Predigt zu Apostelgeschichte 17,22-31 von Eugen Manser
17,22-31

Predigt zu Apostelgeschichte 17,22-31 von Eugen Manser

Liebe Schwestern und Brüder,

fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in IHM leben, weben und sind wir.

Ein ungeborenes Zwillingspärchen unterhält sich im Bauch der Mutter:

"Sag mal, glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?"

"Ja, auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden groß und stark für das, was draußen an der frischen Luft kommen wird."

"Ich glaube, das hast du eben erfunden! Es kann kein Leben nach der Geburt geben- und wie soll denn 'frische Luft' bitte schön aussehen?"

"So ganz genau weiß ich das auch nicht. Aber es wird sicher viel heller sein als hier. Und vielleicht werden wir herumgehen können und mit dem Mund tolle Sachen essen?"

"So einen Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört! Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee. Es gibt doch die Nabelschnur, die uns nährt. Und wie willst du herumgehen? Dafür ist doch die Nabelschnur viel zu kurz."

"Doch, das geht ganz bestimmt. Es wird eben nur alles ein bißchen anders sein."

"Du träumst wohl! Es ist doch noch nie einer zurückgekommen von 'nach der Geburt'. Mit der Geburt ist das Leben einfach zu Ende! Punktum!"

"Ich gebe ja zu, daß keiner genau weiß, wie das Leben 'nach der Geburt' aussehen wird. Aber ich weiß, daß wir dann unsere Mutter sehen werden und sie wird sicher für uns sorgen."

"Mutter??? Du glaubst doch wohl nicht an eine Mutter? Wo soll denn DIE nun sein, bitteschön?!"

"Na hier - überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie.
Ohne sie könnten wir gar nicht sein!"


"So ein Blödsinn! Von einer Mutter habe ICH noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht! Schluß damit!"

"Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du SIE leise singen hören.
Oder spüren, wenn SIE unsere Welt ganz sanft und liebevoll streichelt..."


Zwillinge im Bauch ihrer Mutter. Die Fruchtblase ist ihre Welt. Gut haben sie es da. ‚Es wird immer so bleiben’, denkt die eine. ‚Es wird noch etwas viel Schöneres kommen’, glaubt die andere. Die Geburt wird ihnen beiden nicht erspart. Die eine wird schauen, was sie geglaubt hat, die andere wird staunen. Aber beide werden geboren ins neue Leben!

Wir leben also im Mutterschoß Gottes. Und unser Problem ist nicht, dass er uns zu fern ist, sondern zu nah, zu selbstverständlich. So selbstverständlich wie in einer alten Ehe, wo der Mann auch mal aus Versehen seine Frau am Autobahnrastplatz vergessen und stehen lassen kann. Wo der Ältere im Gleichnis vom verlorenen Sohn sich beim Vater beklagen kann: „Mir hast du nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre!“ Und der Vater ihn erinnern muss: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.“

Bekomme ich das hin? Gott mir einmal nicht vorzustellen als das große GEGENÜBER, von dem Gutes und Böses kommen – „schenkst das Leben, schenkst den Tod…“, „Ist auch ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tue?“, also nicht als lohnenden und strafenden Vater; sondern ihn mir einmal vorzustellen als Mutter, die die Schöpfung in sich trägt?

Was da auch heranwächst an Glaubenden und Zweifelnden, an Guten und Bösen, an Engagierten und Gleichgültigen- geboren werden sie einmal alle als Kinder mit dem genetischen Erbe ihrer Mutter, Gott.

Eine erste solche Geburt hat es schon gegeben, die geschah zu Ostern.

Der, dem sie geschah, der lebte auch so selbstverständlich in Gottes Mutterschoß. „Sehet die Vögel unter dem Himmel…, sehet die Lilien auf dem Feld…seht, in welchem Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Schöpfung sie leben! Ihr könnt zu Gott ‚Abba’, Väterchen, sagen. Er wohnt ganz nahe hinterm Zaun.“

Gott ist uns nahe wie die Luft zum Atmen, wie das Wasser zum Trinken, wie das Brot zum Essen.                                                                                         Mein Leben ein Wachsen und Werden in Gottes Mutterschoß.

Und mein Sterben? Mein Sterben ist meine Geburt als Kind Gottes.

Dieses schöne Bild vom Leben im Mutterschoß Gottes – man möchte es immer vor Augen haben –  dieses Bild wird immer wieder bis zur Unkenntlichkeit verdunkelt durch die Schmerzen und das Leiden in dieser Welt, also im „Mutterschoß“ Gottes. Georg Büchner sagt es so: „Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz: Nur der Verstand kann Gott beweisen. Das Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es: Warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes…macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten.“

Der Schmerz in der Welt lässt nicht nur zweifeln an der Güte Gottes, sondern an seinem Dasein.

Deshalb wollen wir heute nicht nur das Bild von den Menschen im Mutterschoß Gottes mit nach Hause nehmen, sondern auch das andere, das zum Zentralbild der Christen geworden ist: Das Bild vom Schmerzensmann am Kreuz, von Gott in der Gottverlassenheit. Gerade diesen hat Gott von den Toten auferweckt.

So können wir doch auf seine Güte vertrauen, darauf, dass wir von einem mütterlichen Gott umgeben sind auch im Schmerz.

Denn in ihm leben weben und sind wir.

Amen.

 

Das Gespräch der Zwillinge im Bauch der Mutter habe ich im Internet gefunden. Der Verfasser ist mir unbekannt.

Das Zitat von G.Büchner stammt aus „Dantons Tod“.