Predigt zu Jesaja 5, 1-7 von Heinz Behrends
5,1
Es ist ein wundervoller Herbstmorgen. Meine Frau und ich gehen durch das Tor des kleinen Städtchens Kientzheim, nahe Kayserberg, im Elsass. Vor uns liegen die sanften Hügel, bewachsen mit Wein. Wir treten durchs Stadt-Tor ein in den großen sinnenreichen Garten Gottes, die Weinberge. Mauern aus altem Stein bilden die Terrassen, auf denen die einzelnen Felder fest stehen. Die Mühe und die Frucht der Arbeit der Menschen, die hier in Generationen Wein anbauen. Strukturen geschaffen. Felder am Hang angelegt. Wir steigen den Hügel hinauf. Der Blick wird immer weiter, Weinfelder, soweit wir sehen können. Hier und dort ein kleines Häuschen, früher zum Ausruhen für den Weingärtner, fürs Gerät. Wir gehen weiter, bleiben stehen, lassen den Blick genussvoll schweifen. In einzelnen Feldern ist der Wein noch nicht geerntet. Kräftige Trauben, rotblau, hängen dicht an dicht. Ich nehme mein Taschenmesser, schneide eine Traube ab. Meine Frau und ich genießen den frischen Saft und gehen weiter. Wir gehen hinauf und halten an bei der jungen Frau, die gekonnt die Stöcke für den Winter beschneidet, die jungen Triebe fallen auf den Boden. Sie erklärt uns die Kunst des Weinbaus. Wir gehen weiter, stundenlang. Bis die Sonne hoch am Himmel alles erfüllt, die Mittagsglocke vom Dorf in der Ferne läutet. Wir Leute aus dem Norden, wir sind glücklich ob so vieler Eindrücke.
„Wohlan, ich will singen ein Lied vom Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte“.
Zum Abendessen fahren wir nach Riquewihr, dem malerischen Weinstädtchen hinter den Hügeln. Gleich links hinter dem Stadttor stehen die großen Anhänger. Sie haben die Traubenernte eingefahren. Über große Laufbänder fließen die Trauben in die Kelterei. Berge von Trauben, noch nie gesehen. Wir gehen durch die schöne Hauptstraße. Ein Wein-Restaurant lädt uns schon durch seinen rustikalen Eingang zum Essen ein. Das Lachen und das Echo lebendiger Gespräche schallt uns schon entgegen, als wir eintreten. Wir haben Glück. Ein Zweier-Tisch ist noch frei. Flammkuchen als Vorspeise. Die Halbliter-Karaffe steht vor uns, der Gewürztraminer veredelt die Speise. Vom Weinstock zur Kelter zum Restaurant. Pralles Leben. „Der Wein erfreut das Leben“ (Pred.10,19). Kultur, solange es Menschen gibt auf dieser Erde. Pflege der Lebenslust.
Wehe, wenn diese Kultur kaputt geht! Wenn der Weinbauer den Weinberg nicht mehr pflegt, beschneidet, den Boden nicht mehr lüftet. Dornen und Disteln werden die jungen Triebe ersticken. Regen bleibt aus, selbst die ältesten Weinstöcke überleben es nicht und vertrocknen. Undenkbar.
Aber es ist mehr als denkbar. Wir erleben es in diesen Tagen. Heuschrecken sind über die Felder gezogen und haben die Kulturen zerstört. Hedgefonds kaufen Firmen auf, um sie zu zerlegen oder profitabel zu machen auf Kosten von Menschen, die dort lange gearbeitet haben, und verkaufen sie wieder.
Kredit steht nicht mehr für Vertrauen, sondern für Betrug. Geld hat nicht mehr den Gegenwert produktiver Arbeit, sondern ist dazu da, Geld zu machen. Sie orientiert sich nicht an der realen Wirtschaft. Mehr als das Zehnfache an Geldmenge läuft computergesteuert um den Erdball als in allen Ländern zusammen an Bruttosozialprodukt erarbeitet wird. Virtuelle Werte sind das. Sie heizen zwei der sieben Todsünden des Mittelalters an: Geiz und Gier. Der Bürger begreift, warum das Papiergeld Geldschein heißt. Es scheint nur den Wert zu haben, der drauf steht. Er erkennt, warum er Bürger heißt. Er bürgt am Ende für die Sünden der Spekulanten. Der Generationenvertrag, der uns im 4.Gebot als Wert des Zusammenlebens gegeben ist, wird zerstört. Die Erwachsenen verfuttern die Zukunft ihrer Kinder. „Er sucht die Sünden der Väter heim bis ins 3. und 4. Glied.“
Die Verarmung von Millionen nimmt zu, besonders stark im Land der sogenannten tausend Möglichkeiten, den USA. Ein Hedgefond-Manager, Romney, möchte der neue Präsident werden. Spekuliert wird auf Lebensmittel, denn essen müssen die Menschen immer. Die Lebensmittel- und Grundstückspreise steigen, vor allem in Afrika. Die Spekulation der Gierigen hat die Zahl der Hungernden auf der Erde um 60 Millionen erhöht. „Er wartete auf Rechtsspruch, siehe da war Rechtsbruch.“
Die von mir beschriebenen Auswüchse sind nicht einmal Folge von Rechtsbrüchen. Die Politik hat den gesetzlichen Rahmen für den Finanzmarkt gelockert und die Unverschämtheiten ermöglicht.
„Er wartete darauf, dass er gute Trauben brächte, aber er brachte schlechte.“
Was ist aus dem anmutigen Weinberg geworden. Die Zäune sind eingerissen, die Mauern verwüstet?
Den global, von unsichtbarer Hand gesteuerten Geldverkehr kannte Jesus nicht. Aber der zerstörte Weinberg war ihm vertraut, er kannte seinen Propheten Jesaja, manchmal hat er auswendig aus ihm zitiert. Er kannte das Weinberg-Lied. Er nimmt das Bild auf, wenn er seinen gewaltsamen Tod ankündigt. Als der Besitzer seinen Sohn zu den Weinberg-Pächtern schickt, den Anteil an der Ernte abzuholen, erschlagen sie ihn.
Es ist nicht das Ende der Geschichte. Am Abend vor seiner Hinrichtung sammelt er seine Jünger und teilt mit ihnen die Frucht des Weinstocks. Sie trinken aus einem Kelch. So wie Ihr aus diesem einen Kelch trinkt, so gehört Ihr zusammen, gehört Ihr zu mir. Und wenn ich nicht mehr unter euch bin, dann werdet Ihr zu meinem Gedächtnis den Kelch teilen und Wein trinken.
Am Ende werden wir wieder beisammen sein, es wird wie auf einer Hochzeit sein, wir essen und trinken Wein und erfreuen uns des ewigen Lebens.
Wir erkennen in ihm den Sohn des Weinbergbesitzers, Sohn, der den Willen seines Vaters, Gott, mitteilt und verkörpert.
Das wird unsere Hand fernhalten von jeder betrügerischen Finanz-Transaktion. Das wird uns empfindlich machen, wohin unsere Bank unser Geld fließen lässt.
Wir werden Freiheit und Verantwortung neu buchstabieren. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass diese unsere Gesellschaft meint, das protestantische Prinzip könne unser Land erneuern. Unter den vier Nicht-Politikern, die im Gespräch für das Bundespräsidenten-Amt waren, hörten wir die Namen von drei protestantischen Pastoren: Wolfgang Huber, Margot Käßmann, Joachim Gauck. Freiheit, Verantwortung, Schulderkenntnis – die protestantische Trias.
Im Geiste Jesu werden wir als Gemeinschaft um den Kelch Christi für Gerechtigkeit kämpfen, nicht die Hand in den Schoß legen und nicht klagen über die Schlechtigkeiten der Welt.
Darum will ich singen meinem lieben Freund ein Lied vom Weinberg, singen von der Lust am Leben, am Lieben, an der gelungenen Gemeinschaft, in der jeder auf den anderen achtet. Statt Amen möchte ich deshalb heute sagen: Zum Heil und zum Wohl.
Perikope
04.03.2012
5,1