Predigt zu Johannes 12,20-26 von Andreas Schwarz
12,20-26

Predigt zu Johannes 12,20-26 von Andreas Schwarz

20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. 21 Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. 22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus weiter. 23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. 25 Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt haßt, der wird's erhalten zum ewigen Leben. 26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.

"Herr, wir wollten Jesus gerne sehen!"

Sehnsucht auf der einen und Freude auf der anderen Seite höre ich aus dieser Bitte.

Sehnsucht bei den Griechen, die mit dieser Bitte sich an den Philippus wenden. Sie wollen etwas und setzen sich in Bewegung, um es zu erreichen.

Was ist da wahrscheinlich schon in ihnen in Gang, bis es zu dieser Bitte kommt.

Eine Sehnsucht ist ja nicht plötzlich da. Die entsteht langsam, entwickelt sich, wird stärker. Und dann bringt sie irgendwann einen Entschluss zur Welt. Hier eben eine Bitte. Diese Griechen, die keinen Namen bekommen haben und auch später nicht wieder auftauchen, die sehnen sich nach etwas und machen sich auf die Suche danach. Ihre Suche hat sie zu dem Gott des Volkes Israel gebracht, darum sind sie nun auch in Jerusalem. Das Fest - das Passafest nämlich - steht bevor und da besonders betet man Gott an, lobt und preist ihn für seine große Rettungstat. Israel verdankt ihm Freiheit von der Knechtschaft in Ägypten und neues Leben im gelobten Land. Die fremden Griechen stimmen ein.

Aber es scheint, als sei ihr Sehnen nicht erfüllt, ihre Suche also noch nicht am Ziel. Sie wollen Jesus sehen. Der war gerade in die Stadt eingezogen. Die Menge der Leute hatte ihn begrüßt, hatte ihm zugejubelt. Königliche Ehre hatte man ihm erwiesen, als man mit dem prophetischen Wort rief: 'Sieh, dein König kommt!' Ein ganz besonderer Mensch kommt; immerhin erzählen die Leute, er habe einen Toten zum Leben erweckt. Ein Herr über Leben und Tod? Den lohnt es sich, kennenzulernen. Aber den spricht man nicht einfach so an, dem nähert man sich in gebührendem Abstand. Zuerst befragt man seine Jünger, ob es denn möglich sei, Jesus kennenzulernen. Die Sehnsucht nach Leben, nach echtem, vollem Leben ist es, die sie danach trachten lässt, Jesus gern sehen zu wollen.

Freude vermute ich bei den Jüngern, weil es Jüngern immer Freude macht, wenn Menschen nach Jesus fragen. Das ist das Ziel, später jedenfalls, dass aus aller Welt Menschen kommen und nach Jesus fragen, ihn sehen wollen, ihn hören wollen. Und anders kann es heute auch nicht gehen, als dass Menschen die Jünger fragen. Jesus können sie so nicht sehen, sie müssen sich an die Zeugen halten. An Menschen aus seiner Nähe, die ihn kennen und ihm vertrauen, die davon erzählen können. Wie gern würden wir viel öfter auf den hinweisen, den wir unseren Herrn nennen, zu dem wir gehören. Wir freuen uns, wenn Menschen Hilfen suchen, zu Jesus zu finden. Ein Zeuge bezeugt dann, was er glaubt, wem er vertraut, was für eine Hoffnung er hat.

Die ersten Szenen sind bestimmt von Sehnsucht der Griechen und Freude der Jünger. Ihr Gespräch, so knapp es ist, lässt es erkennen. Es scheint etwas in Bewegung zu kommen auf ein Lebensziel hin - also auf Jesus Christus hin.

Die Szene müsste in ihrem Fortgang nun leicht vorzustellen sein: Jesus hört das Anliegen und spricht mit den Griechen. Aber er geht offensichtlich gar nicht auf die Bitte ein. Hat er das Anliegen nicht verstanden? Nimmt er es nicht ernst?

"Herr, wir wollten Jesus gerne sehen!"

Dass Jesus so ganz anders als erwartet mit dieser Bitte umgeht, lässt ahnen, dass es mit dem Sehen so einfach nicht ist, wie es sich anhört. Sie wollten Jesus nicht nur sehen, sie wollten ihn kennen lernen, ihn verstehen, ihn als Erfüllung ihrer Lebenssehnsucht erfahren. Was mit den Augen zu sehen ist, hilft auf diesem Weg manchmal gar nicht; steht dem im Gegenteil oft sogar im Weg. 'Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde'. Rückblickend kann später der Jünger und Evangelist Johannes sagen: 'Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.'  Hinterher kann der Jünger so reden. Aber die Herrlichkeit war so einfach nicht zu sehen. Mit dem Einzug in Jerusalem geht Jesus jetzt die entscheidenden Schritte zu dieser Verherrlichung. Sie ist erfüllt - und wir werden das als Evangelium am Karfreitag hören - wenn Jesus als seine letzten Worte am Kreuz sagt: 'Es ist vollbracht!'

Das ist eine nach menschlichen Wertmaßstäben sehr eigenartige Herrlichkeit. Die ist nicht sehr anziehend und verlockend. Aber es wirft einen untrüglichen Blick darauf, was Jesus selbst unter der Herrlichkeit versteht. Das Ziel seines Lebens, und damit auch seines Sterbens ist, dass der Vater seine Menschen ehrt, sie auszeichnet, sie krönt mit der Krone des Lebens, ihnen also das Erbe aushändigt. Dann hat die Freude zu ihrer Vollkommenheit gefunden. Wir hören das heute am Sonntag Lätare, der heißt auf Deutsch: 'Freuet euch!' Es leuchtet das österlich siegende Licht am Horizont auf. Angestimmt wird es durch den Wochenpsalm, der so dem Sonntag den Namen verleiht. Aufgenommen wird es von der Alttestamentlichen Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja, die von der Gnade und dem Frieden Gottes spricht, die nicht aufhören werden, über die Epistel, die vom Lob Gottes, des Vaters Jesu Christi, redet, weil er ein Vater der Barmherzigkeit und ein Gott des Trostes ist, bis zum Evangelium und Predigttext.

Ja, das ist es dann wohl auch, was Menschen suchen, wenn sie Jesus sehen wollen. Etwas sehen, was sie sonst auf dieser Erde nicht sehen: getröstet zu werden; zu erleben, dass man liebevoll mit ihnen umgeht; dass es friedlich zwischen Gott und ihnen, zwischen ihnen und ihren Mitmenschen zugeht; dass Gott ihnen und dass man sich gegenseitig verzeiht. Es stecken solche Sehnsüchte in uns drin, wahrscheinlich in allen Menschen. Das ist wirklich ein Grund zur Freude: Menschen machen sich auf die Suche und Christen werden ihnen Wegweiser zu Christus sein. Es gibt allerdings viele Enttäuschungen bei diesem Versuch. Oft nämlich hat man Menschen nicht auf Christus hingewiesen, nicht auf sein Leiden und Sterben für uns. Nicht vor allem darauf, dass er gekommen ist, zu trösten, zu vergeben, den Menschen den Frieden und die Liebe Gottes zu bringen. Stattdessen hat man auf Lebensregeln hingewiesen, auf geforderte Aktivitäten der Frömmigkeit oder der Politik, auf Moral und Anstand, was sich gehört und was man tut, darauf, dass man Glaubenssätze für wahr halten muss. Vielen Menschen wurden Steine in den Weg gelegt, die sie hinderten, Jesus Christus zu finden. Und anders als über Menschen geht es gar nicht. Gespräche sind wichtig. Da liegt für uns Christen eine Aufgabe, an dir wir uns erinnern lassen: dass wir auf Christus hinweisen, auf sein Kreuz, auf seine Verherrlichung, auf seine Auferstehung. Darin liegt Frieden und Gnade und Trost und Liebe.

Jesus Christus selbst lässt seine Jünger nicht im Unklaren über seinen Weg. Mag das beim Einzug in Jerusalem noch wie ein Triumphzug ausgesehen haben, mag das den einen oder anderen Menschen angezogen haben, seine Verherrlichung hängt am Kreuz. Trost kann Jesus nur geben, wenn er seinen Weg dahin geht. Wie das Weizenkorn nur dann viel Frucht bringen kann, wenn es in die Erde gelegt, also begraben wird, so kann das Leben nur ausgeteilt werden, wenn er selbst seines hergibt.

Die Einladung an die Griechen und alle anderen Heiden ergeht erst, wenn Kreuz und Auferstehung passiert sind. Dann nämlich kann es keine Missverständnisse mehr geben. Dann ist zu sehen, dass der Weg ins Leben nur durch den Tod zu bekommen ist.

Anders gesagt: mit Jesus zu gehen, das führt am Leid und am Tod nicht vorbei. Das Leben muss man aus der Hand geben wollen, zugespitzt also: hassen können, wenn man es ewig gewinnen will.

Fast hat es den Anschein, als wollte Jesus seine Jünger warnen, ihm zu folgen. Denn der Weg kann ganz schön hart werden. Er steht quer zu den Vorstellungen dieser Welt. Von Lebensgewinn ist da die Rede, von Lebensqualität und was wir alles investieren können und sollen dafür.

Gerade als Christen könnten wir etwas beitragen zum Leben und was seinen Wert wirklich ausmacht. Wir können etwas sagen zum Verzicht auf Luxus und Bequemlichkeit. Wer sein Leben liebt und für seine Qualität jeden Preis bezahlt, der geht schließlich am Leben vorbei, sagt der Herr. Wer sein Leben nicht wichtig nimmt, wessen vorwiegendes Interesse nicht ist, sein Leben gut zu versorgen, der ist frei für den Gewinn des ewigen Lebens.

Jesus Christus beschreibt unser Leben auf Erden als einen Dienst. Er hat uns das Leben gegeben, damit wir Gott dienen, d.h. ihm danken, ihn loben, zu ihm beten, sein Wort, seine Gnade und Treue verkündigen; das ist nichts anderes, als dass wir das Evangelium von Jesus Christus leben und weitersagen. Die Menschen - was immer sie bewegt - haben eine Sehnsucht; eine Sehnsucht nach Leben, nach echtem, unbedrohtem Leben. Wir Christen wissen, wo es das Leben gibt: bei dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Der ist anders, als die Herren dieser Welt. Der herrscht nicht, der dient; der lässt sich nicht bedienen, der verzichtet. Der setzt andere Schwerpunkte - und geht uns voran: durch den Tod ins Leben.

In seinem Gefolge blüht uns die Ehrung durch den Vater. Am Ende also siegt die Freude - und dem dienen wir, weil wir an Jesus Christus glauben. Gott, der Herr, gebe uns die Kraft und die Geduld zum Glauben, gegen alle Erwartungen dieser Welt.

Amen.