(Hinweis: Johannes 16,5-15 ist der von der Perikopenrevision vorgeschlagene Predigttext)
Jesus bereitet seine Jünger auf seinen Abschied vor und sagt:
5 Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? 6 Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. 7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. 8 Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; 9 über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; 10 über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; 11 über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. 12 Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. 13 Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. 14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. 15 Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.
Liebe Gemeinde,
wie soll das bloß weitergehen? Viele Menschen haben sich in den letzten Wochen und Monaten diese Frage gestellt oder besser: haben diese Worte geseufzt, geklagt, laut geschrien. In diesen Tagen sind es besonders die Menschen in der Provinz Alberta in Kanada, die vor dem riesigen Waldbrand fliehen und ihre Häuser, ihr Hab und Gut zurücklassen müssen. Die Bewohner von Aleppo in Syrien, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, viele Menschen in Äthiopien und Indien, die wegen einer Dürre nichts mehr zu essen haben und auf vertrocknete Felder schauen. Wie soll es bloß weitergehen? Wie sehen die nächsten Tage, Wochen, Jahre aus, was für eine Zukunft haben unsere Kinder?
Selbstverständlich gibt es diese Frage bei uns auch: Wie soll es weitergehen, wenn ich meine Arbeit verloren habe oder vielleicht unglücklich bin in meinem Beruf oder einfach das Geld nicht reicht? Wie überstehe ich die nächsten Jahre, wenn meine Partnerin oder mein Partner gestorben ist, wenn die Eltern pflegebedürftig geworden sind, wenn ich selbst krank geworden bin? Und für einen Schüler, der durch eine Prüfung gerasselt ist, kann diese Frage auch sehr bedrohlich sein. Ich denke, jede und jeder von uns hat solche Situationen schon selbst erlebt.
Diese Frage passt in die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, in der wir gerade sind. Jesus ist weg. Auf ihm lagen so viele Hoffnungen. Er war der Lehrer, er hat Wunder getan, Kranke geheilt, einige sogar von den Toten auferweckt. Menschen sind ihm nachgefolgt und haben ihm vertraut. Er sollte ihnen ein besseres Leben ermöglichen, ihnen den Himmel nahe bringen, dafür sorgen, dass sie nach dem irdischen Leben ein ewiges Leben haben, dass das Paradies offen steht.
Nach dem Schock darüber, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, gab es ja erst einmal wieder Hoffnung. Er soll von den Toten auferstanden sein, erzählte man sich. Und der Auferstandene ist einer ganzen Reihe glaubwürdiger Menschen erschienen. Einer seiner Jünger, Thomas, durfte ihn sogar anfassen, weil er das nicht glauben konnte.
Dann aber ist er wieder gegangen, endgültig, „er fuhr auf gen Himmel“ heißt es bei Lukas, Himmelfahrt. Wie soll es nun ohne Jesus weitergehen, haben sich seine Anhängerinnen und Anhänger gefragt!
Jesus hat seine Jünger auf diesen Moment vorbereitet, davon erzählt unser Predigttext. Jesus redet mit ihnen über die Zeit, in der er nicht mehr da sein wird. Und er sagt dabei einen, wie ich finde, ganz erstaunlichen Satz: „Es ist gut für euch, dass ich weggehe.“
„Es ist gut für euch, dass ich weggehe“ – ich kann mir vorstellen, dass die Jünger sehr irritiert und erstaunt waren, als sie das hörten. Was soll gut daran sein, wenn der große Lehrer, der Meister, der Retter weg ist? Und wie sollte es dann weitergehen – schließlich war kein Nachfolger von Jesus in Sicht! Er war in jeder Hinsicht einzigartig und unersetzbar. Auch wenn er immer wieder gesagt hatte, dass die Frauen und Männer um ihn herum auch große Dinge tun könnten, wenn sie glaubten. Aber in den Evangelien werden sie doch oft als ziemlich schwach im Glauben dargestellt.
Nun, es ist weitergegangen, liebe Gemeinde, sonst wären wir nicht hier in diesem Gottesdienst beieinander. Aber es ist nach wie vor, ganz nüchtern betrachtet, ein großes Wunder, dass sich aus dieser kleinen Schar, deren Anführer plötzlich weg war, die Christenheit von heute, also die mehr als zwei Milliarden Christinnen und Christen weltweit entwickelt hat.
Nächsten Sonntag feiern wir Pfingsten, da wird erklärt, wie dieser Übergang möglich wurde. Der Übergang von Anhängern des Jesus zur ersten Gemeinde, die Menschen getauft hat und zu einer Massenbewegung wurde.
Pfingsten erzählt, wie es weiterging, wie der Heilige Geist zu der Versammlung kam, wie sie alle begeistert waren und sich der Glaube an Jesus Christus ausgebreitet hat. Das geschah tatsächlich erst, als Jesus fort war, nach der Himmelfahrt. Und eben dieser Jesus hatte vorher gesagt: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn, so weiter, „wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster (also der Heilige Geist) nicht zu euch!“ Die große Gemeinschaft der Christen haben wir also dem Heiligen Geist zu verdanken.
Was ist das für ein Geist? Jesus sagte, dass der „Geist der Wahrheit“ kommen wird. Das meint: der Heilige Geist erfindet nichts Neues, sondern gibt die Wahrheit weiter. Jesus erklärt das so: Der Heilige Geist wird „nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen“. Und er fügt hinzu, dass der Geist der Wahrheit nur das verkündigen und weitergeben wird, was vom Vater kommt.
Jesus hatte immer schon gesagt, dass er genau das verkündigt, was er von seinem Vater hat. Das wird nun sozusagen vom Heiligen Geist übernommen. Wir können auch sagen: Der Heilige Geist vervielfältigt, was Jesus bzw. sein Vater sagt. Er bringt das Wort des Vaters zu uns, macht es lebendig und kraftvoll in unseren Herzen und Seelen. Er bringt die Liebe des Vaters zu uns und lässt uns darauf vertrauen, dass wir Gottes geliebte Kinder sind. Paulus schreibt im Epheserbrief, wie wir vorhin in der Lesung gehört haben: Der himmlische Vater gibt uns Kraft, „stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.“
Der Heilige Geist, der Tröster, der uns Kraft bringt – der hält durch die Jahrtausende alles zusammen, der wirkt seit dem Pfingstwunder und bringt uns auch heute weiter. Er lässt uns wieder hoffen, Mut fassen und glauben. Lasst uns beten, dass er kräftig weht. Amen.