Predigt zu Johannes 4, 19-26 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
4,19
Liebe Gemeinde,
unser heutiger Predigttext ist ein kleiner Ausschnitt aus einer längeren Erzählung. Sie steht im Johannesevangelium im vierten Kapitel. „Jesus und die Samariterin“ – so ist die Erzählung in der Lutherbibel überschrieben. Sie erinnern sich bestimmt. Und wir müssen zunächst dem Verlauf der Geschichte folgen, sie uns in Erinnerung rufen, bis zu dem Punkt, an dem unser heutiger Predigttext beginnt. Es sind die Verse 19-26 im vierten Kapitel des Johannesevangeliums.
Beginnen wir also am Anfang der Erzählung, mit Vers 4; und beginnen wir mit etwas Bibelkunde und da hinein gemischt etwas Religionsgeschichte und hören wir dann den Predigttext.
Also: Jesus ist auf dem Weg durch Samaria, so beginnt unsere Erzählung.
Und zu der Zeit des Johannesevangeliums begann es da auch gleich in den Köpfen der Zuhörenden zu rumoren. Nach Samaria ging man nicht freiwillig. Das war ein absolutes „no go“. Mit dem Samaritaner wollte man nichts zu tun haben.
Der Konflikt zwischen Samaritaners und Juden hatte eine lange Tradition. Und er war religiös motiviert; ein innerjüdischer Konflikt.
Er begann, als das Königreich, das David initiiert und Salomo ausgebaut hatte, in zwei Reiche zerfiel. Das Nordreich Israel, zu dem auch die Landschaft Samaria gehörte und das Südreich Juda. Damit wurde das Nordreich abgeschnitten von der Stadt Jerusalem mit seinem heiligen Tempel, den Salomo errichtet hatte. Also errichtete man im Nordreich einen eigenen Tempel auf dem Berg Garizim und feierte dort Gottesdienste. Der Kern für den Konflikt war gelegt. Garizim oder Jerusalem? An welchem Ort stand der wahre Tempel; an welchem Ort wurde der richtige Gottesdienst gefeiert?
Beide Reiche hatten eine wechselvolle und leidvolle Geschichte. Beide gingen im Lauf der Geschichte unter.
Aber im Südreich waren die Propheten aufgetreten. Ihre Worte wurden gesammelt und aufgeschrieben. Auch Tempelgesänge aus Jerusalem, ein Teil der Psalmen, wurden gesammelt und aufgeschrieben, sowie andere Texte, die heute einen großen Teil des Alten Testaments ausmachen. Gerade in der Zeit des Exils, in das die Bewohner Judäas nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels verschleppt wurden, sammelte man das Wort Gottes im Exil und stellte einen Kanon zusammen aus den fünf Büchern Mose, den Prophetenworten und den übrigen Schriften, zu denen auch die Psalmen gehörten. Ohne Jerusalemer Tempel, ohne Kult konnte man jetzt doch Gott nahe sein im Hören auf Gottes Wort, auf seine Mahnungen und seine Trostworte, auf seine Zusagen, dass er sein Volk bei allen Schicksalsschlägen der Geschichte nicht verlässt.
Das Nordreich kannte diese Schriften nicht. Es ging noch vor dem Südreich unter. In die Gegend von Samaria zogen fremde Menschen, integrierten sich in die samaritanische Bevölkerung. Bekannt waren aber den Samaritanern die fünf Bücher Mose. Die Propheten, die Jerusalemer Tempelgesänge und alle anderen Schriften waren ihnen unbekannt.
Und so ist es bis heute. Die Bibel der Samaritaner besteht nur aus den fünf Büchern Mose. Und die heute noch existierende kleine Gemeinschaft der Samaritaner, die inzwischen über die ganze Welt verstreut ist, im Libanon, in Ägypten, aber auch noch immer in der Gegend von der Stadt Nablus in der Westbank, am Fuße des Berges Garizim, diese kleine Gemeinschaft, sie feiert bis heute dort auf diesem Berg ihr Passahfest.
So also war der Konflikt in grauer Vorzeit entstanden. So also wurden die Bewohner Samarias zu jener Gruppe, die zur Zeit Jesu als nicht rechtgläubig und als nicht richtig jüdisch angesehen wurden. Deshalb ging man nicht durch die Gegend Samaria.
Jesus, der Jude, geht durch Samaria. Er überschreitet diese Grenze. Und er trifft dort an dem Brunnen des Glaubensvaters Jakob auf eine Samaritanerin, spricht sie an und bittet sie um Trinkwasser. Es entspinnt sich ein Gespräch, das sehr schnell vom alltäglichen Trinkwasser zu der tiefen religiösen Bedeutung des Symbols Wasser kommt.
Den Durst nach Leben, ja sogar nach ewigen Leben könne er stillen, sagt Jesus der Samaritanerin; und angesprochen auf ihre eigene rastlose Suche im Leben bekennt sie: „Herr, ich sehe: du bist ein Prophet.“
Und mit diesen Worten der Samariterin beginnt nun unser Predigttext. Ich verlese ihn in der Übersetzung der neuen Basisbibel:
Da sagte die Frau: „Herr, ich sehe: du bist ein Prophet.
Unsere Vorfahren haben Gott auf dem Berg dort verehrt. Aber ihr behauptet, dass sich in Jerusalem der richtige Ort befindet, um Gott zu verehren.“
Da sagte Jesus: „Glaub mir, Frau: Es kommt die Stunde, in der ihr den Vater weder auf diesem Berg noch in Jerusalem verehren werdet. Ihr Samariter betet Gott an und kennt ihn nicht. Wir beten Gott an und kennen ihn.
Denn die Rettung für alle Menschen kommt aus dem jüdischen Volk.
Aber es kommt die Stunde, ja, sie ist schon da! Dann werden die Menschen, die Gott wirklich verehren, den Vater anbeten. Dabei werden sie vom Heiligen Geist und von Gottes Wahrheit erfüllt sein. Denn der Vater sucht Menschen, die ihn so anbeten.
Gott selbst ist Geist. Und wer ihn anbetet, muss vom Geist und von der Wahrheit erfüllt sein.
Da sagte die Frau zu ihm: „Ich weiß, dass der Messias kommt. Man nennt ihn auch Christus. Wenn er kommt, wird er über all das Auskunft geben.“
Jesus antwortete: „Ich bin es. Ich, der mit dir spricht.“
Liebe Gemeinde,
wir haben hier einem Gespräch zugehört, das wir heute als interreligiösen Dialog bezeichnen würden, einem Dialog zwischen der Anhängerin der samaritanischen Religion und Jesus, dem Vertreter des Judentums. Ausgehen konnte der Dialog von Bekanntem: dem Wasser und seiner symbolischen, religiösen Bedeutung und vom Jakobsbrunnen, den beide Religionen aus dem gemeinsamen Teil ihrer Heiligen Schrift kennen, den fünf Büchern Mose.
Nicht anders treten heute Religionen in den interreligiösen Dialog ein. Mit dem Judentum verbindet das Christentum der erste Teil der Bibel und die Tatsache, dass Jesus Christus Jude war. Mit dem Islam verbindet beide die Person des Abraham und einander ähnliche Überlieferungen in Bibel und Koran. Auch die tiefere Bedeutung religiöser Symbole wie Wasser oder Licht kann als Einstieg zu einem interreligiösen Dialog genutzt werden, bevor es in die theologischen Feinheiten geht.
Aber unser interreligiöser Dialog bleibt nicht bei den Gemeinsamkeiten stehen, sondern kommt schnell auf die Unterschiede zu sprechen: „Wir beten auf dem Garizim an; ihr in Jerusalem“, stellt die Samaritanerin fest.
„Ihr Samariter betet Gott an und kennt ihn nicht. Wir beten Gott an und kennen ihn“, sagt Jesus.
Aber ist dieser Satz Jesu noch interreligiöser Dialog oder nicht schon missionarische Rechthaberei?
Religionen haben immer etwas mit Wahrheit zu tun; mit einer tiefen Wahrheit, auf die man sein Leben, sein Sterben und alle seine Hoffnungen gründet. Der Gott oder die Götter einer Religion sind eben nicht bloß bunte Bausteinchen, aus denen man sich die schönsten heraussucht, um sich eine ganz eigene Religion zusammen zu bauen. Kein Gott, keine Gottheit wäre dann noch göttlich. Religionen haben immer mit Wahrheit zu tun und damit auch mit Gegensätzen. Jesus benennt diese Gegensätze offen und spricht seine Wahrheit aus und schafft Klarheit.
Das Gespräch zwischen den Religionen führt immer dazu, dass man über den eigenen Glauben nachdenkt und sich darüber im Klaren wird, was man selber glaubt.
Wie viel unendliches Leid und entsetzliche Grausamkeiten wären dem Volk Gottes, dem jüdischen Volk erspart geblieben, wenn wir Christen uns darüber im Klaren gewesen wären, dass wir mit ihm den größten Teil unserer Bibel gemeinsam haben, dass Jesus Christus jüdischen Glaubens war und dass wir so unendlich viel von der jüdischen Bibelauslegung lernen können. „Denn die Rettung für alle Menschen kommt aus dem jüdischen Volk“, sagt Jesus. In der Lutherübersetzug: „Das Heil kommt von den Juden.“
„Die Juden sind unser Unglück.“ Diesen furchtbaren Satz sagte der Berliner Historiker Heinrich Treitschke von über 100 Jahren. An die große Schuld, die wir Christen uns gegenüber dem Judentum aufgeladen haben, muss am heutigen Israelsonntag erinnert werden. Und wir müssen uns immer wieder darüber im Klaren sein, dass der Glaube an Jesus Christus das Judentum gleichsam mitbringt in unsere christliche Religion.
Die Begegnung mit einer anderen Religion führt zur Klärung des eigenen Glaubens. Sie kennen das vielleicht: da zieht jemand anderer Religion ins Haus und lebt fröhlich und freundlich seinen jüdischen, muslimischen oder hinduistischen Glauben. Nicht wenige verunsichert das zunächst. Manche kommen dann ins Nachdenken: was glaube ich denn? Wie halte ich es mit dem Gebet oder dem Fasten oder mit dem Gottesdienst oder mit Heiligen Orten?
Bei den Heiligen Orten meinen wir Protestanten da ganz schnell einer Meinung mit Jesus zu sein: wir brauchen keinen Garizim, kein Jerusalem, kein Rom, kein Lourdes, kein Mekka, keinen Ganges. Wir brauchen keine Heiligen Orte. Wir Evangelischen beten Gott überall an und kennen ihn.
Aber kennen wir ihn wirklich oder tun wir nur so souverän? Unser christlicher Glaube ist uns bei unserem überlegenen Gehabe anderen Religionen gegenüber doch eigentlich oft ziemlich gleichgültig und nebensächlich. Was ist unser Glaube?
„Ich bin es“ sagt Jesus. „Ich, der mit dir redet.“
Dieser interreligiöse Dialog hier im Johannesevangelium führt uns an unsere ureigene Wurzel: zu Jesus Christus. Dieses Gespräch am Jakobsbrunnen fragt uns: was ist denn die Quelle unseren Lebens? Vertrauen wir wirklich darauf, dass Jesus Christus unseren Lebensdurst stillen kann? Dass er Schuld vergeben kann? Dass er Hoffnung schenkt, die über unser Leben hinaus reicht? Leben wir fröhlich und freundlich aus seiner Wahrheit? Beflügelt sein Geist unser Reden, Tun und Lassen?
Die Geschichte am Jakobsbrunnen geht nach den Versen unseres Predigttextes weiter: berichtet wird, dass die Samariterin fröhlich und begeistert in ihren nahe gelegenen Wohnort läuft und der Nachbarschaft von ihrer Begegnung mit Jesus berichtet und sie freundlich einlädt, diesen Juden kennen zu lernen, der da einfach die Grenze nach Samaria überschritten hat. Ihn hat sie als die Rettung auf ihrem Lebensweg erkannt. Für sie ist er der Christus, der Messias.
Wir aber sollten noch eine Weile am Jakobsbrunnen, diesem uralten jüdischen Ort, verweilen und dann mit Jesus weiter ziehen und ihm auf unserem Lebensweg vertrauen.
unser heutiger Predigttext ist ein kleiner Ausschnitt aus einer längeren Erzählung. Sie steht im Johannesevangelium im vierten Kapitel. „Jesus und die Samariterin“ – so ist die Erzählung in der Lutherbibel überschrieben. Sie erinnern sich bestimmt. Und wir müssen zunächst dem Verlauf der Geschichte folgen, sie uns in Erinnerung rufen, bis zu dem Punkt, an dem unser heutiger Predigttext beginnt. Es sind die Verse 19-26 im vierten Kapitel des Johannesevangeliums.
Beginnen wir also am Anfang der Erzählung, mit Vers 4; und beginnen wir mit etwas Bibelkunde und da hinein gemischt etwas Religionsgeschichte und hören wir dann den Predigttext.
Also: Jesus ist auf dem Weg durch Samaria, so beginnt unsere Erzählung.
Und zu der Zeit des Johannesevangeliums begann es da auch gleich in den Köpfen der Zuhörenden zu rumoren. Nach Samaria ging man nicht freiwillig. Das war ein absolutes „no go“. Mit dem Samaritaner wollte man nichts zu tun haben.
Der Konflikt zwischen Samaritaners und Juden hatte eine lange Tradition. Und er war religiös motiviert; ein innerjüdischer Konflikt.
Er begann, als das Königreich, das David initiiert und Salomo ausgebaut hatte, in zwei Reiche zerfiel. Das Nordreich Israel, zu dem auch die Landschaft Samaria gehörte und das Südreich Juda. Damit wurde das Nordreich abgeschnitten von der Stadt Jerusalem mit seinem heiligen Tempel, den Salomo errichtet hatte. Also errichtete man im Nordreich einen eigenen Tempel auf dem Berg Garizim und feierte dort Gottesdienste. Der Kern für den Konflikt war gelegt. Garizim oder Jerusalem? An welchem Ort stand der wahre Tempel; an welchem Ort wurde der richtige Gottesdienst gefeiert?
Beide Reiche hatten eine wechselvolle und leidvolle Geschichte. Beide gingen im Lauf der Geschichte unter.
Aber im Südreich waren die Propheten aufgetreten. Ihre Worte wurden gesammelt und aufgeschrieben. Auch Tempelgesänge aus Jerusalem, ein Teil der Psalmen, wurden gesammelt und aufgeschrieben, sowie andere Texte, die heute einen großen Teil des Alten Testaments ausmachen. Gerade in der Zeit des Exils, in das die Bewohner Judäas nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels verschleppt wurden, sammelte man das Wort Gottes im Exil und stellte einen Kanon zusammen aus den fünf Büchern Mose, den Prophetenworten und den übrigen Schriften, zu denen auch die Psalmen gehörten. Ohne Jerusalemer Tempel, ohne Kult konnte man jetzt doch Gott nahe sein im Hören auf Gottes Wort, auf seine Mahnungen und seine Trostworte, auf seine Zusagen, dass er sein Volk bei allen Schicksalsschlägen der Geschichte nicht verlässt.
Das Nordreich kannte diese Schriften nicht. Es ging noch vor dem Südreich unter. In die Gegend von Samaria zogen fremde Menschen, integrierten sich in die samaritanische Bevölkerung. Bekannt waren aber den Samaritanern die fünf Bücher Mose. Die Propheten, die Jerusalemer Tempelgesänge und alle anderen Schriften waren ihnen unbekannt.
Und so ist es bis heute. Die Bibel der Samaritaner besteht nur aus den fünf Büchern Mose. Und die heute noch existierende kleine Gemeinschaft der Samaritaner, die inzwischen über die ganze Welt verstreut ist, im Libanon, in Ägypten, aber auch noch immer in der Gegend von der Stadt Nablus in der Westbank, am Fuße des Berges Garizim, diese kleine Gemeinschaft, sie feiert bis heute dort auf diesem Berg ihr Passahfest.
So also war der Konflikt in grauer Vorzeit entstanden. So also wurden die Bewohner Samarias zu jener Gruppe, die zur Zeit Jesu als nicht rechtgläubig und als nicht richtig jüdisch angesehen wurden. Deshalb ging man nicht durch die Gegend Samaria.
Jesus, der Jude, geht durch Samaria. Er überschreitet diese Grenze. Und er trifft dort an dem Brunnen des Glaubensvaters Jakob auf eine Samaritanerin, spricht sie an und bittet sie um Trinkwasser. Es entspinnt sich ein Gespräch, das sehr schnell vom alltäglichen Trinkwasser zu der tiefen religiösen Bedeutung des Symbols Wasser kommt.
Den Durst nach Leben, ja sogar nach ewigen Leben könne er stillen, sagt Jesus der Samaritanerin; und angesprochen auf ihre eigene rastlose Suche im Leben bekennt sie: „Herr, ich sehe: du bist ein Prophet.“
Und mit diesen Worten der Samariterin beginnt nun unser Predigttext. Ich verlese ihn in der Übersetzung der neuen Basisbibel:
Da sagte die Frau: „Herr, ich sehe: du bist ein Prophet.
Unsere Vorfahren haben Gott auf dem Berg dort verehrt. Aber ihr behauptet, dass sich in Jerusalem der richtige Ort befindet, um Gott zu verehren.“
Da sagte Jesus: „Glaub mir, Frau: Es kommt die Stunde, in der ihr den Vater weder auf diesem Berg noch in Jerusalem verehren werdet. Ihr Samariter betet Gott an und kennt ihn nicht. Wir beten Gott an und kennen ihn.
Denn die Rettung für alle Menschen kommt aus dem jüdischen Volk.
Aber es kommt die Stunde, ja, sie ist schon da! Dann werden die Menschen, die Gott wirklich verehren, den Vater anbeten. Dabei werden sie vom Heiligen Geist und von Gottes Wahrheit erfüllt sein. Denn der Vater sucht Menschen, die ihn so anbeten.
Gott selbst ist Geist. Und wer ihn anbetet, muss vom Geist und von der Wahrheit erfüllt sein.
Da sagte die Frau zu ihm: „Ich weiß, dass der Messias kommt. Man nennt ihn auch Christus. Wenn er kommt, wird er über all das Auskunft geben.“
Jesus antwortete: „Ich bin es. Ich, der mit dir spricht.“
Liebe Gemeinde,
wir haben hier einem Gespräch zugehört, das wir heute als interreligiösen Dialog bezeichnen würden, einem Dialog zwischen der Anhängerin der samaritanischen Religion und Jesus, dem Vertreter des Judentums. Ausgehen konnte der Dialog von Bekanntem: dem Wasser und seiner symbolischen, religiösen Bedeutung und vom Jakobsbrunnen, den beide Religionen aus dem gemeinsamen Teil ihrer Heiligen Schrift kennen, den fünf Büchern Mose.
Nicht anders treten heute Religionen in den interreligiösen Dialog ein. Mit dem Judentum verbindet das Christentum der erste Teil der Bibel und die Tatsache, dass Jesus Christus Jude war. Mit dem Islam verbindet beide die Person des Abraham und einander ähnliche Überlieferungen in Bibel und Koran. Auch die tiefere Bedeutung religiöser Symbole wie Wasser oder Licht kann als Einstieg zu einem interreligiösen Dialog genutzt werden, bevor es in die theologischen Feinheiten geht.
Aber unser interreligiöser Dialog bleibt nicht bei den Gemeinsamkeiten stehen, sondern kommt schnell auf die Unterschiede zu sprechen: „Wir beten auf dem Garizim an; ihr in Jerusalem“, stellt die Samaritanerin fest.
„Ihr Samariter betet Gott an und kennt ihn nicht. Wir beten Gott an und kennen ihn“, sagt Jesus.
Aber ist dieser Satz Jesu noch interreligiöser Dialog oder nicht schon missionarische Rechthaberei?
Religionen haben immer etwas mit Wahrheit zu tun; mit einer tiefen Wahrheit, auf die man sein Leben, sein Sterben und alle seine Hoffnungen gründet. Der Gott oder die Götter einer Religion sind eben nicht bloß bunte Bausteinchen, aus denen man sich die schönsten heraussucht, um sich eine ganz eigene Religion zusammen zu bauen. Kein Gott, keine Gottheit wäre dann noch göttlich. Religionen haben immer mit Wahrheit zu tun und damit auch mit Gegensätzen. Jesus benennt diese Gegensätze offen und spricht seine Wahrheit aus und schafft Klarheit.
Das Gespräch zwischen den Religionen führt immer dazu, dass man über den eigenen Glauben nachdenkt und sich darüber im Klaren wird, was man selber glaubt.
Wie viel unendliches Leid und entsetzliche Grausamkeiten wären dem Volk Gottes, dem jüdischen Volk erspart geblieben, wenn wir Christen uns darüber im Klaren gewesen wären, dass wir mit ihm den größten Teil unserer Bibel gemeinsam haben, dass Jesus Christus jüdischen Glaubens war und dass wir so unendlich viel von der jüdischen Bibelauslegung lernen können. „Denn die Rettung für alle Menschen kommt aus dem jüdischen Volk“, sagt Jesus. In der Lutherübersetzug: „Das Heil kommt von den Juden.“
„Die Juden sind unser Unglück.“ Diesen furchtbaren Satz sagte der Berliner Historiker Heinrich Treitschke von über 100 Jahren. An die große Schuld, die wir Christen uns gegenüber dem Judentum aufgeladen haben, muss am heutigen Israelsonntag erinnert werden. Und wir müssen uns immer wieder darüber im Klaren sein, dass der Glaube an Jesus Christus das Judentum gleichsam mitbringt in unsere christliche Religion.
Die Begegnung mit einer anderen Religion führt zur Klärung des eigenen Glaubens. Sie kennen das vielleicht: da zieht jemand anderer Religion ins Haus und lebt fröhlich und freundlich seinen jüdischen, muslimischen oder hinduistischen Glauben. Nicht wenige verunsichert das zunächst. Manche kommen dann ins Nachdenken: was glaube ich denn? Wie halte ich es mit dem Gebet oder dem Fasten oder mit dem Gottesdienst oder mit Heiligen Orten?
Bei den Heiligen Orten meinen wir Protestanten da ganz schnell einer Meinung mit Jesus zu sein: wir brauchen keinen Garizim, kein Jerusalem, kein Rom, kein Lourdes, kein Mekka, keinen Ganges. Wir brauchen keine Heiligen Orte. Wir Evangelischen beten Gott überall an und kennen ihn.
Aber kennen wir ihn wirklich oder tun wir nur so souverän? Unser christlicher Glaube ist uns bei unserem überlegenen Gehabe anderen Religionen gegenüber doch eigentlich oft ziemlich gleichgültig und nebensächlich. Was ist unser Glaube?
„Ich bin es“ sagt Jesus. „Ich, der mit dir redet.“
Dieser interreligiöse Dialog hier im Johannesevangelium führt uns an unsere ureigene Wurzel: zu Jesus Christus. Dieses Gespräch am Jakobsbrunnen fragt uns: was ist denn die Quelle unseren Lebens? Vertrauen wir wirklich darauf, dass Jesus Christus unseren Lebensdurst stillen kann? Dass er Schuld vergeben kann? Dass er Hoffnung schenkt, die über unser Leben hinaus reicht? Leben wir fröhlich und freundlich aus seiner Wahrheit? Beflügelt sein Geist unser Reden, Tun und Lassen?
Die Geschichte am Jakobsbrunnen geht nach den Versen unseres Predigttextes weiter: berichtet wird, dass die Samariterin fröhlich und begeistert in ihren nahe gelegenen Wohnort läuft und der Nachbarschaft von ihrer Begegnung mit Jesus berichtet und sie freundlich einlädt, diesen Juden kennen zu lernen, der da einfach die Grenze nach Samaria überschritten hat. Ihn hat sie als die Rettung auf ihrem Lebensweg erkannt. Für sie ist er der Christus, der Messias.
Wir aber sollten noch eine Weile am Jakobsbrunnen, diesem uralten jüdischen Ort, verweilen und dann mit Jesus weiter ziehen und ihm auf unserem Lebensweg vertrauen.
Perikope