Predigt zu Johannes 6, 30-35 von Hans Uwe Hüllweg
6,30
Liebe Gemeinde,
auf Mallorca war ich noch nie, außer bei einer kurzen Zwischenlandung auf dem Flug hierher zum Algarve. Aber ich habe mal von einem Märchen aus Mallorca gehört. Märchen sind Geschichten für Erwachsene. Sie setzen sich in phantasievoller, erzählender Form mit Lebensfragen auseinander.
Das Märchen aus Mallorca also erzählt von einer Prüfung: Ein junger Mann liebt ein Mädchen. Sie wird ihn aber erst dann erhören, wenn er ihr drei Fragen richtig beantwortet.
Eine der drei Fragen lautet: „Welches ist die Speise der Speisen?“ Dem jungen Mann steigen vor seinen inneren Augen auf herrliche Bratenstücke, seltenes Gemüse und köstliche Desserts, die man an Königstischen zu servieren pflegt, so dass ihm das Wasser im Munde zusammen läuft. Doch er zögert mit seiner Antwort; denn es geht um die Liebe seiner Angebeteten: Welches ist denn nun die Speise der Speisen?
Schließlich trifft er zufällig auf einen Schäfer – die gelten ja als besonders weise –, und der hilft ihm aus seinem Dilemma: „Die Speise der Speisen ist – das Brot.“ Ob das nun geklappt mit der Liebe, weiß ich nicht. Aber das weiß ich: Schon in Zeiten, in denen es weder Pasta noch Pizza, weder Kaviar noch Kasseler, weder Mousse au Chocolat noch Mangosorbet gab, war Brot das Lebensmittel. Sogar im Gefängnis gab es wenigstens Wasser und Brot.
Bis heute ist das Brot, jedenfalls bei uns in Europa, das entscheidende Grund-nahrungsmittel. Es kann kein Zufall sein, dass das Gebet aller Gebete, das Vaterunser, die Bitte nicht um das tägliche Gemüse, das tägliche Fleisch, das tägliche Dessert enthält, sondern um das tägliche Brot.
Weil das Brot also entscheidend lebenswichtig ist, bedient sich Johannes dieses Bildes, um auf den zu verweisen, der für die Menschen wie die „Speise der Speisen“ ist, Jesus Christus, das „Brot des Lebens“.
Fünf Brote und zwei Fische – damit hat Jesus, wie wir eben im Evangelium gehört haben, den Hunger von Tausenden gestillt. Doch die frommen Fragesteller, die dabei sozusagen in der ersten Reihe standen, haben trotzdem nichts begriffen. Sie können nur staunen über das Wunder, dass so viele Menschen satt geworden sind.
„Brot und Spiele“ lautete das Motto der Cäsaren im Römischen Reich, um die Bevölkerung ruhig zu halten. Spiele brauchten unsere Frager wohl nicht unbedingt, aber Brot in Hülle und Fülle zu haben, das wäre wunderbar! Das Hungerproblem wäre auf einen Schlag gelöst. Würde Jesus seine Fähigkeiten dafür einsetzen - so mag ihre Phantasie gewesen sein -, wären wir der Rückkehr zum Paradies auf Erden ein Stück näher gerückt.
Außerdem, so wissen wir ja auch heute noch und gerade heute, dass, wer den Menschen Brot gibt und das Hungerproblem ein für alle Mal löst, die Macht gewönne auf Erden.
Nein, sie hatten wirklich nichts begriffen. Aus der Versuchungsgeschichte wissen wir nämlich, dass solches Denken des Teufels ist. Brot aus Steinen – so viel Brot wie Steine in der Welt – und das wie mit einem einzigen Abakadabra - das ist der falsche Weg.
Ich weiß, das klingt fast zynisch, wenn man in dem Teil der Welt lebt, der an Übergewicht leidet und in dem Menschen eine Abnehmdiät nach der anderen ausprobieren, während jeden Tag die Bilder über die schreckliche Hungerkatastrophe in Ostafrika über die Bildschirme flimmern.
In unserem Text geht es allerdings nur vordergründig um den Hunger. Das Problem könnte die Menschheit ja heute lösen, wenn sie nur wollte. Unmöglich wäre das keineswegs, mit weniger Egoismus und mehr Phantasie, mit weniger Geld für Waffen und mehr für Nahrungsmittel, mit weniger für Weltraumfahrt und mehr für Medizin, mit weniger für Banken und mehr für Wasser, Zelte, Fischnetze, Saatgut usw.
Das eigentliche Thema ist Jesus Christus selbst. Das Johannesevangelium lässt Jesus in den Versen zuvor seien Zuhörerschaft mahnen: „Seid nicht auf vergängliche Speise aus, sondern bemüht euch um das, was Bestand hat über den Tod hinaus, bis hinein ins ewige Leben. Vom Brot der Erde werdet ihr wieder hungrig, also kümmert euch um das Brot vom Himmel!“
Die frommen Frager begreifen immer noch nicht. Doch sie sind bibelfest! Es fällt ihnen beim Stichwort „Brot vom Himmel“ das Manna ein, das ihre Vorfahren einst in der Wüste vor dem Verhungern bewahrt hatte. Dieses Stichwort nimmt Jesus auf, führt es aber weiter: „Ja, ihr habt schon recht, das Brot des Himmels kommt von Gott, und das gibt der Welt das Leben.“
Da können die Zuhörer nur noch zustimmen. Trotz und Sturheit kann man ihnen nicht vorwerfen. Ich unterstelle ihnen, wollen durchaus ernsthaft das Brot des Lebens haben. Das Gespräch hat den entscheidenden Punkt erreicht: „Herr, gib uns immer von diesem Brot!“ Und in die erwartungsvolle Stille hinein spricht Jesus den berühmten Satz: „Ich bin das Brot des Lebens.“
Es ist eine Eigentümlichkeit des Johannesevangeliums, das Jesus öfter solche „Ich-bin-Worte“ sprechen lässt: „Ich bin – das Licht der Welt, der Weinstock, der gute Hirte, der Weg, die Wahrheit, das Leben…“ Hier nun: „Ich bin das Brot des Lebens.“
Das nun aber ist zu viel. Brot vom Himmel, Brot des Lebens, ja, das wollen wir. Aber dieser Mensch soll es sein? Wie das? Der Satz ist eine Zumutung. Nicht akzeptabel. Sie sind enttäuscht, ja schockiert. Sie murren. „Wie kann dieser Mann Lebensbrot sein? Wie kann dieser Handwerkersohn aus Nazareth Lebensbrot sein? Wie kann dieser obdachlose Wanderprediger Lebensbrot sein? Ist er nicht unter dubiosen Umständen zur Welt gekommen? Wir kennen doch die ärmlichen Verhältnisse, aus denen er stammt!“ Wenig später sagen, bei einer ähnlichen Rede, sogar einige einer Anhänger: „Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören?“ Nicht wenige kündigen ihm dabei fristlos die Freundschaft. Lediglich ein kleines Häuflein um Petrus herum bleibt bei ihm.
Nach Darstellung des Johannes lösen insbesondere die Worte „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt“ Abscheu und Empörung aus. Kein Wunder also, dass sich eine Reihe von Juden und bisherigen Jüngern befremdet abwendet. Das Wort Jesu ist nur bedingt werbetauglich, und einen Schmusekurs fährt das Evangelium wahrhaftig nicht!
Heutzutage sieht das nur wenig anders aus. Ablehnung und Befremden haben nur andere Gründe. Auch wenn Atheisten in den letzten Jahren wieder einmal aggressiv für die Gottesleugnung werben, denken Sie nur an die medienwirksame Buskampagne in vielen deutschen Städten mit dem Werbebanner „Es gibt - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - keinen Gott“ -; auch wenn laut Presseberichten in jüngster Zeit immer mehr Menschen außerhalb und sogar innerhalb der Kirche äußern, sie glaubten nicht an Gott – auch wenn das alles so ist - echte Ungläubige gibt es nur wenige. Die Suche nach Sinn im Leben ist ungebrochen, und auch religiöse Elemente stehen hoch im Kurs.
Nur die Kirche ist immer weniger gefragt. Ist die organisierte Kirche vielleicht ein Auslaufmodell, das künftig einer frei flottierenden Form der Religiosität nach eigenem Geschmack weichen muss?
Ich vermute, der Grund liegt eher darin, dass Kirche Verbindlichkeit einfordert, dass sie das Evangelium mit seinem Zuspruch und Anspruch verkündet, dass sie Geld kostet, dass sie Riten pflegt, die aus alter Zeit stammen und vielen nicht mehr verständlich sind. Gerade hier im Ausland sehen wir das wie in einem Vergrößerungsglas. Es leben mehr als 20 000 Deutsche im Algarve; spricht man sie an auf das Angebot der Gemeinde und lädt sie ein, winken sie oft ab.
Aber wir brauchen uns auch nichts einzubilden. Auch innerhalb der Kirche, auch als Christen vergessen wir immer wieder unseren himmlischen „Brötchengeber“, versuchen mit den eigenen Fähigkeiten auszukommen oder gar die materiell gesicherte Existenz der Kirche als das Nonplusultra anzusehen. Das ist ja damals schon der Fehler der Kurzsichtigen, dass sie das Brot des Lebens in Gestalt des Sohnes Gottes, der leibhaftig vor ihnen steht, nicht erkennen können oder wollen; dass sie meinten, mit den fünf Broten und zwei Fischen wäre es getan, wäre der Lebenshunger gestillt.
Nein, der wird nur gestillt, sagt uns die Bibel, wenn wir das Brot des Lebens annehmen und in uns aufnehmen. Das ist sein Geschenk. In dem Lied „Gottes Sohn ist kommen“, das wir in der Adventszeit singen, wird diese Erkenntnis auf den Punkt gebracht: „Denn er tut ihn‘ schenken in den Sakramenten sich selber zur Speisen, sein Lieb zu beweisen…“
Unsere Zeit heute, so hörten wir verschiedentlich, hält uns nicht nur zu viel Brot in Gestalt materieller Güter hin, sondern auch jede Menge Sinnstiftungsangebote. Die Bibel sagt uns dagegen: Jesus Christus ist das Brot des Lebens, nichts und niemand anderer.
Das Mädchen in unserem Märchen vom Beginn will sich nur dem anvertrauen, der das Wesentliche herausfindet, der ihr das Lebensnotwendige bringt, das Brot.
Das könnte ja fast eine biblische Geschichte sein! Gottes Brot, das Brot vom Himmel, das Brot des Lebens wird uns in unseren Gottesdiensten hingehalten in der Begegnung mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus, und das geschieht im Wort und im Sakrament.
Ein Pfarrer erhält vor längerer Zeit einmal eine Konfirmandenbibel mit der Bitte, noch eine Widmung hineinzuschreiben. Er sieht, dass einer der Paten bereits den Konfirmationsspruch eingetragen hat: „Jesus Christus spricht: Ich bin das Brot des Lebens.“ Eigentlich ist damit alles gesagt, denkt er sich. Aber wird das Brot des Lebens auch in Anspruch genommen, wird es gekaut und verdaut, so dass es Gutes wirkt?
So setzt der Pfarrer nach einer Weile nur noch vier Worte dazu: „Lass es nicht verschimmeln!“
Amen.
Literatur: Johannes Eckardt in PastBl 07-08/99, S. 408ff; Schlussgeschichte gefunden bei Traugott J. Simon in GottesdPraxis A/III/3, 1993, S. 28
Perikope
07.08.2011
6,30