Predigt zu Jakobus 5,7-8 von Angelika Überrück
Liebe Gemeinde,
warten Sie gerne? Ich nicht und ich vermute, die meisten von Ihnen auch nicht.
Beim Arzt, wenn noch zehn Patienten vor einem dran sind, an der Kasse im Geschäft, wenn ich wieder die längste und langsamste Schlange erwischt habe, oder auf der Autobahn, wenn der Stau genau dann beginnt, wenn man an der Ausfahrt vorbei ist. Und bei allen, die mit warten müssen, merkt man schon an den Gesichtern, dass sie auch nicht erfreut sind. Die Stimmung ist gereizt.
Warten fällt schon Kindern schwer. Besonders natürlich jetzt in der Adventszeit. Erst ist da das Warten auf das Öffnen des ersten Türchens am Adventskalender. Dann beginnt das Warten auf den Nikolaus und seine Überraschungen. Und dann auf den Heiligen Abend und die Bescherung. Sie sind ungeduldig, weil sie auf den Besuch der Großeltern oder anderer Verwandter warten oder auf den Besuch bei der Familie.
Warten fällt uns schwer, andererseits durchzieht Warten unser Leben. Es gehört zu unserem Leben dazu: Wir warten jedes Jahr wieder auf die Ferien, auf den Urlaub. Als Kinder warten wir endlich in die Schule zu kommen, später dann auf einen Ausbildungs- oder Studienplatz. In der letzten Phase des Arbeitslebens wartet man auf die Pensionierung, um noch ein paar Jahre zu zweit das Leben zu genießen. Und viele alleinstehende alte Menschen warten darauf, dass ihre Kinder oder Enkel mal zu Besuch kommen. Es gibt unendlich viele Situationen in unserem Leben, in denen wir warten müssen. Jeder und jedem von Ihnen fällt da sicherlich sofort etwas ein.
Wir müssten also eigentlich alle Spezialisten im Warten sein, so oft wie es in unserem Leben vorkommt. Trotzdem fällt es uns schwer. Warum eigentlich?
Ich denke, es hat etwas mit unserem Lebensgefühl zu tun.
Da ist das verbreitete Gefühl, nicht untätig sein zu dürfen. So setzen wir uns unter Druck. Termine reihen sich aneinander und wenn der erste ins Rutschen gerät, geraten alle anderen auch durcheinander.
Deshalb warten wir auch nicht mehr, ohne dabei tätig zu sein. Smartphone, Handy und IPad bestimmen die Wartezeit.
Außerdem möchten wir immer alles und sofort haben. Ein Forscher hat dieses moderne Lebensgefühl mit dem Begriff „Sofortness“ beschrieben. Was das bedeutet, möchte ich an ein paar Beispielen verdeutlichen, die Sie sicherlich alle problemlos ergänzen können. Wer ein Geschenk sucht, der bestellt es im Internet und erwartet, dass es innerhalb weniger Stunden da ist. Wer in den Geschäften etwas kauft, möchte es auch sofort mitnehmen. Telefonieren wird nicht auf eine ruhige Minute verschoben, sondern zwischendrin beim Spazierengehen erledigt und wenn das nicht geht, dann wird eben schnell eine SMS geschrieben. Wenn sich jemand nicht sofort zurückmeldet, werden wir ungeduldig.
Und wir möchten auch immer alles „sofort“ über andere wissen. So wird jede Handlung, jeder Weg gepostet. Auch Nachrichten, aktuelle Ereignisse werden in den sozialen Medien verbreitet, schon während etwas geschieht. Manchmal sehr zum Nachteil oder Leidwesen der Beteiligten. Das alles ist „Sofortness“.
Und nun dieser Predigttext: „So seid nun geduldig“. Was für ein Ratschlag. Und das mitten in der Adventszeit. Was muss nicht noch alles erledigt werden bis Weihnachten? Wie viele Termine gilt es noch abzuarbeiten? Die Zeit rennt. Und dann dieser Ratschlag: „Seid geduldig.“
Wie soll das gehen? Wie können wir Geduld lernen?
Wir waren im Frühjahr in Kalifornien im Urlaub. Da habe ich erstaunt festgestellt, dass es nie Drängeleien in Schlangen gab, keine genervten Gesichter. Selbst, wenn man eine Stunde und mehr anstehen musste, waren alle gut gelaunt und fingen einfach mit den Menschen um sie herum ein Gespräch an. Die Zeit verging schnell beim Klönen.
Auch beim Autofahren: Jeder wartete an der Kreuzung geduldig, bis er dran war zu fahren. Es gab kein Hupen, kein Überholen von hinten. Auf Fußgänger wurde auf jeden Fall Rücksicht genommen. Von Hektik keine Spur. Mich hat das ins Nachdenken gebracht, warum es gerade uns so schwer fällt zu warten.
Wozu soll es überhaupt gut sein, warten zu können und geduldig zu sein? Ist das nicht verlorene Zeit? Psychologen haben festgestellt, dass warten zu können gerade in unserer Zeit wichtig ist. Denn Warten ist ein Moment der Pause, ein Moment, die Welt auf sich wirken zu lassen. Warten hat mit Selbstdisziplin zu tun. Solche Phasen des Nichtstuns sind wichtig, um dann wieder kreativ sein zu können. Denn während man wartet, sieht man auch genauer hin und nimmt auch besser wahr. Deshalb ist es wichtig, mal seine Seele baumeln zu lassen, zu träumen und nachzudenken. Eben Geduld zu üben, um dann umso besser wieder tätig sein zu können.
Ob der Schreiber des Jakobusbriefes das alles im Hinterkopf hatte, weiß ich nicht. Denn als er seine Zeilen an die christlichen Gemeinden schrieb, war sicherlich noch nicht so viel los wie heute bei uns, und schon gar nicht wie bei uns in der Adventszeit. Dennoch gibt er den Rat: „Seid geduldig.“ Ihr müsst auf das Kommen Jesu warten können. Auch er hat damals also mit der Ungeduld seiner Mitmenschen zu tun.
Dabei handelte es sich um eine spezielle Ungeduld: Die Christinnen und Christen in den ersten Gemeinden gingen davon aus, dass Jesus noch zu ihren Lebzeiten wiederkommen würde. Aber das passierte nicht. Die ersten, die sich zum christlichen Glauben bekannt hatten, waren bereits gestorben. Und als der Jakobusbrief entstand, war schon die nächste Generation herangewachsen. Manche fragten sich, ob sich der Herr überhaupt noch zu ihren Lebzeiten zeigen würde.
Die Menschen damals warteten also auf das Wiederkommen Jesu und waren nicht im Weihnachtsstress. Deshalb schreibt der Verfasser des Jakobusbriefes das ganz eindringlich: Seid geduldig, wartet, der Herr kommt bald! Versucht nichts zu beschleunigen. Denn niemand kann etwas dafür tun, dass Jesus wiederkommt. Es bleibt Gott überlassen zu handeln.
Und dann benutzt der Briefschreiber Jakobus ein Beispiel, um deutlich zu machen, wie richtiges Warten aussehen kann. Er nimmt ein Beispiel, das jeder damals kannte. Ihr müsst Geduld haben wie ein Bauer, so rät er.
Ein Bauer, wir sagen heute Landwirt, der bestellt sein Feld. Er tut eine ganze Menge für seine Ernte. Er sät aus. Er nimmt gutes Saatgut und unempfindliche Sorten. Er wird düngen – gezielt, je nachdem, was die Saat braucht. Keimende Saat kann durch Kunststofffolien vor Wind und Kälte geschützt werden. Er wartet auf Regen, der Samen vor dem Vertrocknen schützt. Wobei er bei ausbleibendem Regen auch unterstützend eingreift, indem er Wassersprenger einsetzt. Er tut etwas gegen Unkraut und Schädlingsbefall. Er wartet auf Wärme, die den Keim aus dem Boden lockt. Er wartet wieder auf Regen, der die Pflanze tränkt und wachsen lässt. Er wartet bis unter Frost und Hitze, Sonnenschein und Regen die Ernte heranreift. Bei all dem, was er tut, hat er trotzdem nicht alles in der Hand. Denn der Zeitpunkt der Ernte muss geduldig abgewartet werden. Ein Landwirt kann nicht bestimmen, ob Ähren, Äpfel, Kartoffeln, Mais oder was immer er angebaut hat, vierzehn Tage früher oder später reif sind, ob sie reichlich oder wenig Frucht tragen. Ungeduldig sein oder die Hoffnung aufgeben, nutzt da nichts. Und wenn ein Unwetter kurz vor der Ernte alles zerstört, kann er auch nichts dagegen tun.
An diesem Bild des Bauern, des Landwirtes, der handelt, aber auch Geduld haben muss, sollte den Menschen damals, und natürlich auch uns heute, deutlich werden, wie richtiges Warten aussehen kann. Wie Geduld haben aussehen kann. Geduld ist eine Fähigkeit, es ist eine Kraft, die man bekommt, wenn man ein Ziel hat. Wenn man weiß, worauf man wartet. Zur Geduld gehört also auch Hoffnung. Und es gehört die Gewissheit dazu, dass es sich lohnt zu warten. „Der Herr kommt bald.“ So beschreibt der Jakobusbrief unsere Hoffnung, unser Ziel. Und bis dahin, so sein Rat: „Seid geduldig.“
Die Vorstellung von der Wiederkunft Christi am Ende der Zeit ist bei uns aus der Adventszeit fast verschwunden. Wir begegnen ihr noch in den Lesungstexten im Gottesdienst. Aber auch auf das Weihnachtsfest, auf das Kommen Gottes in diese Welt in einem Kind im Stall, warten wir ja nicht mehr geduldig, sondern gestresst.
In den Worten des Jakobusbriefes wird deutlich, dass wir im Advent Geduld vielleicht ganz neu lernen müssen.
Die Adventszeit war, so habe ich es als Kind noch kennen gelernt, eine Fastenzeit, in der viel vorbereitet wurde. Selbstgebackene Kekse, Stollen, Süßigkeiten gab es erst am Heiligen Abend, zu Weihnachten. Dann wurde gefeiert. Das geht heute leider nicht mehr durch die vielen Weihnachtsmärkte, durch Weihnachtsfeiern und andere Aktivitäten. Aber dadurch haben wir auch verlernt zu warten, uns zu freuen.
Auch andere Bräuche, mit denen wir mal Warten gelernt haben, die uns das Warten erleichtert haben, sind inzwischen sinnentleert.
Adventskalender wurden eingeführt, um warten zu lernen. Zunächst für Kinder, dann auch für Erwachsene. Leider sind sie zu einem Selbstzweck geworden. Jede Spielzeug- und Süßwarenmarke gibt einen Adventskalender heraus, Parfüm, Bier, Baumärkte, Apotheken, alle haben einen Adventskalender, der den Umsatz steigern soll. Jeden Tag ein Türchen des Kalenders zu öffnen, hinter dem nur ein zur Adventszeit passendes Bild und vielleicht auch ein Stückchen Schokolade war, machte deutlich: wir nähern uns Weihnachten, wir nähern uns der Geburt Christi, aber noch ist nicht Weihnachten. Noch sind wir nicht am Ziel.
Auch der Adventskranz mit seinen Kerzen ist entstanden, um die Vorfreude, das Warten auf das Weihnachtsfest zu gestalten. Mit jeder Kerze am Adventskranz wurde es ein wenig heller und man näherte sich Weihnachten, wo es durch die Geburt Christi richtig hell wird im Leben, weil Gott Mensch wird, weil Gott uns nahe kommt. Symbolisch wurde es deutlich durch die vielen Kerzen am Weihnachtsbaum.
Bei uns gibt es inzwischen zu viel Licht in der Wartezeit, die Tannenbäume brennen von Beginn der Adventszeit an, die Geschenke in den Adventskalender sind so groß, so dass es eigentlich kein Warten mehr gibt und keine Steigerung am Heiligen Abend. Am Heiligen Abend sind viele froh, dass die Adventszeit vorbei ist. Dabei sollte Weihnachten doch das Ziel der Adventszeit sein, unsere Hoffnung: Gott wird Mensch. Gott kommt zu uns in diese Welt.
Wissen wir vielleicht gar nicht mehr, auf was wir warten? Oder erwarten wir vielleicht gar nichts mehr von Weihnachten? Ich lasse diese Fragen bewusst stehen. Nehmen Sie sie mit auf den Nachhauseweg zum Nachdenken. Auch darüber, wie wir wieder lernen können, geduldig auf Weihnachten zu warten.
Unsere Jugendlichen haben letzten Sonntag einen Gottesdienst gestaltet über das, was wir brauchen in der Adventszeit und sie haben dann „Smileys“ an alle verteilt. Vielleicht würde das schon genügen, einmal freundlich durch den Tag, durch den Advent zu gehen. Denn wer sich freut, nimmt sich Zeit und hat Geduld. Wir können uns freuen, dass Gott uns so nahe kommen will. Wir müssen das nicht machen. Gott kommt. Amen