Predigt zu Hebräer 11,8-10 von Heiko Naß
11,8-10

Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er ererben sollte, und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Land wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.

Liebe Gemeinde,

der Predigttext führt meine Erinnerungen auf die Spur eines Menschen, der zwar klein von Gestalt, aber groß an Fröhlichkeit, Lebensfreude und Humor war. Eindrücklich sind mir seine Erzählungen von den Tagen am Ausgang des Zweiten Weltkrieges geblieben. Er selbst hat sie erzählt, um sie als Erinnerung an Nachfolgende weiterzugeben. Er schildert die Hoffnungslosigkeit beim Rückzug durch die großen Sumpfgebiete Russlands. Er erzählt von Leid und Tod. Als Sanitäter erlebte er, wie Verwundete nicht mehr zurücktransportiert werden konnten, Verzweiflung und Bitterkeit die Soldaten bestimmte. In einer Nacht unter dem weiten Himmel erinnerte er sich in einer kurzen Ruhe an Gebetsverse aus seiner Konfirmandenzeit. Der Satz des Vater unsers „Dein Wille geschehe“, ließ ihn nicht mehr los. Unter dem weiten Sternenhimmel in einer für Leib und Leben bedrohlichen Situation öffneten ihm diese Worte einen Blick in die Tiefe und er begriff, dass nicht unser Wille wichtig ist, sondern dass Gottes Wille geschieht. Nicht unsere Größe ist wichtig, sondern, dass Gott in allem die Ehre gegeben wird, ist es, worauf es ankommt im Leben.

Das alles ging ihm durch den Kopf in dieser Nacht und nahm mit einem Mal die Angst und den Druck und machte ihn fähig, anderen Zuspruch zu geben, Mut zu machen und Sterbende zu trösten.

Diese Erfahrung, die Wiederentdeckung des Gebets und der Kraft in solcher Ruhe, sagte er, diese Erfahrung hat ihn sein weiteres Leben lang geprägt. Immer wieder ist sie herausgefordert worden, sagt er, am stärksten durch den Tod von dreien seiner Kindern, was schlimmer war, als der Verlust von Haus und Heimat. Er blieb ein begeisternder Liebhaber des Lebens mit  Humor und einer Art, sich auf die Dinge seinen eigenen Reim zu machen.

Mich hat fasziniert, wie sich ein Moment seines Lebens so tief in ihn eingeprägt hat, dass sich ihm daraus ein inneres Verstehen seines ganzen Lebensweges erschloss. Ein Moment, der ihm eine Klarheit offenbarte, in dem er sein ganzes Leben begründet sah.

Wenn man vom Glauben erzählen will, dann muss man von den Menschen erzählen. So verfährt auch unser Predigttext des heutigen Tages aus dem Hebräerbrief.  Es ist die Zeit am Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus, als diese Zeilen, die ich am Anfang gelesen habe, geschrieben wurden. Die Generation der Zeugen aus der Geburtsstunde der Christenheit stirbt aus und mit ihr diejenigen, die das Erzählte noch bestätigen kann. Da ist nun bald keiner mehr, der persönlich für die Wahrheit des Glaubens an Jesus Christus bürgen kann. Und darum wird aus dem Erzählen der Zeugen eine Erzählung über die Zeugen. Genau das macht nun der Hebräerbrief. Er reiht in diesem Abschnitt seines Briefes eine Erzählung an die andere. Alle drehen sich um bekannte Gestalten der Bibel, beginnend mit Abel, über Noah, Abraham, Sara, Isaak und Jakob, Mose und auch die Hure Rahab, die in Jericho den Kundschafter Unterschlupf bot; sie alle werden mit ihren Geschichten gewürdigt, um mit allen deutlich zu machen, was der Glaube ist. Darum steht als Überschrift über dem Kapitel der Satz: Es ist der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.

Wenn man darüber nachdenken will, was Glaube bedeutet, dann finden diese Worten eine ganz schöne erste Beschreibung, was den Glauben auszeichnet. Eine Beschreibung, die sehr nachhaltig gewirkt hat, auch in unsere protestantische Kirche hinein. Glaube richtet sich nicht auf etwas aus, was man direkt vor Augen hat. Glaube macht sich nicht am Sichtbaren fest. Denn alles, was sichtbar ist, vergeht. Himmel und Erde werden vergehen, heißt es in der Bibel in einem Wort Jesu (Matthäus 24,35).

Nun sagen wir manchmal, wenn wir Menschen besonders motivieren möchten, zum Beispiel im Sport, um eine große Leistung zu erreichen: ich glaube an dich. Und mancher Fußballtrainer sagt über seine vom Abstieg bedrohte Mannschaft: ich glaube (noch) an sie. Auch hier ist der Glaube eine Zuversicht, aber wir wissen, es ist eine sehr brüchige und manchmal auch zweifelhafte Zuversicht.

Das meinen diese Worte unseres heutigen Bibelabschnittes nicht, wenn sie über den Glauben reden. Sondern sie sagen: Es ist der Glaube eine feste Zuversicht, auf das, was man hofft.

Wir erhalten mit dieser kurzen Zeile noch eine weitere wichtige Bestimmung des Glaubens. Haben wir zunächst festgehalten, dass der Glaube sich auf etwas richtet, was man nicht sieht, können wir nun ergänzen: der Glaube ist eine feste Zuversicht, auf das, was man hofft. Um das genauer bestimmen zu können, müssen wir noch einen anderen Autor der Bibel zur Hilfe nehmen, den Apostel Paulus, der uns eine wichtige Beschreibung der Hoffnung gegeben hat. Er sagt: Hoffnung lässt nicht zuschanden werden (Röm 5,5).

Hier haben wir haben wir nun eine ganz wesentliche inhaltliche Bestimmung, worauf der christliche Glaube ausrichtet ist. Es geht in allem darum, nicht zuschanden zu werden. Oder positiv gesagt: es geht darum, dass es gut wird. Dass es gut wird mit diesem Leben, mit meinem Leben genauso wie mit dem Leben der anderen, mit dieser Welt und der Schöpfung; es geht darum, dass sich die Hoffnung darauf richtet, dass Gott sein Versprechen einlösen wird, das er für diese Schöpfung gab, als er sagte: und siehe, es war sehr gut.

Siehe, es war sehr gut. Dieses Sehen auf eine Welt, in der es sehr gut zugeht, dieses Sehen ist bisher allein Gott vorbehalten. Wir sind in unserem Leben daraufhin unterwegs. In wenigen lichten großen Augenblick bekommen wir eine Ahnung davon, wie es von Gott ursprünglich gemeint war, unser Leben und das Werden dieser Welt. In manchen Momenten öffnet sich ein tiefes Verstehen, das uns tragen kann und eine Hoffnung gibt, über die Stunde und über den Tag hinaus.

Genau dieses innere Gefühl beschreibt der Hebräerbrief, wenn er vom Glauben spricht. Wenn wir seine Sprache in unsere heutige übersetzen wollen, dann können wir es vielleicht so sagen: Der Glaube ist etwas, wo wir mit der Sehnsucht unseres Herzens hingelangen möchten.

Darum bietet sich dem Erzählen auch die Glaubensgeschichte Abrahams an. Denn die Geschichte von Abraham setzt ein, als ihm eine Sehnsucht eingegeben wird.  Er hörte Worte, die ihm zu Herzen gingen: Du sollst ein Segen sein. Und du sollst ein großes Volk sein! Seine Geschichte erzählt, wie Abraham diesem Glauben auf die Spur zu kommen versucht. Die Glaubensgeschichte Abrahams weiß auch von einem Augenblick unter dem tiefen und großen Nachthimmel zu erzählen. Sieh gen Himmel, so hörte Abraham die Stimme Gottes, zähle die Sterne. Kannst du die Sterne zählen? Das sagt Gott zu jemanden, der bis dahin kinderlos geblieben und schon weit in die Jahre gekommen war. Den Sternenhimmel über sich, prägte sich ihm ein Vertrauen ein, auf  das hin er sein Leben entwerfen konnte. Die Bibel weiß von seinen Aufbrüchen und Verwerfungen. Abraham ist ganz und gar nicht ein leuchtender Held, seine Lebensgeschichte ist voller Tiefen und Spannungen, auf der einen Seite mutig und auf der anderen feige: da sind die Herausforderung – wir denken nur an die bekannte Erzählung von der versuchten Opferung Isaaks. Geblieben ist der Eindruck von einem Mann, der sich hat prägen lassen von dem Vertrauen auf Gott. Darum ist seine Geschichte so erzählenswert. Sie berichtet von Zusammenhängen zwischen dem göttlichen Wort und den Schritten des Lebens, Zusammenhänge, die in überraschender Weise auch in unseren eigenen Biographien, in unseren eigenen Lebensgeschichten wiederkannt werden können.

Der polnische Arzt, Pädagoge  und Schriftsteller Janusz Korczak hatte eine Gespür dafür, dass diese Verknüpfung zwischen den Worten des Glaubens und den Erlebnissen des Lebens nicht einfach so vermittelt und weitergegeben werden kann, wie etwa die binomischen Formeln in der Mathematik weiter vermittelt und weiter gegeben werden. Sondern es geht darum, einen anderen dafür zu öffnen, dass er tatsächlich solche Erfahrungen des Glaubens selbst machen und erleben kann. Ganz schön hat Janusz Korczak diesen Wunsch, dass junge Menschen zu einer solchen Erfahrung kommen möchten, in einem Wort formuliert, das er den Jugendlichen mit auf den Weg gab, als sie nach Jahren der Obhut im Waisenhaus in Warschau auf den Weg des Lebens entlassen werden sollten:

Wir geben euch nichts. Wir geben euch keinen Gott, den müsst ihr euch in der einsamen Seele suchen. Wir geben euch kein Vaterland, denn ihr müsst es durch eigene Anstrengungen eures Herzens und Nachdenkens finden. Wir geben euch keine Menschenliebe, denn es gibt keine Liebe ohne Vergebung, und vergeben ist mühselig, eine Strapaze, die jeder selbst auf sich nehmen muss. Wir geben euch eins: Sehnsucht nach einem besseren Leben, ein Leben der Wahrheit und Gerechtigkeit. Vielleicht wird euch diese Sehnsucht zu Gott, zum Vaterland, zur Liebe führen.

Das sind ernüchternde, aber ehrliche Worte. In der Suche nach dem Sinn, nach dem, was das Leben erfüllt, muss jeder seinen eigenen Weg machen. Für den eigenen Glaubens nützt es ihm nichts, dass seine Vorfahren schon einen solchen Sinn hatten, er muss ihn für sich selbst finden. Worauf er zählen kann, ist, dass solche Erfahrungen von Sinn, der Glaube an Gott,  auch die Menschen vor ihm erfüllt haben. Aber er kann nicht einen Vertrag darauf  schließen, dass sich dieser Sinn auch für ihn öffnen wird. Er muss sich selbst auf die Suche danach machen. Er kann aber darauf hoffen, dass ihm die Erfüllung ebenfalls verheißen ist.

Die kommenden Wochen der Passionszeit geben uns die Chance, dieser Sehnsucht nachzuspüren, auf das, was uns zu Herzen geht. Die Erzählung von der Passion Jesu, von seinem Leiden und Sterben, führt uns auch vor Augen, woran sich der Glauben und das Leben im schlimmsten Fall bewähren muss, am vollständigen Scheitern aller Hoffnungen auf ein gutes Ende, an der Willkür und am unergründlichen Schicksal. Diese Erfahrung wurde auch Jesus nicht erspart, obwohl alles, was von ihm überliefert ist, davon erzählt, wie er Menschen zur Sehnsucht nach Gott und einem besseren Leben bewegen wollte.

In seiner Geschichte aber lässt sich erfahren, dass Jesus auch in den Abgründen des Lebens, den Ort seiner Frage nach Gott und nach sich selbst, nie von Gott weg, sondern immer vor Gott gesucht hat.

Auch wenn sich das Gefühl von Angst und Hilflosigkeit in unsere Lebenskraft einzuschreiben versucht, und uns den Mut und den Grund unter den Füßen nimmt und uns kraftlos und hoffnungslos werden lässt, dann kann dennoch und gerade dort das Zum-Glauben-Kommen ereignen, das zu der Gewissheit führt: Gott verlässt mich nicht. Und manchmal geschieht, dass wir seine Kraft empfangen, dass Friede auch in uns einkehrt, der innere und der äußere, der  Angst und Trauer heilt.

Darum ist mir auch die Geschichte von dem jungen Sanitäter so stark in Erinnerung geblieben, weil er diese Wende zum Glauben und das Gefühl, was sich als Trost für ihn daraus ergab, so nachvollziehbar und für uns einprägsam erzählt hat.

Vielleicht ist es nicht ausgeschlossen, dass wir in den nächsten Wochen hier und da und uns an die Grundlinien unseres Lebens erinnern, an unseren Pilgerweg zwischen Geburt und Sterben, unser Unterwegs sein auf der Suche nach uns selbst und nach Gott.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Perikope
16.03.2014
11,8-10