„So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit.
Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.
Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen.
Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen
und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.
Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi.“
(Lutherbibel 1984)
Ja, ja – der Lebenswandel guter Christen:
die Zeit nutzen für Sinnvolles
nach Gottes Willen fragen
Alkohol nur in Maßen
fromme Lieder singen äußerlich und innerlich „im Herzen“
dankbar sein
und sich einander (!) unterordnen …
Die Weisheit der Perikopenschneider (derer, die festgelegt haben, wo ein Predigttext anfängt und aufhört) hat es gefügt, dass weggelassen wurde, was jetzt erst folgt und so richtig interessant klingt:
„Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn.
Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist, die er als seinen Leib erlöst hat.
Aber wie nun die Gemeinde sich Christus unterordnet, so sollen sich auch die Frauen ihren Männern unterordnen in allen Dingen.
Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Gemeinde geliebt hat und hat sich selbst für sie dahingegeben, um sie zu heiligen.“ (VV 22 – 26).
An diesem Tonfall erkennt die Mehrheit der Bibelwissenschaftler, dass der Brief des ‚Paulus‘ an die Epheser in der Tradition des Paulus steht (oder stehen soll), keinesfalls aber von Paulus stammen kann. Es sei denn, derselbe Mann wäre im 1. Korinther- und im Römerbrief ein theologischer Revolutionär: „In Christus“ sind Frauen und Männer grundsätzlich gleichen Rechts! - und im Epheser- und Kolosserbrief ein konservativer Gemeindeleiter, ein patriarchales Kind seiner Zeit: Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter …!“
Nun ist diese Fortsetzung des Predigttextes ausgespart. Predigerin und Gemeinde brauchen sich nicht abzumühen mit schwierigen Ausführungen über das Patriarchat zur Zeit des Apostels und die kulturell und politisch bedingten Veränderungen im Geschlechterverhältnis in Deutschland seit ca. 50 Jahren.
Sollen wir stattdessen lieber über den Alkoholgebrauch und – missbrauch nachdenken? Immerhin ein schönes Wortspiel: Berauscht euch nicht am Weingeist, lasst euch lieber mit heiligem Geist abfüllen!
Liebe Gemeinde, ihr habt den Text des Apostels gehört, wie auch immer er heißt.
--
Was wäre noch zu sagen?
Vielleicht eine Frage: Was ist für dich oder euch oder Sie ein guter Ratschlag?
Ist es ein guter Ratschlag, wenn ein Mann zu seiner Frau sagt: „Nun nimm es dir doch nicht so zu Herzen!“ ?
Was sagt ein Mensch zu einem anderen eigentlich mit diesem Ratschlag? Er sagt: Dass du so betrübt bist, liegt ganz an dir selber. Du selber bist verantwortlich dafür. Nimm es dir einfach nicht so zu Herzen. Das darf doch nicht zu schwer sein!
Und lass mich mit dir und deiner Betrübnis in Ruhe.
Kein guter Ratschlag.
Was wäre für dich ein guter Ratschlag?
Haben Sie schon einmal in Ihrem Leben einen richtig guten, einen wichtigen, einen wegweisenden Ratschlag gehört?
Wenn ja: Von wem kam dieser Ratschlag? Wer war dieser Mensch für Sie? Und wie war er oder sie für dich?
Was war denn das Gute an dem Ratschlag?
Steckte viel Wissen in dem Ratschlag?
Oder war es viel Lebenserfahrung?
Oder lag die Qualität dieses Ratschlages gar nicht so sehr in dem, was dieser Mensch dir gesagt hat?
War es eher die Art und Weise, in der er dir einen Rat gab?
Wenn ja: Wie war denn die Art und Weise?
Eine Predigt ist leider ein Monolog … Darum kann ich meine Fragen jetzt nur selber beantworten. Und hoffe, dass du etwas damit anfangen kannst.
Ich habe selten gute Ratschläge in meinem Leben gehört. Sicher: Kleinere Tipps für kleine Alltagsfragen – das schon. Fahr doch nächstes Mal nicht unbedingt morgens um 8 Richtung Hamburger Elbtunnel. Da ist immer Verkehrsstau. So was in der Richtung. Ich bin selber ein Tipp – Geber. Fürchterlich. Ein Problemlöser. Männer denken: Probleme müssen gelöst werden. Frauen wissen: Die wichtigeren Probleme sind meistens nicht lösbar. Menschen müssen sie aushalten. Das Beste aus der Situation machen. Mit anderen darüber sprechen. Darum sprechen Frauen stundenlang über Probleme, während Männer das Handy zücken oder den Schraubenschlüssel holen. Aber das Leben ist anders.
Ich habe selten gute Ratschläge in meinem Leben gehört.
Führe dein Leben weise! sagt der Briefschreiber. Bitte, was heißt denn das? Das griechische Wort für „weise“ ist „sophos“. Philosophie kommt daher: Die Liebe zur Weisheit.
Führe dein Leben weise! Wenn mir das jemand sagte, käme es nur bei mir an, wenn der- oder diejenige glaubwürdig für mich wäre. Lebenserfahrung müsste er haben. Ich müsste an ihm oder ihr absehen können, was es bedeutet, das Leben nicht zu vermeiden, sondern wirklich zu leben!
Dann könnte vielleicht .. bei mir die Frage entstehen: Wie macht der das? Kann ich das auch?
Und dann könnte mir der Ratschlag zu Herzen gehen. Vielleicht.
Nutze die Zeit (kaufe die Zeit aus!). Carpe diem! Eine alte römische Lebensweisheit. Für sich genommen noch kein guter Ratschlag. Mit was soll ich denn den Tag verbringen, für welche Ziele die Zeit nutzen? „Kaufe die Zeit aus!“ könnte in Frankfurt auf dem Schreibtisch eines Bankenchefs stehen … aber das ist sicher nicht gemeint. Was aber dann?
Eine Warnung vor Müßiggang? Eine indirekte Ermunterung zur Erwerbsarbeit? Wer keine Arbeit hat, könnte sich darüber ärgern. .. Und wer eine hat – auch. Denn vielleicht wäre dieser Rat viel angemessener: Gönne dir Zeit für Müßiggang. Lass doch einmal Zeit vergehen. Übe damit die Gelassenheit. Das Leben ist kurz. Ja. Aber warum sollte man darum in Stress geraten? So wird das Leben auch nicht länger, nicht intensiver, nicht schöner, nicht hoffnungsfroher..
Sauft euch nicht voll Wein … Wer Alkoholiker ist, weiß, dass solche Appelle wenig nützen. Abhängigkeit ist nicht mit Maßhalten zu lösen, sondern mit begleitetem Entzug.
Und wer kein Alkoholiker ist oder gerade wird … was soll der anfangen mit diesem Rat? Meine Empfehlung – aber ich bin ja kein Apostel – ist an alle Nicht – Alkoholiker eher: Ein guter Single Malt Whisky verleitet nicht zum „Saufen“ und rundet herrlich den Tag ab. Gott sei’s gedankt!
Ja, Gott danken mit Liedern im Herzen. Sich erfüllen lassen vom Heiligen Spiritus. Das ist ein guter Rat. Ich nehme ihn gern von einem, der mit mir nach dem Abendgebet noch einen Whisky teilt …
Im Laufe von 2000 Jahren Christentum haben die moralischen Tipps und Regeln der Bibel nicht immer zum Besten gedient. Leider oft eher im Gegenteil. Ein Heer von Philosophen und Psychologen hat Argumente gesammelt gegen ein lebensverkümmertes Christentum. Die Leute haben einfach keine Lust mehr auf dieses Mittelmaß – Christentum.
Und alles war ein Missverständnis. Wir sollen Paulus und alle die anderen nämlich nicht als Ratschläge für unser Leben lesen. Wir können aber mit ihnen in ein ernsthaftes Gespräch eintreten. Wir sollen nicht wiederholen und gebetsmühlenartig und unbedacht an andere weitergeben, was wir selbst kaum leben. Wir sollen aber fragen und mit einander darüber streiten, was denn zum vollen Menschsein im Sinne Jesu dazugehört. Vom Alkohol und der Sexualität bis zum Umgang mit Geld. Vom Gebetsleben bis zum politisch wirksamen Engagement.
Wir sprechen nicht – mit dem echten Paulus – vom Gott am Kreuz, vom gekreuzigten Christus, um dann etwas Lebensmoralin daraus zu saugen.
Und wer fähig sein soll, sich einander unterzuordnen, der muss erst einmal selbstbewusst wissen, wer er oder sie selber ist!
Auf einer Fortbildung hörte ich den Unterschied von englisch „importance“ – deutsch: wichtig sein (wollen) – und „to be essential“ – deutsch mit Goethe: „Mensch, werde wesentlich!“. Die Frage war dann: Wissen wir, wie wesentlich wir sind?
Für andere. Für Gott. Für uns selbst. Einfach so.
Ich hielt diese Frage für einen guten Ratschlag und nahm sie mir zu Herzen. Amen.
Predigt zu Epheser 5,15–21 von Bernd Vogel
5,15-21
Perikope