Predigt zu Apostelgeschichte 9,43;10,21-35 von Heinrich Braunschweiger
9,43;10,21-35

Liebe Gemeinde!

Die Kirchen haben zur Zeit keine besonders gute Presse. Von uns Protestanten hört man eh nicht viel. Und die deutschen Katholiken mussten  im vergangenen Jahr vor allem so manch Seltsames über ihren Limburger Bischof  in den Zeitungen lesen.
Aber ein Ereignis wurde fast durchweg positiv kommentiert, und das ist die Wahl des neuen Papstes, der sich den Namen Franziskus gegeben hat. Auch mich hat das elektrisiert und lässt mich für die Christenheit hoffen.
Obwohl der Papst ja nicht mein Chef ist.
Aber durch sein bescheidenes Auftreten hat er auch bei Nichtkatholiken Sympathien geweckt und aufhorchen lassen durch das, was er bisher gesagt und geschrieben hat.

Offensichtlich auch bei solchen, die mit Religion eigentlich gar nichts am Hut haben. So las ich neulich in einer Tageszeitung von einem Altgewerkschaftler aus Mailand, der einem Reporter sein Leid klagte:
„Seit Jahrzehnten ist er aktiv, immer bei den Linken. Ganz früher war er bei der glorreichen Kommunistischen Partei Italiens eingeschrieben, dann machte er unter leisem Murren den Wandel mit, die Wende erst zu den Linksdemokraten, die Gründung der Partito Democratico. Doch letztes Jahr war Schluss, „ich habe den Mitgliedsausweis nicht erneuer“t, erzählt er mit finsterem Gesicht, „links ist bei denen ja gar nichts mehr“, doch sofort hellen sich seine Züge auf. „Dafür trete ich jetzt in die katholische Kirche ein, auch wenn ich total ungläubig bin – unter Franziskus wird das ja ein richtig linker Verein!“

Das ist jetzt keine Werbung für die katholische Kirche, liebe Gemeinde, aber eine Werbung für das Evangelium unseres Herrn und Meisters Jesus Christus. Der ist zwar weder links noch rechts. Aber er nimmt Partei für die Armen, für die Bedrückten, die Ausgeschlossenen. „Die Gewaltigen stürzt er vom Thron und erhöht die Niedrigen“, singt deshalb Maria, noch bevor sie seine Mutter wird.
Und Franziskus, der neue Papst, steht genau in dieser Tradition, wenn er in seinem apostolischen Schreiben den gnadenlosen Kapitalismus, die Gesellschaft der Ausschließung geißelt und schreibt: „Die Ausgeschlossenen sind nicht mal nur ‚Ausgebeutete‘, sondern ‚Müll‘, ‚Abfall‘.“
Wie gesagt, ich werbe nicht für die katholische Kirche, sondern fürs Evangelium.
Und man darf gespannt sein, was Franziskus in Zukunft noch zu uns Protestanten zu sagen hat, die ja bisher auch in gewisser Weise Ausgeschlossene sind, jedenfalls ausgeschlossen von der Abendmahlsgemeinschaft.

Aber hören wir nun auf diesem Hintergrund, was uns der heutige Predigttext aus der Apostelgeschichte zu sagen hat. In der Schriftlesung haben wir schon die Vorgeschichte gehört, von Kornelius, der einige Abgesandte zu Petrus schickt. Nun heißt es weiter:

Da stieg Petrus hinab zu den Männern und sprach: Siehe, ich bin’s, den ihr sucht: warum seid ihr hier?
Die aber sprachen: Der Hauptmann Kornelius, ein frommer und gottesfürchtiger Mann mit gutem Ruf beim ganzen Volk der Juden, hat Befehl empfangen von einem heiligen Engel, dass er dich sollte holen lassen in sein Haus und hören, was du zu sagen hast.
Da rief er sie herein und beherbergte sie.

Des anderen Tages machte er sich auf und zog aus mit ihnen, und etliche Brüder von Joppe gingen mit ihm.
Und des anderen Tages kam er nach Cäsarea. Kornelius aber wartete auf sie und hatte zusammengerufen seine Verwandten und nächsten Freunde.
Und als Petrus hineinkam, ging ihm Kornelius entgegen und fiel zu seinen Füßen nieder und betete ihn an.
Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Stehe auf, ich bin auch nur ein Mensch.

Und indem er mit ihm sprach, ging er hinein und fand ihrer viele, die zusammengekommen waren.
Und er sprach zu ihnen: Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen; aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll.
Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich geholt wurde. So frage ich euch nun, warum ihr mich habt holen lassen.
Kornelius sprach: Vor vier Tagen um diese Zeit betete ich um die neunte Stunde in meinem Hause. Und siehe, da stand ein Mann vor mir in einem leuchtenden Gewand und sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott. So sende nun nach Joppe und lass herrufen Simon mit dem Beinamen Petrus, der zu Gast ist im Hause des Gerbers Simon am Meer. Da sandte ich sofort zu dir; und du hast recht getan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist.
Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott keinen Günstling kennt; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt, der ist ihm willkommen.

Liebe Gemeinde!

Um die Überwindung von Grenzen, von Ausschließung, von Apartheit geht es in diesem Text. Der Autor ist Lukas. Er ist der Sozialkritiker unter den Evangelisten. Und er erzählt  ja auch die nur scheinbar so idyllische Weihnachtsgeschichte: Von den in der damalige Gesellschaft ganz unten rangierenden Hirten auf den Feldern, denen der Engel als erste die frohe Botschaft von der Geburt des Kindes verkündet. In einem Viehstall kommt der von Gott gesandte Heiland, der Retter, zur Welt. Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge, heißt es bei Lukas.
Gottes Geist, Gott selbst, überwindet die von unserer Seite nicht zu überschreitende Grenze aus der Ewigkeit in die Zeit, er nimmt Wohnung in diesem Menschenkind – und wird ausgeschlossen. Er wird ortlos, im griechischen Text heißt das: Er hatte ouk topos, keinen Topos in der Herberge: Gott wird u-topisch.
Er kam in sein Eigentum, heißt es bei Johannes, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Und ihm blieben nichts als die Krippe und das Kreuz.
Gott, wenn er kommt, erleidet das radikale Geschick des Ausgeschlossenen. Gott wird zur Utopie.

Jener Italiener, der, wie er sagt, total ungläubig ist, will offensichtlich die Utopie nicht aufgeben, dass diese Welt eine bessere, eine gerechtere, eine menschenwürdigere wird.
D.h., wenn man es recht bedenkt, er will, obwohl Atheist, nicht von Gott lassen, der ja für all das steht, wonach auch wir uns sehnen: Frieden, Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe.

Nehmen wir einmal an, liebe Gemeinde, dieser ehemalige Kommunist ist nicht nur politisch links gewickelt, will also nicht nur gerechtere Verhältnisse in seinem Land, sondern ist selber ein aufrechter Mann, der versucht, seinen Mitmenschen gerecht zu werden.
Dann ist auch er, davon bin ich überzeugt, Gott willkommen.
Dann hat er etwas von diesem Kornelius aus unserer Geschichte an sich. Auch der will ja in die Kirche eintreten, lässt deshalb den Petrus holen.
Und offensichtlich ist auch Kornelius zuvor ein  Atheist geworden. Er hat nämlich den heidnischen Göttern den Abschied gegeben. Er war also ein aufrechter, ein frommer Atheist.

Dazu muss man wissen: Die ersten Christen wurden ja  im römischen Reich „atheoi“ genannt,  Atheisten also, weil sie nicht den Göttern opferten, z.B. nicht dem Gott Pluto, der für Reichtum und Wohlstand zuständig war, oder der großen Mutter Kybele, von der Fruchtbarkeit und Wachstum erbeten wurde. Oder Mars, dem Kriegsgott.
Übrigens: diese heidnische Welt ist nicht untergegangen, liebe Freunde, sie ist sehr lebendig. Und die Menschen opfern diesen Göttern nach wie vor. Und behaupten dann, sie seien nicht religiös.
O heilige Einfalt! Nur weil diese Götter keine Namen mehr tragen, glauben wir, diese Götterwelt sei nicht mehr existent. Höchst lebendig ist sie, liebe Gemeinde, höchst virulent! Und die Menschen opfern und opfern. Und dabei werden Millionen zu Opfern. Das sind die Folgen von heidnischer Religion, des Mammonismus vor allem.

Zurück zu unserer Geschichte, die eigentlich weniger eine Kornelius- als eine Petrusgeschichte ist.
Denn es geht ja in der Apostelgeschichte um das Gestaltwerden der Kirche.
Und Petrus steht für die Kirche als Ganze. Petrus heißt übersetzt „Fels“. Meistens macht aber dieser Felsenmann in den Evangelien keine besonders gute Figur. Als Jesus ankündigt, dass er leiden muss, um seinen Auftrag zu erfüllen, da will Petrus ihn davon abbringen. Als Jesus den Jüngern zum Zeichen seines Dienens die Füße waschen will, wehrt sich Petrus wieder.
 In Gethsemane, als Jesus in Ängsten ist und die Unterstützung seiner Freunde bräuchte, da schläft er. Und im Hof des Hohepriesters verrät er seinen Meister, dem er doch Gefolgschaft bis in den Tod geschworen hatte: „Ich kenne diesen Menschen nicht“, war seine Antwort, als er nach Jesus gefragt wurde.

Petrus liegt fast immer ziemlich zielsicher daneben. Und gerade so symbolisiert und repräsentiert er die Verfassung der Kirche, die Schwierigkeit und Schwerfälligkeit kirchlicher Prozesse. Darin spiegelt sich die tiefe Glaubenserfahrung, dass die Gemeinschaft der Glaubenden als Ganze stets fehlbar, irrend und geistbedürftig ist.
Und nun also hat ihm der Geist Gottes heimgeleuchtet, hat ihm sozusagen einen visionären Tritt gegeben, damit er in Bewegung kommt und den Grenzübertritt schafft: vom Judentum zum Heidentum, zur Heidenmission.
Er muss lernen umzusetzen in die Praxis, was seinem Urvater Abraham schon verheißen war: dass in ihm alle Geschlechter der Erde gesegnet sind.
Dass in Jesus, dem Messias Israels, diese Verheißung wahr wird. Dass sich nun der Segensstrom in alle Welt ergießen soll.
Dass in Christus alle Mauern, die Menschen gegeneinander aufgerichtet haben, abgetragen sind, die zwischen Rassen und Klassen, zwischen Völkern und Geschlechtern: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt in Christus Jesus“, so Paulus in seinem Brief an die Galater.

Übrigens wirft Paulus in selbigem Brief dem Petrus vor, er sei kein Fels in der Brandung, sondern wie ein Fähnchen im Winde.
 In Cäsarea habe er doch mit den Heiden an einem Tisch gesessen und mit ihnen als Jude gegessen, auch noch in Antiochien habe er kein Problem gehabt, mit Heiden zu verkehren und mit ihnen zu essen. Aber als einige  jüdische Hardliner aus Jerusalem gekommen seien, habe er sich zurückgezogen und abgesondert;
 etwas salopp gesagt, als es brenzlig wurde und er sich hätte zu seiner neuen geistlichen Erkenntnis bekennen müssen, habe er quasi den Schwanz eingezogen.
Das ist Petrus, liebe Gemeinde, und so agiert die Kirche und agieren Glaubensgemeinschaften  immer wieder. Dass sie sich abkapseln, sich einigeln in ihrem scheinbar so frommen Mief,
dass sie behaupten, die allein seligmachende Wahrheit zu besitzen,
dass sie anderen den rechten Glauben absprechen.             Wie lange hat es doch gedauert, bis Katholiken und Protestanten einander akzeptierten!
Lange galten die anderen bei uns im Schwäbischen noch als die Wüstgläubigen. Und einen oder eine mit dem  jeweils anderen Gesangbuch zu heiraten, konnte bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts noch zu Familientragödien führen.

Diese Zeit ist, soweit ich sehe, Gott-seid-Dank bei uns vorbei. Wenn auch die Einladung zum Abendmahl von katholischer Seite noch aussteht. Warten wir mal ab, was hier noch vom neuen Papst zu erwarten ist.
Von beiden Seiten hat man übrigens immer wieder mit Humor auf die gegenseitige Ausschließung reagiert.

Von protestantischer Seite z.B. mit der Geschichte vom Papst, der gestorben ist und ans Himmelstor kommt; doch es ist verschlossen. Aber kein Problem. Der Papst als Stellvertreter Christi hat ja die Himmelsschlüssel. Er probiert den einen, er probiert den anderen. Keiner passt. Da klopft er wütend ans Himmelstor. Nach einiger Zeit öffnet sich ein kleines Fenster, und der Pförtner schaut nach, wer da ist. Ach, der Papst, sagt er. Und dieser schon etwas aufgebracht:Warum passen denn meine Schlüssel nicht?“ „ Ja, weißt du“, sagt da der Pförtner, „als damals Luther hochkam, da hat er gleich alle Schlösser auswechseln lassen.
Liebe Gemeinde,
wenn sich Glaubensgemeinschaften abschließen, werden sie zu Sekten. Und da ist auch der Geist Gottes ausgeschlossen. Und es herrschen fremde, meistens diktatorische Geister, die behaupten, sie hätten die Schlüssel zum Himmel in der Hand.
Gott sei Dank verfügt da oben ein anderer über die Schlüssel des Himmelreiches.
In der Offenbarung des Johannes sagt Christus:
„Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“

Und Jesus, der Nachkomme Abrahams, durch den der Segensstrom zu allen Menschenkindern fließt, dieser Jesus hat auch die Schlüssel zu den Menschen anderer Religionen, auch zu denen, die glauben, absolut ungläubig zu sein, wie zu jenem Altkommunisten aus Italien.
Der hatte zwar keine Engelsvision wie Kornelius, aber die Vision einer besseren, einer gerechteren  Welt.

Und „Gott kennt keine Günstlinge, sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt, ist Gott willkommen.“

 Gott fürchten, das heißt zuerst und zuvorderst, das 1. der  10 Gebote zu achten: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich von den Mächten dieser Welt befreit hat, du wirst keine anderen Götter neben mir haben.
Das heißt also den anonymen Götter dieser Welt den Abschied geben, die eine Welt der Ausschließung, der Apartheit schaffen, in der Millionen von Menschen zu Müll, zu Abfall erklärt werden, wie der Papst sagt.

Lasst uns deshalb in diesem Jahr immer wieder neu zu atheoi, zu Atheisten werden, die allein auf Gott, den Herrn vertrauen. So, liebe Gemeinde, geben wir Gott auch Raum in dieser Welt. So kann er Wohnung bei uns nehmen und bleibt nicht eine Utopie. Amen

Perikope
26.01.2014
9,43;10,21-35