Predigt zu Jesaja 52,7-10 von Elke Markmann
52,7-10

Liebe Gemeinde,

stellen Sie sich bitte vor, Sie lebten in einer Stadt, einem Land, die nicht Ihre Heimat sind. Sie, wir alle wurden aus unserer Heimat vertrieben. Weit weg von unserem Zuhause müssen wir leben. Wir leben schon einige Jahre in der Fremde. Unsere Kinder sind hier geboren und aufgewachsen. Manche können sich nicht erinnern an das Land, das unsere Heimat war – an das Land, nach dem wir uns immer wieder sehnen – an das Land, in das wir zurück kehren wollen.

So geht es vielen Menschen auf der Welt. Menschen aus Syrien, aus Afghanistan, aus dem Iran, aus Mali – die Reihe lässt sich unangenehm lang fortsetzen. Menschen verlassen ihre Heimat. Das tun die meisten nicht freiwillig, sondern weil die Lebensumstände sie dazu zwingen, weil sie verfolgt oder vertrieben werden.

So geht es den Menschen auch nicht nur heute. Vor 75 Jahren z.B. sind Menschen aus Deutschland geflohen – weg von Verfolgung und Hass. Vor 40 Jahren flohen Deutsche aus der DDR – weg von Unterdrückung und Misstrauen.

Schon immer flohen Menschen, verließen ihre Heimat, um irgendwo anders eine neue Zukunft aufzubauen.

Ihnen allen ist und war gemeinsam, dass sie von ihrer Heimat träumten. Viele sehnten sich danach, dass es in ihrer Heimat wieder so sein würde, dass sie zurück kehren können.

In einer solchen Situation haben Menschen auch schon vor mehr als 2500 Jahren  in Babylon gelebt. Es waren Israeliten. Sie waren aus ihrer Heimat vertrieben worden, verschleppt ins ferne Babylon. Ihre Heimat, der Staat Israel wurde mitsamt seiner Hauptstadt zerstört. Der Tempel wurde nieder gerissen. Es schien kein Zurück mehr zu geben. Schon 40 Jahre lebten sie in einer Gesellschaft, in der sie immer Fremde blieben. Sie durften ihre Religion  nicht offen und frei leben. Sie durften nur träumen von einer Zukunft in Jerusalem mit dem wieder aufgebauten Tempel. Ihnen blieb nichts als der Traum. Diese Träume bewahrten sie sich.

Doch die Zeiten änderten sich. Der neue Herrscher ließ die Israeliten freier leben. Für manche kam die Hoffnung zurück, dass sie doch in ihr Land zurück kehren können.

In dieser Zeit hinein, aus dieser Hoffnung heraus spricht der heutige Predigttext. Er steht beim Propheten Jesaja im 52. Kapitel:

7Wie schön sind auf den Bergen die Füße derjenigen, die Freude verkünden, die Frieden ansagen, Gutes verkünden, Rettung ansagen, die zu Zion sprechen: »Deine Gottheit regiert!« 8Horch! Deine Wachposten erheben die Stimme, jubeln gemeinsam! Ja, Auge in Auge sehen sie, wie Gott zurückkehrt zu Zion. 9Brecht in Jubel aus, alle gemeinsam, ihr Trümmerreste Jerusalems, denn getröstet hat Gott das Gottesvolk, hat Jerusalem befreit. 10Entblößt hat Gott den heiligen Arm vor den Augen aller fremden Völker: Es sehen alle Enden der Erde das Heil unserer Gottheit.

(Jes 52, 7-10 Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache)

Als ich versuchte, mir die Situation der Menschen damals vorzustellen, erinnerte ich mich an die Bilder, die in der vergangenen Woche im Fernsehen, im Internet und in den Zeitungen  zu sehen waren. Nach dem Tod von Nelson Mandela konnten wir noch einmal sehen, wie der Weg aus der Apartheid, aus Rassentrennung und Rassenhass heraus war. Es gab viele Dokumentationen, Berichte und Erzählungen darüber, wie die Menschen Südafrikas sich nach Frieden sehnten. Auch dort wurden Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, mussten umsiedeln in sogenannte Homelands, zusammen gepfercht, auseinander gerissen.

Während der Apartheid gab es sicherlich viele Menschen, die sich nach ihrer Heimat sehnten, nach einem friedlichen Leben ohne Verfolgung und Unterdrückung.

Und dann gibt es Menschen, die zu Friedensboten werden. Nelson Mandela war so ein Mann. Er hatte sich im Gefängnis geändert. Vom Anführer der radikalen und bewaffneten Teile des ANC, des African National Congress, hatte er den Weg zum Frieden gewählt. Oft habe ich es gehört: Wenn er damals, als er aus dem Gefängnis kam, Hass und Gewalt gepredigt hätte – das Land wäre explodiert. Aber er predigte nicht Hass und Gewalt, sondern Frieden und Versöhnung.

7Wie schön sind auf den Bergen die Füße derjenigen, die Freude verkünden, die Frieden ansagen, Gutes verkünden, Rettung ansagen, die zu Zion sprechen: »Deine Gottheit regiert!« 8Horch! Deine Wachposten erheben die Stimme, jubeln gemeinsam! Ja, Auge in Auge sehen sie, wie Gott zurückkehrt zu Zion. 9Brecht in Jubel aus, alle gemeinsam, ihr Trümmerreste Jerusalems, denn getröstet hat Gott das Gottesvolk, hat Jerusalem befreit. 10Entblößt hat Gott den heiligen Arm vor den Augen aller fremden Völker: Es sehen alle Enden der Erde das Heil unserer Gottheit.

Vor über 2500 Jahren in Babylon gab es keinen Nelson Mandela. Aber es gab die Hoffnung, wieder in die alte Heimat zurück kehren zu können. Wer davon redete und Träume und Sehnsucht lebendig machte, wurde zu einem Freude- und Friedensboten. Wer dies ankündigte, nahm die Sorgen und Ängste, die Sehnsucht und das Sehnen der Israeliten und Israelitinnen ernst.

Es eröffnete sich eine Perspektive. Noch waren sie nicht wieder in Jerusalem. Noch existierten die Trümmerreste Jerusalems. Die Stadt war noch nicht wieder aufgebaut, lag in Trümmern und war weit entfernt. Aber es gab eine neue Hoffnung. Diese neue Hoffnung gab den Menschen wieder neuen Lebensmut. Die Menschen konnten jubeln und glücklich sein. Sie priesen Gott, der ihnen wieder eine Zukunft schenkte.

Eine neue Perspektive, eine neue Hoffnung. Der Predigttext verknüpft diese neue Perspektive, die Hoffnung auf Zukunft eng mit Gott. Die Gottheit Israels erweist sich als siegreich. Vertreibung und Verschleppung, Unterdrückung und Verfolgung konnten die Menschen nicht von Gott entfernen, konnten Gott nicht vom Volk Israel trennen. Der Bund zwischen beiden blieb bestehen, hielt und erwies sich als dauerhaft stärker. Wenn die Israeliten wieder nach Jerusalem zurück kehren und den Tempel wieder aufbauen, dann erweist sich genau darin die Größe ihres Gottes. Sein Heil wird für alle weithin sichtbar werden.

Hoffnung und Dankbarkeit, Erleichterung und Gottvertrauen sprechen aus den Versen des Predigttextes.

Hoffnung und Dankbarkeit, Erleichterung und Gottvertrauen – diese Zutaten sind es, die den Blick in die Zukunft vergolden und verschönern.

Wir merken es auch als einzelne Menschen: Wenn alles trüb und schlecht ist, wenn es nur schlechte Nachrichten und nichts Gutes zu erwarten gibt – dann bleibt der Blick in die Zukunft trüb.

Aber wenn wir uns auf etwas freuen, wenn wir wissen, dass es etwas Schönes in der Zukunft gibt, dann können wir mit ganz anderem Schwung leben. Dann können wir jubeln und sehen die Zukunft golden.

In der Adventszeit blicken wir jedes Jahr wieder gespannt in die Zukunft. Wir wissen zwar genau, dass es Weihnachten wird. Wir wissen, dass Jesus geboren ist. Wir wissen, was damit neu aufgebrochen ist – und wir wissen auch, welche Hoffnungen immer wieder neu enttäuscht werden. Und doch ist die Adventszeit eine Zeit der freudigen Erwartung. Wir freuen uns auf Weihnachten. Wir freuen uns darauf, dass wir die Ankunft Gottes in der Welt feiern dürfen. Wir freuen uns darauf, dass es noch einmal eine neue Chance des Neuanfangs gibt. Wie weit das für jede und jeden einzelnen von uns zutrifft, ist eine andere Frage. Die Freude und Zukunftshoffnung ist bei vielen Menschen gleich. Die Freude und die Hoffnung, dass etwas Neues aufbrechen kann, dass Zerstörtes wieder aufgebaut werden  kann, dass Getrenntes zusammen geführt wird.

Und so singen wir mit Begeisterung die Lieder, die von Hoffnung singen.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.
Es kommt der Herr der Herrlichkeit,
ein König aller Königreich,
ein Heiland aller Welt zugleich,
der Heil und Leben mit sich bringt;
derhalben jauchzt, mit Freuden singt.
Gelobet sei mein Gott,
mein Schöpfer reich von Rat.

Und immer noch klingt es ähnlich wie die uralte Hoffnung derer, die auf eine Rückkehr aus Babylon hofften:

7Wie schön sind auf den Bergen die Füße derjenigen, die Freude verkünden, die Frieden ansagen, Gutes verkünden, Rettung ansagen, die zu Zion sprechen: »Deine Gottheit regiert!« 8Horch! Deine Wachposten erheben die Stimme, jubeln gemeinsam! Ja, Auge in Auge sehen sie, wie Gott zurückkehrt zu Zion. 9Brecht in Jubel aus, alle gemeinsam, ihr Trümmerreste Jerusalems, denn getröstet hat Gott das Gottesvolk, hat Jerusalem befreit. 10Entblößt hat Gott den heiligen Arm vor den Augen aller fremden Völker: Es sehen alle Enden der Erde das Heil unserer Gottheit.

Amen.

 

Perikope
22.12.2013
52,7-10