Predigt zu Johannes 12,20–26 von Wolfgang Ebel
12,20-26

Liebe Gemeinde !

„Wir wollen Jesus gerne sehen.“ Das sagen Menschen aus der Welt, wo es Götter gibt, die auf dem Olymp leben und sich wenig um die Irdischen kümmern. Manchmal kommen sie herab, um in einen Kampf einzugreifen, eine Strafe zu verhängen oder mit einem Sterblichen Nachkommenschaft zu zeugen. Menschen sind in die Heilige Stadt des einen Gottes gekommen, die jetzt den einen und einzigen Gott anbeten, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Sie haben von Jesus gehört. Ihn wollen sie kennen lernen.

Der erste, den sie ansprechen ist ein Jünger mit griechischem Namen: Philippus. Es wirkt wie ein Dienstweg in einer Behörde. Es braucht drei Instanzen bis das Begehren ankommt bei dem, um den es geht: Philippus und Andreas reden drüber als nächstes. Schließlich bringen die beiden die Sache vor Jesus.

Und hier endet dieser Vorgang. Die griechischen Pilger verschwinden wieder in der Menge der Festbesucher. Sie hören im Weiteren nicht, was gesagt wird. Sie bekommen auch den nicht zu sehen, den sie gern einmal zu Gesicht bekommen hätten. Den neuen Star, der sogar einen Toten lebendig aus dem Grab geholt hat.

Unerhört eigentlich, was da mit ein paar freundlich Interessierten passiert. Niemand freut sich: Schön, dass ihr da seid ! Wir sind froh, dass ihr auf uns aufmerksam geworden seid. Womit können wir ihnen zu Diensten sein ?

Unerhört bleibt ihr Anliegen. Es gibt keine umgehende, servicebedachte Antwort. Haben die religiösen Touristen Fehler gemacht in ihrer Anfrage ? „Herr“, so sprechen sie den Jünger aus Betsaida an. Ja, so spricht man eben eine höher gestellte Persönlichkeit im profanen Bereich an.In der Geschichte gibt es verborgene Botschaften. Wer kann das wirklich verstehen ? Wer hier wirklich HERR ist, wird sich erweisen. Im Weiteren wird viel vom Dienen die Rede sein. Und: die Leute aus Griechenland wollen sehen. Wen? Den Jesus, der da in Galiläa und in Jerusalem aufgetaucht ist. Wie sich alsbald zeigt, wird dieser Jesus bald nicht mehr da sein. Er wird dann nicht mehr zu sehen sein. Er wird seinen Leuten später sagen: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“

Die Jünger kriegen etwas zu hören: Der Star muss sterben. „Die Zeit ist gekommen.“ Jetzt ist sie da. Ein großer, richtiger Star trifft zur rechten Zeit das, was jetzt dran ist. Und es erfasst die Menschen und verändert ihre Welt. Luther. Luther King. Madonna. „Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“ Der Außerirdische führt die Jünger in eine Seh- Erfahrung: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ Der Stern muss untergehen, damit neue sich bilden können. Die Wissenschaft weiß heute: Ein Samenkorn stirbt nicht. Energie wird nur umgewandelt. Der Glaube erfährt, was er sieht: das alte Weizenkorn gibt sich auf. Neues wächst in vielfacher Gestalt.

Die Pilger hören nichts. Sie sehen nichts. Sie wollen allenfalls ein bisschen ihre Neugier befriedigen. Sie werden auf dem Fest schon was Passendes finden. Die Augen werden durch das Ohr geöffnet. Du siehst erst etwas, wenn du zuvor gehört hast, dass da etwas ist.

Wen werden die Jünger sehen ? Normalerweise nährt ein Star sich von der Gunst seines Publikums. Madonna hat es einmal auf der Bühne dargestellt. Sie hing am Kreuz. Ein Star wird sterben. Wenn seine Zeit vorbei ist. Wenn er sich selbst überlebt hat. Wen werden die Jünger sehen ? „Der Menschensohn wird verherrlicht werden.“ Er wird verschwinden. Er wird zurück gehen in die gewaltige, für uns unfassbare Herrlichkeit Gottes. Dahin, wo er herkommt. Am Kreuz beginnt seine Herrlichkeit.

Er ward gehorsam bis zum Tode,

ja zum Tode am Kreuz.

Darum hat ihn auch Gott erhöht. (Phil. 2, 8f.)

„Jetzt habe ich endlich kapiert, warum Jesus sterben musste,“ ruft ein Konfirmand aus. Sie haben den Spielfilm „Wie im Himmel“ gesehen. Von 8 Millionen Schweden haben 2 Millionen diesen Film gesehen, als er in die Kinos gekommen war. Er erzählt die Geschichte eines Stars aus dem Klassik – Konzertbusiness, der – krank geworden – sich in die Abgeschiedenheit seines Geburtsortes zurück zieht. Dort fängt er an als Fremder, den etwas dünn gewordenen Kirchenchor wieder zu beleben. Er fängt an, den Einheimischen zu helfen, ihren Ton zu finden. Wenn jeder seinen Ton singen darf, fügt sich daraus ein wunderbares, großes Ganzes. Der Film erzählt die Passion dieses Mannes bis zu seinem Sterben. Durch seinen heilsamen Einfluss spürt ein Mann, wie er permanent die Würde eines beleibten Chormitgliedes mit Füßen tritt, indem er ihn ohne Unterlass auf erniedrigende Weise hänselt. Die Frau, die einen gewalttätigen Schläger zum Mann hat, darf ihr Lied bei einem Konzert in der Gemeinde singen. Der Dorfpfarrer muss erleben, wie seine eigene Ehefrau sich aus den freudlosen, lebenszerstörenden Fängen seiner rigiden Religiosität löst. Am Ende fahren alle zu einem großen Chorwettbewerb. Der Chor im Saal mit den anderen Chören wartet auf seinen Dirigenten. Den hat sein zweiter Infarkt ereilt. Er stirbt auf der Herrentoilette, während die Sänger anfangen ihren Ton zu singen. Der ehemalige Konzertstar stirbt, während ein Chor nach dem anderen in den Ton der anderen seinen Ton einstimmt und ein Klangraum von ungeheurer Weite entsteht: Wie im Himmel so auf Erden wird der Ton jetzt durch die Welt gehen.

Der Konfirmand hat verstanden. Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren. Wer sich von falschen Wegen trennt und in den Christusraum eintritt, der wird’s erhalten zum ewigen Leben. Es geht im Leben nicht darum, ob man Herr oder Knecht ist. Ich werde ein Diener und eine Dienerin des Christus sein. Durch seinen Tod entsteht neues Leben. Auch für mich, wenn ich einmal dieses Leben durchgestanden habe. Auf dem Weg meiner Passion auf Ostern hin werden nicht alle mir danken. Ich werde Leid tragen und mittragen. Ich werde ein dienstbarer Knecht und ein freier Mensch sein, den der Vater ehrt. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dafür sorgt der, der am Kreuz gestorben ist.

Amen

Perikope
15.03.2015
12,20-26