Predigt zu Johannes 5, 39-47, Frank Zeeb
5,39
Liebe Gemeinde,
heute geht es um alles. Es geht um die Frage nach dem Sinn des Lebens. Und darum, wer uns eigentlich diesen Sinn garantiert. Als Christen werden wir natürlich sagen: Der Sinn des Lebens liegt im christlichen Glauben. Das Leben hat seinen Urgrund und seinen Sinn einzig und allein darin, dass Gott in Jesus Christus seinen Sohn sendet. In ihm ist das Leben, weil er das Leben selber ist.
Nun ist das ein schöner Satz, aber die Fragen und Zweifel bleiben: Wie können wir denn wissen, dass das stimmt? Wie können wir andere davon überzeugen? Und wie können wir auch nur davon reden, von dem, was so offensichtlich menschliche Worte und Redeweisen übersteigt? Gibt es denn irgendwelche sachlichen Gründe, an Jesus zu glauben, die diesen Glauben nicht schon voraussetzen? Oder ist womöglich der Glaube ein in sich geschlossenes System, wo man entweder dazu gehört oder eben außen vor bleibt. Ein System womöglich, das sich selbst bestätigt, und sich gegen jede Kritik von außen radikal abschottet, oder wie es der große Philosoph Immanuel Kant ausdrückte: „Der bibelfeste Theologe beweist, dass ein Gott sei, indem er darauf hinweist, dass dieser Gott in der Bibel zu ihm geredet habe.“Nebenbei bemerkt, wäre das nicht nur ein logischer Fehler, wie Kant zurecht bemängelt, sondern auch nicht unbedingt ein angemessener Umgang mit der Schrift, wenn sie ihr Wort nicht sagen darf, sondern nur als Steinbruch für Belegstellen herangezogen wird. Umgekehrt kommen wir aber auch nicht weit, wenn jemand seine eigenen Erfahrungen mit dem Glauben benennt. Das betone ich deshalb, weil es in manchen christlichen Gruppierungen in den letzten Jahren häufig geworden ist, mit solchen Erfahrungen offensiv an die Öffentlichkeit zu gehen. Oft wird dann Zustimmung gefordert und der Widerspruch oder Zweifel am Vorgetragenen als gottlos gebrandmarkt. Auch wo das nicht der Fall ist: Glauben ist immer eine persönliche Sache. Niemand kann für einen anderen Glauben und deshalb sind fremde Erfahrungen niemals allgemeingültige Antworten. Das kann schon deshalb nicht sein, weil die Menschen eben so unterschiedlich sind und deshalb auch unterschiedlich glauben – auch wenn das Gespräch über den Glauben hilfreich sein kann.
Die Frage heißt also: Gibt es Grundlagen und Instanzen, auf die wir uns verlassen können, wenn wir nach dem Sinn des Lebens fragen?
Erster Ansatz: Im Text hält Jesus seinen Zeitgenossen vor, dass sie in der Schrift das ewige Leben suchen, dabei aber nicht verstehen, dass die Schrift von ihm selbst spricht. Mit der Schrift ist das gemeint, was wir heute das Alte Testament nennen. „Suchen“ ist eine typisch jüdische Form der Schriftauslegung, genauer würde man vielleicht „durchforschen“ übersetzen. Zur jüdischen Auslegung gehört es, die Schriften des Alten Testament sehr genau zu durchforschen, für jede Stelle Parallelstellen zu finden, Gegenstellen, Gründe und Gegengründe. Das ist nicht die schlechteste Art und Weise, mit der Bibel umzugehen, und sie liefert oft überraschende Ergebnisse. Jesus tadelt also seine Zeitgenossen, sondern lobt sie für die Ernsthaftigkeit, mit der sie in der Schrift forschen. Schlimm ist aber, dass sie über der Fülle der Details das große Ganze übersehen, den Wald vor Bäumen nicht mehr wahrnehmen, vor lauter Gottessuche Gottes Willen nicht finden können. Das ist hier das Problem. Das Eigentliche, das was man sucht, das ewige Leben, das kann man so nicht finden. Jesus selbst steht vor seinen Zeitgenossen und ruft in die Entscheidung – hier kommt man mit sorgsamen Analysen nicht weiter. Dass Gott den Messias senden und sein ewiges Reich aufrichten wird, das erfährt man bei fleißiger Schriftlektüre, bloß: dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, das bleibt den Zeitgenossen verborgen, weil sie in ihrem Denksystem gefangen sind. Die spätere christliche Theologie hat das so umgedeutet, dass sie in fast jedem Vers des Alten Testaments einen Bezug auf die Gottessohnschaft Jesu gesucht hat, und ist damit gleichsam auf der anderen Seite vom Pferd gefallen. Vollends abzulehnen sind dann natürlich jedwede antijüdischen Folgerungen etwa derart, dass die Juden aus Verstockung den eigentlichen Kern des Alten Testament verfehlt hätten. Diese Denkrichtung geht dann in der Regel so weiter, dass sie auch Jesus gekreuzigt hätten, die weiteren furchtbaren Folgen sind bekannt. Umgekehrt wollen und sollen wir die Geisteshaltung ernst nehmen: In der Schrift lässt sich manches finden, auch die Antwort auf die großen Fragen des Lebens. Wir müssen uns nur fragen, ob wir sie recht lesen: Ein Dokument, das uns von Gott spricht, das ernst genommen und durchforscht werden will. Aber eben auch ein Buch, das nur dann recht verstanden werden kann, wenn wir uns darauf einlassen, dass wir es nur mit menschlichen Methoden und unserem Verstand nicht durchdrungen können. Der Gott, von dem die Bibel spricht, ist in Jesus Mensch geworden. Auf diesen Ton gestimmt, finden wir Antworten. Freilich: Es sind keine naturwissenschaftlichen Beweise, sondern Antworten des Glaubens. Aber immerhin: Wenn das stimmt, was wir glauben, dass Jesus mehr ist als ein guter Mensch, dann sind diese Antworten stimmig und tröstlich.
Zweiter Ansatz: In alten Agenden und Gesangbüchern ist der heutige Sonntag überschrieben mit „Apostel und Propheten“. Es sind diese Glaubenszeugen, die uns übermitteln, was Gottes Wille und sein Heilsplan ist. Viele Kirchen der Ökumene nehmen das sehr ernst. Sie weisen darauf hin, dass Jesus die Apostel eingesetzt hat, diese wiederum ihre Nachfolger und so weiter, bis auf den heutigen Tag. Damit ersetzen oder ergänzen sie zumindest die Schrift durch die Tradition. Sie sagen, durch die Weitergabe des Glaubens haben wir einen Anhalt, was ursprünglich gemeint gewesen sein muss. Die, die es gehört und gesehen haben, berichten es weiter. So wird es immer fester, und darauf dürfen wir uns stützen. Daran ist viel Wahres. Nur: Es könnte ja auch sein, dass sich die Vorfahren irgendwann geirrt haben. Die Überlieferung ist ja – wie alles Menschliche – fehlbar. Erzählen sie einmal, Sie hätten im Lotto 10 € gewonnen. Es wird nicht lange dauern, und vor allem keine 2000 Jahre, bis alle Welt fragt, was Sie denn jetzt mit dem großen Gewinn machen. So ernst wir die Tradition nehmen wollen, sie gibt uns wichtige Anhaltspunkte, aber sie kann nicht die einzige Leitschnur sein. Immerhin: Wir brauchen nicht jedes Rad neu zu erfinden.
Dritter Ansatz: Die Moderne fragt nach wissenschaftlichen Beweisen. Ich habe jetzt in den Ferien einen Roman gelesen, natürlich reine Erfindung. Es ging darum, dass Archäologen in Israel das Grab Jesu gefunden haben wollen, mit einem Skelett darin. Die angeblichen Beweise scheinen überwältigend und doch bleibt ein Zweifel Nun will ich das Ende des Romans nicht verraten, aber letzten Endes geht es um die Frage: Kann die Wissenschaft beweisen, dass der Glaube recht hat? Oder wenigstens beweisen, dass nichts dran ist? Ich meine nein. Sie kann uns viele wichtige Dinge lehren, über das Leben und über die Welt, aber nach dem Sinn fragt sie nicht. Darüber kann sie nichts aussagen und alle „Beweise“ oder „Gegenbeweise“, die derzeit so in der Mode sind, von der Gehirnwissenschaft bis zu den neuesten Weltentstehungstheorien sind letzten Endes Scharlatanerie. Die exakte Wissenschaft befasst sich mit dem, was messbar ist. Das Unfassbare, das Geheimnis des Glaubens bleibt ihr verschlossen.
Vierter Ansatz: Die Postmoderne – das ist die Zeit, in der wir heute leben – geht aus vom Einzelnen und seiner Erfahrung. Sie bestreitet, dass es eine absolute Wahrheit gibt und sagt: Es gibt nur meine Wahrheit, die für mich stimmig ist. Dann ist es gut, und deine Wahrheit ist für dich stimmig, und das ist auch gut. Deshalb heißt da der wichtigste Satz: „muss ja jeder selber wissen“. Wenn das stimmt, dann können wir über den Glauben gar nicht mehr sprechen. Es wäre dann auch jede Vermittlung, jede Predigt sinnlos. „Muss ja jeder selber wissen“.
Jetzt habe ich Ihnen im Grunde einen Gang durch 2000 Jahre Ideengeschichte zugemutet, aber keine Antworten gegeben. Was ist denn nun die Wahrheit? Wie können wir denn nun den Sinn des Lebens finden?
Ich gehe davon, dass alle Menschen sich diese und ähnliche Fragen stellen. Das liegt in unserem Menschsein tief verborgen. Die Tragik ist nur die, dass wir sie als Menschen nicht finden können, weil wir eben in dem gefangen sind, was wir kennen, sehen, erfahren können. Die Fragen, die über die Welt hinausgehen, können wir so nicht beantworten. Deswegen scheitern die Suche in der Schrift, die Tradition, die Wissenschaft und die eigene Erfahrung. Wir sind darauf angewiesen, dass es Lösungen gibt, jenseits unseres menschlichen Fassungsvermögen. Diese haben dann zwar den Nachteil, dass sie nicht beweisbar sind. Sie sind eben Glaubenssache. Dennoch müssen wir den Verstand nicht an der Haustür abgeben. Wir müssen uns an der Denkstruktur abarbeiten: Wenn Gott so ist, wie wir glauben, was heißt das dann? Was hat das dann mit dem ewigen Leben zu tun? Wieso gibt das dann Sinn? Wie gesagt, beweisbar ist das alles nicht. Aber wir können miteinander darüber sprechen, uns gegenseitig über unsere Zweifel und Erkenntnisse und Erfahrungen informieren. Von daher ergibt sich zwar keine Sicherheit im wissenschaftlichen Sinn, aber eine Gewissheit. Ich bin nicht alleine mit meinem Glauben, mit meinen Sehnsüchten, meinen Zweifeln und Anfechtungen. Mit mir sind viele auf der Suche, neben mir, vor mir. Ich bin Teil einer Gemeinschaft von Suchenden, die sich auf das Wagnis einlassen, dass ein Gott sei. Wenn das nun stimmt, dann haben aber die vier Punkte auch einen Anlass:
Die Schrift ist die Sammlung von Texten, in denen Menschen Erfahrungen mit Gott niedergeschrieben haben. Es ist gleichzeitig die Sammlung von Texten, durch die Menschen Erfahrungen mit Gott gemacht haben. Sie haben in diesen Texten entdeckt, wie Gott ist, was er will und vor allem, dass er in Jesus seinen Sohn gesendet hat. Deshalb: Forschet in der Schrift, sie bezeugt uns Jesus und Gott, in ihr steht vieles über das ewige Leben und den Sinn unserer Existenz.
Die Tradition ist die Summe der Antworten, die Menschen in der Schrift gefunden haben auf ihre Fragen. Für uns evangelische Christen ist es anders als in vielen Schwesterkirchen nicht das Amt, das die Tradition garantiert. Es ist die Schrift selbst, an der alle Tradition zu messen ist. Das ist die große Erkenntnis der Reformation. Die Schrift hat uns Gott als einen liebenden und barmherzigen Gott verkündigt. Diese Erkenntnis ist weiter zu verkündigen. Deshalb gibt es heute keine Apostel und Propheten mehr, sondern die Verkündigung des Evangeliums, jeden Sonntag im Gottesdienst und überall dann, wenn ein Christenmensch mit seinem Nächsten vom Glauben spricht. Wir sind Teil der Tradition und geben sie weiter, jeden Sonntag, Tag für Tag.
Die Wissenschaft und die Erfahrung sind demgegenüber nachrangig. Sie helfen uns, das einzuordnen, was wir hören, und sie helfen uns, in der Welt zurechtzukommen. Entscheidend ist aber, dass wir in den Fragen unseres Leben darauf vertrauen dürfen, dass wir nicht unsere eigene Ehre suchen müssen, sondern unsere Ehre darin haben, dass wir Gottes geliebte Kinder sind. Deshalb brauchen wir uns auch nicht davor zu fürchten, dass unser Leben keinen Bestand haben könnte vor irgendwelchen Instanzen und seien es Mose und die Propheten – wir haben ja das ewige Leben von dem, der gekommen ist in des Vaters Namen. Der hat das erste und das letzte Wort. Amen.
heute geht es um alles. Es geht um die Frage nach dem Sinn des Lebens. Und darum, wer uns eigentlich diesen Sinn garantiert. Als Christen werden wir natürlich sagen: Der Sinn des Lebens liegt im christlichen Glauben. Das Leben hat seinen Urgrund und seinen Sinn einzig und allein darin, dass Gott in Jesus Christus seinen Sohn sendet. In ihm ist das Leben, weil er das Leben selber ist.
Nun ist das ein schöner Satz, aber die Fragen und Zweifel bleiben: Wie können wir denn wissen, dass das stimmt? Wie können wir andere davon überzeugen? Und wie können wir auch nur davon reden, von dem, was so offensichtlich menschliche Worte und Redeweisen übersteigt? Gibt es denn irgendwelche sachlichen Gründe, an Jesus zu glauben, die diesen Glauben nicht schon voraussetzen? Oder ist womöglich der Glaube ein in sich geschlossenes System, wo man entweder dazu gehört oder eben außen vor bleibt. Ein System womöglich, das sich selbst bestätigt, und sich gegen jede Kritik von außen radikal abschottet, oder wie es der große Philosoph Immanuel Kant ausdrückte: „Der bibelfeste Theologe beweist, dass ein Gott sei, indem er darauf hinweist, dass dieser Gott in der Bibel zu ihm geredet habe.“Nebenbei bemerkt, wäre das nicht nur ein logischer Fehler, wie Kant zurecht bemängelt, sondern auch nicht unbedingt ein angemessener Umgang mit der Schrift, wenn sie ihr Wort nicht sagen darf, sondern nur als Steinbruch für Belegstellen herangezogen wird. Umgekehrt kommen wir aber auch nicht weit, wenn jemand seine eigenen Erfahrungen mit dem Glauben benennt. Das betone ich deshalb, weil es in manchen christlichen Gruppierungen in den letzten Jahren häufig geworden ist, mit solchen Erfahrungen offensiv an die Öffentlichkeit zu gehen. Oft wird dann Zustimmung gefordert und der Widerspruch oder Zweifel am Vorgetragenen als gottlos gebrandmarkt. Auch wo das nicht der Fall ist: Glauben ist immer eine persönliche Sache. Niemand kann für einen anderen Glauben und deshalb sind fremde Erfahrungen niemals allgemeingültige Antworten. Das kann schon deshalb nicht sein, weil die Menschen eben so unterschiedlich sind und deshalb auch unterschiedlich glauben – auch wenn das Gespräch über den Glauben hilfreich sein kann.
Die Frage heißt also: Gibt es Grundlagen und Instanzen, auf die wir uns verlassen können, wenn wir nach dem Sinn des Lebens fragen?
Erster Ansatz: Im Text hält Jesus seinen Zeitgenossen vor, dass sie in der Schrift das ewige Leben suchen, dabei aber nicht verstehen, dass die Schrift von ihm selbst spricht. Mit der Schrift ist das gemeint, was wir heute das Alte Testament nennen. „Suchen“ ist eine typisch jüdische Form der Schriftauslegung, genauer würde man vielleicht „durchforschen“ übersetzen. Zur jüdischen Auslegung gehört es, die Schriften des Alten Testament sehr genau zu durchforschen, für jede Stelle Parallelstellen zu finden, Gegenstellen, Gründe und Gegengründe. Das ist nicht die schlechteste Art und Weise, mit der Bibel umzugehen, und sie liefert oft überraschende Ergebnisse. Jesus tadelt also seine Zeitgenossen, sondern lobt sie für die Ernsthaftigkeit, mit der sie in der Schrift forschen. Schlimm ist aber, dass sie über der Fülle der Details das große Ganze übersehen, den Wald vor Bäumen nicht mehr wahrnehmen, vor lauter Gottessuche Gottes Willen nicht finden können. Das ist hier das Problem. Das Eigentliche, das was man sucht, das ewige Leben, das kann man so nicht finden. Jesus selbst steht vor seinen Zeitgenossen und ruft in die Entscheidung – hier kommt man mit sorgsamen Analysen nicht weiter. Dass Gott den Messias senden und sein ewiges Reich aufrichten wird, das erfährt man bei fleißiger Schriftlektüre, bloß: dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, das bleibt den Zeitgenossen verborgen, weil sie in ihrem Denksystem gefangen sind. Die spätere christliche Theologie hat das so umgedeutet, dass sie in fast jedem Vers des Alten Testaments einen Bezug auf die Gottessohnschaft Jesu gesucht hat, und ist damit gleichsam auf der anderen Seite vom Pferd gefallen. Vollends abzulehnen sind dann natürlich jedwede antijüdischen Folgerungen etwa derart, dass die Juden aus Verstockung den eigentlichen Kern des Alten Testament verfehlt hätten. Diese Denkrichtung geht dann in der Regel so weiter, dass sie auch Jesus gekreuzigt hätten, die weiteren furchtbaren Folgen sind bekannt. Umgekehrt wollen und sollen wir die Geisteshaltung ernst nehmen: In der Schrift lässt sich manches finden, auch die Antwort auf die großen Fragen des Lebens. Wir müssen uns nur fragen, ob wir sie recht lesen: Ein Dokument, das uns von Gott spricht, das ernst genommen und durchforscht werden will. Aber eben auch ein Buch, das nur dann recht verstanden werden kann, wenn wir uns darauf einlassen, dass wir es nur mit menschlichen Methoden und unserem Verstand nicht durchdrungen können. Der Gott, von dem die Bibel spricht, ist in Jesus Mensch geworden. Auf diesen Ton gestimmt, finden wir Antworten. Freilich: Es sind keine naturwissenschaftlichen Beweise, sondern Antworten des Glaubens. Aber immerhin: Wenn das stimmt, was wir glauben, dass Jesus mehr ist als ein guter Mensch, dann sind diese Antworten stimmig und tröstlich.
Zweiter Ansatz: In alten Agenden und Gesangbüchern ist der heutige Sonntag überschrieben mit „Apostel und Propheten“. Es sind diese Glaubenszeugen, die uns übermitteln, was Gottes Wille und sein Heilsplan ist. Viele Kirchen der Ökumene nehmen das sehr ernst. Sie weisen darauf hin, dass Jesus die Apostel eingesetzt hat, diese wiederum ihre Nachfolger und so weiter, bis auf den heutigen Tag. Damit ersetzen oder ergänzen sie zumindest die Schrift durch die Tradition. Sie sagen, durch die Weitergabe des Glaubens haben wir einen Anhalt, was ursprünglich gemeint gewesen sein muss. Die, die es gehört und gesehen haben, berichten es weiter. So wird es immer fester, und darauf dürfen wir uns stützen. Daran ist viel Wahres. Nur: Es könnte ja auch sein, dass sich die Vorfahren irgendwann geirrt haben. Die Überlieferung ist ja – wie alles Menschliche – fehlbar. Erzählen sie einmal, Sie hätten im Lotto 10 € gewonnen. Es wird nicht lange dauern, und vor allem keine 2000 Jahre, bis alle Welt fragt, was Sie denn jetzt mit dem großen Gewinn machen. So ernst wir die Tradition nehmen wollen, sie gibt uns wichtige Anhaltspunkte, aber sie kann nicht die einzige Leitschnur sein. Immerhin: Wir brauchen nicht jedes Rad neu zu erfinden.
Dritter Ansatz: Die Moderne fragt nach wissenschaftlichen Beweisen. Ich habe jetzt in den Ferien einen Roman gelesen, natürlich reine Erfindung. Es ging darum, dass Archäologen in Israel das Grab Jesu gefunden haben wollen, mit einem Skelett darin. Die angeblichen Beweise scheinen überwältigend und doch bleibt ein Zweifel Nun will ich das Ende des Romans nicht verraten, aber letzten Endes geht es um die Frage: Kann die Wissenschaft beweisen, dass der Glaube recht hat? Oder wenigstens beweisen, dass nichts dran ist? Ich meine nein. Sie kann uns viele wichtige Dinge lehren, über das Leben und über die Welt, aber nach dem Sinn fragt sie nicht. Darüber kann sie nichts aussagen und alle „Beweise“ oder „Gegenbeweise“, die derzeit so in der Mode sind, von der Gehirnwissenschaft bis zu den neuesten Weltentstehungstheorien sind letzten Endes Scharlatanerie. Die exakte Wissenschaft befasst sich mit dem, was messbar ist. Das Unfassbare, das Geheimnis des Glaubens bleibt ihr verschlossen.
Vierter Ansatz: Die Postmoderne – das ist die Zeit, in der wir heute leben – geht aus vom Einzelnen und seiner Erfahrung. Sie bestreitet, dass es eine absolute Wahrheit gibt und sagt: Es gibt nur meine Wahrheit, die für mich stimmig ist. Dann ist es gut, und deine Wahrheit ist für dich stimmig, und das ist auch gut. Deshalb heißt da der wichtigste Satz: „muss ja jeder selber wissen“. Wenn das stimmt, dann können wir über den Glauben gar nicht mehr sprechen. Es wäre dann auch jede Vermittlung, jede Predigt sinnlos. „Muss ja jeder selber wissen“.
Jetzt habe ich Ihnen im Grunde einen Gang durch 2000 Jahre Ideengeschichte zugemutet, aber keine Antworten gegeben. Was ist denn nun die Wahrheit? Wie können wir denn nun den Sinn des Lebens finden?
Ich gehe davon, dass alle Menschen sich diese und ähnliche Fragen stellen. Das liegt in unserem Menschsein tief verborgen. Die Tragik ist nur die, dass wir sie als Menschen nicht finden können, weil wir eben in dem gefangen sind, was wir kennen, sehen, erfahren können. Die Fragen, die über die Welt hinausgehen, können wir so nicht beantworten. Deswegen scheitern die Suche in der Schrift, die Tradition, die Wissenschaft und die eigene Erfahrung. Wir sind darauf angewiesen, dass es Lösungen gibt, jenseits unseres menschlichen Fassungsvermögen. Diese haben dann zwar den Nachteil, dass sie nicht beweisbar sind. Sie sind eben Glaubenssache. Dennoch müssen wir den Verstand nicht an der Haustür abgeben. Wir müssen uns an der Denkstruktur abarbeiten: Wenn Gott so ist, wie wir glauben, was heißt das dann? Was hat das dann mit dem ewigen Leben zu tun? Wieso gibt das dann Sinn? Wie gesagt, beweisbar ist das alles nicht. Aber wir können miteinander darüber sprechen, uns gegenseitig über unsere Zweifel und Erkenntnisse und Erfahrungen informieren. Von daher ergibt sich zwar keine Sicherheit im wissenschaftlichen Sinn, aber eine Gewissheit. Ich bin nicht alleine mit meinem Glauben, mit meinen Sehnsüchten, meinen Zweifeln und Anfechtungen. Mit mir sind viele auf der Suche, neben mir, vor mir. Ich bin Teil einer Gemeinschaft von Suchenden, die sich auf das Wagnis einlassen, dass ein Gott sei. Wenn das nun stimmt, dann haben aber die vier Punkte auch einen Anlass:
Die Schrift ist die Sammlung von Texten, in denen Menschen Erfahrungen mit Gott niedergeschrieben haben. Es ist gleichzeitig die Sammlung von Texten, durch die Menschen Erfahrungen mit Gott gemacht haben. Sie haben in diesen Texten entdeckt, wie Gott ist, was er will und vor allem, dass er in Jesus seinen Sohn gesendet hat. Deshalb: Forschet in der Schrift, sie bezeugt uns Jesus und Gott, in ihr steht vieles über das ewige Leben und den Sinn unserer Existenz.
Die Tradition ist die Summe der Antworten, die Menschen in der Schrift gefunden haben auf ihre Fragen. Für uns evangelische Christen ist es anders als in vielen Schwesterkirchen nicht das Amt, das die Tradition garantiert. Es ist die Schrift selbst, an der alle Tradition zu messen ist. Das ist die große Erkenntnis der Reformation. Die Schrift hat uns Gott als einen liebenden und barmherzigen Gott verkündigt. Diese Erkenntnis ist weiter zu verkündigen. Deshalb gibt es heute keine Apostel und Propheten mehr, sondern die Verkündigung des Evangeliums, jeden Sonntag im Gottesdienst und überall dann, wenn ein Christenmensch mit seinem Nächsten vom Glauben spricht. Wir sind Teil der Tradition und geben sie weiter, jeden Sonntag, Tag für Tag.
Die Wissenschaft und die Erfahrung sind demgegenüber nachrangig. Sie helfen uns, das einzuordnen, was wir hören, und sie helfen uns, in der Welt zurechtzukommen. Entscheidend ist aber, dass wir in den Fragen unseres Leben darauf vertrauen dürfen, dass wir nicht unsere eigene Ehre suchen müssen, sondern unsere Ehre darin haben, dass wir Gottes geliebte Kinder sind. Deshalb brauchen wir uns auch nicht davor zu fürchten, dass unser Leben keinen Bestand haben könnte vor irgendwelchen Instanzen und seien es Mose und die Propheten – wir haben ja das ewige Leben von dem, der gekommen ist in des Vaters Namen. Der hat das erste und das letzte Wort. Amen.
Perikope