Predigt zu Jesaja 49,13-16 von Hans Joachim Schliep
49,13-16

29.12.2013 - Erster Sonntag nach dem Christfest

»Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der Herr hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.«

Zion aber sprach: »Der Herr hat mich verlassen, der Herr hat meiner vergessen.«
»Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet; deine Mauern sind immerdar vor mir.«

 „Wisst ihr noch, wie es geschehen…?“ Mit diesem neueren Weihnachtslied, liebe Gemeinde, haben wir den Gottesdienst begonnen. „Wisst ihr noch, wie es geschehen…?“ Ja, wir wissen es noch. Deshalb sind wir ja hier. Gerne nehmen wir das Geschenk dieses 1. Sonntags nach dem Christfest an. In Ruhe erinnern wir uns an das große Fest der Christgeburt im Stall von Bethlehem. Maria und Josef, Engel und Hirten: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. (Lk 2,12) Wer im Weihnachtstrubel vergeblich nach ihm gesucht hat, findet es heute, hier und jetzt! Die wahre Weihnacht braucht Zeit. Sonst verkommt sie ganz zur Ware Weihnacht. Jetzt sind die Geschenke verteilt und ausgepackt. Die Gäste sind längst zu Hause. Auch wir haben unsere Besuche gemacht. Oder machen sie heute Nachmittag. Am Nachmittag dieses Sonntags ›zwischen den Jahren‹. Da scheint das Weihnachtslicht immer noch. Da werden die Kerzen am Weihnachtsbaum noch einmal entzündet. Da klingt es nach, das Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden. Was ist und kommt, wird mitbestimmt von dem, was wir erinnern und was wir erwarten. Das Fest und die Freude - derart sind sie uns gegenwärtig.

Doch sind sie es anders als an den Festtagen selbst. Keineswegs dunkler oder gedämpfter. Nur weniger von außen als mehr von innen. Eben als Erinnerung: als das, was sich eingeschrieben hat in unserem Inneren und uns nun zuinnerst ist, wenn ich es einmal so sagen darf. Das ist das Gute, Besondere an diesem Tag, in diesen Tagen. Wir sprechen von der ›Zeit zwischen den Jahren‹, obwohl die Zeit voranschreitet wie alle Zeit. Doch schon als Kind schien es mir so: In diesen Tagen holt die Zeit Atem. „Was vorüber ist / ist nicht vorüber / Es wächst weiter / in deinen Zellen / ein Baum aus Tränen / oder / vergangenem Glück“. So dichtete es Rose Ausländer. So erlebe ich es: In diesen Tagen, ›zwischen den Jahren‹ eben, schiebt sich eine andere Wirklichkeit hinein in die des Gewohnten, Alltäglichen, Immergleichen. Die Zeit ist nicht anders als sonst, aber etwas ist spürbar von einer anderen Zeit.

Von dieser anderen Zeit inmitten der bekannten, messbaren, fortlaufenden spricht auch der Prophet Jesaja: »Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der Herr hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.« In solchem Jubel bricht mit Macht das Ewige hinein ins Jetzt. Zwanglos, aber nicht grundlos. Im zwanglosen Zwang, dem ich mich verweigern könnte, aber erst nachdem ich ihn, den Jubel, vernommen habe, vibriert etwas vom unverfügbaren Grund von Welt und Leben. Vom Grund, der dem Schema von Ursache und Wirkung weit vorausliegt und weit überlegen ist. Gott steht nicht gegen die Kausalgesetze, ist aber Name für das Ursprünglichere und Grundlegendere. Ein Widerhall davon sind die bekannten Paukenschläge und Trompetenstöße, mit denen Johann Sebastian Bachs ›Weihnachtsoratorium‹ beginnt: „Jauchzet, frohlocket, auf preiset die Tage…!“ Wir dürfen uns den Propheten tatsächlich mit Pauke vorstellen, der von Trommelwirbel und Trompetenstößen begleitet mit lauter Stimme ruft oder lautstark singt. Denn das Buch des 2. Jesaja könnte ein Drehbuch sein für ein Schauspiel, für ein Bühnenstück. Jedenfalls lässt sich so am besten erklären, was den Textkomplex Jesaja 40 bis 55 ausmacht: die Wechselreden, die Zwischenrufe und die Gesänge: »Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der Herr hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.«

Wo wurde das Stück aufgeführt? Zwei Spielstätten sind denkbar: Eine liegt am Rande der Großstadt Babylon, in dem Viertel, in dem die Israeliten wohnen mussten, die aus Jerusalem gewaltsam verschleppt worden waren. Dieses ›Babylonische Exil‹ begann im Jahr 587 vor Christus, bis Babylon selbst erobert wurde vom Perserkönig Kyros. Der beendete im Jahr 538 vor Christus per Edikt das Exil. Nach siebenmal sieben, nämlich 49 Jahren („Erlassjahr“: 3. Mose 25) konnten die Israeliten nach Jerusalem zurückziehen. Die zweite Spielstätte könnte Jerusalem selbst gewesen sein. Denn nach der Rückkehr mussten Stadt und Tempel erst einmal neu errichtet werden. Da gab es Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Da fehlte es am Nötigsten. Da war unklar, wem eigentlich was gehört und wer was tun sollte. Da ging, wenn überhaupt, alles nur schleppend voran. Einige meinten sogar, im Exil sei es doch viel besser gewesen. Wie heißt es, von mir leicht abgewandelt, in einem Rabbinenwort? Es ist leichter, Menschen aus dem Exil zu holen als das Exil aus den Menschen! Ja, schwerer meist als die Befreiung ist das Leben in Freiheit. Wer gibt Ermutigung? An der Spielstätte Jerusalem war sie ebenso, vielleicht noch nötiger als in Babylon: frei und immer noch in Ketten. Wer macht Hoffnung? Hoffnung auf einen guten Ausgang! Dass der Weg der richtige ist, auch wenn sein Ziel noch im Dunkeln liegt! Dazu hilft keine noch so sonnige Zukunftsprognose. Da gilt es, auf mehr zu hoffen als auf gutes Wetter. Da ist der Wirtschaftsindex ohne Aussagekraft. Da hilft nur der Paukenschlag, das Lied in höchsten Tönen.

Denn erst einmal gilt es, die Menschen zu wecken, sie herauszurufen aus ihrer Verzagtheit, ihrer Selbstbespiegelung, ihrem inneren Exil. Ihre Sinne zu öffnen für das, was sinnlich noch unerkennbar ist, wofür aber Augen und Ohren, alle Wahrnehmungsorgane auf Empfang gestellt werden sollten. Der Himmel weiß es längst. Die Erde, das flache Land, weiß es ebenfalls. Die Berge, auf denen Himmel und Erde sich gleichsam berühren, sie rufen, jauchzen es in alle Welt hinaus. Dann werden es auch die Menschen hören: Trost und Erbarmen sind beschlossene Sache. Ja, sie sind schon da: Trost und Erbarmen. Inmitten der Zeit, die nicht anders ist, ist eine andere Zeit angebrochen. Die Zeit, in der Menschen im Namen des Kindes in der Krippe, das der Mann am Kreuz einst war, zu Ende sprechen können, was nicht das letzte Wort sein darf. Gott selbst spricht ein anderes Wort. Das lässt wieder Atem holen unter der Last einer versteinerten Geschichte, im Gedenken an die Trümmer des Tempels oder gar mittendrin in der Ruine. Im Gottesspruch kommt erst einmal die Menschenklage zu Wort: Zion aber sprach: »Der Herr hat mich verlassen, der Herr hat meiner vergessen.«

  Wir erinnern uns an die Christgeburt. Wir erinnern uns der Freude. Sie ist gegenwärtig. Was soll da noch die Klage!? Wir können sie nicht beiseite lassen! Denn wie wir uns verlassen vorkamen - das gehört mit zur Erinnerung. In der Geburtsgeschichte nach Lukas 2 werden ganze ›Himmlische Heerscharen‹ aufgeboten, um die Verlassenheit der jungen Eltern ohne Raum in der Herberge (Lk 2,7) für ihr Neugeborenes zu beenden und die Verlorenheit der Hirten zu beseitigen! Die Verlassenheit und Verlorenheit dieser Welt! Weihnachten ist keine Droge, die unser Schmerzgedächtnis betäubt. Weihnachten ist eine gefährliche Erinnerung. Wer Weihnachten feiert und dabei die Bibel ernst nimmt, erhebt - gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst - politischen Protest: Nicht die sog. Größen wie Kaiser Augustus in der Hauptstadt Rom, der Göttliche, dessen Kinder schon als Götter bezeichnet werden, retten die Welt, sondern die sog. Kleinen wie das unbekannte Kind in der Krippe in der Nähe des unbedeutenden Dorfes Bethlehem. In diesem Gotteskind sind alle Menschen Kinder Gottes.

Von daher nehme ich eine dramatische Frage aus Jesaja 49 auf. Vers 15 beginnt mit den Worten: »Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes?« Heute müssen wir genauer sagen: Eltern vergessen ihre Kinder, nicht nur Mütter, sondern auch Väter. Das geht uns gegen die Natur, gegen alle menschlichen Empfindungen und die Grundgebote des Lebens. Dennoch gehört es zu den bitteren Tatsachen des Lebens, dass dieses Undenkbare, dieses eigentlich Unmögliche geschieht. Mehr als einmal habe ich damit zu tun gehabt, dass Kinder in ihren ersten Lebenswochen von den Eltern alleingelassen wurden. Wäre kein „rettender Engel“ gekommen, hätten sie keine drei Tage überlebt. Einmal konnten wir als Familie helfen. Die Frage geht mir wirklich nah: »Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes?«

Diese Frage bewegt mich in noch anderer Weise. Wer jetzt nicht hinhören will, möge das Folgende überhören. Denn ich wiederhole mich, habe ich doch in manchen Predigten noch während meiner aktiven Dienstzeit in dieser Gemeinde diese Sorge ausgesprochen: Haben wir noch unsere Kinder im Blick oder haben wir sie schon vergessen, obwohl sie bei uns sind? Wir könnten nämlich die letzte Generation sein, die lange wirkende Schäden durch Übernutzung unseres Planeten anrichtet, ohne selber den Preis dafür zahlen zu müssen. Dann wären wir die erste Generation, die nicht selber haftbar gemacht werden kann für die Schäden und Verwerfungen, die allein auf unser Konto gehen. Dann hätten wir einen Wesenszug unserer Kultur und Humanität schlicht außer Kraft gesetzt: das Prinzip Verantwortung. Verantwortung ist ohne persönliche Haftung nur leeres Gerede. Ohne Verantwortung gibt es auch keine Freiheit.

Heute weise ich auf diesen Punkt noch einmal hin, weil wir seit 12 Tagen eine neue Bundesregierung haben. Bei einer ›Großen Koalition‹ - was auch immer man von ihr halten mag: eine Demokratie braucht sowohl eine stabile Regierungsmehrheit als ebenso sehr eine starke Opposition - lag es nahe, in mühsamer, zeitraubender Kleinarbeit einen recht genauen Koalitionsvertrag auszuarbeiten und zu vereinbaren. Doch der wird nicht wie ein Fahrplan einzuhalten sein, sondern die Regierung, das Parlament, wir alle als mitverantwortliche Bürgerinnen und Bürger werden uns auf rasche und unerwartete Veränderungen in der Weltpolitik einzustellen haben. Umso mehr erhoffe ich mir, dass es in unserer Regierung Menschen gibt, die von dieser Frage wachgehalten werden: Wie können wir zukünftige Generationen entlasten, statt sie zu belasten?

Welche Ministerien sind wichtig, welcher weniger wichtig? Darüber wurde vor der Regierungsbildung viel gesprochen. Wirklich wichtig sind aus meiner Sicht die Ministerien, in denen es um Zukunftsfragen in internationalen Zusammenhängen geht. Darum rangiert für mich ein Ministerium wie das für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, also für Entwicklungspolitik, ganz oben, verbunden mit denen für Umwelt- und Energiefragen. Nur wo wir unsere eigenen nationalen Interessen von den Interessen der verarmten Menschen und der belasteten Natur her in den Blick nehmen, verstehen wir unsere Interessen recht und verlassen wir unsere Kinder nicht. Nur was auch anderen dient, wird uns zugute kommen. Das ist kein Gebot der Moral, sondern der Vernunft! Es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, wollen wir als rational denkende und ökonomisch handelnde Menschen gelten! Solche Menschen werden wir in unserer Regierung nur finden, wenn die von uns Gewählten sie in weit größerer Zahl als bisher unter uns finden.

Vor einigen Wochen las ich einen bedenkenswerten Satz des leider vergessenen Philosophen Arnold Metzger aus dem Jahr 1955. Er lautet sinngemäß: ›Unser Leben besteht aus ständig versinkenden Augenblicken, eben darum leben wir von dem her, wohin wir verlangen. So ist unsere Erinnerung die Quelle unserer Erwartung, unserer Hoffnung.‹ Wie wahr, wenn wir daran denken, wie schnell ein schönes Fest wie Weihnachten vorbei ist! Wie wahr, wenn uns ›zwischen den Jahren‹ wieder einmal klar wird, dass Zeit und Leben vergänglich sind, die Zeit unseres Lebens! Wie wahr, wenn wir dessen gewahr werden, welche Kraft, welche Tiefe, welche mächtige Erwartung uns aus der Erinnerung zuwächst! Es ist die Erinnerung an eine Macht, die in der Ohnmacht geboren wird. Im Stall von Bethlehem. Am Kreuz auf Golgatha. Dort, mit seinen letzten Atemzügen, spricht Jesus mit demselben Wort für „verlassen“ wie beim 2. Jesaja von seiner eigenen Verlassenheit:  »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Mk 15,34) Worte: gesprochen, gerufen aus der Ohnmacht heraus - dennoch machtvolle Worte, weil die Erinnerung an Gottes Mitsein, die Verinnerlichung von Gottes Nähe, gleichsam eine innere Transzendenz die Quelle einer mächtigen Erwartung sind. Es ist die Kraft, die Jesus Gott um Gott bitten lässt. Und mehr kann und muss niemand, der nach einem noch so schwachen Sinnfunken sucht, nach Glaube, Hoffnung, Liebe in diesen ›Tagen zwischen den Jahren‹: Gott um Gott bitten.

Jesus, unser Christus, konnte Gott um Gott bitten, weil er dieses Wort kannte, das in Jesaja 49 gegen das menschliche Vergessen als Erinnerung Gottes gestellt ist: »Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet; deine Mauern sind immerdar vor mir.« Was ist damit genau gemeint? Dazu habe ich mehrere Deutungen gefunden. Heute nenne ich die beiden, die mir am meisten einleuchten. Einige Ausleger weisen darauf hin, dass in Jesaja 49 die weibliche Seite Gottes eine große Rolle spielt: die Frau; Zion, das häufig als Braut bezeichnet wird; das Trösten als mütterliches Erbarmen. So seien, was da in die Hände…gezeichnet ist, vielleicht sogar die Mauern die Umrisse einer jungen Frau. In der Tat, in unserem Predigttext ist im Grunde davon die Rede, wie Gottes Gottheit mütterliches Erbarmen ist. Die zweite Deutung leuchtet mir ebenso ein: Wer von oben auf Jerusalem schaut, sieht Hügel und Täler. Und wer auf die Linien seiner Innenhandflächen blickt, kann die Täler, die Jerusalem durchziehen, in den eigenen Händen erkennen. Wie also bei uns Gottes Stadt in die Hand gezeichnet ist, ist Gottes Stadt, sind letzten Endes wir alle eingezeichnet in Gottes Hand! Die Handlinien, die Vertiefungen, die Erhöhungen, sind alle Zeit wahrnehmbar. Sie gehören zu unserem Leib, zu unserem Leben. Diese Deutung finde ich umso einleuchtender, je mehr ich an den Dreh- und Angelpunkt der Christfestbotschaft denke: Gott ist Mensch geworden, d. h. in älteren Lutherbibeln: „Fleisch“. Keineswegs verbindet sich Gott allein mit unserem Geist, sondern mit unserem „Leib“! Sich an Weihnachten zu erinnern, bedeutet: sich an einen kleinen Menschen aus Fleisch und Blut zu erinnern, an Gott in stinkenden Windeln! »Denn der Herr … erbarmt sich seiner Elenden.«

Die Erinnerung ist Quelle und Kraft unserer Erwartung. Wir leben von dem her, wohin wir verlangen. Dann müsste unsere Hoffnung umso stärker sein, wenn uns die Erinnerung nach vorne weist. Wenn die Christfestbotschaft zur Zukunft unseres Lebens wird, zu dem, wohin wir verlangen. Denn die Zeiten werden nicht anders. Umso mehr muss etwas spürbar werden von einer anderen Zeit. In diesem Sinn erzähle ich, etwas abgewandelt, die Weihnachtsgeschichte nach Lukas 2 als Geschichte der Zukunft, der Zukunft bedrängter Menschen, denen dennoch zugesagt ist: »Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet…«:

„Es wird geschehen zu der Zeit, in der Gebote von Machthabern wie Augustus ausgehen, alle Welt solle sich schätzen lassen, damit die Steuerquellen weiter sprudeln und die Finanzmärkte keinen Kapitalmangel haben. Und die Menschen, die sich nicht wehren können, werden elektronisch erfasst und ausgespäht werden, bevor sie es merken konnten, ein jeder in seiner Stadt. Dann wird sich aufmachen einer wie Josef aus dem verarmten Galiläa, weil er der Macht über ihm entkommen will, zusammen mit seiner schwangeren Frau Maria. Und wenn sie im letzten Winkel der Welt angekommen sind, wird sie gebären ihren ersten Sohn und ihn in Windeln wickeln und in eine Krippe legen; denn sie werden sonst keinen Raum in der Herberge haben.

Doch es werden Hirten sein in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn wird zu ihnen treten, und die Klarheit des Herrn leuchten um sie; und sie werden sich sehr fürchten. Und der Engel wird zu ihnen sprechen: »Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.«

Alsbald wird da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen sein, die werden Gott loben und sprechen: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen«. Und wenn die Engel von ihnen gen Himmel fahren, werden die Hirten untereinander sprechen: »Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.« Und sie werden heraneilen und finden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen...“.

Wie es weitergeht - Sie können es selbst erzählen. Denn Sie wissen, wie es geschehen ist und was immer wieder zur Erwartung, zur Hoffnung, zur Rettung wird: zu dem, wohin wir verlangen.

»Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen!« Amen.

 

Anmerkungen:

1. Das Gedicht „Nicht vorüber“ ist entnommen aus Rose Ausländer: Mutterland. Einverständnis, Fischer-TB 5775, Frankfurt/M. 1982, S. 109.

2. Für diesen Predigtentwurf habe ich neben den Exegesen zu Jes 49,13-16 in den aktuellen Ausgaben zur Predigtreihe VI der Predigtstudien, der Göttinger Predigtmeditationen, der Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext und in Roland Gradwohls Bibelauslegung aus jüdischen Quellen (Bd. 4) dankbar benutzt den Kommentar von Klaus Baltzer: Deutero-Jesaja, KAT X,2, Göttingen 1999. Durch die Auslegung von Deutero-Jesaja als szenischer Aufführung, wurde mir die besondere Textstruktur nachvollziehbar.

3. Dankbar verwendet habe ich außerdem Gedanken aus: Freiheit und Tod, Pfullingen 1955, dem Hauptwerk des zu Unrecht vergessenen Phänomenologen und Metaphysikers Arnold Metzger (1892-1974; zuletzt Honorarprofessor in München; Freund von Ernst Bloch), der auch von Theologen eines kritischen Dialoges gewürdigt werden sollte.

4. Lieder: EG 52,1-6; 57,1-3; 35,1-3; 35,4; 544,1-4; 44,1-3.

Perikope
29.12.2013
49,13-16