Predigt zu Hebräer 13,15-16 von Søren Schwesig
13,15-16

Predigt zu Hebräer 13,15-16 von Søren Schwesig

15 Lasst uns durch Christus Gott allezeit ein Lobopfer bringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. 16 Vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen. Denn das sind die Opfer, die Gott gefallen.

Liebe Gemeinde,

jetzt ist Erntezeit. Allerdings: Wo wird das noch so empfunden? Wir, die wir in der großen Stadt Stuttgart leben, leben fernab von den Orten, wo sich die Ernte vollzieht. Wer von uns atmet in diesen Wochen den Duft ein von zertretenen Äpfeln und Birnen auf Feldwegen? Und je mehr wir bei uns Obst, Gemüse und Getreide aus fernen Anbaugebieten einkaufen und verzehren, desto mehr verlieren wir das Empfinden für eine Zeit der Ernte. Denn ganzjährig ist alles verfügbar. Kühlketten halten alles bereit. Erdbeeren im Januar? Kein Problem. Tomaten im Februar? Warum nicht? Orangen im März? Sie müssen nur zugreifen.

Das ist unsere Realität. Wir verlernen es, in Rhythmen zu leben. Und das tut uns nicht gut.

Am vergangenen Mittwoch war der Weihnachtsmann unterwegs. Mit einem Schlitten zog er durch Schlossgarten und Königstraße. Der Hintergrund war folgender: Ein SWR-Team drehte einen Beitrag darüber, dass die Vorweihnachtszeit immer mehr in den Herbst vorwandert. So bot ein als Weihnachtsmann verkleideter Schauspieler Passanten Stollen und andere Weihnachtsleckereien an  und fragte, ob sie ihre Weihnachtsgeschenke schon besorgt hätten. Die Reaktionen der Passanten waren eindeutig. Die große Mehrheit zeigte sich verärgert, dass uns schon Ende September in den Kaufhäusern Weihnachtslieder und Weihnachtssüßigkeiten umgeben. Damit bestätigten sie, was eine Emnid-Umfrage vor Jahren ergeben hat: Dass sich 45% der Deutschen Weihnachtsprodukte erst ab dem 1. Advent in den Supermärkten wünschen.

Zum Glück spüren wir noch hier und da, dass uns das Leben in Rhythmen verloren zu gehen droht und dass uns das nicht gut tut.

Dennoch gibt es auch dies: Menschen, die sich der Verfügbarkeit der unterschiedlichsten Lebensmittel zu jeder Zeit im Jahr entziehen wollen. Die den Anbau vor Ort stärken und landwirtschaftliche Produkte aus der Region kaufen. Wer so lebt, für den rückt wieder stärker ins Bewusstsein, dass da etwas übers Jahr gewachsen ist und Frucht gebracht hat. Wo dafür die Wahrnehmung wächst, kann die Zeit der Ernte wieder zu einer Festzeit werden. Auch religiös. Die Fruchtbarkeit des Feldes, die Erträge der Ernte – all das hat seinen festen Platz im religiösen Empfinden. Und es wächst das Bedürfnis, Gott zu danken für das, was er wachsen lässt.

..................................

Wie feiert man also christlich das Erntedankfest? Unser Predigttext will uns eine Hilfe geben. Da heißt es im Hebräerbrief: 15 Lasst uns durch Christus Gott allezeit ein Lobopfer bringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. 16 Vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen. Denn das sind die Opfer, die Gott gefallen.

Zunächst ist die Rede von Opfer. Fragen wir nach. Was ist eigentlich ein „Opfer“? Wenn ich etwas opfere, gebe ich etwas weg, was mir lieb und wert ist.

  • Opfere ich Zeit, gebe ich etwas von dem Gut ab, das durch die Umstände eines angestrengten Arbeitslebens knapp und kostbar ist.
  • Opfere ich Geld, dann habe ich weniger Sicherheit im Leben, habe es nicht mehr für Dinge, die mir Spaß machen.

Aber wer opfert, gibt nicht nur etwas hin, der empfängt auch etwas. Wer opfert, der erfährt, dass das eigene Tun einen Sinn hat. Dass er mit seiner Gabe anderen Leben ermöglicht.

Ich habe von einem Mediziner gelesen, der als Chirurg an einem deutschen Krankenhaus arbeitet. Im vergangenen November nahm er sich drei Wochen Urlaub und flog auf eigene Kosten nach Mali. Nicht um zu entspannen, sondern um zu helfen. Dort in Mali in einer Region, in der es kaum medizinische Versorgung gibt, behandelte er zusammen mit einem Kollegen aus der Anästhesie mehrere Hundert Patienten und führte rund 70 Operationen durch – oft unter abenteuerlichen Bedingungen. Gefragt, warum er dieses Opfer von Geld und Zeit gebracht habe, antwortete er, die Reise nach Mali habe sein Weltbild wieder zurechtgerückt. Und er fährt fort: "Wir denken in Deutschland, dass alles so normal ist und vergessen dabei, dass - was wir unter normales Leben verstehen - vielleicht für 100, 200 oder 300 Millionen Menschen gilt. Aber wenn wir an die gesamten sieben Milliarden dieser Welt denken, ist die Situation, wie ich sie in Mali getroffen habe, eher das Normale.“

Unser Predigtwort fordert uns auch auf, ein Opfer zu bringen. Da heißt es: 15 Lasst uns durch Christus Gott allezeit ein Lobopfer bringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Wir sollen Gott ein Lobopfer bringen, sprich: wir sollen Gott Dank sagen. Und wir haben allen Grund Gott zu danken. Schließlich verdanken wir ihm alles: unsere Gesundheit, unsere Familie, unseren Wohlstand, unser Leben. Wir verdanken ihm nicht nur die großen Dinge, auch die kleinen. Schauen Sie selbst in ihr Leben: Ist da nicht vieles, wofür sie Gott danken können?

Allerdings ist Dank keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr ist – wie es das Sprichwort sagt - Undank der Welt Lohn. So erging es schon Jesus. Als Jesus einmal zehn Aussätzige heilt, kehrt nur einer zu ihm zurück, um sich zu bedanken. Die anderen neun haben, nachdem die Überraschung der Heilung verklungen ist, das Geschehene vergessen und ihre Gesundheit für selbstverständlich genommen. Warum also die Mühen auf sich nehmen, um sich beim Geber aller Gaben zu bedanken? Undank hat mit Vergesslichkeit zu tun, mit Nicht-dran-Denken. Vergesslichkeit, Undankbarkeit, das ist wie ein Gift. Es vergiftet uns.

Wir als Christen sollen es anders machen. Nicht dem Gift der Vergesslichkeit und der Selbstverständlichkeit erliegen, sondern Gott im Blick haben und das, was er an uns getan hat, und dann sprechen: Gott, ich danke dir von Herzen.

Denn das Wunderbare ist ja, dass unser Dank einen Adressaten hat. Das unterscheidet uns Christen von religionslosen Menschen. Der Berliner Philosophieprofessor und bekennende Atheist Herbert Schnädelbach sagte einmal: „Ich würde mich gerne beklagen oder ich würde mich gerne bedanken – aber ich weiß nicht bei wem! Die Stelle, an der andere für sich ‚Gott‘ einsetzen, ist für mich leer.“ Wie wunderbar, dass wir Christen eine Anlaufstelle haben – nicht nur für unsere Klagen, sondern auch für unseren Dank. Gott sei Dank können wir Gott danken. Darum – „lasst uns durch Christus Gott allezeit ein Lobopfer bringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.“

Dann ist aber auch diese wichtig: Unser Predigtwort fährt nach der Aufforderung zum Dank fort mit dieser Aufforderung: 16 Vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen. Denn das sind die Opfer, die Gott gefallen.

D.h. Ein Lobopfer zu Gott kann es nicht geben, ohne eine Hinwendung zum Mitmenschen. Wir können nicht Gott danken, ohne nach unserem Nächsten Ausschau zu halten. Du kannst nicht Gott dienen, ohne den Menschen zu dienen – das ist eine der Kernbotschaften der Bibel. Jesus selbst hat dies bekräftigt. Als er nach dem höchsten Gebor gefragt wurde, antwortete er: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Das ist, liebe Brüder und Schwester, unsere Bestimmung. Das ist unsere Aufgabe als Christen. Das ist unser Amt: Das Lob und den Dank Gott gegenüber nicht vergessen, und unserem Nächsten zur Seite stehen. Anders können wir nicht mit Ernst Christen sein.

Der Arzt, der nach Mail gereist war, nannte in einem Interview als Hauptgrund für sein Engagement seinen christlichen Glauben und zitierte eben diese Forderung Jesu: "Liebe Gott von ganzem Herzen (…) und deinen Nächsten wie dich selbst". Und er fährt fort: "Wenn ich das übersetze auf mein normales Leben, bedeutet das in erster Linie, Gott zu dienen, aber auch meinem Nächsten zu helfen, ihn zu unterstützen – ihn zu lieben. Und wenn ich das eben als Arzt tun kann (…) das motiviert mich natürlich (…) nicht nur jetzt in Mali (…) sondern auch in meinem ganzen normalen Leben."

Das ist unser Amt: Gott zu loben und dem Nächsten zu dienen. Und dieses Tun – davon bin ich überzeugt. Es wird Glück und Segen nicht nur für andere, sondern auch für uns selbst bedeuten. So will ich enden mit einer anderen Geschichte des Dankens. Sie erzählt von einem anderen Arzt. Ein über Jahrzehnte sehr erfolgreicher Mensch. Eines Tages setzte er sich hin und schrieb einen Dankesbrief an seine ehemalige Lehrerin, die ihn sehr ermutigt hatte, als er ihr Schüler war. Eine Woche darauf erhielt er eine mit zittriger Hand geschriebene Antwort. Darin stand: „Mein lieber Willi, ich möchte, dass du weißt, was dein Brief mir bedeutet hat. Ich bin eine alte Frau in den 80ern, lebe allein in einem kleinen Zimmer, koche mir meine Mahlzeiten selbst, bin einsam und komme mir vor wie das letzte Blatt an einem Baum. Vielleicht interessiert es dich, Willi, dass ich 50 Jahre lang Lehrerin war und in der ganzen Zeit ist dein Brief der erste Dank, den ich je erhalten habe. Er kam an einem kalten, blauen Morgen und hat mein einsames, altes Herz erfreut, wie mich in vielen Jahren nichts erfreut hat.“

Darum: Lasst uns durch Christus Gott allezeit ein Lobopfer bringen und vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen. Denn das sind die Opfer, die Gott gefallen. Amen.

Eingangsgebet 

Herr, unser Gott,

wir haben gearbeitet, jeder an seinem Ort.
Der Eine steht gut da und hat Erfolg.
Der andere hat Angst um seinen Arbeitsplatz,
der Dritte hat Sorgen, wie es weitergeht mit der Gesundheit,
und der Vierte traut sich nicht unter die Menschen.
So stehen wir da vor dir.
Nicht jeder kann Erfolge vorweisen.
Nicht jeder hat alles getan,
was er hätte tun können.
Herr wir bitten dich,
segne die Gaben, die wir bringen,
die Ergebnisse unserer Arbeit.
Vergib uns unsere Undankbarkeit,
vergib uns den Neid und Streit um den Erfolg.
Vergib uns die Flüche
und vergib uns die Faulheit.
Herr, wir stehen da, wie wir sind.
Nimm uns an und unsere Gaben.
Amen