1.
„Quasimodogenoti“ ist der Name des heutigen 1. Sonntags nach Ostern. „Wie neu geboren“. Es war auch der uralte Taufsonntag der ersten Christenheit. „Wie neu geboren“ – so als könne ich in meinem Leben noch einmal neu anfangen. Taufe – abwaschen des ‚alten Adam’ – frisch und gereinigt (von aller Sünde gereinigt) zurück ins Leben. Neubeginn. Was für ein Traum, Chance, Vision. --- Kennen Sie das? Träumen auch Sie manchmal davon? Oder haben Sie diesen Traum aufgegeben? Lohnt sich nicht, bringt nichts?
Martin Luther sagte einst, wir müssen immer wieder neu zu unserer Taufe zurückkriechen, wie in den Mutterleib (nein nicht unserer Mutter, das geht nicht), in den Mutterleib Gottes hinein. Das geht. Das ist unserer Taufe. Neunfang, so als könne ich noch einmal ganz neu starten, alles was bisher war, hinter mir lassen.
Quasimodogeniti - wie neu geboren ! „Jetzt geht’s los“, geht mein Leben richtig los. Ach ja, ich möchte es manchmal und frage mich: Ist es nicht doch möglich? Ist das die Pointe unseres christlichen Glaubens, dass wir tatsächlich immer wieder neu, noch einmal neu beginnen können, trotz allem, wegen allem, was uns so alltäglich niederdrückt?
2.
Liebe nachösterliche Gemeinde,
diesen Traum gibt es nicht erst seit 2000 Jahren (also seit Ostern), dieser Traum ist so alt wie die Menschheit – umgreift alle Völker, alle Religionen. --- So eben auch im alten Israel, bereits 700 Jahre vor Jesu Geburt, beim Propheten Jesaja. Davon handelt unser Predigttext, für den heutigen Sonntag Quasimodogeniti von unserer lieben Kirche ausgewählt, extra dafür. Wir hören
Jes 40, 26-31
Haben Sie dabei etwas von dem „wie neu geboren gespürt“? Ist dieser Text Ihnen nahe gekommen?
Zunächst ein paar knappe Worte zur Situation damals, dem sog „Sitz im Leben“, also zu wem und warum der Prophet Jesaja damals (doch nicht nur damals) redet.
In Kurzform einige Stichworte nur an dieser Stelle:
Babylon - Gefangenschaft – in der Fremde – Begegnung mit fremden Religionen- Astralreligionen – Euer Gott taugt nix, wo ist er denn, heh? - das nagt am Gemüt – 1000x gebetet, er sollte uns befreien, sollte sein Macht erweisen – er tut einfach nix- verschwindet, glänzt durch Abwesenheit – sollte er gar tot sein- sollte unser Gl. nur eine Fiktion sein? Ein-Bildung? Und dann der Spott der Babylonier – „Guckt mal, ihr habt so einen unsichtbaren, nix zu sehen – Für uns sind Sterne, Sonne und Mond unsere Götter – kommen und gehen - beeinflussen uns real - Mondzyklus, Gezeitenwechsel, da sieht man was, ja, ja – und was habt ihr dagegen?“ ---
Das kann schon Nerven kosten und am Gemüt nagen – jahrzehntelang (die Israelis waren über 100 Jahre in Babylon) Nix da mit „neugeboren“ – alles alt und grau geworden.
3.
Ich denke, ich muss das gar nicht groß auf uns übertragen. Kennen wir ja auch.
In der Politik im Großen: Immer die großen Kriegsgebiete: Ukraine gerade jetzt. Und das Dauerproblem: Frieden in Israel? Frieden überhaupt? Und dann gerade das Unglück des Fährschiffes vor Süd-Korea. Überall die alten Sorgen und Probleme. Also: „Wie neu geboren“? ???
Und natürlich auch ganz persönlich: Unsere Jugendträume – ich mach’s anders als meine Eltern - mach nicht die gleiche Fehler – meine Ehe wird halten – „mit meinem Gott spring ich über Mauern“ Sind wir gesprungen? „Wie neu geboren“? ???
Und nun dazu das trotzige Wort des Jesaja: Ja, trotz allen, wegen allem: „Du bist heute wie neu geboren“.
Hören wir noch mal einen Teil des Textes: (vv.28-31)
Ist ja fast zu einem Poesiealbumspruch, Tauf- und Konfirmations-Spruch geworden. Können wir das glauben? Beflügelt es uns, so dass wir heute wirklich neu geboren werden und fliegen lernen, fliegen in dieser Welt mit den Schwingen des Adlers wie es so schön poetisch heißt?
Fliegen lernen, wie ein freier Vogel im Wind, alle Erdenschwere unter uns lassen. „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ sang einst R. May sehnsüchtig, ein Lied, immer wieder gehört. Warum wohl? Wie neu geboren. Müde Glieder werden munter, ich krieg wieder neue Kraft, trotz alledem. Ich gebe nicht auf. Jeder von uns hat da wohl seine eigenen Erinnerungen aus der Kindheit. Neuanfang, trotz alledem. So war es j auch für viele Ältere unter uns nach dem Krieg anno 1945.
Wenn es so ist, sprechen wir uns hier nur selbst Mut zu? Oder ist’s die Kraft Gottes?
4.
Das haben sich die frommen Ausleger dieses Textes natürlich auch gefragt. Ist der Prophet denn verrückt geworden? Versucht er sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen? Selbstbeschwörung oder Erfahrung: Gott hält treu zu mir.
Es gibt eine jüdische Auslegung dieses Textes, die ich gefunden habe, grad eben, sozusagen auch „Wie neu geboren“ für mich, weil ich sie noch nicht kannte. Die finde ich sehr bemerkenswert und möchte Sie ihnen weiter geben, also „wie neu geboren“ jetzt.
Eliezer Berkowitz, ein jüdischer Rabbiner fragt in seinem Buch „Faith after the Holocaust“ (Glauben nach dem Holocaust), viel schlimmer noch als damals in Babylon: Wo war denn Gott, an den wir glauben, in Auschwitz? Wo hat er uns Kraft gegeben, das wir Fliegen lernten mit Schwingen des Adlers, wegfolgen aus Auschwitz und nicht vergast worden? Wo? Können wir –so fragt dieser fromme Jude- nach Auschwitz noch weiter an Gott glauben? Trotz alledem: Aus der Asche wie neu geboren? Ja, antwortet er trotzig, Ja. Nicht nur trotzig, sondern auch ganz demütig.
Und er sagt mit eigenen Worten so:
„Wahrhaftig. Du bist ein Gott, der sich verbirgt. Du Gott Israels. Dass Gott sich verbirgt (er also nicht da ist, wir ihn nicht wahr nehmen) das gehört zu unserem Gott dazu, zu unserm Gott, der unser Helfer ist. Auf geheimnisvolle Weise ist der Gott, der sich verbirgt, der Gott, der errettet…Man kann es als das göttliche Dilemma bezeichnen, das in Gott selbst wohnt, Denn wenn es den Menschen geben soll, muss Gott die Entscheidungsfreiheit des Menschen achten. Wenn der Mensch in eigner verantwortlich handeln soll, ohne fortwährend durch die Übermächtigkeit Gottes eingeschüchtert zu werden, muss sich Gott aus der Geschichte zurück ziehen… Damit der Mensch sein und leben kann, muss Gott sich entfernen, aber damit der Mensch nicht in der von ihm selbst herbeigeführten tragischen Absurdität zurunde geht, muss Gott in der Welt bleiben. Unser Gott muss zugleich abwesend und gegenwärtig sein. Er ist abwesend, ohne hoffnungslos unerreichbar zu sein. Er ist gegenwärtig, ohne sich unzweideutig festzulegen und uns damit zu vergewaltigen. Er lässt uns unsere Freiheit, die er uns geschenkt hat“
Ein toller Text.
Ich lerne daraus: Gott schenkt uns die Freiheit zum Leben – immer wieder neu – Er ist bei uns, trägt uns, auch wenn wir ihn nicht sehen, nicht spüren. Zwingt sich uns nichts auf. Lässt uns selbst das Leben gestalten. Wir sehen, spüren ihn nicht und sagen leichtfertig: Er ist nicht da. Woher wissen wir das eigentlich? Er ist da, real da, er ist bescheiden, zurückhaltend da, ja er ist verborgen da, um uns unser Leben zu lassen, das wir es selbst gestalten können, meinen, selbst gestalten zu können. Er ist abwesend und präsent zugleich. Er ist auch in seiner Abwesenheit im Hintergrund für uns noch präsent.
5.
Das ist damit gemeint. Er gibt den Müden Kraft und den Ohnmächtigen gibt er Stärke. Jünglinge werden müde (ja sogar Jünglinge, wie sehr dann wir Älteren) aber die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft, dass ihnen Schwingen wachsen wie den Adlern, dass sie laufen (weiter laufen im Leben, wie neu geboren, immer weiter) und nicht ermatten, das sie wandeln und nicht müde werden.
Ja, das glaube ich. Das ist mein Glaube, an dem ich fest halte. Und Jesus, mein Bruder und mein Herr, hat ihn neu bestätigt durch sein Leben, sein Leben, durch seinen Tod und sein neues Leben. Dieser Glaube gilt. Da lasse ich m ich nicht irre machen. „Wie neu geboren“. Heute ist der erste neue Tag vom Rest meines Lebens. Das glaube.ich das gilt für mich.
Das gilt auch für Sie, für einen jeden – Und dann kann Ostern werden, auch noch eine Woche danach, neue Auferstehung zum Leben. Zurück zur Taufe, wo das konzentriert begonnen hat – voraus in unser Leben, das noch vor uns liegt, Gott allein weiß wie lange.
Fliegen lernen im Glauben – mit meinem Gott spring ich über Mauern - mit den Schwingen des Adlers, laufen, immer weiter laufen und nicht matt werden. Das ist Ostern. Das ist wie neu geboren. Nicht nur wie: Das ist „neu geboren“. Jetzt! Für jede/n!