Predigt zu Jesaja 58, 7-12 von Jochen Arnold
58,7
Liebe Gemeinde!
Schon früh sind sie aufgebrochen zu ihrem Schulausflug, Melanie und Vanessa und die Klasse 6b. Wandern ist nicht so ihr Ding, aber sie fahren natürlich mit, schon allein wegen der Freundinnen. Zum Glück haben sie ein kräftiges Vesper eingepackt. Doch Vanessa überkommt schon im Bus eine Heißhungerattacke, deshalb hat sie bereits vor Mittag fast alles aufgegessen.
Bei der gemeinsamen Pause nach vier Stunden Wanderung ist sie ziemlich erschöpft und hat nichts mehr in ihrem Rucksack. Melanie dagegen hat noch ein belegtes Brot und einen Schokoriegel. „Oh“, fragt Vanessa und nimmt ihren ganzen Mut zusammen. „Gibst du mir ein Stückchen ab?“ „Nö“ sagt Melanie und stopft sich den Schokoriegel schnell komplett in den Mund. „Ist meins und bleibt meins. Und das Brot ist für die Rückfahrt heute abend. Kannst ja selbst besser einteilen…“
Ist meins und bleibt meins – nicht deins, sagen die Kids.
Geiz ist geil, sagen die Alten oder: Unterm Strich zähl ich.
Das vermeintlich harmlose Beispiel ist ziemlich brisant, liebe Gemeinde.
Es lässt uns fragen, wie wir mit dem, was wir haben, umgehen, aber auch wie wir mit Menschen umgehen, die in Not gekommen sind.
Etwas allgemeiner: Wir leben in einer Zeit knapper werdender Ressourcen, in einer Zeit der angespannten Märkte und der pleite gehenden Staaten. Was können wir als Christen dazu sagen und dafür tun? 20 Jahre nach der Wiedervereinigung und 10 Jahre nach Einführung des Euro…
Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass immer mehr Menschen in unserem Land (ca. 20%) mittlerweile an der Armutsgrenze leben? Dass nach den neuesten Zahlen gerade die Geringverdiener gemessen an den Lebenshaltungskosten immer weniger haben?
Gerade am Erntedankfest und am Vorabend des 3. Oktober sind das bedrängende Fragen.
In einer ähnlich krisenhaften Situation ist unser Predigttext entstanden:
Angesprochen sind Menschen, die etwas Großes (mit Gott) erlebt haben. Sie durften zurückkehren aus der Gefangenschaft im babylonischen Exil in die jüdische Heimat. Waren mit dabei beim Neuaufbau Jerusalems, der heiligen Stadt. Doch dann folgte die Ernüchterung, schon nach wenigen Jahren. Die politische und soziale Situation ist alles Andere als rosig. Es herrscht der Kampf ums nackte Überleben:
Hören wir auf Worte des Proph. Jesaja im 58. Kapitel.
BRICH dem Hungrigen dein Brot.
Liebe Gemeinde, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde es immer wieder schön, dass die Bibel auch nach ein paar tausend Jahren eine Klarheit in der Sprache, eine Aktualität der Themen, einen Reichtum an Bildern und auch eine bleibende orientierende Kraft besitzt. Das habe ich in der Vorbereitung jedenfalls auch wieder gespürt.
Da spricht ein Prophet, der mit beiden Beinen im Leben steht – kein frommer Spinner oder Träumer, ein Realist und ein Visionär zugleich.
Er spricht davon, dass es dran ist, dass es in Gottes Namen angesagt ist, Hungrige zu speisen, Obdachlose zu beherbergen, Bedürftige zu bekleiden… Sofort stelle ich die Stacheln und frag zurück: Lieber Jesaja, ist das nicht eine maßlose Überforderung?
Nein sagt er: du bist schon gemeint:
Brich dem Hungrigen dein Brot
Du bist angeredet, der du selbst genug Brot – und das ist mehr als nur Brot: Essen, Trinken, Kleider, Schuhe, ein Auto usw. - hast! Nicht diejenigen, die nichts oder fast nichts haben! Solche die abgeben können, sind angeredet. Das heißt freilich nicht, dass du alles hergeben sollst, sondern verantwortlich teilen. Lass den Bedürftigen dein Herz finden, sagt er weiter- denn Teilen ist Herzenssache. Mach dein Herz nicht hart, wenn dich das Elend Anderer trifft und erlebe dabei: Teilen macht Freude, Nicht-Teilen, hinterlässt schale egoistische Triumphgefühle:
Melanie jedenfalls blieb ihr schnell hinunter geschlungener Schokoriegel schier im Hals stecken und auch das Vesperbrot im Bus hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Denn sie war dann allein auf ihrem Sitz auf der Rückfahrt…
Die ohne Obdach sind führe ins Haus:
Diejenigen, die selbst vermögend sind, werden damit angesprochen! Da hat jemand ein großes Haus und lebt allein drin, oder lässt womöglich eine Mietwohnung leer stehen nur aus Angst, die Mieter könnten das Eigentum beschädigen…
Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut: Spüre, dass du auch von deiner Familie und deinen Freunden gebraucht wirst. Gerade ihr Pflegerinnen und Pfleger in Krankenhäusern und Altenheimen, ihr Ärztinnen und Seelsorger. Es gibt auch für Euch ein Privatleben, vergesst die eigenen Kinder, Partner und Eltern nicht! Jesaja will nicht die Selbstaufopferung, sondern eine selbst-verantwortliche Achtsamkeit und Nächstenliebe, das Menschliche ist zu tun, nicht das Übermenschliche.
Wie lässt sich diese Lebensbalance finden? (Tachometer für Charity?) Ich meine, Jesus hat es in der Bergpredigt sehr einfach auf den Punkt gebracht mit einer Regel, die bis heute die Goldene Regel genannt wird, und damit auch das Gebot: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, gut ausgelotet:
Was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut ihnen auch. Versetze dich selbst in die Situation des Anderen. Stelle dir vor, es geht dir finanziell nicht gut, du bist in einer persönlichen Krise oder Notlage, was wünschst Du Dir, dass Andere Dir tun? Jesus lehrt uns also einen Perspektivwechsel. Diese Vorstellung „Was wäre wenn“ motiviert ungemein, sie lässt einen nicht gleichgültig.
Doch was stärkt, was befähigt uns Christen, Andere zu unterstützen in Not? Gibt es eine Kraft- oder Energiequelle dafür? Der Prophet benennt sie recht deutlich: er nennt das Gebet:
Dann wirst du rufen und er wird antworten. Wenn du schreist, wird Gott sagen: Hier bin ich.
Jesaja geht es um eine Lebenshaltung, eine Haltung die aus dem Glauben und Vertrauen auf den lebendigen Gott heraus lebt, um einen lebendigen Dialog mit dem besten Ansprechpartner, denn es gibt in Tiefen und Höhen unseres Lebens. Ich sage das bewusst. Denn nicht nur Not lehrt Beten. Zum Gebet gehört nicht nur das Bitten, sondern auch das Danken, das am heutigen Erntedankfest besonders nahe im Mittelpunkt steht:
Und damit sind wir auf der Spur, wie ein solches Leben gelingen kann, das Teilen zum Programm macht. Dankbarkeit, das Leben als Geschenk wahrnehmen und annehmen.
Wer dankt, entdeckt: das Glas ist meistens weit mehr als nur halb voll, da bleibt noch etwas übrig, ich bekomme in meinem Leben täglich unendlich viel und vieles sogar gratis. Danken kommt von Gedenken.
Wer dankt, erinnert sich, gedenkt, lebt nicht achtlos in den Tag hinein, schaut die Welt und ihre Geschichte mit anderen Augen an. Welch ein Geschenk, dass wir Deutschen wieder in einem Land leben und die Schrecken der Mauer und des Todesstreifens entfernt sind, dass 65 Jahre Friede ist. Dass in Südafrika keine Apartheid mehr herrscht, dass auf dem Balkan kein Krieg mehr ist.
Ganz persönlich: Ich freue mich am Lachen meiner Kinder, an der Sonne am Morgen, am schönen Wald, an einem Glas Wein am Abend. Von einer Therapeutin habe ich eine ganz einfache Regel gehört, die auch bei Depressiven und traumatisierten Patienten wirkt: Schreib abends vier Erfahrungen des vergangenen Tages auf: 3 schöne und eine schlechte: das Wiedersehen mit einer alten Freundin, oder: dass du wohl behalten von einer längeren Dienstreise zurück bist, dass dein Kind wieder gesund ist…
Ja, Danken macht glücklich. Machen wir die Tore der Herzen auf, dass der Dankbarkeitsstau, der sich da manchmal ansammelt, endlich raus darf. Das tun zuweilen sogar ausgesprochene Atheisten: Der Rapper SIDO schreibt in einem ganz neuen Hit.
„Das hier ist Dein Song. Ja, ich weiß ich hab oft gesagt ich glaub nicht - doch jeder Mensch braucht Dich. Ja, auch ich. Es wird Zeit, dass wir beide mal miteinander reden. Oder das zumindest ich mal mit Dir rede. Hör Dir an, was ich zu sagen hab:
Refrain: DAS HIER IST KEIN GEBET, ICH WILL NUR DANKE SAGEN;
DAFÜR, DASS DU MIR DEN ENGEL SCHICKST AN MANCHEN TAGEN,
dafür dass du mir das Leben zeigst
für dein Vertrauen dank ich auch, danke, dass du an mich glaubst.
Das ist kein Schlüssel zum Himmel - Ich will nur danke sagen,
Dafür dass du mir zeigst, ich brauche keine Angst zu haben.
Dafür dass du mir das Leben zeigst.
Bitte halt mir einen Platz frei in der Ewigkeit
Aus dieser Haltung heraus ist Teilen möglich. Ja man kann nicht nur Brot, sondern sich auch Gott teilen, ich meine: die Güte und Gnade Gottes anderen Menschen gönnen! Im weiteren Verlauf bittet Sido Gott: Wende dich auch den Anderen zu, die deine Hilfe brauchen. Lass sie nicht im Stich. Ich habe schon so viel, bekommen von dir, das muss ich nicht festhalten
Aus dieser Haltung folgt ein Lebensprogramm, das uns glücklich erfüllen kann. Ich freue mich am Lächeln der jungen Frau, der wir die Kinderkleider weitergegeben haben. Wenn ich mit einem Obdachlosen eine Brezel teile, dann wird er sie mir kaum aus der Hand schlagen, sondern sie in den meisten Fällen gerne annehmen.
So kommt die eigene Freude und Dankbarkeit an Gottes Schöpfung durch andere hindurch zu uns zurück und macht uns froh.
Gehen wir noch weiter: Was können wir als Kirche tun, damit unsere Gesellschaft nicht noch brutaler wird, damit nicht Menschen vor unserer Haustür leiblich oder seelisch verkümmern?
Klar, es ist gut, wenn wir unser Brot, unser Einkommen, unsere materiellen Güter teilen.
Es ist auch gut, dass wir als Kirche diakonische Einrichtungen haben, die hier in unserer Gesellschaft einen wichtigen Auftrag erfüllen. Brot für die Welt ist ein Beispiel.
Es ist gut, dass wir in Tübingen, Reutlingen, Stuttgart und anderswo Tafeln haben, die Menschen am Existenzminimum wenigstens einmal am Tag eine warme Suppe anbieten…
Aber das ist noch nicht alles: Wir empfangen und teilen auch geistliches Brot. Beim Abendmahl geschieht das: Was da gefeiert wird, ist beispielhaft, hat Ausstrahlung und prägende Kraft, ja sogar Vorbildfunktion für die Welt:
Wir danken unserem Schöpfer für Brot und Wein, nehmen sie nicht für selbstverständlich. (Oiges Gwächs) Wir brechen das Brot, teilen es, wie Jesus es geboten hat. Wir hören sein Versprechen: Das bin ich für euch. Tut es wieder, dann erlebt ihr Gemeinschaft und Befreiung im Namen Gottes.
Ja, ihr Frauen und Männer in Tübingen, an diesem Ort, am Tisch Jesu Christi wird eine Kultur und Haltung der Dankbarkeit praktiziert, auf die unsere Welt schauen kann:
Hier wird nichts verhökert oder verschachert. Da werden wir, werden Andere beschenkt mit Gaben der Schöpfung und der neuen Schöpfung: Vergebung, Gemeinschaft, Hoffnung auf die Ewigkeit. Vor der Aufgabe zum Teilen kommt das Beschenktwerden. Essen und Trinken am Tisch des Herrn, das ist der Ort, wo niemand ausgeschlossen wird, keine Rasse und Hautfarbe, kein Geschlecht und keine Schicht, keine Konfession, und erst recht keine Kinder.
Kehren wir nochmals zurück zu unserem Text: Jesaja sagt: Gott selbst ist dabei, wenn du barmherzig bist, dann leuchtet seine B(W)armherzigkeit auch für dich auf. Dann wohnt seine Herrlichkeit in deinem Leben: dann gewinnt sein heiliger Name in deinem Leben Raum.
Die Augen derer, die einander geistgeleitet helfen, sind wie Scheinwerfer im Dunkel der Verleumdungen und der materiellen Unsicherheit: So bildet sich ein Netzwerk der Liebe und des Friedens in dieser Welt. Lasst uns daran teilhaben und weiterknüpfen!
Am Ende öffnet der Prophet den Blick in eine ungeahnte Weite: Gott wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre, wie ein bewässerter Garten wirst du sein und wie eine Wasserquelle. Du bist getauft, ein bewässerter Garten von Gottes Liebe, und darfst diese Energie an Andere weitergeben: Was lang öde war, soll durch dich frisch und grün werden.
Da möchte ich gerne sein, liebe Gemeinde, in diesem Garten Gottes, der für Durstige und Sehnsüchtige neues Leben und neue Hoffnung birgt. Und das Beste, wir alle erleben schon einen Vorgeschmack davon auch in diesem Gottesdienst, an seinem Tisch, in der Gemeinschaft mit ihm und untereinander. Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht, dann hat Gott schon jetzt sein Haus gebaut, mitten unter uns.
Amen.
Schon früh sind sie aufgebrochen zu ihrem Schulausflug, Melanie und Vanessa und die Klasse 6b. Wandern ist nicht so ihr Ding, aber sie fahren natürlich mit, schon allein wegen der Freundinnen. Zum Glück haben sie ein kräftiges Vesper eingepackt. Doch Vanessa überkommt schon im Bus eine Heißhungerattacke, deshalb hat sie bereits vor Mittag fast alles aufgegessen.
Bei der gemeinsamen Pause nach vier Stunden Wanderung ist sie ziemlich erschöpft und hat nichts mehr in ihrem Rucksack. Melanie dagegen hat noch ein belegtes Brot und einen Schokoriegel. „Oh“, fragt Vanessa und nimmt ihren ganzen Mut zusammen. „Gibst du mir ein Stückchen ab?“ „Nö“ sagt Melanie und stopft sich den Schokoriegel schnell komplett in den Mund. „Ist meins und bleibt meins. Und das Brot ist für die Rückfahrt heute abend. Kannst ja selbst besser einteilen…“
Ist meins und bleibt meins – nicht deins, sagen die Kids.
Geiz ist geil, sagen die Alten oder: Unterm Strich zähl ich.
Das vermeintlich harmlose Beispiel ist ziemlich brisant, liebe Gemeinde.
Es lässt uns fragen, wie wir mit dem, was wir haben, umgehen, aber auch wie wir mit Menschen umgehen, die in Not gekommen sind.
Etwas allgemeiner: Wir leben in einer Zeit knapper werdender Ressourcen, in einer Zeit der angespannten Märkte und der pleite gehenden Staaten. Was können wir als Christen dazu sagen und dafür tun? 20 Jahre nach der Wiedervereinigung und 10 Jahre nach Einführung des Euro…
Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass immer mehr Menschen in unserem Land (ca. 20%) mittlerweile an der Armutsgrenze leben? Dass nach den neuesten Zahlen gerade die Geringverdiener gemessen an den Lebenshaltungskosten immer weniger haben?
Gerade am Erntedankfest und am Vorabend des 3. Oktober sind das bedrängende Fragen.
In einer ähnlich krisenhaften Situation ist unser Predigttext entstanden:
Angesprochen sind Menschen, die etwas Großes (mit Gott) erlebt haben. Sie durften zurückkehren aus der Gefangenschaft im babylonischen Exil in die jüdische Heimat. Waren mit dabei beim Neuaufbau Jerusalems, der heiligen Stadt. Doch dann folgte die Ernüchterung, schon nach wenigen Jahren. Die politische und soziale Situation ist alles Andere als rosig. Es herrscht der Kampf ums nackte Überleben:
Hören wir auf Worte des Proph. Jesaja im 58. Kapitel.
BRICH dem Hungrigen dein Brot.
Liebe Gemeinde, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde es immer wieder schön, dass die Bibel auch nach ein paar tausend Jahren eine Klarheit in der Sprache, eine Aktualität der Themen, einen Reichtum an Bildern und auch eine bleibende orientierende Kraft besitzt. Das habe ich in der Vorbereitung jedenfalls auch wieder gespürt.
Da spricht ein Prophet, der mit beiden Beinen im Leben steht – kein frommer Spinner oder Träumer, ein Realist und ein Visionär zugleich.
Er spricht davon, dass es dran ist, dass es in Gottes Namen angesagt ist, Hungrige zu speisen, Obdachlose zu beherbergen, Bedürftige zu bekleiden… Sofort stelle ich die Stacheln und frag zurück: Lieber Jesaja, ist das nicht eine maßlose Überforderung?
Nein sagt er: du bist schon gemeint:
Brich dem Hungrigen dein Brot
Du bist angeredet, der du selbst genug Brot – und das ist mehr als nur Brot: Essen, Trinken, Kleider, Schuhe, ein Auto usw. - hast! Nicht diejenigen, die nichts oder fast nichts haben! Solche die abgeben können, sind angeredet. Das heißt freilich nicht, dass du alles hergeben sollst, sondern verantwortlich teilen. Lass den Bedürftigen dein Herz finden, sagt er weiter- denn Teilen ist Herzenssache. Mach dein Herz nicht hart, wenn dich das Elend Anderer trifft und erlebe dabei: Teilen macht Freude, Nicht-Teilen, hinterlässt schale egoistische Triumphgefühle:
Melanie jedenfalls blieb ihr schnell hinunter geschlungener Schokoriegel schier im Hals stecken und auch das Vesperbrot im Bus hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Denn sie war dann allein auf ihrem Sitz auf der Rückfahrt…
Die ohne Obdach sind führe ins Haus:
Diejenigen, die selbst vermögend sind, werden damit angesprochen! Da hat jemand ein großes Haus und lebt allein drin, oder lässt womöglich eine Mietwohnung leer stehen nur aus Angst, die Mieter könnten das Eigentum beschädigen…
Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut: Spüre, dass du auch von deiner Familie und deinen Freunden gebraucht wirst. Gerade ihr Pflegerinnen und Pfleger in Krankenhäusern und Altenheimen, ihr Ärztinnen und Seelsorger. Es gibt auch für Euch ein Privatleben, vergesst die eigenen Kinder, Partner und Eltern nicht! Jesaja will nicht die Selbstaufopferung, sondern eine selbst-verantwortliche Achtsamkeit und Nächstenliebe, das Menschliche ist zu tun, nicht das Übermenschliche.
Wie lässt sich diese Lebensbalance finden? (Tachometer für Charity?) Ich meine, Jesus hat es in der Bergpredigt sehr einfach auf den Punkt gebracht mit einer Regel, die bis heute die Goldene Regel genannt wird, und damit auch das Gebot: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, gut ausgelotet:
Was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut ihnen auch. Versetze dich selbst in die Situation des Anderen. Stelle dir vor, es geht dir finanziell nicht gut, du bist in einer persönlichen Krise oder Notlage, was wünschst Du Dir, dass Andere Dir tun? Jesus lehrt uns also einen Perspektivwechsel. Diese Vorstellung „Was wäre wenn“ motiviert ungemein, sie lässt einen nicht gleichgültig.
Doch was stärkt, was befähigt uns Christen, Andere zu unterstützen in Not? Gibt es eine Kraft- oder Energiequelle dafür? Der Prophet benennt sie recht deutlich: er nennt das Gebet:
Dann wirst du rufen und er wird antworten. Wenn du schreist, wird Gott sagen: Hier bin ich.
Jesaja geht es um eine Lebenshaltung, eine Haltung die aus dem Glauben und Vertrauen auf den lebendigen Gott heraus lebt, um einen lebendigen Dialog mit dem besten Ansprechpartner, denn es gibt in Tiefen und Höhen unseres Lebens. Ich sage das bewusst. Denn nicht nur Not lehrt Beten. Zum Gebet gehört nicht nur das Bitten, sondern auch das Danken, das am heutigen Erntedankfest besonders nahe im Mittelpunkt steht:
Und damit sind wir auf der Spur, wie ein solches Leben gelingen kann, das Teilen zum Programm macht. Dankbarkeit, das Leben als Geschenk wahrnehmen und annehmen.
Wer dankt, entdeckt: das Glas ist meistens weit mehr als nur halb voll, da bleibt noch etwas übrig, ich bekomme in meinem Leben täglich unendlich viel und vieles sogar gratis. Danken kommt von Gedenken.
Wer dankt, erinnert sich, gedenkt, lebt nicht achtlos in den Tag hinein, schaut die Welt und ihre Geschichte mit anderen Augen an. Welch ein Geschenk, dass wir Deutschen wieder in einem Land leben und die Schrecken der Mauer und des Todesstreifens entfernt sind, dass 65 Jahre Friede ist. Dass in Südafrika keine Apartheid mehr herrscht, dass auf dem Balkan kein Krieg mehr ist.
Ganz persönlich: Ich freue mich am Lachen meiner Kinder, an der Sonne am Morgen, am schönen Wald, an einem Glas Wein am Abend. Von einer Therapeutin habe ich eine ganz einfache Regel gehört, die auch bei Depressiven und traumatisierten Patienten wirkt: Schreib abends vier Erfahrungen des vergangenen Tages auf: 3 schöne und eine schlechte: das Wiedersehen mit einer alten Freundin, oder: dass du wohl behalten von einer längeren Dienstreise zurück bist, dass dein Kind wieder gesund ist…
Ja, Danken macht glücklich. Machen wir die Tore der Herzen auf, dass der Dankbarkeitsstau, der sich da manchmal ansammelt, endlich raus darf. Das tun zuweilen sogar ausgesprochene Atheisten: Der Rapper SIDO schreibt in einem ganz neuen Hit.
„Das hier ist Dein Song. Ja, ich weiß ich hab oft gesagt ich glaub nicht - doch jeder Mensch braucht Dich. Ja, auch ich. Es wird Zeit, dass wir beide mal miteinander reden. Oder das zumindest ich mal mit Dir rede. Hör Dir an, was ich zu sagen hab:
Refrain: DAS HIER IST KEIN GEBET, ICH WILL NUR DANKE SAGEN;
DAFÜR, DASS DU MIR DEN ENGEL SCHICKST AN MANCHEN TAGEN,
dafür dass du mir das Leben zeigst
für dein Vertrauen dank ich auch, danke, dass du an mich glaubst.
Das ist kein Schlüssel zum Himmel - Ich will nur danke sagen,
Dafür dass du mir zeigst, ich brauche keine Angst zu haben.
Dafür dass du mir das Leben zeigst.
Bitte halt mir einen Platz frei in der Ewigkeit
Aus dieser Haltung heraus ist Teilen möglich. Ja man kann nicht nur Brot, sondern sich auch Gott teilen, ich meine: die Güte und Gnade Gottes anderen Menschen gönnen! Im weiteren Verlauf bittet Sido Gott: Wende dich auch den Anderen zu, die deine Hilfe brauchen. Lass sie nicht im Stich. Ich habe schon so viel, bekommen von dir, das muss ich nicht festhalten
Aus dieser Haltung folgt ein Lebensprogramm, das uns glücklich erfüllen kann. Ich freue mich am Lächeln der jungen Frau, der wir die Kinderkleider weitergegeben haben. Wenn ich mit einem Obdachlosen eine Brezel teile, dann wird er sie mir kaum aus der Hand schlagen, sondern sie in den meisten Fällen gerne annehmen.
So kommt die eigene Freude und Dankbarkeit an Gottes Schöpfung durch andere hindurch zu uns zurück und macht uns froh.
Gehen wir noch weiter: Was können wir als Kirche tun, damit unsere Gesellschaft nicht noch brutaler wird, damit nicht Menschen vor unserer Haustür leiblich oder seelisch verkümmern?
Klar, es ist gut, wenn wir unser Brot, unser Einkommen, unsere materiellen Güter teilen.
Es ist auch gut, dass wir als Kirche diakonische Einrichtungen haben, die hier in unserer Gesellschaft einen wichtigen Auftrag erfüllen. Brot für die Welt ist ein Beispiel.
Es ist gut, dass wir in Tübingen, Reutlingen, Stuttgart und anderswo Tafeln haben, die Menschen am Existenzminimum wenigstens einmal am Tag eine warme Suppe anbieten…
Aber das ist noch nicht alles: Wir empfangen und teilen auch geistliches Brot. Beim Abendmahl geschieht das: Was da gefeiert wird, ist beispielhaft, hat Ausstrahlung und prägende Kraft, ja sogar Vorbildfunktion für die Welt:
Wir danken unserem Schöpfer für Brot und Wein, nehmen sie nicht für selbstverständlich. (Oiges Gwächs) Wir brechen das Brot, teilen es, wie Jesus es geboten hat. Wir hören sein Versprechen: Das bin ich für euch. Tut es wieder, dann erlebt ihr Gemeinschaft und Befreiung im Namen Gottes.
Ja, ihr Frauen und Männer in Tübingen, an diesem Ort, am Tisch Jesu Christi wird eine Kultur und Haltung der Dankbarkeit praktiziert, auf die unsere Welt schauen kann:
Hier wird nichts verhökert oder verschachert. Da werden wir, werden Andere beschenkt mit Gaben der Schöpfung und der neuen Schöpfung: Vergebung, Gemeinschaft, Hoffnung auf die Ewigkeit. Vor der Aufgabe zum Teilen kommt das Beschenktwerden. Essen und Trinken am Tisch des Herrn, das ist der Ort, wo niemand ausgeschlossen wird, keine Rasse und Hautfarbe, kein Geschlecht und keine Schicht, keine Konfession, und erst recht keine Kinder.
Kehren wir nochmals zurück zu unserem Text: Jesaja sagt: Gott selbst ist dabei, wenn du barmherzig bist, dann leuchtet seine B(W)armherzigkeit auch für dich auf. Dann wohnt seine Herrlichkeit in deinem Leben: dann gewinnt sein heiliger Name in deinem Leben Raum.
Die Augen derer, die einander geistgeleitet helfen, sind wie Scheinwerfer im Dunkel der Verleumdungen und der materiellen Unsicherheit: So bildet sich ein Netzwerk der Liebe und des Friedens in dieser Welt. Lasst uns daran teilhaben und weiterknüpfen!
Am Ende öffnet der Prophet den Blick in eine ungeahnte Weite: Gott wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre, wie ein bewässerter Garten wirst du sein und wie eine Wasserquelle. Du bist getauft, ein bewässerter Garten von Gottes Liebe, und darfst diese Energie an Andere weitergeben: Was lang öde war, soll durch dich frisch und grün werden.
Da möchte ich gerne sein, liebe Gemeinde, in diesem Garten Gottes, der für Durstige und Sehnsüchtige neues Leben und neue Hoffnung birgt. Und das Beste, wir alle erleben schon einen Vorgeschmack davon auch in diesem Gottesdienst, an seinem Tisch, in der Gemeinschaft mit ihm und untereinander. Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht, dann hat Gott schon jetzt sein Haus gebaut, mitten unter uns.
Amen.
Perikope