Predigt zu Hebräer 12,12–18.22–25a von Wolfgang Ebel
12,12-18.22-25

Predigt zu Hebräer 12,12–18.22–25a von Wolfgang Ebel

Liebe Gemeinde!

I.

Der Weg ist noch nicht das Ziel. Die erhoffte Wirklichkeit steht noch aus. Das Ziel bestimmt aber schon den Weg. „Dieser Weg wird kein leichter sein. Dieser Weg wird steinig und schwer.“ Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims singen vom Weg im Glauben.

Im Leben erfahren Sie: Es ist ein steiniger Weg – bis eine Prüfung geschafft ist, bis ich ein bisschen Geld zurück gelegt habe, bis zwei, die sich getrennt haben, einander verzeihen können. Es ist ein steiniger Weg oft: von den ersten Beschwerden über die Untersuchungen hin zur Diagnostik, weiter über die Indikation des ärztlichen Teams, schließlich die Therapie, Erfolgskontrollen, vielleicht Rückschläge, Aussicht auf Gesundung, Heilung gar, Hoffnung auf Linderung wenigstens, auf ein wenig Zeitaufschub, bevor es dem Ende zugeht. Dieser Weg ist sehr oft kein leichter.

So wie bei einem Heilungsprozess ist es auch mit dem Glauben. Er steht nicht einfach fertig da, zur Verfügung, einfach zu haben und zu handhaben. Er kann abstumpfen, nachlassen, verloren gehen. Damit es weiter gehen kann, braucht man ein Ziel, auf das sich einer freuen kann. Das Ziel ist jetzt – in meiner Lebenszeit in dieser alten Welt – noch unsichtbar. (Nur „die Jünger glaubten an ihn“ – die anderen saufen weiter.) Die Herrlichkeit des Christus wird in Gottes anderer Welt offenbar. 

Der Glaube braucht heilende Anwendungen, Auffrischungen, Kuren, Trainings zur Rehabilitation – wie ein müder Leib. Glaube und Spiritualität brauchen Pflege. Auszeiten für die Seele. Das klingt nach oberflächlicher wellness. Vielmehr geht es um Vergewisserungen, Verankerungen. Eine Auszeit im Kloster kann dazu gehören.

II.

In der Klinik teilen viele Menschen die Erfahrung: mein Leben soll und muss anders werden. Manches muss ich verabschieden und zunächst betrauern. Auch Glauben bringt „notwendige Abschiede“ mit sich.

Vom Kriegszustand mit allen zum „Frieden mit jedermann“. „Jedermann“ – das sind nicht allein die mir Vertrauten. Nicht „alle guten Christenmenschen.“ Es sind die Menschen, die mir begegnen. Welches Bild gebe ich ab für einen, der kein Christ ist, keine „Abendländerin“, vielleicht ein Mensch, der hier bei uns einfach Arbeit und ein Auskommen finden will, sich Hoffnungen macht auf ein besseres Erdenleben für sich und ihre Kinder womöglich ? Eine solche Friedenssuche (Jagt !!) gibt sich nicht zufrieden mit dem, was „alle“ meinen, fügt sich nicht den Ansichten, die an Stammtischen gepflegt und eingeübt werden. Es ist ein Wachsein für Frieden. Ein Sorgen für „Frieden in Gerechtigkeit“.  

Wird uns kranken, ausgebremsten, manchmal gebrochenen Menschen hier nicht zu viel zugemutet ? Eine solche mitreißende Dynamik – wie sie die Predigt „des Hebräers“ propagiert – kann ich doch gar nicht mit vollziehen. Sind das nicht zu hohe Ansprüche ? Eher etwas für Fitte und Gesunde ?

Bei allem Anspruch, den der Christus auf mein Leben hat, bei allem Willen, mein Leben Christus gemäß zu gestalten – brauche ich jetzt nicht eine Pause davon ? – Auch in der Klinik bin ich in einem Lebensfeld. Das funktioniert (oder funktioniert auch manchmal nicht !) nach spezifischen Gesetzen und Regeln. Auch hier arbeiten hoch kompetente und zugleich schwache Menschen. Ich bin als Patient (als oft passiv Hinnehmender, Erleidender) in eine Lebenslage geraten, die ich mir nicht ausgesucht habe. Auch im Zweierzimmer habe ich ein sehr eingeschränktes Privatleben. Ich muss versuchen zurecht zu kommen mit Mitmenschen, erst einmal so gar nicht zu mir passen und nicht nach meinem Gusto sind. Ich muss – wenn ich  das Zimmer nicht verlassen kann – fremde Besuche mit ertragen u.v.a. mehr.

III.

Neil Young in seiner Autobiographie: Er berichtet, wie er nach einer lebensbedrohlichen Situation und folgender Notfalloperation erwacht. Er erzählt: „Dann wurde ich ruhiggestellt, und als ich endlich erwachte, schwebte eine sehr freundliche alte schwarze Krankenschwester aus South Carolina durch mein Zimmer. Sie bewegte sich ganz langsam, als würde sie auf Luft gehen. Sie war der Engel, der mich geführt hatte. ‚Jetzt geht’s dir besser’, sagte sie. ‚ER will dich noch nicht haben, sonst hätte ER dich geholt.’“ (Neil Young, Ein Hippie – Traum, Köln 2012) -  Die Gnade Gottes nicht verpassen ! Ich lebe aus dem, was auf mich zukommt von Gott her. Erst dann will und kann ich etwas machen. – So gibt es anstrengende und tröstende Begegnungen mit Mitmenschen – wie in anderen Alltagszonen auch.

Auch als einer, der jetzt „den Beruf des Krankseins“ (K. Barth) ausübt bin ich in diesem Lebensfeld gerufen von Christus, „dem Anfänger und Vollender des Glaubens.“ (Hebr. 12, 2) Mein Weg wird unter diesem Herrn kein leichter sein. Eine unglaubliche himmlische Gesellschaft erwartet mich. Bis dahin bin ich überall auf der Jagd nach Frieden.

Der Weg ist noch nicht das Ziel. Nicht ich muss das Ziel mit aller Macht erreichen. Es kommt schon auf mich zu. Es ist meine Zukunft. Sie bestimmt meinen Weg. Der wird kein leichter sein. Doch auf diesem Weg will ich mich freuen. An dem Frieden, der sich einstellt -  wenn  ich darauf eingestellt bin: auf Empfang.

„Wir sind noch nicht im Festsaal angelangt, aber wir sind eingeladen. Wir sehen schon die Lichter und hören die Musik.“ (E. Cardenal, Das Buch von der Liebe. Lateinamerikanische Psalmen, Wuppertal 1971)

Amen