Predigt zu Johannes 5,24-29 von Jochen Arnold
5,24-29

Predigt zu Joh 5,24-29

Liebe Gemeinde,

dem Philosophen Immanuel Kant werden vier große Fragen zugeschrieben, die er sich und der Menschheit gestellt hat: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was kann ich hoffen?  Was ist der Mensch?

Ich möchte heute „nur“ die dritte Frage bearbeiten, deren Antwort – wie der Philosoph meint – die Religion geben soll: Was kann ich hoffen? Worauf dürfen wir hoffen?

Viele von Ihnen wird diese Frage heute besonders umtreiben, weil Sie im letzten Jahr einen lieben Menschen verloren haben.  Wo ist er jetzt? Geht es ihm gut? Oder anders: Wird es ihm dereinst gut gehen!? Werden wir uns wiedersehen? Bei Gott?

Diese Fragen bekommen angesichts der schrecklichen Ereignisse in Paris letzten Freitag noch einmal eine ganz andere Dramatik. Viele haben zu mir gesagt: Uns alle hätte es treffen können. Der Terror ist mitten unter uns. Wir leben nicht auf „sicheren Seite“ des Erdballs… Nicht nur kranke und alte Menschen, wir alle sind mitten im Leben vom Tod „umfangen“. Martin Luther dichtet im Anschluss an einen mittelalterliche Antiphon:

Mitten wir im Leben sind / mit dem Tod umfangen.
Wer ist’s der uns Hilfe bringt, / dass wir Gnad erlangen?
Mitten in dem Tod anficht / uns der Hölle Rachen.
Wer will uns aus solcher Not/ frei und ledig machen?

Hören wir nun auf Worte aus dem Johannesevangelium im 5. Kapitel. Jesus sagt:

24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.  25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. 26 Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; 27 und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. 28 Wundert euch darüber nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden  29 und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.

I Wer glaubt, ist „schon durch“

Ich bin froh, liebe Mitchristen, dass Jesus kein zweideutiger Orakelprophet ist.  Keiner, der mal so, dann wieder so redet, unberechenbar, wie ein Aal. Nein, gerade dann, wenn es ans Eingemachte – um Tod und Ewigkeit - geht, dann redet er nicht um den heißen Brei  herum, sondern macht klare Ansagen: Amen, ich sage euch. Das was jetzt kommt, ist bestimmt wahr, darauf könnt ihr euch verlassen. Manches lässt uns in dieser Rede Jesu zusammenzucken. Sie fordert uns heraus, lässt aber auch neue Hoffnung entstehen, ja vielleicht sogar süßen Trost aufleuchten.

Hören wir eine kurze Geschichte!

Ein Angeklagter, nennen wir ihn Rolf P, sitzt in Untersuchungshaft. Seit Wochen fiebert er dem Tag der Verhandlung entgegen. Es steht viel auf dem Spiel. Er weiß, er ist nicht unschuldig. Alkohol am Steuer, Fahrerflucht und sogar eine schwere Körperverletzung werden ihm zur Last gelegt… Die Nächte waren furchtbar. Die beklemmende Frage: Was tue ich, wenn ich verurteilt werde? Was ist dann mit meiner Ehe, mit meiner Familie? Suizidgedanken machen sich breit. (Sein Anwalt hatte zwar ein Gnadengesuch eingereicht, aber er wagt kaum, an einen Erfolg zu glauben.)  Am frühen Morgen des Verhandlungstages bekommt er jedoch eine Nachricht: Die Sitzung ist abgesetzt, das Verfahren ist beendet. Freispruch.  Rolf kann es kaum fassen vor Glück. Schuldig und doch frei.

Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der kommt nicht in das Gericht….

Ich meine, liebe Schwestern und Brüder, dass uns allen dieses Wort gesagt ist. Wer an Jesus glaubt, muss  sich vor nichts fürchten.  Er sagt:

Hab keine Angst! Ich bin die Auferstehung in Person, ich stehe auch für dich und dein Leben ein. Ich erhebe am letzten Tag meine Stimme für dich. Neues, ewiges Leben ist dir versprochen, du darfst direkt durchgehen zu Gott. Deine Schuld ist durchgestrichen, das Gericht ist „gecancelt“.

Gibt es etwas Größeres und Schöneres? Also eine erste kräftige Antwort auf Kants Frage: Christen glauben und hoffen, dass

alle, die an Christus glauben, geglaubt haben oder glauben werden, schon jetzt freigesprochen sind. Sie leben. Ihre Beziehung zu ihm trägt sie durch, wenn das große Buch aufgeschlagen wird… Sie bleiben lebendig in dieser Beziehung auch über den Tod hinaus. Ein großes Wort an alle, die auf den Namen des dreieinigen Gottes getauft sind.

Gemeinsames Lied: EG 66,4 und 8

Jesus ist kommen, der Fürste des Lebens, / sein Tod verschlinget den ewigen Tod. /Gibt uns ach höret’s doch ja nicht vergebens, /ewiges Leben, der freundliche Gott. /Glaubt ihm, so macht er ein Ende des Bebens. /Jesus ist kommen der Fürste des Lebens.

II Gericht der Werke

Ein Ende des Bebens – für die, die an ihn glauben… Welche eine Perspektive! Damit ist nun freilich nicht gesagt, dass es gar kein Gericht mehr geben wird.

Verstehe ich Johannes recht, dann gibt es ein letztes Forum. Im Gericht der Werke werden alle (Nichtglaubenden)  zur Rechenschaft gezogen.  Hier kommt die Wahrheit ans Licht. Alle,  die unterdrückt, ausgebeutet, vergewaltigt oder misshandelt worden sind, bekommen Recht, ihre Seelen werden heil.  Auch diejenigen, die Kranke besucht und Flüchtlingen geholfen haben, sei gesagt: Gott sieht es. Es ist nicht umsonst geschehen. Umgekehrt: Auch die Täter müssen sich verantworten. Die Greuel kommen ans Licht. Ohne diese Zurechtbringung wird es keinen Frieden, keine Ewigkeit geben.

Was ist dann mit den Tätern? Mit denen, die Millionen veruntreut oder gelogen und getötet haben? Die Kinder missbraucht oder Flugzeuge abgeschossen haben? Wo werden sie sein? Haben auch sie, wenn alles auf den Tisch kommt, eine Chance? Oder haben sie ein für allemal verspielt? Gibt es womöglich doch eine Versöhnung von Tätern und Opfern!?

Machen wir uns zunächst deutlich, was bei Johannes über sie gesagt und NICHT über sie gesagt wird.

Der Menschensohn Christus ruft in seiner schöpferischen Kraft alle Menschen aus dem Tod ins Leben, keiner bleibt seinem Machtwort, seiner Wirkung entzogen. Die Vorstellung, dass die Welt oder alle Menschen in ein Nichts gehen, ist damit ausgeschlossen. Wir erfahren auch nichts über einen Zwischenzustand, z.B. über ein reinigendes Fegefeuer, das davor gewesen wäre. Auch über zeitliche Strafen im Leben hier und jetzt erfahren wir nichts. Und zuletzt – dies mag überraschen – steht hier  nichts von einer ewigen Verdammnis (im Gegensatz zu Matthäus 25).

Ich denke: Was ein Mensch an Gutem und Bösem in seinem Leben getan hat, wird zur Sprache kommen. Nichts geht verloren. Keine gute Tat, die Menschen an anderen öffentlich oder im Verborgenen getan haben, wird bei Gott vergessen sein, auch nicht die guten Taten derer, die „Böses getan haben“. Ich frage uns überhaupt: Gibt es denn eine Trennlinie zwischen Menschen, die Gutes und Böses tun? Wer möchte sich anmaßen, diese Trennlinie zu ziehen!?  Ich bekenne klar: Diese Trennlinie kann nur Gott ziehen. Und selbst mit diesem Wissen fällt es mir schwer zu glauben, dass die Werke in diesem Gericht das einzige Kriterium sind, wonach das Urteil gefällt wird.

Worauf können wir hoffen, fragt uns Kant?

Liebe Gemeinde, ich setze meine Hoffnung auch für diese Situation nur auf einen, auf Christus selbst.

Der Richter – sagt Johannes - ist der Menschensohn,  der von sich sagt, dass er ein guter Hirte ist. Einer, der sein Leben für die Schafe gibt, für alle Schafe. Für alle Menschen gibt er sich dahin, nicht für einige wenige.  Und ist uns allen vorausgegangen. In seines Vaters Haus hält er viele Wohnungen bereit, ja auch für Schafe, die  zu einem „anderen“ Stall (Joh 10,17),also z.B. einer anderen Religion, gehören.

Ich gebe zu. Wir begeben uns damit in den Bereich der Spekulation. Was hier anklingt, ist in gewisser Weise „Zukunftsmusik“. Aber eben kein Angstszenario mit Drachen, Höllenrachen und Zähneklappen. Alle Menschen begegnen am Ende dem, der am Morgen der Schöpfung dabei war und der die Nacht des Kreuzes ausgehalten hat. Dem, der nicht im Grab geblieben ist, sondern unvergängliches Leben ans Licht gebracht hat. Das gibt uns Hoffnung auch für unsere Verstorbenen, von denen wir ja alle nicht genau wissen, was sie in ihrem Leben Gutes oder Böses getan und wie stark sie geglaubt haben. Hoffnung aber auch für die Menschen anderer Religionen, die zu Lebzeiten nicht an Jesus geglaubt haben oder glauben konnten und doch in ihrem Herzen „fromm“ waren.

Nochmals: Unsere Toten stehen im Gericht keiner grauen Eminenz oder einem grässlichen Sensenmann gegenüber.  Der Mensch gewordene Gott, dessen inneres Wesen Güte ist es. Auch den Kämpfern der IS, auch den Schergen der KZs, auch den Vergewaltigern . Alle hören sie seine Stimme. Werden sie ihm dann glauben? Dürfen dann auch sie mit ihm „durchgehen“?

Ich habe die Hoffnung, liebe Gemeinde, dass  dann auch harte Herzen durch sein wahrhaftiges und liebendes Wort überwältigt werden….

III.  Aufstehen jetzt

Doch lasst uns zuletzt der Gegenwart ins Auge sehen. Die Pointe der Verkündigung Jesu im Johannes-Evangelium besteht darin, dass das Leben hier und jetzt beginnt und dass die Macht des Todes schon jetzt ein Ende hat.

Menschen, die total isoliert waren,  bekommen durch den Glauben neue Perspektiven. Sie werden frei, wie Rolf in unserer Geschichte.  Wer diese Befreiung erfährt, entdeckt die Gesichter und Hände der Anderen: Denn Jesus ruft uns in eine Gemeinschaft. Christsein ist eben nicht Privatsache für ein paar fromme Eigenbrötler. Es wird zusammen gelebt und gegessen, gebetet und gesungen. Gemeinsam kommen wir ans Ziel.

Wo wir heute seine Stimme hören, bleiben wir nicht bei uns allein, auch nicht nur in einer frommen Gruppe, sondern treten heraus ins Licht seiner Welt: Jesus  ist nicht nur Weg und Tür zum Vater, sondern auch Licht und Leben für diese noch immer existierende Welt mit all ihren schönen und schrecklichen Seiten.

Mit ihm  können wir uns gemeinsam dem Leben in die Arme und dem Tod entgegen werfen. Darum lasst uns gegen  Gewalt und Terror eintreten in diesen Tagen.  Voller Hoffnung, dass über alle Grenzen menschlichen Lebens hinweg „sein“ Friede schon da ist.

In dieser Hoffnungskraft zerbrechen die  Ketten des Todes. Was im Angesicht des Grauens von Paris kaum vorstellbar scheint, ist wahr. Seit Ostern haben sich die Dinge gedreht. Der leibliche Tod – das ist kein Zynismus – kann uns nicht alles nehmen.

Lasst uns singend aufstehen und glaubend hoffen und alles auf eine Karte setzen: auf den, der  Tod und Hölle in Schach hält, bis Gott alles in allem sein wird.

Jörg Zink hat einmal gedichtet:
An Ostern, o Tod, war das Weltgericht
Wir lachen dir frei in dein Angstgesicht.
Wir lachen dich an, du bedrohst uns nicht.

Wir folgen dem Christus, der mit uns zieht.
Stehn auf, wo der Tod und sein Werk geschieht.
Im Aufstand erklingt unser Osterlied.

Gemeinsam singen (LebensWeisen 35,3-4)

 

Perikope
22.11.2015
5,24-29