Liebe Gemeinde,
Kriegstüchtige junge Krieger ermüden nie. Unerschöpflich ist ihre Ausdauer. Im Rausch des Tötens sind sie außer sich. Sie laufen und klettern, sie jagen über Bergkämme hinweg. Hindernisse gibt es für junge Krieger nie. Sie fliegen. Aber dann, wenn die Schlachten geschlagen sind und die Macheten stumpf, wenn das Blut der Opfer schon längst verdampft und ihre Schreie verhallt sind, überkommt diese jungen Krieger eine Müdigkeit, die tiefer reicht und weiter geht als bis zum nächsten Tag. Müde und matt sind sie nun und verfolgt von den Gesichtern, von den Schreien ihrer Opfer. Pausenlos hetzen sie ihre Täter bis in den Schlaf und dann noch im Schlaf, solange, bis der Traum sie erschöpft und sie am anderen Morgen erwachen wie gerädert und wie erschlagen. Der letzte Blick ihres Opfers verlässt sie nicht und die Mutter mit ihrem Säugling erhebt sich vor ihnen mit fordernder Hand. Schwer ist solch ein Traum und hat sich längst ausgewachsen zum Trauma, auch für den Täter. Und diese Traumata zehren ihn auf, den jungen Krieger, sie fressen an seiner Seele, sie fressen ihn auf und wenn er nachts schreiend erwacht, könnte man meinen, nicht den Täter, sondern die Opfer zu hören. Und wenn der Krieg auf dem Balkan und in Ruanda längst vorüber ist, bleiben junge Krieger, müde und matt und seelisch ein Wrack.
Männer werden müde und matt, Jünglinge straucheln und fallen.
Es geht auch alltäglicher und weniger spektakulär: dass da diesem Menschen, dieser Frau oder diesem Mann die Kraft ausgeht und nicht einmal mehr genug da ist, um aufzustehen, geschweige denn seinen Alltagspflichten nachzugehen, dass da einer am Boden ist und nicht weiß, wie ihm geschieht, weil die Erde und die Welt erdrückend ist und ihre Schwere lähmt.
Kein Flug und keine Flügel mehr. Als Ikarus stürzt du ins Meer. Nichts, was dich erheben könnte.
Deine Schwere ist die von Exilanten ohne Aussicht jemals heimzukehren, mit der bitteren Perspektive auf ewig als Fremder zu leben in grußloser Fremde, ohne ein Wort der Anerkennung, ohne Zuspruch und ohne die Möglichkeit, die Rituale zu feiern, die du kennst aus deiner Kindheit.
Abgeschafft Tempel und Tempelgesänge; keine Thora, die der Priester mit erhobener Stimme rezitiert; kein gemeinsam begangenes Passa, das an die Befreiung aus Ägypten erinnert; dafür neue Gefangenschaft und neue Bedrückung. Und nicht die Aussicht, jemals wieder ein Fest feiern zu können, in heimischem Tempel, mit Opfern, die die Welt wieder ins Lot bringen könnte.
Mein Weg ist dem Herrn verborgen; er sieht mich nicht mehr. Ich bin ihm gleichgültig geworden.
Das aber wollen sie nicht hören. Sie behaupten nämlich etwas ganz anderes, dass Er die Erde erschaffen hat und nicht nur die Erde, auch Dich hat er erschaffen, so sagen sie und behaupten, das gebe Kraft und das mache Sinn.
Aber nur der behauptete Gott, den sie uns gegen die Schwermut stellen, mit dem sie uns wieder neues Leben einhauchen möchten, ist zu wenig; er bleibt ohne Kraft.
Dieser Gott, der da erscheint, wo Männer schwach sind, der allein hat eine Kraft, die aus dem Geist stammt und in der Stille spürbar wird. Wie sollte einer sonst schwach sein können ohne zu verzweifeln, wenn ihm nicht diese Kraft zu Hilfe käme? Und wie sollte eine Alleinerziehende ihren beschwerlichen Alltag bestehen, wenn sie nicht etwas von dieser Kraft verspürte? Längst hätte sie sonst Abgrund tiefen Hass empfunden beim Gedanken an die Reichen, deren Betten sie macht im Fünf- Sterne-Hotel nebenan.
Der Gott, der da erscheint, wo Krankenschwestern, Ärzte kollabieren, weil sie nicht fertig werden mit den unaufhörlich eingelieferten Verwundeten in Aleppo und in Abuja, - wenn ein Gott, dann dieser.
Aber dieser Gott, der da erscheint, wird noch einmal ans Kreuz geschlagen. Endgültig und für immer soll er vertrieben werden von dieser Erde, der Gott, der es gut meint mit den Erschöpften, den Geschlagenen und Traumatisierten.
Aber ihn ganz zu vertreiben gelingt nicht. Ein Zwischenraum bleibt, eine Lücke, eine Frage, ein Säuseln des Windes. Drei Tage und drei Nächte reichen aus für diesen Zwischenraum, in dem dann Gott erscheint, für diesen Zwischenraum, der schützt vor Tod und Grausamkeit. Das Verlies, in dem sich die Flüchtenden verstecken, die innersten Kammern der Seele, in Räumen erinnerter Kindheitstage, - in diesen Zwischenräumen erscheint dieser Gott, in diesem Zwischenraum menschlicher Gespräche, in diesem Zwischenraum von Bildern, von Zuspruch und von Zuflucht. Am dritten Tage erscheint er dann in diesem Zwischenraum, - der Gott des Glaubens und der Hoffnung und der Liebe. Unsichtbar ist er und schwach, leicht zu übersehen und seine Stärke wirkt geheim, manchmal am armen Ort, nicht auf der Bühne, hinter den Kulissen, im Inneren mehr als herzeigbar auf hoch polierten Werbeseiten.
Auf dem Weg nach Emmaus erscheint er dann und gibt den Jüngern neue Kraft. Er erklärt seinen Weg und stärkt die Trauernden, stärkt die Traumatisierten bei Brot und bei Wein, bis sie sich selbst wieder spüren und sagen: Brannte nicht unser Herz? Wurde das schwere Herz nicht froher und leichter durch Ihn?
Unter den Kreuzen dieser Welt, wo Menschen anderen Menschen Menschen sind, da gibt er ihnen Kraft dazu. Unter den Kreuzen dieser Welt wirkt er mit Kraft und Stärke dort, wo Menschen ihre Schwäche spüren, - in den Hospizen und den Krankenhäusern, wo andere dann ihre Leben teilen, um zu begleiten, um zu trösten.
Jeden Morgen gibt er neue Kraft. Er wird nicht müde und er wird nicht matt. Kein Krieger und kein Waffenträger und kein Tyrann und auch kein Machtstratege. Ein Hirte ist aus diesem Gott geworden und aus der Welt wird seine Herde.
Amen