Predigt zu Epheser 3,14-21 von Claudia Trauthig
3,14-21

Fürbitte des Apostels für die Gemeinde –

so lautet die Überschrift des heutigen Predigttextes in der Lutherbibel:

Paulus, oder vermutlich ein sich auf ihn beziehender Schüler, geht in die Knie - und betet: für die Christen in Ephesus.

Er tut das nicht im stillen Kämmerlein oder in einer der Hauskirchen jener Zeit.

Nein – er betet im Gefängnis: „in Ketten“ (Eph 6, 20).

Weder Schmerzen noch Angst lassen den Todeskandidaten seine fernen Brüder und Schwestern vergessen:

Fürbitte des Apostels für die Gemeinde –

Die acht Verse dieses Sonntags gewähren uns einen Blick in das Herz des Absenders: Lebendig, warm, durchblutet ganz von der Liebe Gottes, klammert es sich nicht an das eigene Leben, sondern betet für seine Geschwister im Herrn: im auferstandenen Herrn.

Hören wir die Verse aus dem Epheserbrief, Kapitel 3:

14Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater,
15der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden,
16dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen,
17dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.
18So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist,
19auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle.
20Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt,
21dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Ist das nicht ein wunderschönes Gebet, mit Worten, die funkeln und leuchten?

Ein Gebet, das Gott überschwänglich feiert und zugleich seiner Gemeinde selbstlos dient?

Wollen wir „mit allen Heiligen“, der Bewegung dieses Betens jetzt nachgehen?

Vielleicht geschieht, was auch dem Gefangenen geschah: die Ketten können uns nicht abhalten: von der Freude an Gott und dem Blick auf die anderen.

I. Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater…

Als Theresia an diesem Sonntag von der Kirche nach Hause kommt, kann sie es noch immer nicht fassen. So durcheinander ist sie, dass ihre berühmten Semmelknödel, von denen der Max immer drei nimmt, heute irgendwie nach Pappe schmecken.

Ist auch egal, denkt sie und überlässt die Tischgespräche der anderen sich selbst. Nur Emma, der Jüngsten, fällt etwas auf: „MamaOmi“ – wie man irgendwann beschloss, die Urgroßmutter zu nennen- „MamaOmi, bist du traurig?“  

Die Gespräche verstummen, die Blicke richten sich auf Theresia: Traurig? - Kann ja nicht sein - die Bäuerin vom Peternhof ist doch nicht „traurig“. Die hat ihre gottgeschenkte Fröhlichkeit und ihren Glauben: „Ich bin dann mal weg“, so sagt sie gelegentlich (wie bei diesem Buch vom Kerkeling). Dann pilgert sie nicht nach Santiago, sondern nur herüber in die St.-Annen-Kapelle - und ist nach einer halben Stunde schon wieder da.

„Die Kapelle wird zu gemacht.“, sagt sie jetzt, „Gottesdienste nur noch an Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Wir von heroben sollen sonntags „einfach“ in die moderne St.-Stephanus-Kirche im Tal. Da gibt es nämlich „Fußboden-Heizung“... Aber noch nicht einmal Kniebänke! In einer katholischen Kirche!! - Ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll.“

Während Emma Mamaomi besorgt streichelt, ist Max schon wieder praktisch: „Ist doch kein Problem- ich fahr dich runter und hol Dich hernach wieder ab.“ Auch Lisa, Emmas Mama, meint´s sicher gut: „Omi, das Knien, des is eh nix mehr für dich. Man kann auch im Sitzen beten!“

Aber überhaupt nicht dasselbe ist das, seufzt Theresia inwendig und schiebt den Teller weg. Im Sonntagsblatt war sogar ein Spruch vom Papst Johannes dem XXIII:

„Nie ist der Mensch größer – als wenn er kniet.“

II. …der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden…

„Greifen Sie spontan zu!“ -  hatte die Therapeutin mit aufmunterndem Lächeln gesagt und die farbenfrohen Karten einfach in die Mitte gelegt.

„Das sind LEBENSKARTEN… Suchen Sie sich Ihre Botschaft aus, bei der Sie spüren: Dieser Satz ist wichtig für mich. Der stärkt mein inneres Kind.“

Helmut hatte sich die REHA überhaupt nicht so vorgestellt.

Vieles von dem, was Frau Berg hier in der Gruppe erzählt, ist ihm fremd, eine ganz andere Welt: Mein “inneres Kind“?

Und doch spürt Helmut: Das tut mir gut. Dass ich mir Zeit nehme, über mich nachdenken kann.

Allmählich glaubt er sogar, dass er aus der Tretmühle aussteigen kann, die zu diesem furchtbaren Zusammenbruch, „Burn-Out“, geführt hat.

Im Einzelgespräch hat Helmut lang mit Frau Berg über seine Eltern gesprochen. Über die großen Erwartungen, die er als einziger Sohn und Ältester erfüllen sollte: „Junge, sei stark!

Das war so eine (gutgemeinte) Parole.  „Streng dich an… - dann kannst du alles erreichen!“

Eigentlich - hat Helmut auch alles erreicht. Nur die Ehe mit Petra… Petra hatte irgendwann kein Verständnis mehr für seine Verpflichtungen. Und obwohl ihm Petra das Allerwichtigste war, konnte er den Alltag nicht ändern…

In der Andacht am letzten Freitag hat die evangelische Pfarrerin hier, über eine „Jahreslosung“ gesprochen und darüber, dass die Bibel Gott immer wieder als Vater, Mutter beschreibt – ähnlich und doch ganz anders als die menschlichen Eltern. "Bedingungslose Liebe“ - das war Helmut hängen geblieben… „Gottes Söhne und Töchter müssen nicht stark sein. Bei unserem Vater im Himmel dürfen wir uns zeigen, wie wir sind: schwach und bedürftig.“

Mit den anderen 5 aus der Gruppe steht Helmut jetzt auf und greift sich die Karte, die ihn sofort angelacht hat: „Ich bin wertvoll“ steht darauf „…weil ich wertvoll bin.“

III.

16dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen,
17dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.
18So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist,
19auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle.

„Das hätt´s früher net gebe!“  

Verschmitzt lächelt die zierliche Frau mich an - und nimmt einen kräftigen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. Während auch ich Kaffee und den leckeren Aprikosenkuchen genieße, freue ich mich, dass heute so viele beim Seniorennachmittag sind und frage nach:

Was, bitte, hätte es früher nicht gegeben?

Ob sie den heutigen Programmpunkt, die Aprikosen im März oder gar eine Frau als Pfarrerin meint?

Na - das man so einfach nahockt, am hellichte Mittag, unter der Woch`und Kaffee trinkt…!

Da hätt´s gleich g´heißen: hatt die nix zum Schaffe?.... Und heut´ gibt´s sowas -  für mich! Noch dazu von der Kirch…!!“

IV.

Liebe Gemeinde!

Die alte Frau bei einem Stück Aprikosenkuchen am Seniorennachmittag.

Helmut, der eigentlich so erfolgreiche Bauingenieur

und die alte Bäuerin Theresia, deren Spur ich über das Internet fand…

Sie standen mir vor Augen, als ich jene Worte aus dem Herzen des Apostels, zu Herzen nahm…

Theresia - die nicht nur die Hände falten, sondern vor Gott in die Knie gehen will:

Beten betrifft den ganzen Menschen. Nicht nur Seele und Geist, sondern meinen Körper. Vielleicht betet es sich im Knien besser? Zumindest anders? Vielleicht sollte man es einfach mal herausfinden? 

Nicht zufällig ist, dass an den letzten zwei Sonntagen 24 junge Menschen aus unserer Gemeinde hier vor Gott in die Knie gingen.

Helmut – hat erst durch einen Zusammenbruch erkannt („mit allen Heiligen begriffen“), was es bedeutet, Kind Gottes zu sein…

Eltern geben meist das Beste – und machen doch Fehler. Gutgemeinte Parolen werden zu inneren Antreibern. Streng dich an, benimm dich, sei lieb, beeil dich… Mitunter bleibt der eigene Mensch da auf der Strecke. Der Mensch, den Gott gemeint hat – in dir und mir. Einmalig, unverwechselbar, zum Leben befreit. Spielräume des Himmels werden dann nicht mehr erkannt. Das darf nicht sein: Du bist wertvoll, weil Du (Gott) wertvoll bist.

Die ältere Frau beim Seniorennachmittag.

Dass sie immer hart gearbeitet hat, wusste ich. Die alten Eltinger mussten ja meist von klein auf anpacken: Haus und Hof, Mensch und Tier(e)…

Ich staune, wie der Seniorennachmittag ein kleines Wunder für sie ist: Ein Wunder für die Sinne:

Musik und Gesang,

Kaffee und Kuchen (manchmal Wein!), Worte für Seele und Geist,

freundliche Gesten

 und ein Gott, der einen einfach so beschenkt…:

20Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt,

21dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit!

Darum will auch ich schließen mit einem Lobpreis für ihn, nach einem Gebet von Anton Rotzetter…

Wie munteres Vogelzwitschern am Morgen
ist deine Liebe, Gott
Wie Kirchenglocken am Sonntag
ist deine Liebe, Gott
Wie gelöstes Singen bei einem Glas Wein
ist deine Liebe, Gott
Wie frisches Wasser an einem heißen Tag
ist deine Liebe, Gott
Wie ein Brief in einsamer Stunde
ist deine Liebe, Gott
Wie gutes Bauernbrot für leeren Magen
ist deine Liebe, Gott
Wie Freundlichkeit unter Fremden
ist deine Liebe Gott.
(…)
Wie ein Spaziergang in den ersten Frühlingstagen
ist deine Liebe, Gott
Wie eine zarte Hand nach schwerer Arbeit
ist deine Liebe, Gott
(…)
Wie Musik von Mozart
ist deine Liebe Gott
Wie Flügel des Himmels
ist deine Liebe Gott.

Amen. 

 

Perikope
08.05.2016
3,14-21