Predigt zu Apostelgeschichte 16, 23-34 von Dagmar Magold
16,23
Liebe Gemeinde,
wir haben den Gottesdienst mit den Worten aus Psalm 98 begonnen:“ Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“. Am Sonntag Kantate ist das so üblich, denn es geht ja schliesslich um die singende Gemeinde.
Als ich mich aber mit dem heutigen Predigttext beschäftigte, war meine Skepsis gross. Warum gerade dieser Text zu Kantate? Da steht zunächst nichts von Singen und Gesang. Nur eine kurze Mitteilung in Vers 25 sagt, dass zwei Menschen beteten und Gott lobten. Mehr nicht. Wir wissen nicht einmal welche Gebete und welche Loblieder angestimmt wurden.
Es gibt doch wirklich bessere Texte, die voller Lob und Gesang sind wie z. B.: der Lobgesang der Hannah, der Lobgesang der Miriam, der Lobgesang der Maria, das berühmte Magnificat oder der Lobgesang des Simeon.
Unser Predigttext will nicht so recht in dieses Schema des Lobliedes passen. Da freut sich niemand über den Sieg über Feinde oder über eine langersehnte oder gar völlig überraschende Schwangerschaft oder über ein neugeborenes Kind.
In unsere Geschichte sitzen zwei Menschen im Gefängnis- unschuldig vielleicht- und loben Gott und bleiben drin sitzen, obwohl sich die Türen auf wundersame Weise öffnen. Mehr als seltsam.
Der Predigttext versetzt uns zeitlich in die Anfänge der Mission in Europa. Paulus und Silas waren aufgrund einer Vision oder eines Traumes nach Europa gekommen, um den Menschen dort das Evangelium zu predigen. Auf der Suche nach dem vermuteten Versammmlungsort der Juden am Sabbat, trafen sie vor den Toren der Stadt Philippi am Brunnen auf eine Gruppe Frauen. Wie sich herausstellte, waren sie die jüdische Gemeinde und Paulus fing an mit ihnen zu reden. Lydia, eine gottesfürchtige Frau jüdischen Glaubens und gut betuchte Purpurhändlerin gefielen die Worte der guten Nachricht und sie liess sich davon berühren. Und so liess sie sich mit ihrem ganzen Haus taufen. Das war ja zunächst ein recht erfolgreicher Start der Mission. Aber dann fingen die Probleme mit den Behörden an.
Angeblich hätten Paulus und Silas die Menschen aufgewiegelt, weil sie eine neue jüdische Lehre vertraten, die angeblich die guten Sitten verdarb. Das war aber nur ein vorgeschobener Grund. Paulus und Silas hatten nämlich einigen reichen Männern ihr lukratives Geschäft verdorben. Diese verdienten ziemlich viel Geld mit der Krankheit einer Frau, einer Magd oder Sklavin, die von einem Wahrsagegeist geplagt wurde. Und ihre Besitzer verdienten auch viel Geld mit den Sehnsüchten und des naiven Wunderglaubens der Menschen, die diese Frau mit ihrem Geist bedienten musste.
Nun also heilten Paulus und Silas diese Frau, die endlich wieder zu sich selbst finden konnte und die nicht mehr durch eine magische, dämonische Kraft fremdbestimmt wurde.
Kein Wahrsagegeist - kein Geld. Das war natürlich unerhört. Es kam, was kommen musste. Die Staatsmacht schritt ein und unter falscher Anschuldigung landeten die Beiden im Hochsicherheitstrakt,
nicht ohne vorher einer Spezialbehandlung durch die Sicherheitskräfte unterzogen worden zu sein.
Wer Kapitalismuskritik übt und den „Terror der Rentabilität“ ( Predigtstudien, Perikopenreihe IV; 2005/2006,1. Halbband, S.269) anprangert, muss mit Druck und Gegenmassnahmen rechnen. Wer lässt sich schon gern ein profitables Geschäft kaputtmachen. Das war offensichtlich schon immer so.
Hier setzt nun unser Predigttext ein.
Da lagen sie nun geschunden und entwürdigt am sichersten Ort des Gefängnisses und ich wage zu bezweifeln, dass sie wirklich in der Lage gewesen wären zu flüchten nach der Sonderbehandlung.
Und jetzt geschieht das vollkommen Unerwartete, und zwar in jeder Hinsicht. In dieser schier aussichtslosen Situation beten Paulus und Silas und singen Gott Loblieder. Ein mitternächtliches Beben sprengt nicht nur ihre Ketten und Türen, sondern die Ketten und Türen aller Gefangenen und keiner geht. Mehr als seltsam.
Gesunder Menschenverstand oder allein schon der menschliche Überlebenswille sollte den Reflex zur Flucht auslösen. Ich will gar nicht über solche „Wunder“ spekulieren oder sie gar versuchen zu erklären und noch weniger kann ich den historischen Sachverhalt oder Richtigkeit nachprüfen. Ich könnte es mir und Ihnen leicht machen und diese Geschichte ins Reich der Legenden einsortieren, die mit uns nichts zu tun haben. Wir leben nicht mehr in einer magischen Welt, wo wir einfach Stossgebete zum Himmel schicken und ein donnerndes „Ein feste Burg ist unser Gott“ schmettern und alle Probleme sind gelöst. Übrigens ein Muster, wie wir es oft in evangelikalen Kreisen erleben. Ist dann die Erfüllung nicht eingetreten, haben die Betenden nur nicht ernsthaft genug gefleht.
Nein, Gott ist nicht der Erfüllungsautomat unserer Wünsche.
Warum also ausgerechnet diese Geschichte von Paulus und Silas zum Sonntag Kantate?
Beim genauen Hinsehen ist die Vorgeschichte der oben genannten Loblieder und Hymnen und auch die unseres Textes die gleiche. Alle sind entstanden in tiefster seelischer oder körperliche Not und Ausweglosigkeit.
Bei Hannah war es die jahrelange Schmach der Kinderlosigkeit. Sie hatte schon fast schon keine Worte mehr und murmelte ihre Stossgebete nur noch zum Himmel, sodass ihr Ehemann sie für betrunken hielt. Dann kam endlich die ersehnte Schwangerschaft und Geburt des kleinen Samuel.
Miriam sang ihr Loblied aus Dankbarkeit, weil Gott das Flehen seines Volkes erhört hatte und er es aus der Sklaverei befreite und den Sieg über die ehemaligen Unterdrücker errungen hat.
Marias berühmtes Magnifikat lobt Gott für seine Zuwendung zu den Schwachen und Entrechteten, zu denen, die keine eigene Stimme mehr haben. Eine Erfahrung, dass sie als blutjunges, schwangeres Mädchen vom Lande am eigenen Leib oft genug erfahren musste.
Und dem alten Simeon wurden seine allergrösste Hoffnung und sein tiefster Wunsch erfüllt. Bevor er starb, konnte er noch Jesus, den erhofften Retter kennenlernen. Auch da war inständiges Bitten und Flehen vorausgegangen.
Eine weitere Gemeinsamkeit mag gewesen sein, dass alle sich ihr Leben anders vorgestellt hatten. Hier waren Lebenslinien gebrochen und schweres Schicksal zu ertragen. Das war bei Hanna, Miriam, Maria und Simeon so und auch bei Paulus und Silas.
Als nichts mehr ging und nichts mehr blieb als das nackte Überleben, hielten sie sich an ihren Glauben an den barmherzigen Gott und sangen seine Lieder.
Wenn nichts mehr geht, welche Lieder werden wir dann singen?
Keiner kann uns versprechen, dass wir im Leben vor schweren Schicksalsschlägen bewahrt bleiben. Manche können davon im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied, ein Klagelied, singen. Aber immer erleben wir auch, dass Menschen gerade in den schwierigen Lebenssituationen das Beten und Loben nicht vergessen, ja das es ihre einzige Hoffnung ist, an die sie sich halten können.
Ich denke da an Dietrich Bonhoeffer, der aus dem Tegeler Gefängnis sein wunderbares Gedicht voller Trost und Zuversicht geschrieben hat:
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost,
was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend uns am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag. EG 65,7
Ich erinnere mich an die letzten Tage meines Vaters, der nach kurzer, schwerer Krankheit erleben musste, dass es keinen Weg zurück mehr ins Leben gab. Im Nachdenken über seine Beerdigung, über den Bibelvers und die Lieder, die gesungen werden sollten, suchte er nur Loblieder, hauptsächlich von Paul Gerhardt, aus. Mit der Biographie Gerhardts, die ebenfalls keine leichte war, hatte er sich während seiner Krankheit besonders beschäftigt. Und auch sein Kirchengesangbuch war seine wichtigste Quelle des Trostes und der Zuversicht.
Auf meinen Einwand hin, dass eine Beerdigung nicht der richtige Anlass für solche Lieder wäre wegen der Pietät, (was werden wohl die anderen denken?) antwortete er ganz gelassen: „Das ist aber meine tiefste Überzeugung. Ich bin im Leben so reich beschenkt worden. Und ausserdem weiss ich, wohin ich gehe. Das ist meine Weise, danke für alles zu sagen.“
Er zählte dann auf, was ihm wichtigsten war. Er konnte die Frau heiraten, die er über alles liebte. Mein Bruder und ich waren seine Schätze. Und auch den erfolgreichen Aufbau seines Geschäftes empfand er als Segen und Geschenk.
Der Tod stand ihm schon ins Gesicht geschrieben und wir sangen noch wenige Stunden vor seinem irdischen Ende:
„ Geh aus mein Herz und suche Freud“, denn es war Anfang Juni und der Magnolienbaum vor seinem Fenster im Krankenhaus stand in voller Blüte.
Und ich kann Ihnen verraten, dass wir an seiner Beerdigung in der Tat nur Lob- und Danklieder gesungen haben. Wir hatten schon so viele Tränen vergossen, dass uns diese Lieder wie eine Befreiung aus dem Gefängnis unserer Trauer vorkamen. In der traurigsten und schwärzesten Situation leuchtete der Morgenglanz der Ewigkeit für einen Augenblick in unsere Gedanken. Und mein Vater hatte mit seiner Wahl der Lieder einen kleinen Lichtblick durch die Tränen verhangenen Schleier unserer Seelen geschickt.
Gebete und Lieder, können Ausdruck unserer Glaubenshaltung und Lebensüberzeugungen sein. Und selbst in allergrösstem Zweifel und allergrösster Not können sie Orientierung und Halt und geben. So hat es mein Vater für sich verstanden. Und vielleicht haben Paulus und Silas das in ihrer Gefängniszelle ähnlich empfunden. Als nichts mehr half, half nur noch Beten und Singen. Vielleicht haben sie die ihnen vertrauten Worte des Psalters gebetet und gesungen, das ist sehr wahrscheinlich, denn das war Tradition aus der sie kamen. In den Psalmen fällt oft beides oft zusammen, Flehen und Anklage und Lob und Dank. Sie beginnen meist mit den schwierigen Situationen und enden dann doch im Lobpreis. Dahinter steht die Erfahrung, dass Gott gerade in den schwierigen Situationen des Lebens den Menschen nahe ist. Und manchmal öffnet sich gerade im Loben und Danken unser kleiner Horizont und wir erleben die Befreiung zu neuen Erfahrungen- Gotteserfahrungen.
Zum Schluss möchte ich aus dem Psalter, dem Gebet- und Liederbuch unserer jüdischen Geschwister, Psalm 13 lesen. Er ist in der Lutherbibel überschreiben:“ Hilferuf eines Angefochtenen“. Der letzte Vers war übrigens sein Konfirmationsspruch sowie der Predigttext für die Beerdigung, der auch auf seinem Grabstein steht. Und er passt ausgezeichnet zum Sonntag Kantate:
1 Ein Psalm Davids, vorzusingen.
2HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen?
Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?
3Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele / und mich ängsten in meinem Herzen täglich?
Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben?
4Schaue doch und erhöre mich, HERR, mein Gott!
Erleuchte meine Augen, dass ich nicht im Tode entschlafe,
5dass nicht mein Feind sich rühme, er sei meiner mächtig geworden,
und meine Widersacher sich freuen, dass ich wanke.
6Ich aber traue darauf, dass du so gnädig bist; /
mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst.
Ich will dem HERRN singen, dass er so wohl an mir tut.
„Ich will dem Herrn singen, dass er so wohl an mir tut“.
Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir in dieses Loblied voller Überzeugung einstimmen können.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unser menschlicher Verstand, bewahre unsere Herzen und Gedanken in Christus Jesus. Amen
Quellen: Predigtstudien, Perikopenreihe IV; 2005/2006, 1.Halbband;
Evangelisches Gesangbuch
wir haben den Gottesdienst mit den Worten aus Psalm 98 begonnen:“ Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“. Am Sonntag Kantate ist das so üblich, denn es geht ja schliesslich um die singende Gemeinde.
Als ich mich aber mit dem heutigen Predigttext beschäftigte, war meine Skepsis gross. Warum gerade dieser Text zu Kantate? Da steht zunächst nichts von Singen und Gesang. Nur eine kurze Mitteilung in Vers 25 sagt, dass zwei Menschen beteten und Gott lobten. Mehr nicht. Wir wissen nicht einmal welche Gebete und welche Loblieder angestimmt wurden.
Es gibt doch wirklich bessere Texte, die voller Lob und Gesang sind wie z. B.: der Lobgesang der Hannah, der Lobgesang der Miriam, der Lobgesang der Maria, das berühmte Magnificat oder der Lobgesang des Simeon.
Unser Predigttext will nicht so recht in dieses Schema des Lobliedes passen. Da freut sich niemand über den Sieg über Feinde oder über eine langersehnte oder gar völlig überraschende Schwangerschaft oder über ein neugeborenes Kind.
In unsere Geschichte sitzen zwei Menschen im Gefängnis- unschuldig vielleicht- und loben Gott und bleiben drin sitzen, obwohl sich die Türen auf wundersame Weise öffnen. Mehr als seltsam.
Der Predigttext versetzt uns zeitlich in die Anfänge der Mission in Europa. Paulus und Silas waren aufgrund einer Vision oder eines Traumes nach Europa gekommen, um den Menschen dort das Evangelium zu predigen. Auf der Suche nach dem vermuteten Versammmlungsort der Juden am Sabbat, trafen sie vor den Toren der Stadt Philippi am Brunnen auf eine Gruppe Frauen. Wie sich herausstellte, waren sie die jüdische Gemeinde und Paulus fing an mit ihnen zu reden. Lydia, eine gottesfürchtige Frau jüdischen Glaubens und gut betuchte Purpurhändlerin gefielen die Worte der guten Nachricht und sie liess sich davon berühren. Und so liess sie sich mit ihrem ganzen Haus taufen. Das war ja zunächst ein recht erfolgreicher Start der Mission. Aber dann fingen die Probleme mit den Behörden an.
Angeblich hätten Paulus und Silas die Menschen aufgewiegelt, weil sie eine neue jüdische Lehre vertraten, die angeblich die guten Sitten verdarb. Das war aber nur ein vorgeschobener Grund. Paulus und Silas hatten nämlich einigen reichen Männern ihr lukratives Geschäft verdorben. Diese verdienten ziemlich viel Geld mit der Krankheit einer Frau, einer Magd oder Sklavin, die von einem Wahrsagegeist geplagt wurde. Und ihre Besitzer verdienten auch viel Geld mit den Sehnsüchten und des naiven Wunderglaubens der Menschen, die diese Frau mit ihrem Geist bedienten musste.
Nun also heilten Paulus und Silas diese Frau, die endlich wieder zu sich selbst finden konnte und die nicht mehr durch eine magische, dämonische Kraft fremdbestimmt wurde.
Kein Wahrsagegeist - kein Geld. Das war natürlich unerhört. Es kam, was kommen musste. Die Staatsmacht schritt ein und unter falscher Anschuldigung landeten die Beiden im Hochsicherheitstrakt,
nicht ohne vorher einer Spezialbehandlung durch die Sicherheitskräfte unterzogen worden zu sein.
Wer Kapitalismuskritik übt und den „Terror der Rentabilität“ ( Predigtstudien, Perikopenreihe IV; 2005/2006,1. Halbband, S.269) anprangert, muss mit Druck und Gegenmassnahmen rechnen. Wer lässt sich schon gern ein profitables Geschäft kaputtmachen. Das war offensichtlich schon immer so.
Hier setzt nun unser Predigttext ein.
Da lagen sie nun geschunden und entwürdigt am sichersten Ort des Gefängnisses und ich wage zu bezweifeln, dass sie wirklich in der Lage gewesen wären zu flüchten nach der Sonderbehandlung.
Und jetzt geschieht das vollkommen Unerwartete, und zwar in jeder Hinsicht. In dieser schier aussichtslosen Situation beten Paulus und Silas und singen Gott Loblieder. Ein mitternächtliches Beben sprengt nicht nur ihre Ketten und Türen, sondern die Ketten und Türen aller Gefangenen und keiner geht. Mehr als seltsam.
Gesunder Menschenverstand oder allein schon der menschliche Überlebenswille sollte den Reflex zur Flucht auslösen. Ich will gar nicht über solche „Wunder“ spekulieren oder sie gar versuchen zu erklären und noch weniger kann ich den historischen Sachverhalt oder Richtigkeit nachprüfen. Ich könnte es mir und Ihnen leicht machen und diese Geschichte ins Reich der Legenden einsortieren, die mit uns nichts zu tun haben. Wir leben nicht mehr in einer magischen Welt, wo wir einfach Stossgebete zum Himmel schicken und ein donnerndes „Ein feste Burg ist unser Gott“ schmettern und alle Probleme sind gelöst. Übrigens ein Muster, wie wir es oft in evangelikalen Kreisen erleben. Ist dann die Erfüllung nicht eingetreten, haben die Betenden nur nicht ernsthaft genug gefleht.
Nein, Gott ist nicht der Erfüllungsautomat unserer Wünsche.
Warum also ausgerechnet diese Geschichte von Paulus und Silas zum Sonntag Kantate?
Beim genauen Hinsehen ist die Vorgeschichte der oben genannten Loblieder und Hymnen und auch die unseres Textes die gleiche. Alle sind entstanden in tiefster seelischer oder körperliche Not und Ausweglosigkeit.
Bei Hannah war es die jahrelange Schmach der Kinderlosigkeit. Sie hatte schon fast schon keine Worte mehr und murmelte ihre Stossgebete nur noch zum Himmel, sodass ihr Ehemann sie für betrunken hielt. Dann kam endlich die ersehnte Schwangerschaft und Geburt des kleinen Samuel.
Miriam sang ihr Loblied aus Dankbarkeit, weil Gott das Flehen seines Volkes erhört hatte und er es aus der Sklaverei befreite und den Sieg über die ehemaligen Unterdrücker errungen hat.
Marias berühmtes Magnifikat lobt Gott für seine Zuwendung zu den Schwachen und Entrechteten, zu denen, die keine eigene Stimme mehr haben. Eine Erfahrung, dass sie als blutjunges, schwangeres Mädchen vom Lande am eigenen Leib oft genug erfahren musste.
Und dem alten Simeon wurden seine allergrösste Hoffnung und sein tiefster Wunsch erfüllt. Bevor er starb, konnte er noch Jesus, den erhofften Retter kennenlernen. Auch da war inständiges Bitten und Flehen vorausgegangen.
Eine weitere Gemeinsamkeit mag gewesen sein, dass alle sich ihr Leben anders vorgestellt hatten. Hier waren Lebenslinien gebrochen und schweres Schicksal zu ertragen. Das war bei Hanna, Miriam, Maria und Simeon so und auch bei Paulus und Silas.
Als nichts mehr ging und nichts mehr blieb als das nackte Überleben, hielten sie sich an ihren Glauben an den barmherzigen Gott und sangen seine Lieder.
Wenn nichts mehr geht, welche Lieder werden wir dann singen?
Keiner kann uns versprechen, dass wir im Leben vor schweren Schicksalsschlägen bewahrt bleiben. Manche können davon im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied, ein Klagelied, singen. Aber immer erleben wir auch, dass Menschen gerade in den schwierigen Lebenssituationen das Beten und Loben nicht vergessen, ja das es ihre einzige Hoffnung ist, an die sie sich halten können.
Ich denke da an Dietrich Bonhoeffer, der aus dem Tegeler Gefängnis sein wunderbares Gedicht voller Trost und Zuversicht geschrieben hat:
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost,
was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend uns am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag. EG 65,7
Ich erinnere mich an die letzten Tage meines Vaters, der nach kurzer, schwerer Krankheit erleben musste, dass es keinen Weg zurück mehr ins Leben gab. Im Nachdenken über seine Beerdigung, über den Bibelvers und die Lieder, die gesungen werden sollten, suchte er nur Loblieder, hauptsächlich von Paul Gerhardt, aus. Mit der Biographie Gerhardts, die ebenfalls keine leichte war, hatte er sich während seiner Krankheit besonders beschäftigt. Und auch sein Kirchengesangbuch war seine wichtigste Quelle des Trostes und der Zuversicht.
Auf meinen Einwand hin, dass eine Beerdigung nicht der richtige Anlass für solche Lieder wäre wegen der Pietät, (was werden wohl die anderen denken?) antwortete er ganz gelassen: „Das ist aber meine tiefste Überzeugung. Ich bin im Leben so reich beschenkt worden. Und ausserdem weiss ich, wohin ich gehe. Das ist meine Weise, danke für alles zu sagen.“
Er zählte dann auf, was ihm wichtigsten war. Er konnte die Frau heiraten, die er über alles liebte. Mein Bruder und ich waren seine Schätze. Und auch den erfolgreichen Aufbau seines Geschäftes empfand er als Segen und Geschenk.
Der Tod stand ihm schon ins Gesicht geschrieben und wir sangen noch wenige Stunden vor seinem irdischen Ende:
„ Geh aus mein Herz und suche Freud“, denn es war Anfang Juni und der Magnolienbaum vor seinem Fenster im Krankenhaus stand in voller Blüte.
Und ich kann Ihnen verraten, dass wir an seiner Beerdigung in der Tat nur Lob- und Danklieder gesungen haben. Wir hatten schon so viele Tränen vergossen, dass uns diese Lieder wie eine Befreiung aus dem Gefängnis unserer Trauer vorkamen. In der traurigsten und schwärzesten Situation leuchtete der Morgenglanz der Ewigkeit für einen Augenblick in unsere Gedanken. Und mein Vater hatte mit seiner Wahl der Lieder einen kleinen Lichtblick durch die Tränen verhangenen Schleier unserer Seelen geschickt.
Gebete und Lieder, können Ausdruck unserer Glaubenshaltung und Lebensüberzeugungen sein. Und selbst in allergrösstem Zweifel und allergrösster Not können sie Orientierung und Halt und geben. So hat es mein Vater für sich verstanden. Und vielleicht haben Paulus und Silas das in ihrer Gefängniszelle ähnlich empfunden. Als nichts mehr half, half nur noch Beten und Singen. Vielleicht haben sie die ihnen vertrauten Worte des Psalters gebetet und gesungen, das ist sehr wahrscheinlich, denn das war Tradition aus der sie kamen. In den Psalmen fällt oft beides oft zusammen, Flehen und Anklage und Lob und Dank. Sie beginnen meist mit den schwierigen Situationen und enden dann doch im Lobpreis. Dahinter steht die Erfahrung, dass Gott gerade in den schwierigen Situationen des Lebens den Menschen nahe ist. Und manchmal öffnet sich gerade im Loben und Danken unser kleiner Horizont und wir erleben die Befreiung zu neuen Erfahrungen- Gotteserfahrungen.
Zum Schluss möchte ich aus dem Psalter, dem Gebet- und Liederbuch unserer jüdischen Geschwister, Psalm 13 lesen. Er ist in der Lutherbibel überschreiben:“ Hilferuf eines Angefochtenen“. Der letzte Vers war übrigens sein Konfirmationsspruch sowie der Predigttext für die Beerdigung, der auch auf seinem Grabstein steht. Und er passt ausgezeichnet zum Sonntag Kantate:
1 Ein Psalm Davids, vorzusingen.
2HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen?
Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?
3Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele / und mich ängsten in meinem Herzen täglich?
Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben?
4Schaue doch und erhöre mich, HERR, mein Gott!
Erleuchte meine Augen, dass ich nicht im Tode entschlafe,
5dass nicht mein Feind sich rühme, er sei meiner mächtig geworden,
und meine Widersacher sich freuen, dass ich wanke.
6Ich aber traue darauf, dass du so gnädig bist; /
mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst.
Ich will dem HERRN singen, dass er so wohl an mir tut.
„Ich will dem Herrn singen, dass er so wohl an mir tut“.
Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir in dieses Loblied voller Überzeugung einstimmen können.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unser menschlicher Verstand, bewahre unsere Herzen und Gedanken in Christus Jesus. Amen
Quellen: Predigtstudien, Perikopenreihe IV; 2005/2006, 1.Halbband;
Evangelisches Gesangbuch
Perikope