Predigt zu Galater 4,4-7 von Dörte Gebhard
4,4-7

Predigt zu Galater 4,4-7 von Dörte Gebhard

Liebe Gemeinde,

für die Galater hat Paulus alles Notwendige für die Weihnachtspredigt im 4. Kapitel seines Briefes geschrieben. Ich lese die wenigen Verse, die er der Geburt Jesu widmet:

4 Als sich aber die Zeit erfüllt hatte, sandte Gott seinen Sohn, zur Welt gebracht von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, 5 um die unter dem Gesetz freizukaufen, damit wir als Söhne und Töchter angenommen würden. 6 Weil ihr aber Söhne und Töchter seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, den Geist, der da ruft: Abba, Vater! 7 So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe - durch Gott.                                                                                                               (Gal 4, 4-7)

Für uns hat Paulus keineswegs alles Notwendige für die Weihnachtspredigt im 4. Kapitel seines Galaterbriefes geschrieben, daher wird bis heute im Sinne des Apostels weitergepredigt, auch über ihn hinaus. 
Ebenso wichtig ist, was wir alles unsererseits Paulus zu erzählen haben! Der Apostel der ersten Christen hatte wirklich keine Ahnung! Er konnte keinen blassen Schimmer haben.
Damit wir nicht alle laut und unverständlich durcheinanderreden, will ich versuchen, unsere Gedanken zu ordnen, die schon lang gedachten – und ein paar neue auch.

Paulus weiss von Jesu Geburt nur das blosse „dass“, nichts vom „wie“. Er musste leben und glauben ohne eine einzige schöne Geschichte vom Anfang auf Erden. Er musste auskommen ohne die Hirten und Engel von Lukas, ohne einen Stern und ein paar Weise aus dem Morgenland von Matthäus, ohne Lametta und Zimtsterne und Weihnachtsbaum und Kerzen und alles andere von uns, das wir doch zu Recht vermissen würden, wenn es das zu Weihnachten nicht gäbe! Kein einziges Weihnachtslied konnte er singen und sich wahrscheinlich am wenigsten vorstellen, dass man es alle Jahre wieder und dann auch noch grossartig feiert!

Wir müssten nun ganz von vorn anfangen und ihm alles erklären, was uns von Kindesbeinen an vertraut ist. Malen Sie sich die Menge unserer Bräuche und familiären Traditionen aus, die Berge von Plätzchen und Rezepten, die dicken Liederbücher mit Tönen, die in die hintersten Ecken der Welt reichen, den Sinn und Zweck unserer Dekorationen, unserer Lichter und Bäume und Kränze und ...

Jedenfalls darf man Paulus keinesfalls Vorwürfe machen, etwa, dass er ein nüchterner Typ war und nur gute Argumente bringen konnte statt eine wirklich ergreifende Story zu erzählen. Er hat sich auch nicht besonders auf das Wesentliche konzentriert, weil es vom Unwesentlichen noch nicht genug gab, als dass man es zum Weglassen dagehabt hätte wie wir heute: Wir haben Nebensächlichkeiten im Überfluss. Davon konnten die Galater nur träumen. Sie hatten dafür von Paulus eine klare Ansage, kurz und bündig, davon können wir oft nur träumen in den Wörter- und vor allem in den Werbefluten unserer Weihnachtszeiten.

1. Paulus hat keine Ahnung von unserem Kirchenjahr. Unser Kirchenjahr ist eine fein und langwierig ausgetüftelte Sache. Es hat ein paar Jahrhunderte gedauert, bis die Christenheit eine gut verträgliche Festreihe beieinander hatte, die den Alltag immer im richtigen Moment unterbrach. Die Christen der Frühen Kirche haben viele Generationen lang erst gar nicht und dann gewissermassen probegefeiert. Weihnachten erschien aber danach noch zu allen Zeiten verbesserungswürdig und ausbaufähig. Im 19. Jahrhundert kam der Weihnachtsbaum als lebhafte Erinnerung an und Hoffnung auf das Paradies dazu. Diese Aussicht auf das Paradies konnte einem im 19. Jahrhundert sonst wirklich vergehen. Im 20. Jahrhundert wurde es bunt und glitzernd und auffällig, denn nur total Augenfälliges konnte das letzte Jahrhundert gut überstehen.

Paulus hat von all dem keine Ahnung. Das ist sehr gut so. Daher sind Weihnachten und Pfingsten bei ihm auch ein und dasselbe Fest: Gott kommt zur Welt und sein Geist in unsere Herzen. Da hat er vollkommen recht: Weihnachten ohne Pfingsten nützt gar nichts. Gott könnte als Mensch geboren werden, wann und wo und wie er will – es bringt uns nichts, wenn die Begeisterung darüber nicht unsere Herzen erreicht. (Pfingsten ohne Weihnachten ist genauso undenkbar.)

2. Paulus hat außerdem keine Ahnung von unseren Terminen, von unserem hocheffizienten Zeitmanagement. Er hat keinen blassen Schimmer davon, was wir alles speditiv zu erledigen haben, ehe wir dann wirklich Weihnachten feiern können. Das ist sehr gut so!
Paulus war mehr als oft und viel unterwegs, viel beschwerlicher auch als wir heute, aber immer hatte er noch genügend ‚Freizeit’ für die Pläne Gottes. Als sich aber die Zeit erfüllt hatte ...
Weihnachten beginnt bei Gott, nicht mit Quirinius, Herodes und so einem grossen August, der sich gewaltig herrlich vorkam, aber auch schon ziemlich lange tot ist.
Kein Mensch hat festgestellt, dass es nun langsam Zeit wird, sondern die Zeit war reif bei Gott. 

Wir brauchen zu Weihnachten sicher mehrere freie Tage, um unser Denken einmal ganz auf den Kopf zu stellen, um zu verstehen, dass es mal nicht nach unseren Kalendern, unseren Uhren, unseren Vorstellungen von passenden Zeiten geht.  Die Wahrscheinlichkeit ist 364:1, dass Jesus an einem anderen Tag des Jahres geboren wurde. Weihnachten ist sicher nicht am 25. Dezember, um uns zu stressen und zu hetzen und davon zu überzeugen, dass die Zeit viel zu schnell vergeht, dass der Advent zu kurz ist und überhaupt unsere Zeit nie reicht. Unser Gott kommt auf uns zu! Er kommt immer dann, wenn es für ihn Zeit ist, zur Welt zu kommen und uns mit seinem Geist zu Herzen zu gehen.

Das ist – gottlob – nicht nur vor 2000 Jahren einmal der Fall gewesen. Das ist – Gott sei Dank – auch öfter als nur einmal im Jahr möglich. Die Konsequenzen daraus liegen auf der Hand: Wenn man uns Christen das viele Feiern verbieten würde, dann könnten wir getrost Heilig Abend und am nächsten Morgen gleich mit voller Begeisterung Pfingsten feiern, ab 9:00 Uhr, wie es in der Apostelgeschichte (Kap. 2) heisst.



Liebe Gemeinde,

3. Paulus als unerfahrener Single hat gar keine Ahnung, was mutmasslich verheiratete Männer später alles in eine Geburt unter widrigen äusseren Umständen hineingeheimnissen können.
Im Römischen Reich damaliger Zeit war es besonders für manche Kaiser ‚angesagt’, mindestens von einer Jungfrau geboren zu sein. Lukas wusste, was im Trend lag!
Ausserdem kam es immens auf den Stammbaum väterlicherseits an. Matthäus wusste, was das sehnsuchtsvolle Herz erwartete. Paulus hat davon keine Ahnung, das ist sehr gut so: Gott wird zur Welt gebracht von einer Frau.

Dem ist nach wie vor eigentlich nichts hinzuzufügen. Es ist genug, mehr ist zu unserem Heil nicht nötig. Eine Frau hat ihn geboren und damit  ‚zur Welt gebracht’. Wunderbarer kann man es nicht ausdrücken: einer kommt zur Welt. Mehr Wunder und Geheimnis sind in so wenigen Buchstaben nicht unterzubringen.

4. Paulus hat überdies keine Ahnung, wie erwachsen wir uns gleich vorkommen, wenn wir nur ein paar Jahre unseres Lebens Weihnachten feiern geübt haben. Das ist sehr gut so. Damit nehmen unsere Chancen zu, auch wieder einmal tüchtig „auf die Welt zu kommen“ und sie mit Kinderaugen anzuschauen. Gott wird Mensch ist nur die halbe Wahrheit für Erwachsene, die die ganze Weihnachtswahrheit nicht gleich vertragen. In Wirklichkeit ist alles noch viel verrückter: Gott wird Kind. Das ist schwer zu glauben. Vielleicht werden wir alle nicht alt genug, um oft genug Weihnachten zu feiern, um das wirklich aufzunehmen: Gott wird Kind.

Im Gegenteil: Es gibt jede Menge Erwachsene, die sich kaum noch daran erinnern können, dass sie selbst einmal Kinder waren. Die sich auch nicht gut überlegen, dass alle Kinder einmal erwachsen werden und die Erinnerungen an ihre Kindheit, an all die Erwachsenen damals, ihr Leben lang mit sich tragen müssen.
Wenn Erwachsene vergessen, dass sie einst Kinder waren, dann verkommen sie zu Verwachsenen. Nur schon dafür haben wir Weihnachten nötig. Paulus hat dafür übrigens auch Weihnachten nötig. Denn:

5. Paulus hat überhaupt gar keine Ahnung von Kindern. Ihm fallen bei seinem Brief an die Galater eigentlich nur zwei Sachen ein: Erstens sind Kinder laut und zweitens erben sie irgendwann mal alles:
So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern Kind; bist du aber Kind, dann auch Erbe - durch Gott.
Beides ist ganz richtig und wahr, aber noch nicht die ganze Wahrheit.
Das Erben hat natürlich noch viel Zeit, wir haben es hoffentlich alle damit nicht eilig, fangen wir also vorn an.

Vom allerersten Moment an sind Kinder laut, das ist bekannt. Das ist gut so laut(!) Paulus. Ein Kind schreit, z.B. nach dem Vater: Abba, Papi! Das ist die erste Wirkung des Heiligen Geistes in unseren Herzen, dass wir nach dem Vater schreien wie ein Kind, nicht, dass wir weise und vernünftig wären oder alles wüssten oder keine Fehler mehr machen müssten, dass sind bloss die unfertigen Vorstellungen der Erwachsenen.
Kinder haben Zeit, so viel Zeit! Sie können alle Zeiten der Erwachsenen vergessen, wenn sie spielen.

Gott wird Kind. Das hat aber bis heute noch viel weitreichendere Konsequenzen, als Paulus ahnte.
Nur, wenn man so unvoreingenommen wie Paulus ist, kann man schlicht und ergreifend davon schreiben, dass wir Ausgewachsenen erst wieder richtig auf die Welt gebracht werden müssen: als Söhne und Töchter Gottes, die nicht länger unter dem „Gesetz“ zu leiden haben. Die Gesetze haben sich seit den Tagen der Galater rasant gewandelt. Es gibt keinen Grund, darüber nicht glücklich zu sein! Aber Gesetze, Sachzwänge und Regeln haben wir immer noch genug, um eine Ahnung davon zu haben, was Paulus gemeint hat.

Kinder wissen besonders gut und genau, aus wie vielen Geboten und Verboten die Welt bestehen kann! Sie kennen auch die engen Grenzen aller Vorschriften. Für uns Erwachsene gibt es dazu eine winzige Kurzgeschichte, die sogar wir Alten leicht behalten können, und die das ganze Leben Jesu von Weihnachten bis Pfingsten zusammenfasst und zugleich die Befreiung von den Gesetzen erzählt. Diese Geschichte geht so:

Alle sagten: „Das geht nicht.“ Dann kam einer, der wusste das nicht, und hats einfach gemacht.[1]

Gott wird Kind. Alle sagten: „Das geht nicht.“ Dann kam Gott, der wusste das nicht, und hats einfach gemacht: um die unter dem Gesetz freizukaufen, damit wir als Söhne und Töchter angenommen würden, schreibt Paulus.

Dann können wir es auch wagen.
Als Erwachsene ein Kind werden. Alle sagen dann zuerst: „Das geht nicht.“ Da kommt dann einer, der weiss das nicht, und macht es einfach, feiert wieder Weihnachten – wie ein Kind.

Liebe Gemeinde,
Paulus hatte keine Ahnung vom Weihnachtsfest. Das ist sehr gut so! Er weiss eine Menge über die erste Nacht Gottes auf Erden, gerade das, was bei uns leicht einmal untergehen kann.
Haben wir eine Ahnung vom Weihnachtsfest? Es wäre gut, wenn wir uns das vorläufig nicht einbilden, sondern noch oft Weihnachten feiern und üben, was es heisst, ein Kind Gottes zu sein.
Kind Gottes? Sie wissen schon: Alle sagten: „Das geht nicht.“ Dann kam wieder einer und noch eine und ... , die wussten das alle nicht, und haben es einfach geglaubt!

Und der Friede Gottes, der zu Weihnachten auf die Welt kommt, aber höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, dem Kind,                                                                            Amen.


[1] „Wortschätzchen“ der Grafik Werkstatt Nr. 9077: www.gwbi.de.