Predigt zu Johannes 2,1-11 von Andreas Pawlas
2,1-11

Predigt zu Johannes 2,1-11 von Andreas Pawlas

Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was geht's dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt's dem Speisemeister! Und sie brachten's ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam - die Diener aber wussten's, die das Wasser geschöpft hatten -, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.

Liebe Gemeinde,

in unserer heutigen Zeit sind für viele die Wochen nach Weihnachten so etwas wie Zeiten der Entspannung nach den ausgedehnten Festlichkeiten. Und das will sich so anfühlen, als sollte jetzt das Große und Schöne, Wunderbare und Geheimnisvolle vorbei sein und der altbekannten Normalität weichen. Das ist jedoch nicht das Lebensgefühl in der alten Überlieferung der Christenheit. Denn in der Epiphaniaszeit darf einfach alles, was so groß, schön, wunderbar und geheimnisvoll war, eindringlich weiter klingen und schwingen und damit großzügig die Berichte über das wunderbare Wirken Jesu Christi auf Erden eröffnen. Und zu denen gehört ja nun auch unser Bibelabschnitt von der Hochzeit in Kana in Galiläa.

Aber Vorsicht. Denn genau an dieser Stelle wird für manche irgendwie vermintes Terrain betreten. Ja, dass man unmittelbar zum Weihnachtsfest bei uns und sogar weltweit irgendwie einen Sinn für das Wunderbare toleriert oder sogar pflegt, das scheint doch zur Kultur des gegenwärtigen Zeitalters zu gehören, zum sogenannten „Weihnachtschristentum“ unserer Tage. Aber dabei darf nicht verschwiegen werden, dass es offensichtlich genauso zur Kultur unseres vorgeblich so nüchternen Zeitalters gehört, das Thema „Wunder“ gefälligst als erledigt zu betrachten. Deutlich erkennbar sind die Zeiten vorbei, in denen man sich öffentlich über das Thema “Wunder” die Köpfe heiß reden mochte! Nein, man ist sich weitgehend einig, dass das Thema “Wunder” nicht in das technisch- naturwissenschaftliche Zeitalter gehört. Und mancher „moderner“ Pastor gibt sich in dieser Frage – um den Verlust nach Punkten für das Christentum an dieser Stelle nicht noch schlimmer zu machen – bewusst progressiv oder “aufgeschlossen” und zeigt sich gern bereit, alle Wunder-”Effekthascherei” nun auch noch aus theologischen Gründen abzutun. Natürlich so auch ich, damals in meiner ersten Pfarrstelle. Und damit wäre dann eigentlich auch unser Bericht von der Hochzeit in Kana mit dem wunderbaren Wirken Jesu abgetan und eine Predigt darüber überflüssig.

Aber halt! Jetzt nicht zu schnell und eins nach dem Anderen! Und da darf wirklich an erster Stelle stehen, dass es tatsächlich gute Gründe gibt, ein lückenloses Gelten der Naturgesetze als Ausfluss göttlichen Willens zu deuten. Und wer wollte leugnen, wie faszinierend das ist, was die daraus folgende nüchterne menschliche Technik an Annehmlichkeiten und Fortschritt für uns am laufenden Band produziert! Manchmal kann man darüber fast genau so staunen wie über die Wunder damals, von denen die Bibel so viel berichtet.

Also muss man deshalb nun über alles, was wie ein “Wunder” aussieht, als moderner Christenmensch lieber schweigen? Ist damit die sogenannte “Objektivität” alles? Bleibt krumm eben immer krumm und wird niemals gerade? Bleibt eben Wasser Wasser und nicht Wein? Bleibt eben sauer sauer und wird nicht süß?

Ich war damals in dieser Hinsicht bestimmt nicht erst nachdenklich geworden, seitdem sich in vielen Buchhandlungen weitausladende “Esoterik”-Abteilungen etabliert hatten, in denen dann vielleicht auch noch eine Handvoll christlicher Titel feilgeboten wurden. Auf jeden Fall fand dort, was die Esoterik angeht, vielfach das Phantastischste und Wunderbarste reißenden Absatz. Sollte etwa nun das Christentum hier kräftig eintauchen, um mithalten zu können?

Keine Bange, mir blieb erspart, auf solche esoterische Wiederbelebung des Wunderbaren zurückgreifen zu müssen. Vielmehr hatte unser Gott beschlossen, mich nüchternen Zeitgenossen einmal förmlich mit der Nase darauf zu stoßen, das, was er so manches Mal an Wunderbarem tut, ernst zunehmen. Und dabei war Herrn Schulze senior eine bedeutende Rolle zugedacht. Mit seinen gut einundachtzig Jahren war nämlich Herr Schulze senior tatsächlich einmal wieder in den Gottesdienst gekommen - was mich als engagierten Gemeindepastor natürlich freute. Mich freute aber noch mehr, dass er dann sogar auch am Abendmahl teilnahm! Sicherlich war das das erste Mal wieder seit seiner Konfirmation! Auf jeden Fall stand er da so mit uns im Halbkreis um den Altar. Und ich spürte deutlich seine Ergriffenheit und sagte deshalb innerlich “Gott sei Dank”.

Nach dem Abendmahl kam der Gottesdienst dann sehr bald zu seinem Ende mit Segen und anschließender Verabschiedung. Ein schöner Gottesdienst, ein schöner Sonntag. Gott sei Dank! Aber dann klingelte am Montag das Telefon. Und am anderen Ende der Leitung meldete sich erstaunlicherweise Herr Schulze senior mit einer Beschwerde! Ja, es stimmt, es wäre ein schöner Gottesdienst gewesen. Aber trotzdem - und dabei erreicht seine Stimme eine mir irgendwie unangenehme Tonlage - wolle er sich doch die Frage erlauben, wieso wir denn beim Abendmahl Traubensaft statt richtigem Wein reichten.

Und diese Beschwerde verblüffte mich wirklich. Sollte sich etwa Herr Schulze senior damit beschäftigt haben, was sich in der Abendmahlspraxis der letzten fünfzig Jahre alles geändert hatte, etwa mit der theologisch so ausgiebig diskutierte Frage, ob unter der “Frucht des Weinstocks” eben nur Wein oder auch Traubensaft zu verstehen sei? Nein, das konnte ich mir bei ihm nicht vorstellen. Es musste sich um ganz anderes handeln, denn wir hatten ja immer ganz bewusst Wein im Abendmahlskelch. Allerdings handelte es sich dabei um einen recht, recht sauren. Denn um unsere Verbindung zur afrikanischen Partnergemeinde nicht nur geistlich sondern auch handfest auszudrücken, hatte die Kirchengemeinde ihren ganzen Jahresbedarf an Abendmahlswein durch die dort gekelterte “Frucht des Weinstocks” gedeckt – und durchlitt nun tapfer die damit eingehandelte “Säuernis”. Also meinte ich eigentlich, recht einfach die Irritation von Herrn Schulze senior auflösen zu können, indem ich antwortete: “Aber lieber Herr Schulze, wir feiern das Abendmahl doch immer mit Wein!”

Am anderen Ende der Leitung war nun erst einmal Pause. Ich hörte förmlich, wie die Gedanken kreisten. Aber dann meldete er sich wieder vom anderen Ende der Leitung: “Das war wirklich Wein? So süß war der Wein? Wenn das so war, dann bestelle ich hiermit eine ganze Kiste!”

Und jetzt saß ich wirklich in der Klemme! Allerdings war ich auch am Begreifen, was hier eigentlich Wunderbares passiert war: In seiner Ergriffenheit hatte Herr Schulze senior offenbar süß statt sauer geschmeckt! Toll!

Aber was sollte ich nun machen? Einerseits wollte ich ja Herrn Schulze senior gern gefällig sein. Und unserer afrikanischen Partnergemeinde hätte der Umsatz auch gut getan! Aber wie hätte mir andererseits Herr Schulze senior dann später abnehmen können, wenn ihm der saure, saure Wein tatsächlich geliefert worden wäre dass das genau der Wein war, der ihm so gut geschmeckt hatte und der ihm in der Gegenwart des Heiligen süß statt sauer wurde? Ich hatte damals keine Zeit, darüber nachzudenken, ob das nun ein Wunder war oder nicht. Aber vielleicht kommt das ja hier auch gar nicht auf wasserdichte Definitionen an, wenn in der Gegenwart des Heiligen Wunderbares geschieht. Mir fiel damals nur ein, Herrn Schulze senior zu erwidern: “Sie wollen eine ganze Kiste bestellen? Das geht leider nicht. Denn das ist Abendmahlswein und der ist unverkäuflich”.

Allerdings ist seitdem der wunderbare Bericht von der Hochzeit zu Kana, bei der in der Gegenwart Jesu Wasser zu Wein wurde, für mich ganz selbstverständlich geworden. Und es ist für mich eine feste Überzeugung geworden, dass in der Gegenwart des Heiligen, Wunderbares geschehen kann. Immer und Überall! Und ich frage mich deshalb so manches Mal, ob es vielleicht nur an uns liegt, dass wir vielfach unsrem Gott zu wenig Wunderbares zutrauen, und dass wir deshalb dann das Wunderbare auch nicht entdecken können. Sind wir vielleicht viel zu sehr fasziniert von den spannenden Entwicklungen der Naturgesetze und der menschlichen Technik und deren Grenzen, als fest damit zu rechnen, dass es dem Schöpfer der Naturgesetze doch selbstverständlich frei stehen muss, nach seinem Willen etwas anders ablaufen zu lassen, als wir es gewohnt sind, wenn er es für richtig hält.

Und warum wird denn so wenig gestaunt über die Mutter Maria und ihren festen Glauben, mit dem sie dann zu den Dienern spricht: „Was er euch sagt, das tut.“ Und dann geschieht auch das Wunderbare! Wie wäre es, wenn wir uns jetzt genauso im Neuen Jahr durch ein solches Wort anweisen lassen würden: „Was er euch sagt, das tut.“ Und bitte jetzt nicht einwenden: Wir wüssten doch gar nicht, was er sagt! Gott zu lieben und seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst, das sind deutlich Worte genug für jedermann und das nicht nur für das Jahr 2015. Also, wie wäre es, es wirklich zu wagen, sich im Neuen Jahr anweisen zu lassen: „Was er euch sagt, das tut.“ Und dann aber genauso wie die Mutter Maria fest zu rechnen mit dem Wunderbaren. Und dann zu staunen. Und dann zu danken. Jetzt beginnend bis in Ewigkeit. Amen.