Predigt zu Jesaja 9, 1-6 von Claudia Trauthig
9,1
Liebe weihnachtliche Gemeinde,
hier in NN, in der Heiligen Nacht!
I.
Wasfür ein Jahr, dieses nun fast vergangene,
  was für Veränderungen auf dieser Erde - und auch bei uns im Land…
  Auf welche Erfahrungen trifft die Weihnachtsbotschaft heute, Heiligabend 2011?
  Scheinwerfer an….:
Das Thermometer pendelt noch um den Gefrierpunkt in Deutschland.Da strahlt die Sonne mit großer Kraft schon am südöstlichen Rand des Mittelmeers: über Ägypten. Junge, Alte, Männer, Frauen, Muslimas, Christen, Analphabetinnen und Akademiker strömen nach draußen. Im Schlepptau haben sie ihre Kinder. Sie kennen nur ein Ziel: Es heißt Tahir-Platz und meint: Freiheit, Ende der Gewaltherrschaft… Das Joch des Mubarak-Clans, das seit 30 Jahren auf ihnen lastet, muss gebrochen werden. Selbst Lebensmittel sind so teuer geworden, dass Mütter ihre Kinder nicht mehr satt bekommen. Schnell werden es Hunderte, Tausende, Hunderttausende… Das Regime aber bäumt sich noch einmal auf, antwortet mit Gewalt auf den Protest der Massen - und es gibt Tote, Tränen. Dissonanzen in moll mischen sich in die Ouvertüre des neuen Lieds für die arabische Welt. Doch dann wird Jubel laut, der aus den Kehlen der Kinder wie der Alten zum Himmel steigt… Und auf u tube oder durch die Tagesschau werden auch wir angesteckt. Menschlichkeit setzt sich durch. Miteinander ernten sie eine neue Zeit, teilen fröhlich die Beute aus Vergangenheiten. Auf dass Friede werde! (Gerade in diesen Tagen zittern wir erneut um ihn…)
Währenddessen geschieht am anderen Ende des asiatischen Kontinents ein grauenvolles Unglück, von dem man hinterher sagen wird: Warum haben wir das nicht verhindert? Im durch Erdbeben und Tsunamis gefährdeten Japan steht Atomreaktor an Atomreaktor. Mehr als Zehntausend Tote werden die Familien letztlich beklagen. Eine Industriemacht verändert sich binnen weniger Wochen - und mit ihr die Welt. Hilfe kommt aus allen Himmelsrichtungen nach Japan. Selbst arme Länder leisten einen Beitrag. Experten und Expertinnen fliegen ein, raten, helfen beim Neuanfang. Sie behandeln Verletzte, kümmern sich um die Opfer. Manche werden zu Helden.
In fast 10.000 km Entfernung liegt Deutschland. Seit Jahrzehnten gibt es eine unermüdliche Anti-AKW-Bewegung. Jetzt schlägt ihre Stunde: Die Mehrheit hat keine Geduld mehr. Wir dürfen den Kindern nicht das Restrisiko vererben. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg wird die CDU zum ersten Mal in der Geschichte des Ländles abgewählt. Etwas Neues beginnt. Wir alle begleiten und gestalten diesen Neubeginn, in unterschiedlicher Weise, auch mit ganz verschiedener Verantwortung. Wir erleben gemischte Gefühle -nicht zuletzt angesichts der anhaltenden Turbulenzen an den Finanzmärkten. Das alles ist 2011 und noch viel mehr...
II.
Und jetzt ist wieder Weihnachten.
Alle Jahre wieder.Und doch wieder - neu. Die Botschaft ist uns neu gesagt. Jenes Wort aus uralten Zeiten. Wir hören es wieder anders, weil wir Andere sind und auch weil die verwandelnde Kraft des göttlichen Wortes uns ändert. Scheinwerfer aus! Weihnachtslicht an. Ein Wort vom Propheten Jesaja, der vor mehr als 2000 Jahren seine Stimme erhebt und Licht verheißt. Ein Wort, das jetzt zu uns spricht. Es ist das Wort in allen Evangelischen Kirchen für den Beginn dieser Heiligen Nacht 2011:
Das Volk, das im Finstern wandelt,
  sieht ein großes Licht,
  und über denen, die da wohnen im finstern Lande,
  scheint es hell.
  Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude.
  Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.
  Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen (wie am Tage Midians).
  Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn daher geht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
  Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter;
  Und er heißt: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich
  dass er´s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
  (Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.)
Liebe Gemeinde,
das Licht, das von diesen Worten ausgeht, leuchtet unendlich kraftvoll, ohne Einschränkung. Bilder berühren die Tiefe unserer adventlichen Seele - und machen froh. Etwas Heiliges bricht auf, auch in uns, bricht in solchen Bildern und Worten an. Es kann Weihnachten werden. Sogar in mir...
Jedes Mal, das ich diesen Text lese oder höre, berührt mich intensiv dieser Gegensatz: zwischen den Gewaltigen und Gewalttätigen - und dem Kind: für das Volk, für die Menschheit, für die Menschlichkeit…
Die Zeichen des Unrechtregimes sind die Stiefel, die laut und bedrohlich marschieren, Angst verbreiten. Es ist auch der Mantel, durch Blut geschleift. Mäntel gehören den Oberbefehlshabern, nicht nur der Wehrmacht, sondern der Bedroher schlechthin. An diesen Mänteln klebt das Blut der Opfer. Meist sind das die einfachen Leute: Soldaten, die die Front bilden, hüben wie drüben,  Zivilisten, die unter die Räder geraten, obwohl Krieg nicht ihr Handwerk ist und sie vielleicht noch gar nicht wirklich gelebt haben: die Kinder.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter;
Die Zeichen des Kindes sehen ganz anders aus. Ein Neugeborenes ist barfuß und nackt. Es hat keine Kleider, geschweige denn einen Mantel wie die Mächtigen, die Alles-Bestimmer.
III.
Mit der Geburt dieses Kindes jedoch verändert sich alles.
Für das Volk - und für jeden und jede.
  Dieses Kind trägt Namen, die wir so noch nie gehört haben:
  Wunder-Rat, Friede-Fürst, Gott-Held, Ewig-Vater.
Dieses Kind macht alles neu. Menschliche Sehnsucht und göttliche Liebe bekommen ein Gesicht. Die über 2 Milliarden Christen und Christinnen weltweit nennen es Jesus Christus… auf das seine Herrschaft groß werde!
Gott fängt neu an mit uns. Durch dieses Kind. Jedes Jahr feiern wir das. Jedes Jahr, also nicht alle Jahre wieder, sondern alle Jahre neu, schenkt uns Gott seinen Sohn.Friede-Fürst, Wunder-Rat. Er kommt zur Welt, in dieser Heiligen Nacht; die sich ja gerade dadurch und nur dadurch unterscheidet, fundamental – von allen anderen Nächten um uns und in uns! Ein Mystiker hat es auf die Formel gebracht:
Wär Jesus tausendmal zu Bethlehem geboren –
  und nicht in Dir,
  Du wärst doch ewiglich verloren.
Mit diesem Kind fängt Gott etwas Neues an. Beim Kind in der Krippe, barfuß, nackt bzw. in Windeln fängt es ganz neu an – das Leben. Auch Deins. Gottes Offenbarung in Jesus Christus ist kein geschichtliches Ereignis, das schon so lange her ist, dass es fast nicht wahr ist. Seine Offenbarung geht weiter. Von diesem Ausgangspunkt, dem Kind. Darum: Fangen auch wir bei den Kindern an…!
IV.
Liebe Gemeinde, es ist nicht zufällig, dass an Weihnachten die Kinder im Mittelpunkt stehen. Ob es uns Großen passt oder nicht: Ein Kind, ein allerkleinstes Kind steht im Zentrum der Weihnachtsgeschichte. Auf dieses kleine, gefährdete, hilfsbedürftige, auch arme Menschlein blicken sie alle: die himmlischen Heerscharen, die abgebrühten Hirten, die glücklichen Eltern, die nachdenkliche Maria, die eilig herbei eilenden Leute, die Weisen oder Könige, die Tiere und die Sterne, die Machthaber (Herodes!)… Gott fängt als Kind an, damit es Licht werde, für das Volk in der Finsternis. Können wir als Kinder, mit den Kindern (neu) anfangen?
An Weihnachten erleben wir viel davon.
Wo Kinder bei uns sind und mit uns feiern, haben wir ein anderes Weihnachten. Traurig, dass immer mehr auf diese Erfahrung verzichten müssen, weil Kinder zum Luxus in deutschen Wohnzimmern werden. Ja, wo Kinder bei uns leben, erleben wir ein anderes Weihnachten. Wir spüren uneingeschränkte Freude, wo Kinder mit glänzenden Augen ins Weihnachtszimmer treten. Wir freuen uns mehr über ihr Glück als über eigene Geschenke. Den Kindern begegnen wir ohne Berechnung. So lieb uns ihre Basteleien oft sind, schenken wir ganz und gar frei von dem Prinzip, dass unser Leben, unseren Alltag ansonsten prägt und vergiftet. Hier ist kein „wie du mir, so ich dir!“. Berechnung und Gier haben ausgedient. Liebe regiert.
An Weihnachten kommen wir auch wieder in Berührung mit uns selbst als Kind. Wir spüren, wie die Psychologen und Psychologinnen sagen: das innere Kind, jenen in uns lebenden kleinen Jungen, das in uns verborgene kleine Mädchen. Es könnte sein, dass dieses innere Kind gerade heute wichtig für uns ist. Es könnte sein, dass dieses innere Kind, wenn wir einmal auf seine zarte Stimme achten, eine vielleicht rettende Botschaft für uns hat: „Hey großes Ich, nimm dich nicht zu ernst. Leg die Stirn nicht dauernd in Falten. Lass dir nicht immer Stress machen. Lach doch mal. Laut! Staune über alles, was jeden Tag ist. Leben ist ein Wunder. Und dass Du dabei bist: dein schönstes! Siehst Du, jetzt lächelst Du schon mal!“
Liebe Gemeinde, Scheinwerfer und Weihnachtsbeleuchtung, die Welt da draußen und die stille Nacht in unseren Wohnzimmern. Sie haben miteinander zu tun. Wir sind eingeladen, neu zu beginnen, mit Gottes Neubeginn: dem Kind. Erst eine kinderfreundliche Welt ist eine Welt, die Gott gefällt. Wenn wir ehrlich sind, begreifen wir, dass eine Welt für die Kinder nicht nur Gott will, sondern uns und allen Leben ermöglicht, Glück schenkt auf das Seine Herrschaft groß werde. Diese kinder- und menschenfreundliche Welt ist jedoch täglich gefährdet. Auch jetzt. In dieser Heiligen Nacht. 600 Millionen Kinder leben weltweit in großer Armut. Armut hört nicht vor unseren Grenzen auf. Erst recht nicht die seelische. In unserem Land sterben mehr Kinder durch Schläge ihrer Eltern als durch Krankheiten.
Seit der Geburt des Kindes in Bethlehem, das neu in uns zur Welt kommt, wiegt das Leid der Kinder dieser Erde noch schwerer als schwer. Denn Gott trägt mit an jedem Leiden der Kinder. Aber er hofft auch mit, mit jedem Kind, das sich ausstreckt nach dem wahren Leben und in jedem Menschen, der auf seine innere Stimme hört und sich bereit macht, dem Kind zu folgen. Dieses eine Kind: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst, hat die Welt verändert… und wird sie weiter verändern (auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende).
Es verändert auch Dich…
  und macht Dich froh.
Amen.
Perikope
24.12.2011
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