geht keineswegs in der „irdischen“ Geschichte des Jesus von Nazareth auf. Die Vorgeschichte des Auferstandenen kann darin zusammengefaßt werden: Gott kämpft in der Welt gegen das Böse. Die Taufe des Johannes im Jordan rettet die Menschen vor ihrer Verstrickung in böse Interessen, Selbsttäuschung und verquerer Moral. Die Taufe des Johannes ruft die Menschen zur Buße und zurück zu Gott. In diesem heilenden Blickwinkel Gottes ist auch das Handeln, Predigen und Wirken Jesu zu verstehen. Jesus will nicht durch „übernatürliche“ Wunder auffallen, er ist kein Magier, der mit Zaubertricks beeindrucken will. Es kommt darauf an, daß er mit allen Mitteln des Predigens und Tuns gegen das Böse, gegen den Teufel, gegen das Widergöttliche kämpft. Die Heilung eines Kranken ist nicht um ihrer selbst willen wichtig, sondern sie ist ein Zeichen, ein kleiner Sieg im großen, kosmischen Kampf Gottes gegen das Böse, das Unrecht, das Leid und das Lieblose. Ob man dieses als das Böse sieht oder im Teufel zu einer Person macht, das ist gar nicht so wichtig. Mit jedem geheilten und getrösteten Menschen erringt Jesus einen kleinen Sieg des Glaubens. Diese bereiten in der Summe Gottes Reich vor. Die Geschichten und Gleichnisse der Evangelien berichten davon. Deswegen widerspricht das Hinrichtungskreuz dem Willen Gottes. Derjenige, der für sein Reich gekämpft hatte, muß sterben. Das sehen auch die Jünger zuerst als einen vermeintlichen Triumph des Bösen, als einen Sieg der zufälligen Wirklichkeit über den Willen Gottes, den er in den Propheten und ihren Verheißungen zum Ausdruck gebracht hatte. Die Jünger sind angesichts dieser schrecklichen Hinrichtung geflohen. Diese Vorgeschichte des Leidens wäre nun an den unbeachteten Rändern der Weltgeschichte verpufft, wenn mit dem Kreuz, mit der Trauer über den hingerichteten Jesus von Nazareth alles zu Ende gewesen wäre.

Daß Gott diesen hingerichteten Jesus von Nazareth nach drei Tagen auferweckt, ist das zentrale Ereignis des christlichen Glaubens. Ohne Ostern wäre alles nichts. Gottesdienste, Predigten, Abendmahlsfeiern, Choräle, Bekenntnisse und Bußgebete würden im Leeren verpuffen. An Ostern triumphiert der Glaube, Gott siegt über die Zufälle und Sachzwänge der Wirklichkeit. Eine Predigt, in der die Osterfreude des Glaubens nicht mindestens indirekt zur Sprache kommt, schießt blind und ziellos in den Himmel.

Aber, liebe Gemeinde, so ist es nicht. Die Vorgeschichte endet nicht mit der Hinrichtung am Kreuz, und die Nachgeschichte besteht nicht nur aus leeren Spekulationen über den Himmel und das Reich Gottes. An jedem siebten Tag, dem Sonntag einer Woche feiern wir nicht nur den Ruhetag der Schöpfung Gottes, sondern dazu auch den Tag der Auferstehung des gekreuzigten Herrn.

Ostern ist der Ursprung, das Zentrum und die Quelle des Evangeliums und des Glaubens. Darum kommen in der Nachgeschichte der Ostererfahrung Menschen zum Glauben, durch seelsorgliche Gespräche und Predigten, durch die stärkende Feier des Abendmahls, durch den Segen Gottes, mit dem alle Glaubenden seit Jahrhunderten die Gottesdienste am Sonntag verlassen. Die Ostererfahrung setzt sich in der Gegenwart fort, selbstverständlich nicht in der klerikalen Bürokratie, wohl aber überall da, auch jenseits der Gemeinden, wo sich Erfahrungen des Trostes, des Osterlachens und der Barmherzigkeit finden. Davon gleich mehr.

Es macht Sinn, erst noch an den Anfang der Nachgeschichte von Ostern zu gehen und von Cornelius erzählen. An ihn richtet sich die kurze, verdichtete Predigt des Apostels Petrus. Cornelius war nach der Erzählung des Neuen Testaments einer der ersten nicht-jüdischen Christen. Der Römer war Hauptmann in Caesarea, Zenturio einer römischen Armee-Einheit, und Lukas bezeichnet ihn als frommen, gottesfürchtigen Mann, der großzügig Spenden und Almosen verteilen ließ. Diesem Cornelius erscheint der heilige Geist, wie er auch Petrus, dem Apostel erscheint. Petrus hält sich im fünfzig Kilometer entfernten Joppe auf. Und Cornelius läßt nach ihm schicken. Petrus zögert zu Anfang, denn er weiß, daß es sich für einen frommen Juden eigentlich verbietet, Kontakt zu einem Hauptmann der Besatzungsmacht zu pflegen, geschweige denn sein Haus zu betreten. Aber dann geht er doch. Und Lukas stellt das so dar, als sei es untrennbar beides: die realistische Einsicht in die Freundlichkeit und Aufrichtigkeit des römischen Hauptmanns und das Wirken des Heiligen Geistes.

Petrus hält also im Haus des Hauptmanns die Predigt, die wir heute als Predigttext gehört haben. Das ist das Außergewöhnliche an dem Vorgang: Paulus wird sich später grundsätzlich als Missionar der „Heiden“ verstehen, für ihn ist das etwas ganz Normales und Selbstverständliches. Aber Petrus fühlte sich trotz seines Glaubens an das Evangelium noch an die Regeln der jüdischen Religion gebunden. Mit dem Betreten des Hauses des römischen Hauptmanns geht der Apostel den Schritt über die Grenze des Judentums hinaus. Das ist das Erstaunliche, und es ist kein Wunder, daß Lukas diesen Schritt über die Grenze umfassend als Wirken des Heiligen Geistes beschreibt.

Als Cornelius, seine Familie und die häuslichen Mitarbeiter diese kurze Predigt gehört haben, singen sie keineswegs einen Choral, wie es heute im Gottesdienst nach der Predigt üblich ist. In der Apostelgeschichte heißt es: „Während Petrus noch diese Worte redete, fiel der Heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhörten. Und die gläubig gewordenen Juden, die mit Petrus gekommen waren, entsetzten sich, weil auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde; denn sie hörten, dass sie in Zungen redeten und Gott hoch priesen.“ (Apg 10, 44f.) Und nur wenig später folgt der Taufgottesdienst. Cornelius und seine Familie vertrauen auf Gott, sie glauben dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Darum lassen sie sich taufen.

Ostern ist keineswegs ein Geschehen in der Vergangenheit. Ostern ist eine Predigt. Ostern ist das Essen mit dem Auferstandenen im Abendmahl. Ostern ist der Heilige Geist. Ostern ist Taufe. Ostern ist Teilhabe an der Auferstehung. Die christliche Gemeinde heute wird in das evangelische Geschehen damals mit hineingenommen. Es ist nicht entscheidend, ein Geschehen in der Vergangenheit für wahr zu halten. Es geht darum, die evangelischen Auswirkungen eines vergangenen Geschehens in der Gegenwart zu spüren. Auferstehung bedeutet Überwindung der Sachzwänge, Trost und Barmherzigkeit, Gnade und Rechtfertigung. Wenn wir das als Gemeinde heute so empfinden, so stehen wir in einer langen Reihe getaufter, glaubender, getrösteter Menschen, die sich über die Jahrhunderte hinweg in die Bewegung der Auferstehung hineinnehmen ließen.

Ostern ist deswegen so wichtig, weil es neben der Vorgeschichte eine gewaltige und wirksame Nachgeschichte besitzt. Und die Taufe des Hauptmanns Cornelius steht am Anfang der gemeindlichen Nachgeschichte. Sogar heidnische, im Judentum als unrein geltende Römer lassen sich taufen. Und dieser Römer ist noch dazu ein Militär und Offizier, Teil der verachteten und verhaßten Besatzungsmacht. Nach dem Hauptmann Cornelius folgen die vielen anderen Familien, die Paulus auf seinen Reisen im Mittelmeerraum trifft, denen er predigt, die er bekehrt und tauft. Die Nachgeschichte der Auferstehung ist die Fortsetzung der Vorgeschichte: Die Menschen erleben in der Gegenwart Jesu Christi Barmherzigkeit, Trost und Heil. Sie spüren, wie das Böse zurückweicht. Die Nachgeschichte der Auferstehung ist die Vorgeschichte des Reiches Gottes, das bereits angebrochen, aber noch nicht vollendet ist.

Die Nachgeschichte der Auferstehung läßt sich an vier Wirkungen ablesen: an der Ausbreitung und Erweiterung des Glaubens, an der Taufe, am Abendmahl und am Wirken des Heiligen Geistes.

Die Auferstehung sprengt die Grenzen naturalistischer Wirklichkeitssicht und ebenso die Grenzen konventioneller Religion. Sie geht einfach darüber hinweg. Jeder Glaubende muß damit rechnen, daß Gott an Personen und Menschen wirkt, von denen er es nie für möglich gehalten hätte. Das Evangelium breitet sich nach Ostern in der ganzen Welt aus. „Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, 20 und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Mt 28,19f.) So sagt es der auferstandene Jesus am Ende des Matthäusevangeliums. Auferstehung sprengt alle Grenzen: Alle Menschen, gleich welchen Geschlechts, welcher Rasse, welchen Glaubens sind zu Jesus Christus gerufen.

Wer sich rufen läßt, der wird auch gerettet. Ich bin gerettet, das heißt: Ich bin wie Jesus auserwählt für ein Leben, das mit dem Tod nicht zu Ende ist. Das Zeichen dafür ist die Taufe. Wer getauft ist, ist gerettet, auch wenn er das in diesem Leben nicht immer spüren mag. Dieses Zeichen bleibt gültig, es läßt sich nicht abwischen wie ein Stempel oder eine Markierung. Die Taufe ist der Anfang der Auferstehung. Und diese Verheißung begleitet einen Menschen durch ein ganzes Leben hindurch bis zum Tod – und darüber hinaus.

Das zweite Zeichen neben der Taufe ist das Abendmahl. Wir gehen zum Altar und nehmen Brot und Wein. Christus hat verheißen, daß er in dieser Feier geistlich gegenwärtig ist. Dabei sollten wir uns nicht durch tiefsinnige Überlegungen ablenken lassen, wie sich Brot und Wein zu Leib und Blut Christi verändern. Es kommt nicht darauf an, wie das geschieht, sondern es kommt darauf an, daß es geschieht. Das Abendmahl ist das Zeichen der Gegenwart Jesu. Wir können uns dieser Gegenwart gewiß sein, des tröstenden, barmherzigen und auferstandenen Herrn Jesus Christus.

Ostern ist die Nachgeschichte der Auferstehung, weil der Heilige Geist wirkt. In der Geschichte von Petrus und Cornelius bereitet der Heilige Geist alles vor, was die Menschen dann ausführen: die Reise nach Caesarea, die Missionspredigt, die abschließende Taufe. So muß man sich das Wirken des Heiligen Geistes in der Gegenwart vorstellen: Er bereitet die Menschen auf Glauben und Trost, auf Auferstehung und Reich Gottes vor. Das ist im übrigen keine Tätigkeit für eine geschlossene Gesellschaft von Glaubenden. Dieser Glaube an die Auferstehung sprengt mit Hilfe des Heiligen Geistes jede Milieugrenze. Am besten und angemessensten zeigt sich das im Abendmahl. Wir alle nehmen Brot und Wein unterschiedslos als begnadigte Sünder. Vor Gott und Jesus Christus sind alle Menschen gleich, gleich als Sünder und gleich als Gerechte, die trotzdem noch des Trostes bedürfen. Ostern ist Freude über die vergangene Auferstehung Jesu Christi. Auferstehung – das bedeutet Trost und Gnade in der Gegenwart. Amen.

Perikope
Datum 21.04.2014
Bibelbuch: Apostelgeschichte
Kapitel / Verse: 10,10,34a.36-43
Wochenlied: 101 105
Wochenspruch: Offb 1,18