Komm, ich muss Dir unbedingt Bamberg mit seinem Dom zeigen, sagte ich zu meiner Frau, als wir uns frisch verliebt hatten. Wir hatten durch unsere Arbeit in unserer Gemeinde die romanischen Kirchen lieben gelernt. Wir fuhren spontan zu einem kurzen Wochenend-Trip in die fränkische Stadt. Nach einem gepflegten Rauch-Bier im Schlenkerla und gesegnetem Schlaf im Gasthaus ging es am nächsten Morgen auf den Dom-Berg.
Wir nähern uns langsam der Kirche, betrachten ihren großen Körper, gehen durchs Portal hinein, vorne gleich links am Nordpfeiler des Chorraumes sag ich. „Das wollt ich dir vor allem zeigen, den Bamberger Reiter“. Auf einem Sockel in etwa drei Meter Höhe: Das stolze Pferd, schlichte Schönheit der romanischen Bildhauer-Kunst. Auf dem Pferd der Reiter, den Blick leicht ins Kirchenschiff gewandt, volles lockiges Haar. Abbild des Ritters, der im Mittelalter für seinen Herrn in den Krieg zieht und Schlachten gewinnt. Sich später etabliert als Besitzer großer Güter. Der Ritter, der Reiter, Symbol der mit dem Schwert erkämpften Macht. Das Pferd hat keine andere Aufgabe als den Ritter in den Kampf zu tragen.
Was ist dagegen ein Esel! Hässlich, ein bisschen klein, strubbeliges Fell, tapsig im Gang mit seinen kurzen Schritten, Lasten tragen, mühsame Bergklippen überwinden. Zu allem zu gebrauchen, nur zu einem nicht: Einen bewaffneten Krieger kann er nicht in die Schlacht tragen.
Solche Esel, auch herrenlose, laufen viele herum in Jerusalem. Jesus schnappt sich einen. Keine komplizierte Vorbereitung wie Matthäus, Markus oder Lukas erzählen. „Da nahmen sie Palmenzweige und gingen hinaus, ihm entgegen. Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf.“ Die große Menge jubelt. Und er schweigt. Sie sind in Bewegung gebracht worden durch Augenzeugen. Es hat sich rumgesprochen, die Auferweckung des Lazarus.“Das Volk, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.“ Auf spektakuläre Dinge reagiert ein Volk immer und zu allen Zeiten heftig. Vor allem, wenn jemand eine neue Zeit verspricht. Es erzeugt erhöhte Aufmerksamkeit.
Neue Zeit hatte auch die neue griechische Regierung versprochen. Deshalb wurde sie gewählt, inzwischen muss sie zurückrudern. Andere versprechen erst gar nichts mehr. Die Friedensbemühungen unserer Kanzlerin, unseres Außenministers in der Ukraine sind engagiert und ohne Illusion.
Die Berichte über IS und Boko haram lassen keinen Raum für Träume einer neuen Welt.
Die Retter dieser Tage steigen aus Flugzeugen und Limousinen und ziehen in die Pressekonferenzen ein, sie zeigen sich als Realisten. Merkel und Draghi. Wir setzen unsere Hoffnung auf sie, dass eine Flut gedruckten Geldes nicht mit einer großen Entwertung der Ersparnisse von Menschen und am Ende mit einer großen Inflation endet. Aber kein Hosianna für Retter. Auf einem Reiterdenkmal wird man sie einmal nicht vorfinden. Weil mit der Gier der Banker und der geheimdiensterprobten Verschlagenheit eines Putin bisher niemand umzugehen vermag. Allgemeine Ratlosigkeit erfasst nicht nur die Politiker.
Soll ich das gut finden, dass sich die protestantische Nüchternheit gegen die Erwartung eines Messias durchgesetzt hat? Kein Retter in Sicht. Sondern mühevolle Kleinarbeit mit ungewissem Ausgang? Alle Ideologien sind am Ende, und die Kirche ist mit sich beschäftigt. Wir sind zunehmend beunruhigt.
Die Mächtigen jener Zeit hatten allerdings auch Grund zur Unruhe. Sie schauen sich das Verhalten der Menge an und halten eine Konferenz. „Die Pharisäer aber sprachen untereinander.“
Gegen diese Begeisterung habe sie keine Alternative aufzubieten. Sie kommen von ihrer alten Ordnung nicht los. Von Recht und Gesetz und Ordnung und organisierter Religion.
Auch die Pharisäer unserer Tage sind ja still geworden.
Ein ganz neuer Geist der Liebe, der Erneuerung müsste her und der müsste durchgesetzt werden. Aber wer soll das tun? Jesus sitzt schweigend auf seinem Esel und lässt den Jubel der Menge an sich vorbeiziehen.
Ganz anders erzählt der Evangelist Matthäus. Jesus inszeniert klug seinen Einzug in die Stadt und vertreibt erst einmal die Banker aus dem Tempel. Schmeißt Tische der Wechsler um und die Taubenkäfige, dass sie nur so davon flattern und verlässt wieder wütend die Stadt in Richtung Bethanien. Johannes dagegen deutet die Reaktionen kurz an und Jesus schweigt.
Damit Du Deine eigene Position findest.
Erwartest Du, dass Jesus die ungeheuerliche Verantwortungslosigkeit in dieser Welt künftig verhindern kann?
Erwartest Du, dass ohne Ansehen einer Wirtschaftskrise, ohne Rücksicht auf Deine gesicherte Altersversorgung, Christus Dein Leben erreichen oder gar wenden kann?
Obwohl, alles was wir in diesen Monaten über den Charakter des Menschen erleben, ist alles schon in der Bibel nachzulesen: Geiz, Neid, Völlerei, Unmäßigkeit. Wir leiden an einem tiefen Mangel an Glauben.
Der Palmsonntag eröffnet die Woche des Jahres schlechthin – mindestens für uns in der Kirche. „Sehet wir gehen hinauf nach Jerusalem, um zu sehen, was dort geschehen ist.“ Bußzeit. In vielen Gemeinden, Zeit der täglichen gemeinsamen Andacht. Aber selbst in diesen Tagen bleiben wir bescheiden. Johannes spricht von diesen Tagen sehr ehrlich. „Dies verstanden seine Jünger nicht.“ Was da vor ihren Augen passiert, bleibt ihrem Verstehen verschlossen. Erst nach Ostern erinnern sie ihren Propheten Sacharja, der ihnen eine Deutung anbietet. „Fürchte dich nicht, du Tochter Zion, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“ „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen.“ Das ist die Gesinnung des Eselreiters.
Übrigens, nebenbei einer der eindeutigsten Belege, dass aller Glaube erst nach Ostern angefangen hat.
Mag sein, dass wir diese Woche nicht besser dran sind als die Jünger.
Nimm Dir diese Woche die Zeit in der Gemeinde oder für Dich zu Hause. Bete, übe das Schweigen, lies im Evangelium des Johannes. Du wirst dein Herz nur wenden, wenn du ihn bei dir.einziehen lässt
Für die Kirche hätte in ihrer Geschichte hätte ich mir Buße und mehr Nachdenklichkeit sehr gewünscht. Das ist mir im Bamberger Dom bewusst geworden. Wenn man von dem Reiter am Nordpfeiler hinüber geht zur Südseite des Chores, dann stehen dort zwei wunderbar gearbeitete Skulpturen, die kein gutes Licht auf Kirche werfen.
Eine Frau, herrisch, regierend, stolz, Krone auf dem Kopf. Sie herrscht. Die Ekklesia, die Kirche. Daneben die Frau leicht gebeugt mit gebrochenem Stab in der Hand, gekleidet mit einem einfachen Umhang, die Synagoge, die jüdische Tradition. Kirche siegt über das Judentum. Das Pferd des Kriegers hat über den Esel des ohnmächtigen Jesus von Nazareth gesiegt. Die Verlockung, sich wieder aufs hohe Ross zu setzen, war zu groß. Die Verlockung, auf die Ungeheuerlichkeiten in diesen Tagen wie Ukraine, Syrien, Irak, Nigeria, Tunesien, Israel mit Gewalt zu antworten, ist groß. Nur der Blick auf Christus wird unsere verworrene Welt retten. Darum hat Gott ihn erhöht, Das verstanden seine Jünger, als Gott ihn verherrlicht hatte, nach Ostern, früher nicht.
Vielleicht hat der unbekannte Bildhauer des Bamberger Reiters da schon weiter gedacht. Er hat alle Waffen abgelegt und schaut zum Hochaltar im Westen der Kirche auf den Gekreuzigten.