Predigt zu Johannes 16, 5-15, Katharina Wiefel-Jenner
16,6
Jesus spricht:
5 Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? 6 Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. 7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. 8 Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; 9 über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; 10 über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; 11 über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.
12 Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. 13 Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. 14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. 15 Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.
 
Ihr Lieben,
„Jesus hat das Reich Gottes verkündet und gekommen ist die Kirche“. Auf den ersten Blick scheint dieses Bonmot kirchenkritisch zu sein. Vom Reich Gottes, dem Inbegriff von vollkommenen Frieden, vollendeter Gerechtigkeit und von liebevoller Gemeinschaft ist in der real existierenden Kirche doch so wenig erlebbar. Schwierige Erfahrungen mit der Kirche haben viele gemacht, geärgert haben sich die meisten auch schon über die Kirche. Abgesehen davon gibt es genügend Beispiele aus der Geschichte und der jüngeren Vergangenheit, bei denen die Kirche Schuld auf sich geladen hat. Kein Wunder, dass man sich an das Reich Gottes erinnern muss, wenn man noch etwas Gutes über die Kirche sagen will.
Bei näherer Betrachtung zeugt der so kritisch klingende Satz jedoch von Liebe zur Kirche. Ja: Jesus hat das Reich Gottes verkündet! Doch die Kirche ist kein Betriebsunfall, bei der in der Absicht das gute Reich Gottes zu schaffen, nur das Gutgemeinte, nämlich die Kirche, zustande gekommen ist. Hören wir auf die Worte des Evangeliums, dann hat die Gemeinde Jesu Christi ihre unverwechselbare Aufgabe, gerade weil Jesus das Reich Gottes verkündigt hat. Das Reich Gottes und die Kirche gehören auf eine – wenn auch nicht so leicht zu beschreibende Weise – zusammen. Die Gemeinde Jesu Christi hat eine Aufgabe zu erfüllen, und dazu hat Jesus die Kirche berufen. Seit dem ersten Pfingstfest damals in Jerusalem ist die Kirche damit beauftragt, vom Reich Gottes zu reden. Das heutige Pfingsten erinnert uns von neuem an diesen Auftrag Jesu. Die Worte des Evangeliums beschreiben uns genau, was es mit dem Auftrag der Kirche auf sich hat.
Vom Evangelium sind der Kirche drei lebenswichtige Themen aufgetragen. Mit diesen Themen rennt man allerdings weder in Talkshows noch bei Partygesprächen offene Türen ein. Sie sind fremd, widerständig, eine Zumutung für alle Beteiligten und obendrein auch noch provozierend: Es geht um Sünde, es geht um Gerechtigkeit und es geht darum, was und wer die Welt wirklich regieren wird.
Von Sünde zu reden, haben wir verlernt. Trotzdem ist sie allgegenwärtig. Die Sünde zerstört das Leben. Sie macht kaputt, was lebenswichtig ist. Sie missbraucht andere Menschen für die eigenen Zwecke, sie ist geizig, sie lügt, sie ist neidisch, sie hat keine Hemmungen, anderen das wegzunehmen, was diese zum Leben brauchen, sie beruft sich auf ein Grundrecht auf Lusterfüllung. Sie ruft: ich will mehr, ich will alles, ich will es jetzt. Man kann die ständige Sünde um uns herum und auch in uns eigentlich nicht übersehen. Aber sie wird ignoriert oder sogar angebetet. Wer Einspruch erhebt, wird lächerlich gemacht oder aus dem Weg geräumt. Und trotzdem hat die Kirche die Aufgabe, sich der Sünde in den Weg zu stellen. Denn der Glaube an Jesus Christus ist die einzige Weise, die Sünde und ihre ganze widerliche Leben zerstörende Macht zu brechen. Darum muss die Kirche von der Sünde sprechen und ihre lebensfeindliche Macht anprangern. Darum muss die Kirche vom vollkommenen Frieden des Reiches Gottes sprechen, denn dieser hat seinen Ursprung im Glauben an Jesus, der wirklicher Friede ist und mit seinem Frieden alles Zerstörerische der Welt überwindet. Wer an Jesus glaubt, wird zwar immer noch mit dem ganzen Elend zu tun haben, das unser Leben zerstört. Aber in den glücklichen Momenten kehrt der Glaube den lebensfeindlichen Kräften den Rücken zu, wird durchlässig für den vollkommenen Frieden und tut das, was gut ist.
Der zweite lebenswichtige Gedanke, über den die Kirche reden muss, ist die Gerechtigkeit. Damit tun wir uns nicht so schwer. Die Gerechtigkeit gilt zumindest formal als grundlegender Wert für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Bei genauerem Hinsehen erweist es sich zwar, dass es in unserer Umgebung mit der Gerechtigkeit nicht so weit her ist – man schaue nur auf alle sozialpolitischen Bereiche. Und geht unser Blick über die Meere auf die Flüchtlingsströme und die Arbeitsbedingungen in den Fabriken, die unsere Alltagsgeräte herstellen, dann können wir die Augen nicht vor dem verschließen, wie verstrickt wir in die Ungerechtigkeit der Welt sind. Kein waches Herz wird sich daher dem entziehen wollen, wenn die Kirche im Auftrag Jesu von Gerechtigkeit redet. Allerdings geht es für das Evangelium zunächst überhaupt nicht um die berechtigte Empörung über die Ungerechtigkeit der Welt. Für Jesus ist Gerechtigkeit viel viel mehr. Sie ist die Weise, wie Gott sich uns zuwendet. Gottes Wesen ist Gerechtigkeit. Als diejenigen, die zu Gott gehören, sollen wir sein wie Gott, also gerecht. Ein großer Anspruch ist das, den Gott damit an uns richtet und wir können ihm überhaupt nur deswegen gerecht werden, weil wir zu Jesus Christus gehören. Denn so wie Jesus den Fischern in Galiläa vom Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit erzählt hat, so hören wir auch heute vom Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit. Die Fischer folgten Jesus und die Welt veränderte sich. Wir gehören zu dem auferstandenen Christus und so sollen wir auch losgehen und die Welt wird sich verändern – und dann kommen die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer oder die vernachlässigten Kinder in unseren Großstädten doch wieder als Thema der Gerechtigkeit auf uns zu – als Auftrag des Auferstandenen Christus. 
Über das dritte lebenswichtige Thema, das der Kirche vom Evangelium her aufgetragen ist, schweigen wir in der Regel peinlich berührt. Vom Gericht reden wir eigentlich nie. Das überlassen wir den Hollywood Blockbustern oder Weltuntergangspropheten mit ihren Berechnungen. Was aber, wenn wir dieses peinliche Thema doch berühren? Es könnte sich lohnen. Alles Reden über das Gericht kreist letztlich um die Frage, wer wirklich in dieser Welt herrscht. In den großen Hollywood-Filmen steht am Ende der Sieg über die dunklen Leben zerstörenden Kräfte. Die Liebe siegt und die Welt kann unter dem Vorzeichen von Frieden und Gerechtigkeit noch einmal neu beginnen. Nun besteht die Chance, dass das Zusammenleben der Menschen wirklich gut wird. Doch das Evangelium ist kein Film. Die Katastrophe, von der die Weltuntergangspropheten reden, hat im Kreuz auf Golgatha längst begonnen. Das Evangelium weiß es längst, dass das Gericht anders ist, als der Einbruch nach dem Ende des Mayakalenders. „Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt“, dichtete der von der Gewalt Hitlers bedrohte Jochen Klepper. Das Gericht, über das die Kirche um des Evangeliums willen reden soll, ist die flehentliche Bitte an uns, keine Angst mehr vor den mörderischen Mächten zu haben. Sie haben sowieso schon abgewirtschaftet. Sie können ihre Blutspur noch ziehen, aber sie werden genauso wenig siegen wie die dunkle Mächte in Hollywood.
Drei große Themen, drei Zumutungen für alle Beteiligten, drei Provokationen. Wer sich damit mit dem Evangelium auf den Weg macht, muss mit Ärger rechnen. Bequem wird es nicht. Darum verheißt der Auferstandene den Heiligen Geist. Der macht Mut, zu provozieren. Der tröstet in Verfolgung. Der bietet Heimat in der Fremde. Der gibt Kraft zum Widerstand. Der baut die Kirche.
Jesus hat das Reich Gottes verkündet. Gekommen ist die Kirche. Ihrer Geburtsstunde erinnern wir uns heute. Gebe uns der Heilige Geist offene Ohren und wache Herzen, das Evangelium zu hören und weiterzusagen.
Amen.
Perikope
12.06.2013
16,6