Liebe Gemeinde,
wer sich so richtig in der Tretmühle fühlt, der wünscht sich doch nur eines: einmal richtig frei zu sein und ohne Termine, ohne Verpflichtungen, einfach in den Tag hineinzuleben. Und wer dann einmal richtig frei hat und nicht nur ein, zwei Tage, sondern drei, vier Wochen oder Monate, der sehnt sich schnell nach einer Ordnung und Struktur, nach einem Tagesablauf, der ihm Halt gibt.
Feste Gewohnheiten helfen uns, unseren Alltag zu bestehen, zu wissen, was wir tun, nachdem wir aufgestanden sind, was nach dem Frühstück folgt, was unsere Ziele sind an diesem Tag. Wenn wir unseren Alltag jeden Tag neu erfinden müssten, fiele uns das schwer.
Wer in den Ruhestand geht oder dort schon eine Weile ist, kennt das. Anfangs mag alles wie Urlaub sein, aber spätestens nach zwei Monaten braucht es neue Ziele und verlangen unser Tage nach einer Einteilung und Struktur.
Denn ohne eine solche Strukturierung unserer Tage fehlt uns die Orientierung und der Halt. Diese Gefahr sieht der Schreiber des Ephesusbriefes. Es geht ihm also nicht darum, den Alkohol oder andere Genüsse zu verbieten. Es geht ihm um die fehlende Orientierung, um eine drohende Haltlosigkeit. Denn das können wir aus eigener Beobachtung bestätigen: Menschen, die ganz abhängig sind von Alkohol, Tabletten, vielleicht auch von ihrer Arbeit, sind nur noch mit sich selbst beschäftigt. Ihre Tagesstruktur wird ihnen von ihrer Sucht diktiert. Ihre Freiheit haben sie verloren.
Diese Freiheit gilt es wiederzugewinnen.
Nur wie soll das gehen? Wo können wir lernen unseren Alltag zu strukturieren? Hier können wir die Schöpfungsgeschichte als ein Lernprogramm verstehen. Sie beschreibt einen Strukturierungsprozess und bekennt Gott als dessen steuernde Kraft. In sechs Tagen erschafft Gott seine Schöpfung und ordnet sie und verleiht ihr eine Struktur. Und im Übrigen verordnet er sich selbst den siebten Tag als Ruhetag, als Auszeit.
Wenn wir Menschen nach einer Ordnung unseres Alltags suchen, so machen wir etwas ganz ähnliches: wir strukturieren unsere Zeit, wir ordnen unsere Tage. Unsere Orientierungslosigkeit, unsere Tatenlosigkeit, unsere Einsamkeit würden uns sonst zerstören. Deshalb brauchen wir den Geist Gottes, der uns hilft unser Leben zu ordnen und es so vor der Zerstörung zu bewahren.
Der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, der seinem Leben nach einer unheilbaren Tumorerkrankung ein Ende setzte, beschreibt die letzte Zeit, die ihm die Krankheit noch ließ. Seine Texte tragen den Titel: Arbeit und Struktur. Arbeit und Struktur halfen ihm zwar nicht seine Krankheit zu besiegen, aber über seine schweren Tage hinweg zu kommen.
Unser Leben braucht Struktur. Jesus hat so Kranke geheilt, auch psychisch Kranke, dass er den Dämonen und bösen Geistern ihren Platz zuwies und so ihrem Leben eine Struktur und Ordnung gab. In Jesu Geist hat sich dann eine Kirche gebildet, die mit ihren Strukturen den Menschen zum Leben verhelfen möchte. Das Fest, das wir heute feiern, ist ein schönes Beispiel dafür: es bietet eine Struktur, einen Rahmen, in dem wir uns bewegen und einander begegnen können. Nun können wir den Rahmen füllen und miteinander reden und uns miteinander freuen. Beides muss zusammen kommen: eine sinnvolle Ordnung und Begegnungen, die diese Ordnung mit Leben erfüllen. Doch wie soll diese Ordnung und Struktur denn aussehen? Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen, lesen wir im Epheserbrief, macht euch Mut zum Leben und helft einander dazu, im Gegenüber zu Gott und eurem Mitmenschen zu leben. Verkriecht euch nicht, tretet aus euch heraus und aufeinander zu. Lasst euch vom Geist Gottes erfüllen!
Sucht also nach Ordnungen, die euer Leben sinnvoll machen, Ordnungen, die euch erlauben, eure Zeit zu gestalten und das Leben miteinander zu teilen.
An dem Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe haben wir dabei einen Anhalt. Diese Gebote helfen uns unser Leben zu ordnen. Diese Ordnung wird uns gut tun.
Wir werden uns dann nicht länger nur mit uns selbst beschäftigen. Wir werden frei sein und wir werden aufschauen können und hinschauen zu unserem Nächsten. Dann wird unser Lebensraum groß genug sein, damit andere neben uns und mit uns leben können und von unserer Zeit und unseren Gaben profitieren. Eine Ordnung und Struktur im Geiste Jesu wird so aussehen, dass der Schwache und Bedürftige neben uns seinen Platz erhält und findet.
Die vielen kriegerischen Auseinandersetzungen unserer Tage zerstören Ordnungen und Ordnungsstrukturen in gewaltigem Ausmaß. Zehntausende von Menschen hatten noch vor einigen Jahren eine sinnvolle Ordnung, in der sie lebten und ihren Alltag gestalten konnten: in Homs, in Aleppo und bis vor kurzem auch in Kobane.
Diese sinnvollen Strukturen hat der Krieg zerstört. Zu Zehntausenden sind diese Menschen geflohen und leben jetzt in Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon oder an der türkischen Grenze. Eine ganze Reihe von ihnen wird zu uns kommen. Dann sind wir gefragt, ob wir unsere Strukturen, unsere sinnvollen Ordnungen, die wir uns geschaffen haben, Alltagsstrukturen, aber auch gesellschaftliche Strukturen wie Rechtssicherheit oder unser Gesundheitswesen, teilen wollen, ob wir bereit sind, diesen Menschen zu helfen wieder eine Struktur für ihr Leben zu finden. Wir können dazu beitragen, dass diese Welt nicht im Chaos und in der Zerstörung versinkt, sondern dass Gottes gute Schöpfung weiter bestehen kann und in Gottes Geist jeden Tag neu erschaffen und erhalten werden kann. Amen