Predigt zu Johannes 16, 5-15, Wolfgang Vögele
16,5
„Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.
Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.“
Liebe Gemeinde,
sehen Sie sich mit mir einen Spaziergänger in der öden, verwaisten Fußgängerzone einer Großstadt an. Am Abend eines Wochenendes ist die untergehende Sonne gerade hinter dunklen Regenwolken verschwunden. Der Spaziergänger, ein Mann in den Zwanzigern fällt den Passanten auf. Er ist gut und elegant gekleidet, die Farben und Stoffe von Hose, Hemd und Mantel passen gut zueinander. Seine Kleidung drückt die Erwartung für diesen Abend aus. Neugier und Sehnsucht treiben den Passanten an.
Er streunt durch die Straßen, die sich vor Beginn der Nacht langsam mit Menschen füllen. Ihn treibt der Wunsch etwas zu erleben, einen kleinen Ausgleich für die belastende Arbeitswoche. Er will Freunde kennenlernen, mit anderen Menschen singen, tanzen, trinken. Einen Plan, wohin er gehen will, besitzt er nicht, er läßt sich zwanglos von seinen Launen und Wünschen treiben. Er folgt beharrlich dem, was er sieht und wahrnimmt.
Einmal hört er aus einer schummrigen Kneipe das laute und nachhaltige Lachen vieler Menschen. Vielstimmiges Lachen verspricht Freundlichkeit und Fröhlichkeit, also betritt er die Kneipe ohne zu zögern. An der Theke bestellt er ein Glas Rotwein und beobachtet dann die feiernden Menschen. Aber nach einer Weile macht sich bei ihm Enttäuschung breit. Er weiß nicht, warum diese Menschen feiern. Niemand erklärt es ihm, er bleibt ausgeschlossen. Er trinkt den Rest des Rotweins aus und verläßt nach fünfzehn Minuten das Lokal, wortlos und ohne sich zu verabschieden. Er ist enttäuscht.
An diesem Beispiel, liebe Gemeinde, läßt sich etwas über Pfingsten lernen. Man muß nur die verborgenene psychischen Kräfte aufschlüsseln, die den nächtlichene Erlebnissucher und Spaziergänger antreiben. Der streunende Spaziergänger wird von Sehnsüchten bewegt, von Sehnsüchten und Bedürfnissen nach Gemeinschaft, Mitteilung, Erlebnis und Fröhlichkeit. Und nach diesen Sehnsüchten richtet er sich aus wie eine magnetische Nadel: Sie bestimmen die Farben seiner Kleidung, das offene Mienenspiel in seinem Gesicht, die von verborgener Hoffnung geleitete Aufmerksamkeit und die ziellose Richtung seines Gangs durch die Fußgängerzone. Aufmerksam registriert er alle Signale der Gemeinschaft und des Zusammenlebens. Sein Ohr und sein Schritt folgen dem Lachen und der Fröhlichkeit.
Aber als er in der Kneipe an der Theke sitzt, merkt er, daß das Lachen allein nicht ausreicht. Wenn man nicht weiß, wieso Menschen lachen, dann erreicht es sie nicht. Dort wo das Lachen zum Selbstzweck wird, ist es nicht offen für andere Menschen. Diese bleiben wie der zufällige Spaziergänger in der Kneipe ausgeschlossen. Er verläßt darum die Kneipe und sucht anderswo nach Freundlichkeit, Fröhlichkeit und Gespräch. Freundlichkeit, Fröhlichkeit, Lachen und eine angenehme Atmosphäre rühren einen Menschen um so mehr an, je besser er darüber Bescheid weiß und verstanden hat, wie es zu dieser Fröhlichkeit gekommen ist.
Am besten kann man das am happy end eines Films oder eines Märchens verstehen. Wenn der tapfere Ritter seine angebetete wunderschöne Prinzessin mit dem Segen des schwiegerväterlichen Königs heiraten darf, dann können sich alle Hörer und Seher, besonders die kleinen Kinder mit dem Brautpaar freuen und fröhlich sein. Und jeder Zuschauer gönnt dem glücklichen Paar den zum Klischee geronnenen Satz: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Die Märchenleser freuen sich mit dem königlichen Brautpaar aus einem einfachen Grund: Sie kennen die schwierige, konflikthafte und verworrene Vorgeschichte, die Hindernisse und die Schwierigkeit vor der glücklichen Hochzeit. Die Leser des Märchens und die Zuschauer des Films wissen, daß der Ritter, bevor er die Prinzessin heiraten konnte, Drachen töten, böse Konkurrenzritter besiegen und zuletzt noch den widerspenstigen Schwiergervater-König überzeugen mußte. Und vor jedem happy end eines Liebesfilms mit küssenden Teenagern stehen herzerweichende Mißverständnisse, endloser Liebeskummer, Rache an Konkurrenten und drohendes Sitzenbleiben, das gerade noch so eben vermieden werden kann. Je größer und unüberwindlicher die dann doch überwundenen Schwierigkeiten ausgesehen haben, desto größer ist die Erleichterung und die Mitfreude und das Mitlachen beim happy end.
Das mag kitschig und klischeehaft sein, aber dieser Zusammenhang von Sehnsucht, befreitem Lachen und überwundenen Schwierigkeiten kann helfen, das Wunder des Heiligen Geistes, Pfingsten und den Predigttext aus dem Johannesevangelium zu verstehen. Beim happy end im Film sind die Schwierigkeiten der Vergangenheit und die glückliche Zukunft fein säuberlich voneinander getrennt. Bei dem Evangelisten Johannes gehen Vorher und Nachher ineinander über. Für sich selbst genommen wird die Pfingstfreude zum billigen Selbstzweck, zum Fetisch erzwungener Fröhlichkeit, den kein Mensch versteht. Pfingstfreude ist dann eine Freude, die einem niemand abnimmt.
Tiefe, Dauer und theologischen Gehalt gewinnt Pfingsten erst aus der Erinnerung des Glaubens: aus der Erinnerung an die Katastrophe des Kreuzes und an den Jubel über die Auferstehung. Pfingsten ist ein Kreuzungspunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, ein Fest der Verwandlung und des Übergangs, vom Seufzen dieser Welt in die Herrlichkeit von Gottes Reich. Pfingstfreude entsteht aus der Verknüpfung von Vergangenheit und Zukunft, von Auferstehung und Heiligem Geist.
Deswegen konnten wir als Predigttext eine Passage aus Jesu Abschiedsrede hören. Das Vorweggenommene und das Ausstehende mischen sich miteinander. Jesus kündigt das an, was sich den Jüngern erst später, nach Kreuz und Auferstehung erschließen wird. Der kommende Tröster, der Heilige Geist, dessen Kommen wir an Pfingsten loben und preisen, er führt uns noch einmal tief hinein in die Geschichte Jesu Christi.
Wir hören eine Rede Jesu, zugleich Vorhersage, vorweggenommene Trauer und die Ankündigung eines Trösters, des Heiligen Geistes. Wir lernen aus dieser Vorankündigung im nachhinein: Pfingsten, Kreuz und Auferstehung sind miteinander verflochten. Die Freude des Pfingstfestes ist die Erleichterung darüber, daß Kreuz und Tod in der Welt nicht die Oberhand behalten. In seiner Abschiedsrede spricht Jesus so, als ob er schon vor Gefangennahme, Folter und Hinrichtung wüßte, was mit ihm passiert.
Das ist eine Besonderheit des Johannesevangeliums, nicht die einzige. Jesus sagt nicht: Ich werde einen grausamen Tod am Kreuz sterben. Statt dessen sagt er bei Johannes: Ich gehe zum Vater zurück, so als ob ihm das Leiden gar nichts ausmachen würde.
Den traurigen Jüngern, aber auch den ersten Gemeinden, die er schon mit im Blick hat, verspricht Jesus den Tröster, den Heiligen Geist.
Trost hat ja manchmal einen ganz süßlichen Beigeschmack, billige Worte für den Schmerz, der eigentlich gar nicht zu lindern ist. Menschen sprechen davon, daß sie einen Leidenden über etwas „hinweg“-trösten wollen. Aber wer „hinweg“-tröstet, überspielt den Schmerz und nimmt ihn nicht ernst. Diese Art von Trost ist nicht gemeint. Jesus spricht vielmehr von einem Tröster, der die Augen öffnet. Ohne Wahrheit bis in die letzte Tiefe hinein ist der Heilige Geist nicht zu haben. Heiliger Geist tröstet nicht billig, nicht umsonst und schon gar nicht unter Absehung all dessen, was in dieser Welt geschieht. Der Heilige Geist ist Wahrheit und Befreiung. Dann und darin erst Trost.
Der Heilige Geist ist Wahrheit, weil er offenlegt und, wo es nötig ist, bloßstellt. Jesus sagt: Der Heilige Geist redet die Wahrheit über die Sünde. Das ist etwas sehr Anderes als die süßlich-spirituelle Politikberatung wie sie freiberufliche Ex-Bischöfinnen und andere prominente Protestanten den Glaubenden andienen. Liebe Gemeinde, die Wahrheit der Sünde hat leider ein häßliches Gesicht, vor dem jeder, leider wirklich jeder nur allzu gerne die Augen verschließt. Und diese Wahrheit heißt: Es geht um jeden einzelnen, um seine eigene Sünde, für die er nichts anderes tun kann als um Vergebung zu bitten. Sünde ist häßlich, grausam und allgemein verbreitet wie ein Virus, dessen Herkunft nicht festzustellen ist. Und sie ist ein Teil unseres Lebens, des Ichs, des Menschseins, und das kann kein spiritueller Schönheitswettbewerb kaschieren, auch kein protestantischer. Das ist das erste, was wir von Jesus über den Heiligen Geist, den wahren Tröster lernen.
Zweitens: Der Heilige Geist ist Befreiung. Wenn der Geist in Wahrheit über die Sünde redet, so ist das kein Selbstzweck. Es wäre eine grausame Vorstellung, wenn Gott und der Geist sich an der Wirklichkeit der Sünde erfreuen würden. Nein, das Offenlegen der Sünde, das Augenöffnen für die Wirklichkeit des Bösen gilt einem ganz bestimmten Zweck. Der tröstende Heilige Geist öffnet uns die Augen, damit wir Menschen von der Sünde befreit werden können. Das ist nicht Sache der Menschen, durch eigene Leistungen wird die Sünde nicht bezwungen.
Die Anerkennung der Wirklichkeit der Sünde bedeutet zugleich deren Überwindung. In Kreuz und Auferstehung hat das Gericht über die Sünde schon stattgefunden. Oder in den Worten des Abschied nehmenden Jesus: Der Fürst dieser Welt ist besiegt. Die Sünde ist in Jesus Christus besiegt.
Der Heilige Geist deckt die Wahrheit auf. Er zeigt die Überwindung der Sünde. Und weil das so ist, ist das Aufdecken der Wahrheit und die Überwindung der Sünde ein Trost. Also drittens: Der Heilige Geist tröstet. Und das ist die Botschaft, die wir in der Gemeinde zu verkündigen haben. Das ist etwas anderes als das Schmalspurevangelium jenes Protestantismus, der sich bestimmten politischen Interessen als spiritueller Helfershelfer anbiedert.
Liebe Gemeinde, es ist nicht so, daß der Heilige Geist die Gemeinden und die Glaubenden vor jeder Gefahr schützen würde. Der Tröster beschneidet keine der uns von Gott zugesprochenen Freiheiten. Wir müssen lernen, die Zeichen der Zeit zu lesen, zu prüfen und daraus Schlußfolgerungen zu ziehen. Diese Verantwortung nimmt uns auch der Heilige Geist, der tröstet, nicht ab. Wer sich ein Urteil bildet, der kann in Wahrnehmung dieser Verantwortung auch irren. Zum Menschsein gehören Irrtum, Fehler, Sackgassen, Abgründe. Gerade deswegen führen uns die Worte Jesu führen auf die Spur des Trösters. Der Jesus, der von seinen Jüngern Abschied, gibt ein ganz einfaches Kriterium für das Wirken des Geistes: Wer sich trösten läßt vom Heiligen Geist, der wird zu Christus geführt. Wer sich zu Christus führen läßt, der wird in Gottes Wahrheit leben. Wer in der Wahrheit lebt, lebt als getrösteter Mensch. Wer getröstet ist, kann diesen Trost weitergeben. Niemand soll so tun, als ob er solchen Trost nicht nötig hätte. Nicht jedes Lachen und jedes happy end sind gleich Zeichen der Gegenwart des Heiligen Geistes. Der Geist ist dort, wo Menschen in Gewißheit und Vertrauen ihren Lebensweg gehen, in dem trostvollen Wissen, daß Jesus Christus die Sünde für sie überwunden hat. Das ist das happy end des Pfingstglaubens. Amen.
Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.“
Liebe Gemeinde,
sehen Sie sich mit mir einen Spaziergänger in der öden, verwaisten Fußgängerzone einer Großstadt an. Am Abend eines Wochenendes ist die untergehende Sonne gerade hinter dunklen Regenwolken verschwunden. Der Spaziergänger, ein Mann in den Zwanzigern fällt den Passanten auf. Er ist gut und elegant gekleidet, die Farben und Stoffe von Hose, Hemd und Mantel passen gut zueinander. Seine Kleidung drückt die Erwartung für diesen Abend aus. Neugier und Sehnsucht treiben den Passanten an.
Er streunt durch die Straßen, die sich vor Beginn der Nacht langsam mit Menschen füllen. Ihn treibt der Wunsch etwas zu erleben, einen kleinen Ausgleich für die belastende Arbeitswoche. Er will Freunde kennenlernen, mit anderen Menschen singen, tanzen, trinken. Einen Plan, wohin er gehen will, besitzt er nicht, er läßt sich zwanglos von seinen Launen und Wünschen treiben. Er folgt beharrlich dem, was er sieht und wahrnimmt.
Einmal hört er aus einer schummrigen Kneipe das laute und nachhaltige Lachen vieler Menschen. Vielstimmiges Lachen verspricht Freundlichkeit und Fröhlichkeit, also betritt er die Kneipe ohne zu zögern. An der Theke bestellt er ein Glas Rotwein und beobachtet dann die feiernden Menschen. Aber nach einer Weile macht sich bei ihm Enttäuschung breit. Er weiß nicht, warum diese Menschen feiern. Niemand erklärt es ihm, er bleibt ausgeschlossen. Er trinkt den Rest des Rotweins aus und verläßt nach fünfzehn Minuten das Lokal, wortlos und ohne sich zu verabschieden. Er ist enttäuscht.
An diesem Beispiel, liebe Gemeinde, läßt sich etwas über Pfingsten lernen. Man muß nur die verborgenene psychischen Kräfte aufschlüsseln, die den nächtlichene Erlebnissucher und Spaziergänger antreiben. Der streunende Spaziergänger wird von Sehnsüchten bewegt, von Sehnsüchten und Bedürfnissen nach Gemeinschaft, Mitteilung, Erlebnis und Fröhlichkeit. Und nach diesen Sehnsüchten richtet er sich aus wie eine magnetische Nadel: Sie bestimmen die Farben seiner Kleidung, das offene Mienenspiel in seinem Gesicht, die von verborgener Hoffnung geleitete Aufmerksamkeit und die ziellose Richtung seines Gangs durch die Fußgängerzone. Aufmerksam registriert er alle Signale der Gemeinschaft und des Zusammenlebens. Sein Ohr und sein Schritt folgen dem Lachen und der Fröhlichkeit.
Aber als er in der Kneipe an der Theke sitzt, merkt er, daß das Lachen allein nicht ausreicht. Wenn man nicht weiß, wieso Menschen lachen, dann erreicht es sie nicht. Dort wo das Lachen zum Selbstzweck wird, ist es nicht offen für andere Menschen. Diese bleiben wie der zufällige Spaziergänger in der Kneipe ausgeschlossen. Er verläßt darum die Kneipe und sucht anderswo nach Freundlichkeit, Fröhlichkeit und Gespräch. Freundlichkeit, Fröhlichkeit, Lachen und eine angenehme Atmosphäre rühren einen Menschen um so mehr an, je besser er darüber Bescheid weiß und verstanden hat, wie es zu dieser Fröhlichkeit gekommen ist.
Am besten kann man das am happy end eines Films oder eines Märchens verstehen. Wenn der tapfere Ritter seine angebetete wunderschöne Prinzessin mit dem Segen des schwiegerväterlichen Königs heiraten darf, dann können sich alle Hörer und Seher, besonders die kleinen Kinder mit dem Brautpaar freuen und fröhlich sein. Und jeder Zuschauer gönnt dem glücklichen Paar den zum Klischee geronnenen Satz: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Die Märchenleser freuen sich mit dem königlichen Brautpaar aus einem einfachen Grund: Sie kennen die schwierige, konflikthafte und verworrene Vorgeschichte, die Hindernisse und die Schwierigkeit vor der glücklichen Hochzeit. Die Leser des Märchens und die Zuschauer des Films wissen, daß der Ritter, bevor er die Prinzessin heiraten konnte, Drachen töten, böse Konkurrenzritter besiegen und zuletzt noch den widerspenstigen Schwiergervater-König überzeugen mußte. Und vor jedem happy end eines Liebesfilms mit küssenden Teenagern stehen herzerweichende Mißverständnisse, endloser Liebeskummer, Rache an Konkurrenten und drohendes Sitzenbleiben, das gerade noch so eben vermieden werden kann. Je größer und unüberwindlicher die dann doch überwundenen Schwierigkeiten ausgesehen haben, desto größer ist die Erleichterung und die Mitfreude und das Mitlachen beim happy end.
Das mag kitschig und klischeehaft sein, aber dieser Zusammenhang von Sehnsucht, befreitem Lachen und überwundenen Schwierigkeiten kann helfen, das Wunder des Heiligen Geistes, Pfingsten und den Predigttext aus dem Johannesevangelium zu verstehen. Beim happy end im Film sind die Schwierigkeiten der Vergangenheit und die glückliche Zukunft fein säuberlich voneinander getrennt. Bei dem Evangelisten Johannes gehen Vorher und Nachher ineinander über. Für sich selbst genommen wird die Pfingstfreude zum billigen Selbstzweck, zum Fetisch erzwungener Fröhlichkeit, den kein Mensch versteht. Pfingstfreude ist dann eine Freude, die einem niemand abnimmt.
Tiefe, Dauer und theologischen Gehalt gewinnt Pfingsten erst aus der Erinnerung des Glaubens: aus der Erinnerung an die Katastrophe des Kreuzes und an den Jubel über die Auferstehung. Pfingsten ist ein Kreuzungspunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, ein Fest der Verwandlung und des Übergangs, vom Seufzen dieser Welt in die Herrlichkeit von Gottes Reich. Pfingstfreude entsteht aus der Verknüpfung von Vergangenheit und Zukunft, von Auferstehung und Heiligem Geist.
Deswegen konnten wir als Predigttext eine Passage aus Jesu Abschiedsrede hören. Das Vorweggenommene und das Ausstehende mischen sich miteinander. Jesus kündigt das an, was sich den Jüngern erst später, nach Kreuz und Auferstehung erschließen wird. Der kommende Tröster, der Heilige Geist, dessen Kommen wir an Pfingsten loben und preisen, er führt uns noch einmal tief hinein in die Geschichte Jesu Christi.
Wir hören eine Rede Jesu, zugleich Vorhersage, vorweggenommene Trauer und die Ankündigung eines Trösters, des Heiligen Geistes. Wir lernen aus dieser Vorankündigung im nachhinein: Pfingsten, Kreuz und Auferstehung sind miteinander verflochten. Die Freude des Pfingstfestes ist die Erleichterung darüber, daß Kreuz und Tod in der Welt nicht die Oberhand behalten. In seiner Abschiedsrede spricht Jesus so, als ob er schon vor Gefangennahme, Folter und Hinrichtung wüßte, was mit ihm passiert.
Das ist eine Besonderheit des Johannesevangeliums, nicht die einzige. Jesus sagt nicht: Ich werde einen grausamen Tod am Kreuz sterben. Statt dessen sagt er bei Johannes: Ich gehe zum Vater zurück, so als ob ihm das Leiden gar nichts ausmachen würde.
Den traurigen Jüngern, aber auch den ersten Gemeinden, die er schon mit im Blick hat, verspricht Jesus den Tröster, den Heiligen Geist.
Trost hat ja manchmal einen ganz süßlichen Beigeschmack, billige Worte für den Schmerz, der eigentlich gar nicht zu lindern ist. Menschen sprechen davon, daß sie einen Leidenden über etwas „hinweg“-trösten wollen. Aber wer „hinweg“-tröstet, überspielt den Schmerz und nimmt ihn nicht ernst. Diese Art von Trost ist nicht gemeint. Jesus spricht vielmehr von einem Tröster, der die Augen öffnet. Ohne Wahrheit bis in die letzte Tiefe hinein ist der Heilige Geist nicht zu haben. Heiliger Geist tröstet nicht billig, nicht umsonst und schon gar nicht unter Absehung all dessen, was in dieser Welt geschieht. Der Heilige Geist ist Wahrheit und Befreiung. Dann und darin erst Trost.
Der Heilige Geist ist Wahrheit, weil er offenlegt und, wo es nötig ist, bloßstellt. Jesus sagt: Der Heilige Geist redet die Wahrheit über die Sünde. Das ist etwas sehr Anderes als die süßlich-spirituelle Politikberatung wie sie freiberufliche Ex-Bischöfinnen und andere prominente Protestanten den Glaubenden andienen. Liebe Gemeinde, die Wahrheit der Sünde hat leider ein häßliches Gesicht, vor dem jeder, leider wirklich jeder nur allzu gerne die Augen verschließt. Und diese Wahrheit heißt: Es geht um jeden einzelnen, um seine eigene Sünde, für die er nichts anderes tun kann als um Vergebung zu bitten. Sünde ist häßlich, grausam und allgemein verbreitet wie ein Virus, dessen Herkunft nicht festzustellen ist. Und sie ist ein Teil unseres Lebens, des Ichs, des Menschseins, und das kann kein spiritueller Schönheitswettbewerb kaschieren, auch kein protestantischer. Das ist das erste, was wir von Jesus über den Heiligen Geist, den wahren Tröster lernen.
Zweitens: Der Heilige Geist ist Befreiung. Wenn der Geist in Wahrheit über die Sünde redet, so ist das kein Selbstzweck. Es wäre eine grausame Vorstellung, wenn Gott und der Geist sich an der Wirklichkeit der Sünde erfreuen würden. Nein, das Offenlegen der Sünde, das Augenöffnen für die Wirklichkeit des Bösen gilt einem ganz bestimmten Zweck. Der tröstende Heilige Geist öffnet uns die Augen, damit wir Menschen von der Sünde befreit werden können. Das ist nicht Sache der Menschen, durch eigene Leistungen wird die Sünde nicht bezwungen.
Die Anerkennung der Wirklichkeit der Sünde bedeutet zugleich deren Überwindung. In Kreuz und Auferstehung hat das Gericht über die Sünde schon stattgefunden. Oder in den Worten des Abschied nehmenden Jesus: Der Fürst dieser Welt ist besiegt. Die Sünde ist in Jesus Christus besiegt.
Der Heilige Geist deckt die Wahrheit auf. Er zeigt die Überwindung der Sünde. Und weil das so ist, ist das Aufdecken der Wahrheit und die Überwindung der Sünde ein Trost. Also drittens: Der Heilige Geist tröstet. Und das ist die Botschaft, die wir in der Gemeinde zu verkündigen haben. Das ist etwas anderes als das Schmalspurevangelium jenes Protestantismus, der sich bestimmten politischen Interessen als spiritueller Helfershelfer anbiedert.
Liebe Gemeinde, es ist nicht so, daß der Heilige Geist die Gemeinden und die Glaubenden vor jeder Gefahr schützen würde. Der Tröster beschneidet keine der uns von Gott zugesprochenen Freiheiten. Wir müssen lernen, die Zeichen der Zeit zu lesen, zu prüfen und daraus Schlußfolgerungen zu ziehen. Diese Verantwortung nimmt uns auch der Heilige Geist, der tröstet, nicht ab. Wer sich ein Urteil bildet, der kann in Wahrnehmung dieser Verantwortung auch irren. Zum Menschsein gehören Irrtum, Fehler, Sackgassen, Abgründe. Gerade deswegen führen uns die Worte Jesu führen auf die Spur des Trösters. Der Jesus, der von seinen Jüngern Abschied, gibt ein ganz einfaches Kriterium für das Wirken des Geistes: Wer sich trösten läßt vom Heiligen Geist, der wird zu Christus geführt. Wer sich zu Christus führen läßt, der wird in Gottes Wahrheit leben. Wer in der Wahrheit lebt, lebt als getrösteter Mensch. Wer getröstet ist, kann diesen Trost weitergeben. Niemand soll so tun, als ob er solchen Trost nicht nötig hätte. Nicht jedes Lachen und jedes happy end sind gleich Zeichen der Gegenwart des Heiligen Geistes. Der Geist ist dort, wo Menschen in Gewißheit und Vertrauen ihren Lebensweg gehen, in dem trostvollen Wissen, daß Jesus Christus die Sünde für sie überwunden hat. Das ist das happy end des Pfingstglaubens. Amen.
Perikope