Predigt zu Johannes 5,24-29 von Heinz Behrends
5,24-29

Predigt zu Johannes 5,24-29 von Heinz Behrends

„Mach’s gut, Helmut, und grüß Loki“,  jemand hat seinen Abschiedsgruß für Helmut Schmidt auf einen Zettel geschrieben und den vielen Grüßen im Jägerzaun vor Schmidts Haus in Hamburg-Langenhorn hinzugefügt, dazu eine Menthol-Zigarette.
Mich bewegt die kleine Szene, nicht nur mich, die Presse hat mit Überschriften von diesem Gruß berichtet. Tröstlich heute an dem Sonntag, an dem wir unserer Toten gedenken. Was für eine erwärmende Jenseitsvorstellung vermittelt der Grüßende! Helmut wird auch in der anderen Welt leben, seine geliebte Menthol-Zigarette rauchen und vor allem, er wird seine Frau Loki wiedersehen, von der er sich nach ihrem Tod vor 5 Jahren so schmerzlich verabschieden musste. Helmut Schmidt lebt weiter bei Gott. Dieser Urtyp eines Protestanten, der als Politiker und Deuter der Weltpolitik vom Ethos Freiheit, Verantwortung und Schuld gelebt hat. Und der mit zunehmendem Alter immer mehr seine Zweifel an Gott ausgesprochen hat. Ein protestantischer Atheist, ein frommer Agnostiker, sagen einige über ihn, der sich nach 68 Ehejahren im Hamburger Michel wie ein gebrochener Mann von Loki verabschiedet und noch einmal eine neue Beziehung eingeht. Morgen wird er im Michel, dem berühmten Gotteshaus seiner Heimatstadt, auf einer großen Trauerfeier geehrt und verabschiedet. „Mach’s gut, Helmut, und grüß Loki“. Manche sagen mit humorvollem Augenzwinkern“ „Nun wird er da oben Gott die Welt erklären“.
Mich berührt das. Steckt doch hinter allem das Bild eines liebevollen Lebens bei Gott nach unserem Tod.
Wer wünscht sich das nicht heute, ewiges Leben und Wiedersehen unserer Liebsten.
Es ist ein Trost für alle, die heute unter uns im Gottesdienst sind, im letzten Jahr einen vertrauten Menschen verloren haben und Ihrer heute gedenken. Es gibt ein ewiges Leben, ja, ein Wiedersehen.
Viele sagen mir aber auch, es interessiere sie nicht, was nach dem Tode sei. Die Reaktion auf den Tod eines Menschen wie Helmut Schmidt oder eines Geliebten scheint das zu widerlegen.

Also ist es gut, unsere Glaubenszeugnisse in der Bibel zu befragen.
Die Bibel spricht von Tod und Ewigkeit in verschiedenen Texten und Bildern, die sich ergänzen, aber  auch miteinander streiten. So kann ich Sie heute als Prediger bis zum Tor eines Gartens führen, einen Blick hinein wagen, weiter nicht. Aber das ist schon viel.
Ich habe Paulus als Führer bis ans Tor. Die Toten werden auferstehen beim Klang der Posaune, dann werden die Lebenden dazu kommen, dann werden wir alle mit Christus entrückt werden in den Himmel (1.Thess 4). Später wagt er ein anderes Bild: „Es wird gesät ein natürlicher Leib und auferstehen ein geistlicher Leib“ (1. Kor 15). Wir werden also auferstehen, aber in einer Gestalt, die nicht vergleichbar ist mit unserem jetzigen menschlichen Körper. Wir sterben und dann wird Gott selber uns neu erschaffen.

Auch der Evangelist Johannes lässt sich nicht auf ein Bild festlegen. „Wer glaubt dem, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht“, sagt er. Also kein Gericht am Ende der Zeit, sondern heute entscheide ich selber darüber, indem ich an Christus glaube oder nicht. Das ist sehr sympathisch. Keine Jenseitsvorstellungen, kein Vertrösten auf Später. Nein, jetzt entscheide ich selber über mein Leben. Ich habe das selber in der Hand. Klingt gut für den modernen Menschen, der alles selbst bestimmen will. Allerdings bekomme ich ewiges Leben nur durch meine Beziehung zu Christus, wenn ich glaube, er ist der Gesandte Gottes. Was wird aus Helmut Schmidt, der gesagt hat, „Ich glaube nicht, dass Gott seinen Sohn geschickt hat“. Er verstehe das Reden der Kirche von Trinität und der Betonung von Christus nicht. Wird Gott in sein Herz schauen und würdigen, dass er beeindruckend Bach-Choräle auf der Orgel spielen konnte, dass er den frommen Dichter Matthias Claudius seinen Lebensbegleiter nennt? Der Weltpolitiker hält sich an den frommen Familienvater aus Wandsbek. Wird Gott ihn würdigen? Gott wird es wissen. Die Lebenden richten selber durch ihren Glauben über ihr Leben. Das gilt auch für die Toten. Sie werden die vertraute Stimme Christi wiedererkennen. Also, wir sind mit ihm bei Gott. Gut aufgehoben.
Das sehe ich, wenn ich in den Garten schaue.
Aber es hat schon damals den Lesern des Johannes-Evangeliums nicht genügt. Denn eine Frage hat sie gequält: Ist denn am Ende für alle alles gut? Und sie haben im Johannes-Evangelium hinzugefügt „ Es kommt die Stunde, es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichtes“.  Es gibt böse Menschen. Sie werden gerichtet werden. Beruhigt mich das heute nach den Anschlägen vom letzten Wochenende in Paris? Es muss doch eine Gerechtigkeit geben. Menschen rufen „Allah ist groß“ und erschießen Menschen, die den letzten warmen Novemberabend vor den Cafés genießen oder ihre Lieblingsmusik hören. Sie versuchen, ein Chaos anzurichten, wo Menschen sich am Fußball erfreuen. Anschließend sprengen sie sich in die Luft und meinen, etwas Gutes getan zu haben. Wir sind fassungslos, ratlos und ungläubig, wenn wir die ritualisierten Betroffenheitsformeln hören, die großen Worte der Politiker, alle ernst gemeint, aber am Ende hilflos. Gewalt ist ein Erfolgsmodell. Darum umso mehr: Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, werden die Mörder es einmal vor einem Gericht verantworten müssen. Wenn es kein Gericht gäbe, dann wäre doch alles egal auf dieser Welt. Dann könnte doch jeder ungestraft tun und lassen, was er will. Das mag ich nicht denken.
Jesus selbst bestätigt ja im Evangelium von heute aus Matth 25, dass in dem Garten ein Richtertisch aufgebaut ist. „Was Ihr nicht getan habt einem meiner geringsten Brüder! .. Sie werden hingehen zur ewigen Strafe“. Muss ich mein Bild von dem Blick durch die Gartenpforte aufgeben und von der Hölle reden? Nein, Hölle erleben wir schon auf Erden, in Syrien, in Afghanistan, im Jemen, auf den Fluchtwegen der Flüchtenden, in den Hirnen der Schlepper, in den Drogengeschäften in Mexiko.
Jetzt bin ich schnell bei den anderen, den offensichtlich bösen Menschen. Gott wird sie richten, ich muss Gott sei Dank nicht der Richter sein.
„ER wird kommen zu richten die Lebenden und die Toten“. Das glaube ich.

Und ich? Gehöre ich zu den Guten? Ich sehe meinen Kleinglauben, der sich seines Glaubens an Christus nicht immer sicher ist.
Und erwarte ein Gericht. Und das ist gut so.
Denn wir haben ein Recht darauf –so mein theologischer Lehrer Fulbert Steffensky- einmal unverhüllt vor dem Antlitz Gottes zu stehen, wo und wie auch immer – das weiß nur Gott“, sagt er. Ich möchte am Ende erkennen, wer ich bin und was ich war. Ja, es ist eine Frage der Würde, dass ich vor Gott und mir selber nicht versteckt bleibe. Wir entgehen unserem Schmerz über uns selbst nicht, wenn wir unser Ungenügen, unsere eigene Bosheit erkennen, sagt er. Ich habe mein Leben gelebt mit Gelingen und mit Mühen und mit Versagen. Ich will, dass Gott das noch einmal anschaut, wenn ich nackt vor ihm stehe. Es kommt ja immer darauf an, vor wem ich nackt da stehe. „Er kennt unseres Herzens Grund“, so Psalm 44.

Ich schließe dieses schwere Kapitel, was nach meinem Tod ist und nach dem Tod meiner Liebsten und meiner Feinde:
Es gibt ein Leben bei Gott. Es gibt ein Gericht. Ich werde in einer anderen Gestalt bei Gott leben. Ich habe dafür heute Bilder, einen Blick durch das Gartentor. Wir werden nicht wieder geboren werden und auf die Erde zurückkehren. Wir  werden bei ihm sein und er bei uns.

Helmut Schmidt wusste sich durch Matthias Claudius getröstet. Ich auch. Darum am Ende mit einem seiner schönsten Gedichte ein letzter Blick durchs Gartentor:

Der Mensch

Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar
Kömmt er und sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret,
und bringt sein Tränlein dar;
verachtet und verehret,
hat Freude und Gefahr;
glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
hält nichts und alles wahr,;
erbauet und zerstöret;
und quält sich immerdar;
schläft, wachet, wächst und zehret;
trägt braun und graues Haar etc.
Und alles dieses währet,
wenn’s hoch kommt, achtzig Jahr.
Denn legt er sich zu seinen Väter nieder,
und er kömmt nimmer wieder.