Predigt zu Hebräer 4,14-16 von Claudia Trauthig
4,14-16

I. Versuchung!?

 „Versuchungen –

sollte man nachgeben.

Man weiß nicht,

wann sie wiederkommen.“

Dieses kecke Zitat -von dem irischen Dichter Oscar Wilde- hängt in Form einer kleinen Postkarte bei mir zuhause in der Küche, an der Familien-Pinnwand.

Auf dem dazugehörigen Bild ist ein äußerst appetitlich aussehendes Erdbeertörtchen mit prallen Sahnetupfern abgebildet.

Zögere nicht lang, wenn sich dir ein Sahneschnittchen bietet – sonst verpasst du vielleicht die Gelegenheit: Deine „Versuchung“.

Dazu fordern, so unmissverständlich wie augenzwinkernd, Karte (und Dichter) auf.

Liebe Gemeinde,

„Versuchung“ ist das Thema dieses Sonntags im Kirchenjahr.

Aber sein Ziel ist nicht uns zu lehren, wie wir Versuchungen unbeschwert nachkommen.

Im Unterschied zu den meisten Zeitgenossen, die „Versuchung“ mit Süßigkeiten, Kalorien verbinden, zielt dieser Sonntag in eine ganz andere Richtung…

Das hat uns vorhin bereits die Lesung des Sonntagsevangeliums (Mt 4, 1-11) vor Augen geführt.

Gegen jene Versuchungen, denen Jesus zu Beginn seines Lebenswerks widersteht, ist ein „Sahneschnittchen“ wahrhaftig reine Augenzwinkerei.

Aber –

um was kann es für uns heute gehen, wo wir weder dem „Leibhaftigen“ begegnen, noch vergleichbar dramatisch verlockende Angebote bekommen…?

(…)

Ich denke an Luzie:

Luzie ist 11 Jahre alt und ein ganz normales Mädchen.

Eigentlich kommt sie mit allen gut aus -

nur auf manche in ihrer Klasse ist Luzie (etwas) neidisch… Die haben irgendwie immer „coole“ Klamotten und Sachen.

Auch Antonia - Luzies allerbeste Freundin…

Antonias Eltern sind „richtig reich“.

Ihr Haus ist riesig, und vor der Tür stehen zwei Porsche.

Antonias Mama ist nett, ein bisschen zerstreut, denkt Luzie manchmal, wenn Frau Berger vergisst, die Mädchen pünktlich ins Ballett zu fahren.

An diesem Donnerstag wäre das auch fast passiert.

„Toni, Luzie, beeilt euch, ich geh schon zum Auto, sonst kommen wir zu spät.“

Während Antonia ihren Ballettbeutel sucht, springt Luzie noch schnell auf die Toilette.

Gegenüber, auf der Kommode im Flur, liegt alles Mögliche rum.

Als Luzie vorbeigeht, sieht sie einen dicken Geldbeutel und erkennt einen 50.-€- Schein, der ein Stück weit herausragt.

Komm, greif einfach zu, fährt es ihr durch den Kopf:

Das merkt hier doch keiner.

Ich denke an Markus.

Markus ist Ende 30 und seit Jahrzehnten begeisterter Karnevalist.

Die fünfte Jahreszeit ist einfach seins.

Das ganze Jahr freut Markus sich darauf,

endlich wieder mit den anderen aus seinem Verein die Wochenenden unterwegs zu sein und Stimmung zu machen.

Ihre besondere „Spezialität“ ist die menschliche Pyramide.

Das gibt immer ein großes „Ooooooh“, wenn sie die aufbauen und halten.

Markus macht da schon länger nicht mehr mit, ist nicht unkompliziert und geht auf die Knochen.

Doch Tobi, der letztes Jahr unten rechts stand, studiert nun im Ausland, und Yannick, sein Ersatzmann, ist kurzfristig krank geworden.

„Mensch Markus, jetzt musst du noch mal ran. Du hast das noch drauf,… passiert schon nix. Dir doch nicht. Komm, sei ein Kerl und spring ein.“

Ich denke an Monika und Wolfgang.

Für diese Beiden, Jahrgang ´54, ging es eigentlich immer bergauf.

Von außen betrachtet stimmt bei Wolfi und Moni einfach alles:

Trotz der drei Kinder hat Moni ihren Wolfgang immer in der Firma unterstützt.

Jahre, Jahrzehnte lief es gut, immer besser.

Ihren Lebensstil konnten Wolfgang und Monika kontinuierlich nach oben fahren. Die Enkel strahlen über teure Geschenke oder Fernreisen mit Oma und Opa.

Aber –

seit einer Krise vor wenigen Jahren schwächelt die Firma. Die letzten Bilanzen fielen negativ aus, Rücklagen werden aufgebraucht.

Das kann doch nicht sein, denkt Wolfgang, da arbeitest du dein Leben lang und am Ende fressen ein paar Missgeschicke, Bankenpflichten, Steuern… alles auf?

Dieter, sein Schulfreund, „der alte Windhund“, den Moni nicht ausstehen kann, hat bestimmt eine Idee, wie man aus der Misere kommt.

Und Moni will doch auch nicht, dass die Kinder, Freunde, alle merken, dass nicht mehr alles Gold ist, was glänzt…?

Liebe Gemeinde,

Luzie, Markus, Monika und Wolfgang – Menschen wie Du und ich.

Menschen, die in Versuchung kommen…

Manchmal durch eine plötzliche Gelegenheit.

Manchmal durch riskante Selbst- oder Fremdüberschätzung.

Manchmal durch die Gier nach Macht, Reichtum, Bewunderung.

Manchmal durch Wüstenzeiten, vor denen kein Leben verschont bleibt.

II. Widerstand durch Vertrauen

Hören wir den Predigttext für den Sonntag Invokavit, aus Hebräer 4, die Verse 14-16:

Weil wir denn einen Hohenpriester haben,

Jesus, den Sohn Gottes,

der die Himmel durchschritten hat,

so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis.

Denn wir haben nicht einen Hohenpriester,

der nicht könnte mitleiden mit unserer Schwachheit,

sondern der versucht worden ist,

in allem wie wir,

doch ohne Sünde.

Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht

zu dem Thron der Gnade,

damit wir Barmherzigkeit empfangen

und Gnade finden

zu der Zeit, da wir Hilfe nötig haben.

Erneut also auch heute ein Wort aus dem Hebräerbrief, der ja –wie wir schon mehrfach entdeckten- Bilder, religiöse Vorstellungen und Begriffe aus dem Judentum (um die Zeitenwende) aufgreift:

Dass wir einen „Hohenpriester haben“, (Jesus!) wird hier versichert,

der „die Himmel durchschritten“ hat (geboren, gekreuzigt und auferstanden ist),

damit wir am „Thron der Gnade“, „Barmherzigkeit“ und „Gnade finden“, wo wir „Hilfe nötig haben“.

Zweifellos sind das nicht nur schillernde Bilder, die in den Zusammenhang des Tempelkults gehören, sondern Bilder, die uns das Herz leicht machen – erst recht in Wüstenzeiten und Zeiten der Versuchung:

Ihr habt doch Jesus,

den Brückenbauer zwischen Erde und Himmel.

Im Vertrauen auf ihn

Bittet Gott um Hilfe, wo immer ihr es braucht,

Barmherzigkeit und Gnade werden Euch finden.

Nur eins bleibt wichtig:

Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis!“

Denn das Vertrauen in Christus ist der machtvollste Widerstand gegen alle Versuchung.

Liebe Gemeinde,

der namenlose Verfasser des Hebräerbriefs will seine Brüder und Schwestern vor der größten, schwersten Versuchung bewahren:

Der Versuchung, nicht mehr und nicht weiter mit dem Auferstandenen zu leben.

Der Versuchung, sein Leben nur sich selbst (und vielleicht den Seinen) zu leben, zu verantworten.

Der Versuchung, nur an sich selbst zu glauben, statt Gottes Gnade und Barmherzigkeit, Seine Hilfe zu feiern, daraus zu leben, darauf zu vertrauen, wenn Wüstenzeiten anbrechen…

„Meinen Erfolg habe ich mir schließlich hart erarbeitet.“

„Dass es bei mir zuhause stimmt, dafür habe ich auch viel getan.“

„Für meine Gesundheit tue ich schließlich auch was!...

Von nichts, kommt nichts.“

Der Hollywood-Regisseur Woody Allen hat in einer seiner beruflichen Sternstunden, als er einen Oscar, die größte Auszeichnung des Kinos, bekam, ganz anders festgestellt:

Ich danke ihnen allen für diesen schönen Preis, den ich nicht verdient habe -

aber auch meine Zuckerkrankheit habe ich nicht verdient.“ (Werkstatt für Liturgie und Predigt; 12/2015, 540)

Viele (auch wir?) hingegen machen für Glück, Erfolge, gelingende Beziehungen und Gesundheit sich selbst verantwortlich.

Unglück, Scheitern und Krankheit liegen an anderen, vor allem Gott, der nun nicht einmal „lieb“ sein kann, wo man ihn (ausnahmsweise!) braucht.

III. Dem Geheimnis des Lebens begegnen

Liebe Gemeinde,

wöchentlich, täglich (?) beten wir im Vaterunser:

Führe uns nicht in Versuchung“.

Zuerst und zuletzt ist es die Versuchung,

Gott nicht zu lieben, die Auferstehung Christi, sein Bekenntnis zu Dir und zu mir zu leugnen.

Ich weiß nicht, wie sich Luzie und Markus, Wolfgang und Monika entschieden haben…

Wir wissen nicht, was wir in diesen, ähnlichen oder noch weit schlimmeren Versuchungen tun würden.

In Wüstenzeiten oder auf dem Gipfel des Erfolges.

Keiner von uns könnte, wie Jesus im Evangelium des Sonntags, da ruhig und fest mit einem theologisch entwaffnenden Bibelwort antworten…

Aber

- das müssen wir ja auch gar nicht.

Es reicht schlicht: Vertrauen…

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück,

denn du bist bei mir.

Gott ist bei uns.

In Jesus Christus.

„Wir haben nicht einen Hohenpriester,

der nicht könnte mitleiden mit unserer Schwachheit,

sondern der versucht worden ist,

in allem wie wir,

doch ohne Sünde.“

Er hilft mir (und Luzie?) erkennen, dass Freundschaft und Liebe viel kostbarer sind als Geld.

Er hilft mir (und Markus?) begreifen, dass ich mir und anderen gar nichts beweisen muss, weil ich längst vollkommen anerkannt bin.

Er lässt mich (und Wolfgang mit Moni?)verstehen, dass kein Besitz dieser Welt am Ende von Wert ist, außer jener, mit dem Christus reich macht.

Passionszeit bedeutet: diesen geheimnisvollen Weg Jesu wieder neu mitzugehen:

Seinem radikalen Verzicht auf „Geld, Markt, Meinung“ zu begegnen.

Seinem unvergleichbaren Vertrauen in Gott und die Macht der Liebe.

Dem Sieg der verletzlichen Liebe über die Verletzungen durch Unmenschlichkeit, Gewalt, Tod.

Wir sind herausgefordert, christliche Werte nicht zu beschwören (womöglich sogar noch gegen andere!), sondern zu leben:

In jedem Menschen begegnest du dem lebendigen Gott.

Im Leidenden ist ER da.

Im Verfolgten, Missachteten, Vertriebenen… tritt ER dir in den Weg.

Gnade und Barmherzigkeit bleiben dir, in Christus, auf der Spur, was auch immer das Leben belastet, verdunkelt.

In allem, was du an Wüstennot, aber auch Oasenglück und Höhenrausch erfährst, bist du nicht allein.

Die Passionszeit, die durch Leid, Dunkel und Tod führt, mündet in das neue Licht des ersten Tages. In ihr findet sich die Wahrheit des christlichen Lebens.

Von Wolfgang und Moni, Markus und Luzie, Dir und mir.

Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht

zu dem Thron der Gnade,

damit wir Barmherzigkeit empfangen

und Gnade finden

zu der Zeit,

da wir Hilfe nötig haben.

Amen.

 

Perikope
14.02.2016
4,14-16