Predigt zu Johannes 15,1-8 von Antje Marklein
15,1-8

Jesus Christus spricht:  ‘ Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben; wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht‘  -

Ein Weinstock ohne Reben ist tot, und Reben wachsen und tragen Früchte nur am Weinstock.  Auch wenn wir nicht in einer Weingegend leben, hat doch  jede/r einen Weinberg vor Augen, wenn er/sie diese Worte hört.  Ein grüner Südhang, die Weinstöcke in Reih und Glied, ein harmonischer Wechsel von Regen und Sonne macht den Weinberg zu einer Augenweide.

Nun gibt es unterschiedliche Einfälle zu diesem Bild vom Weinstock. Ich stelle mir den süßen Geschmack von rotem Traubensaft auf der Zunge vor. Er gibt mir Lebenskraft, ja Lebensfreude, die ich mit  einer vollen Traube in mich aufnehme. Sonnengereift, geschmackvoll, ein Genuss.

Aber auch das gehört zum Weinberg: Abgehackte Reben, am Wachsen gehindert, ins Feuer geworfen. Damit andere mehr Frucht bringen. Der Rebstock wird beschnitten, damit der Ertrag gesteigert wird. So ist es in der Weinernte.

Und hier im Predigttext? ICH bin der Weinstock, bleibt in MIR – sagt Jesus.  Die sogenannten  ‚Ich bin-Worte Jesu im Johannesevangelium  kennen viele von uns: Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus; ich bin die Tür, ich bin das Brot, ich bin der gute Hirte, die Auferstehung, der Weg. Die ‚Ich bin-Worte‘ verbinden zentrale Symbole – Licht, Tür, Weg, Brot als Bilder für die Nähe Jesu – diese Symbole werden verbunden mit dem Anspruch an uns, uns hier anzuschließen, dabei zu sein, dazu zu gehören. Die ‚Ich-bin-Worte‘ Jesu  fordern Menschen heraus, ihm, der sich als Heilsbringer darstellt, zu folgen, um selbst Teil dieser Heilsgemeinschaft zu werden.

Hier also: ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.

Bleibt bei der Sache, bleibt bei mir und ich bleibe bei euch, zusammen bringen wir viel Frucht, Lebenskraft, Lebensfreude – so könnte die Aufforderung Jesu heute Morgen verstanden werden. Ich stelle mir vor, zu wem diese Worte gesagt werden könnten. Zu der Zeit, in der der Schreiber Johannes lebt, geraten Menschen unter Druck, die sich zu Jesus bekennen.  Benachteiligungen von Christen gehören zum Alltag, ja Christen werden verfolgt, für uns hier kaum vorstellbar, aber doch auch heutzutage weltweit wieder ein großes Thema, ich denke an Boko Haram, an Isis, an Christenverfolgungen in Indien und anderswo.

Bleibt bei der Sache, bleibt bei mir und ich bleibe bei euch, zusammen tragen wir viel Frucht, wir erleben Lebenskraft, Lebensfreude.

Bleiben – oder gehen?  Die Frage ‚bleibe ich oder gehe ich‘ stößt  bei mir noch andere Gedanken an: Bleiben oder gehen – die Frage stellen wir uns an beruflichen Stationen im Leben; bleiben oder gehen,  die Frage stellen sich Paare in einer krisengeplagten Ehe; bleibe ich oder gehe ich fragen sich junge Menschen nach Abschluss der Schulzeit; bleibe ich zuhause oder gehe ich ins Heim - müssen sich manche ältere Menschen fragen. Meist ist es ein Abwägen zwischen Bequemlichkeit, Gewohnheit und dem Reiz des Neuen. Oft bedeutet gehen auch der Ausweg aus unerträglichen Zuständen.

Das Bild des Weinstocks stellt sich anders da:

Bleibt bei mir, sagt Jesus, bleibt im Glauben, bleibt in der Gemeinschaft der Christen. Übertragen auf unser Jahr 2015 heißt das für mich: Bleiben wir zusammen als Christen und Christinnen inmitten unserer multireligiösen und nicht-religiösen Welt.

Und was ist mit denen, die nicht bleiben? Die gehen? Für mich sind sie nicht im Feuer. Ich vermisse sie. 

Ich vermisse sie. Sie ist ausgetreten, als sie ihren ersten Lohn erhalten hat. Kirchensteuer, nein, wozu soll sie die zahlen? Ja, damals, in der evangelischen Jugend, da hat sie mitgemacht, gern sogar. Die Gemeinschaft, die Fahrten, Nächte durch diskutiert und die Welt verändert. Aber jetzt. Das erste selbstverdiente Geld braucht sie für die Wohnung, das Auto, die Freizeit. Vielleicht ist das ja später anders. Wenn sie eine Familie hat oder so.

Ich vermisse ihn. Er ist ausgetreten, als die Sparkasse zum zweiten Mal auf diese komische Steuer hingewiesen hat. Kapitalsteuer. Die Kirche bekam doch schon so viel Geld von ihm. Sicher, in seiner Gemeinde  verfolgt er schon genau, was der Pastor macht und sagt. Und dass sich die Kirche so für Flüchtlinge stark macht, findet er wirklich gut.  Aber hier hört es auf, jetzt will er ein Zeichen setzen. Sein Steuerberater hat auch gesagt: Das können Sie sparen.

Ich vermisse sie. Sie hat sich engagiert, jahrelang. Bei den Festen mit aufgebaut, Gemeindebriefe ausgeteilt. Sie war gern dabei. Alle Feste ihrer Familie hat der Pastor begleitet, die Taufen, die Konfirmationen. Ausgerechnet bei der Beerdigung der Mutter hatte er keine Zeit. Das geht doch nicht. Sie war doch auch immer da. Jetzt ist sie ausgetreten. Ihren Glauben hat sie behalten, dafür braucht sie ja die Kirche nicht.

Liebe Gemeinde, ich vermisse sie, die, die nicht geblieben sind: die Engagierte, den Mitdenkenden, die Kritische, ich vermisse sie, die ausgetreten sind aus unserer Kirche. Ich vermisse ihr Engagement, ihr Mitdenken, ihre Kritik. Ich muss sie ziehen lassen, aber ich vermisse sie und die vielen anderen, die noch austreten werden, werde ich auch vermissen.

Sie alle, die ich vermisse, würde ich so gern direkt ansprechen: Ich würde ihnen erzählen, warum es sich lohnt zu bleiben. Um im Bild zu bleiben: Ich würde erzählen, dass der Weinstock ohne Reben tot ist. Den Jungen  würde ich sagen dass die evangelische Jugend auch die jungen Erwachsenen in ihren Reihen braucht. Sie haben die Sprache der Jugend nicht verlernt  und sind doch in der Welt der Erwachsenen zuhause, die jungen Erwachsenen mit ihren Visionen und Hoffnungen und Träumen, die die Jugendlichen mit auf den Weg nehmen können. Denen, die sich an der Steuer stören, würde ich sagen dass ihr Blick auf die Schwächsten in der Gesellschaft, ihr Blick auf die Flüchtlinge mit Geld nicht zu bezahlen ist, und dass die Kirche sie unbedingt braucht, um sinnvolle Arbeit fortführen zu können. Den engagiert kritischen würde ich sagen dass ihr kritisches Wort innerhalb und nicht außerhalb der Kirche sinnvoll Gehör findet, wenn sich etwas ändern soll.  Und ich würde nicht müde werden zu wiederholen, welch wichtigen Anteil sie alle haben können an der Lebenskraft und Lebensfreude, die aus der Gemeinschaft der Christen und Christinnen erwächst.

All das würde ich sagen, nicht weil ich Angst davor habe, dass unsere Kirche immer kleiner wird, nein, ich würde es sagen weil  ICH aus dieser Lebenskraft und Lebensfreude das bekomme, was ich zum Leben brauche.

Stattdessen spreche ich Sie an, die Sie hier sind heute Morgen, weil Sie geblieben sind. Weil Sie und ich glauben – oder wissen, dass das Bleiben sich lohnt.  Ja, Jesus  Christus, strahlt  mit seinem Leben, Reden, Handeln und Sterben tatsächlich wie ein Weinstock Lebenskraft aus. Er hilft seinen Reben – mir – beim Wachsen, hilft uns, uns zu entfalten mit unseren Talenten und Gaben, mit Schwächen und Stärken uns einzubringen in unserer Welt.  Das Bleiben, aneinander und miteinander verbunden bleiben, stärkt jeden und jede Einzelne in ihren eigenen Lebensbezügen, weil sie sich als Teil eines Ganzen verstehen kann.  Wenn sonst Vereinzelung groß  geschrieben ist in unserem Umfeld, merken wir doch, wie kostbar diese Gemeinschaft ist. Mir hilft  keine virtuelle Community im Netz. Ich ziehe es vor, Menschen in die Augen zu schauen. Ich werde gestärkt von denen, die mit mir auf dem Weg sind.  Wenn wir zusammen beim Osterfrühstück nach der Osternacht sitzen und neue Lebenskraft in uns wächst. Wenn ich in einem Gottesdienst sitze und die kräftigen Singstimmen um mich herum höre. Wenn ich im Arbeitskreis Willkommen mit Gleichgesinnten die Flüchtlingsarbeit plane. Und auch, wenn  mir meine Visionen und Hoffnungen abhanden  kommen, wenn ich Gleichgesinnte brauche die meinen Schmerz teilen,  dann ist es gut, mit Ihnen und den vielen, die IN der Kirche auf dem Weg sind, zu reden, sich auszutauschen, sich gegenseitig zu stützen und zu ermutigen.

Vielleicht können wir alle, wenn wir davon überzeugt sind, diese Überzeugung weitersagen, in diesen Wochen weitersagen an die Jugendlichen, die in unseren Gemeinden konfirmiert werden. Bleibt dabei, wir brauchen euch und vielleicht braucht ihr auch uns. Sicher können wir diese Überzeugung auch weitersagen an Menschen in unserem Umfeld, mit denen wir unterwegs sind, auf der Arbeit, im Freundes- und Bekanntenkreis: Bleibt dabei, wir brauchen euch und vielleicht braucht ihr auch uns.

Jesus Christus spricht: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.

Verwendete Literatur: Predigtstudien I 2014/2015

 

Perikope
26.04.2015
15,1-8