Predigt zu Galater 4,(1-3)4-7 von Bernd Vogel
4,1-7

Predigt zu Galater 4,(1-3)4-7 von Bernd Vogel

(4,1 Ich sage aber: Solange der Erbe unmündig ist, ist zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied, obwohl er Herr ist über alle Güter; sondern er untersteht Vormündern und Pflegern bis zu der Zeit, die der Vater bestimmt hat.
So auch wir: Als wir unmündig waren, waren wir in der Knechtschaft der Mächte der Welt.)


4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.
Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.


Weihnachten – ein Fest der Kinder. Glück den Kindern, den Eltern und Großeltern! Ein Glück für alle, die sich erinnern mögen an ihre eigene Kindheit. An die Anfänge. Als alles noch möglich schien und es Weihnachten nach einer großen Zukunft duftete.

Auch die rührseligen Weihnachtsgeschichten versetzen uns in die im Alltag oft versunkene Welt eines Kindertraumlandes. Dort ist der Arme reich. Dort kommt die Angst zur Ruhe. Und Traurigkeit wird zur Hintergrundfarbe für das Glück, die Nacht durchschritten zu haben. Auch die große Politik scheint für Stunden eingetaucht in Wunderlicht. In den Weihnachtsgottesdiensten bekommt der „Kaiser Augustus“ einen geheimnisvollen, fast göttlichen  Glanz. Dabei ist sein „Gebot“ der Befehl zur Steuerschätzung und Steuererhebung: Quirinius soll mehr Geld herauspressen aus der unterworfenen jüdischen Bevölkerung. Der Davidssohn Josef soll seinen durchschnittlichen Verdienst als Bauhandwerker hoch versteuern. Und so kommt der „Heiland“ zur Welt, der „Retter“, wie es im Griechischen wörtlich heißt, in einem Stall am alten Davidsort Bethlehem, was heißt „Brothaus“, Backhaus“. Der Retter in Windeln als Kontrastprogramm zum „Retter“ Tiberius, genannt „Augustus“, der „Erhabene“. Volle Windel gegen purpurne Toga, wehrloser Säugling gegen den mächtigen Imperator. Selbst der Geschichtenerzähler Lukas enthüllt hinter Hirtenromantik und Engelsgesang ein Weihnachten für Erwachsene.
 
Die Hirten auf dem Feld hören die Engel singen. Dann eilen und sehen sie. Ein Kind in Windeln. Und sie kapieren, was hier geschieht. Sie „preisen und loben Gott für alles, was sie gehört und gesehen haben“ (nach Lk 2,20). Und blieben doch Hirten. Und lebten ihren Alltag wie all die Jahre zuvor. Doch manchmal, in leichteren Stunden, oder nachts, wenn ihre Herde Ruhe gab, dann erinnerten sie sich des Engels und dieses Kindes. Und ihr eigenes Leben erschien ihnen plötzlich bedeutungsvoll und sinnfällig.  Und es leuchtete ihnen ein, dass Gott mit diesem Kind einen neuen Anfang gemacht hatte, der unwiderruflich war. Ein Kontrastprogramm zum Kaiser in Rom und ärgerlich sogar für die eigene Tempel – Herren in Jerusalem; denn dieser Anfang stellt jedes Herrschaftssystem infrage, politisch oder religiös.             

Von der Geburtsgeschichte des Lukas 30 Jahre zurück zu Paulus. Er kennt die Weihnachtsgeschichte des Lukas nicht. Er hat allerdings selbst Besonderes erlebt. Er drückt es so aus: Gott „offenbarte seinen Sohn in mir“ (Gal 1,16).

Gott „offenbarte“ seinen Sohn in mir. Den Hirten auf dem Feld spricht der Engel ins Herz. Paulus sagt selbstbewusst: Gott hat mir seinen Sohn gezeigt. In mir. .. Als ginge er schwanger mit dem Christus! ..

Wie ist das geschehen? Lukas wird später – ganz seine Art – in seiner Apostelgeschichte (Kp. 9) eine Geschichte erzählen. Die Geschichte des rasenden Christenverfolgers, der auf dem weg nach Damaskus zu Boden stürzt. Er hört eine Stimme: „Saul, warum verfolgst du mich?“  Danach sieht er drei Tage nichts mehr. Drei Tage blind und Fasten, vollständiger „Reset“: Zurück auf „Neustart“, Maschine runterfahren, warten, Maschine hochfahren, auf „updates“ warten, „bitte nicht abbrechen!“: Der Neustart dauert seine Zeit. Drei Tage eben. Wie von Karfreitag bis Ostersonntag. Es ist dunkel.

Heilige Nacht: Dunkel bis zur Finsternis, kein Engel sichtbar, geschweige denn Kinderkarussell und Glühwein.  Finster. Wie an Karfreitag.
Zieht den Stecker aus euren Gebrannte - Mandeln – Rührmaschinen! Haltet ein mit der ganzen schönen Weihnachtsfeierlichkeit! Wagt den Blick aus der Perspektive der Nachterfahrenen. Auf dass uns Gott seinen Sohn offenbare …

Achtet auf Weggefährten! - Nelson Mandela, diese Glücksgestalt des 20. Jahrhunderts, war vertraut mit der Finsternis. In all den Jahren im Gefängnis war er öfter nahe dran an der totalen Verzweiflung. Kein Licht zu sehen. Nur die wahnsinnige Versuchung, das alles abzubrechen, den Verfolgern zu entkommen durch den eigenen, den selbst fabrizierten Tod.

Mutter Teresa in Kalkutta. Jahrzehntelang Vorbild der Nächstenliebe und des Glaubens. Als vor ein paar Jahren ihre Tagebücher veröffentlicht wurden, erschraken ihre Leser(innen). So viel Nacht, ja Finsternis! Sie schrieb: In mir ist es finster, kein Gefühl von Gottes Nähe und Trost. Und machte doch weiter. Blieb bei den Kranken, den Sterbenden. Setzte darauf, dass hier doch irgendwie ihr Gott sei, wenn auch ungefühlt, selten glückselig machend. Es sei in der Liebe zwischen Mensch und Mensch. 
  
Bethlehems Hirten, die Verhafteten und Bedrängten heute, Nelson Mandela, Dietrich Bonhoeffer, Mutter Teresa … du und ich, Menschen, die wir kennen, um die wir uns sorgen … es ist in uns allen. Es ist uns bekannt, vertraut. Wir fürchten und meiden es. Wir verbergen uns gern vor ihm, stricken drum herum einen Mantel aus Licht und zauberhaften Gerüchen und guten Erinnerungen an glücklichere Zeiten. Muss wohl auch sein immer wieder. Wir sind ja so bedürftige Wesen. Und draußen ist es kalt.  - Paulus aber sagt:

Solange der Erbe unmündig ist, ist zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied, obwohl er Herr ist über alle Güter; sondern er untersteht Vormündern und Pflegern bis zu der Zeit, die der Vater bestimmt hat.
So auch wir: Als wir unmündig waren, waren wir in der Knechtschaft der Mächte der Welt.


Es nützt den „Erben“ ihr Erbe nichts, solange sie unmündig sind, wie Kinder. Erst wenn die „Erben“ von Gottes Versprechen (Verheißung) mündig, d.h. erwachsen werden, müssen die Vormünder ihnen das Erbe übergeben.
Der Haupt – „Vormund“ war für Paulus das „Gesetz“, die Weisung Gottes, die Tora. Ein Mensch des Glaubens tut, was im „Gesetz“ Gottes, in der „Tora“ steht. So einfach ist das: Tue nach der Tora – und du wirst gut leben! Das hat Paulus geglaubt. Danach hat er sich gerichtet. Ein halbes Leben lang.

Bis zu jener „Offenbarung“ des „Sohnes“ „in“ ihm. Licht aus. Dunkel. Licht an! Nun sieht Paulus das Leben in einem neuen Licht. Was ist geschehen? Und warum? War der alte Glaube etwa falsch? Ein Missverständnis! sagt er selbst. Aber es hat wohl etwas nicht mehr gestimmt. Jedenfalls für ihn selbst. Er war jedenfalls bereit und fähig, den „Sohn“ zu empfangen, den anderen Blick auf dasselbe Leben.  

Und so schreibt er an die Gemeinde in Galatien, was unser Weihnachtstext ist:

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.

Der Mensch Jesus, geboren von einer Frau –  von Jungfrauengeburt  weiß Paulus nichts ..- lebte „unter das Gesetz getan“ … w. h. d?

„Unter dem Gesetz leben“ – das meint hier nicht Gesetzesfrömmigkeit! Das ist nichts anderes als die Hirten auf dem Feld bei Bethlehem Tag für Tag erlebten oder die Verhafteten in Kiew oder anderswo oder Nelson Mandela oder du und ich und die, die wir lieben und für die wir Sorge tragen: Allesamt sind wir „unter das Gesetz“ getan, das lautet:
Diese Welt, dieses Leben ist wunderbar und schrecklich manchmal, ist leicht und oft schwer, ist so einfach zu verstehen und so schwer zu leben und umgekehrt; denn Licht folgt auf Finsternis und Nacht auf Tag. Gute Menschen treffen auf böse, Friedfertige auf Gewalttäter, Kaiser Augustus auf das Kind in der Krippe. Und ist beides auch noch in uns selber im Kampf. Aller Weihnachtszauber zaubert es nicht weg. So ist die Welt. So ist das Leben. So sind wir. Die „Mächte der Welt“ beeinflussen auch den Freiesten. Niemand entkommt dem unbegreiflichen Widerfahrnis, Schwäche, Krankheit, Schuld, Schmerz, Trauer und Tod.  Jede und jeder könnte nun zu erzählen anfangen vom eigenen Leben.  –
Jesus ist gesandt – von Gott – um mit uns, als einer von uns unter diesem „Gesetz“ zu leben, wie das Leben eben ist. Mit Bemühen ist da kein Entkommen. Und mit guten Taten nicht. Und mit Rechthaben erst Recht nicht. Und mit all den kleinen Fluchtstrategien nicht. Nicht zu Weihnachten und erst Recht nicht im sogenannten Alltag. Wir entkommen uns nicht. Wir entkommen nicht dem „Gesetz“ dieser Welt und dieses Lebens. Ob wir jüdisch oder christlich glauben oder gar nichts mehr … wir entkommen nicht dem „Gesetz“ des Lebens, in das wir gestellt sind. Aber wir sind nicht seine „Knechte“. In Gottes Namen sind wir mitten im Leben Erlöste.

Weihnachten könnte uns sein: Wir sind „erlöst“ vom Zwang, uns zu verbergen und das Leben zu scheuen. Wir sind befreit dazu, zu uns selbst und anderen „Ja“ zu sagen in einer unbezwingbaren Fröhlichkeit.
Wir sind dazu befähigt, erwachsen leben zu können. Wir sind nicht mehr unmündige Kinder, sondern Erben. Uns gängelt kein Gesetz mehr, nicht einmal das Gesetz Gottes. Kein Vormund sagt uns, was zu tun und was zu lassen ist.  Wir sind höchstgöttlich von dem Sohn zutiefst unten dazu befreit, uns selbst und unser Leben ganz und gar neu anzusehen und anzunehmen als Kinder Gottes und Erben von Gottes Zukunft. Was auch heißt: Wir werden verantwortlich. Frei – und verantwortlich. Mündig eben.

Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.
„Abba, lieber Vater“ ruft, wer nicht mehr dieses schöne schwere Leben flieht oder umdeutet oder noch schwerer macht durch allerlei Regeln, Vorurteile, Gewohnheiten, Süchte und Flüchte. Erlöst ist, wer dieses Leben annimmt und zu besonderen Zeiten ins Loben und Preisen fällt, glücklich ist oder wütend wird über Ungerechtigkeit und Dummheit.  Erlöst leben wir nicht ohne Hoffnung; denn Er ist mitten drin. Erlöst ist, wer in Frieden mit sich lebt und sich auch gönnt, ab und an „von der Rolle“ zu sein.  Erlöst ist, wer nicht skrupulös den Gesetzen unterworfen ist, was man so tut oder nicht tut,  sondern sich sein Gebot sagen lässt von Gottes Sohn. Riskant ist das,  aber alle Dinge sind möglich dem, der glaubt. Weihnachten – ein Fest für Erwachsene. (Amen.)