Predigt zu Josua 1,1-9 von Klaus Steinmetz
1,1
Liebe Gemeinde!
Das Volk Israel unter seinem neuen Leiter Josua steht nach der vierzigjährigen Wüstenwanderung vor einem entscheidenden Schritt: Mit dem Übergang über den Jordan soll der endgültige Einzug in das verheißene, gelobte Land erfolgen – ein Moment voller Erwartung und Hoffnung, aber auch voller Spannung und Unsicherheit. Wir hören darüber in unserem heutigen Predigttext aus dem ersten Kapitel des Josuabuches:   (Verlesung des Textes)
Die Situation passt gut zum heutigen Tag. Nirgendwann haben wir so deutlich das Gefühl, unterwegs zu sein wie beim Jahreswechsel. Das Alte hört auf, (aber hört es wirklich auf?), Neues beginnt (aber beginnt wirklich Neues?). Dabei passiert doch eigentlich gar nichts! Wie gebannt haben wir auf den Sekundenzeiger gestarrt oder den ersten Glockenschlag erwartet. Und dann bricht mit einem Mal dieser Lärm und dieses Spektakel  los, und wir sind, auch wenn wir vielleicht nur miteinander auf das neue Jahr angestoßen haben, in irgendeiner Form an dieser Inszenierung beteiligt. Das war´s dann aber auch schon.
Wahrscheinlich gerade deswegen, weil sonst nichts passiert, kann diese Inszenierung so wirksam das Gefühl in uns hervorrufen, unterwegs zu sein.Ja, und wohin, inwiefern sind wir unterwegs? „ Durch die Zeit,“ möchte man vielleicht spontan antworten. Aber ist denn die Zeit so etwas wie ein Raum, der schon da ist und in den wir hinein- und dann hindurchgehen? Ist die Zeit nicht viel mehr etwas, was erst neu entsteht, gleichsam mit uns, und wir mit ihr? Wir sagen zwar – das ist wohl der häufigste Satz, in dem das Wort „Zeit“ vorkommt: „Ich habe keine Zeit.“ Aber haben wir denn überhaupt die Zeit, hat sie nicht vielmehr uns? Und wenn wir sagen:“Die Zeit vergeht“, dann klingt es fast so, als blieben wir gleichsam stehen, in Wirklichkeit ist es aber so, dass wir mit der Zeit vergehen, also vergänglich sind.
Es ist schon eine merkwürdige Sache mit der Zeit. Je länger man über sie nachdenkt, desto weniger weiß man,was sie ist. Rätselhaft, offen, geheimnisvoll, unheimlich. Das alles schwingt mit, wenn wir beim Jahreswechsel besonders stark dieses Gefühl haben, unterwegs zu sein. Und es liegt nur nahe, zu fragen und Ausschau zu halten nach etwas, was Halt und Sicherheit bieten kann bei so viel  Rätselhaftem und Unsicherem, von ganz konkreten und aktuellen Unsicherheiten und Befürchtungen einmal abgesehen, so sehr sie uns auch, gerade in diesen Tagen beunruhigen.
Wir fragen, wie Menschen der Bibel in der Situation des Unterwegsseins und Aufbrechens nach solchem Halt gesucht und ihn sich haben zusprechen lassen. Betrachten wir daraufhin noch einmal den Textabschnitt aus dem Josuabuch. Sei getrost und unverzagt – diese Aufforderung und Ermutigung springt einem ja geradezu entgegen. Nicht weniger als dreimal wird sie ausgesprochen in diesen wenigen Sätzen. Was wichtig ist, kann nicht oft genug gesagt werden. Und man denkt: Ja, das ist es. Das wäre gut, wenn diese Worte sich bei uns festsetzen würden und das bewirken, was sie zusprechen: Dass wir getrost und unverzagt, mit Mut und Hoffnung in dies neue Jahr gehen könnten. Die Ermutigung erfolgt nicht einfach so. Sie hat einen Grund. Gott selbst, der hier zu Worte kommt, verweist auf die Zusage, die er Mose und schon den Vorfahren gegeben hat, nämlich sie in das verheißene Land zu führen und es ihnen zu geben. Und so wie Gott schon mit Mose war, will er auch jetzt und weiterhin mit Josua und dem Volk auf seinem Weg sein.
Vielleicht ist es hilfreich zu erfahren, dass diese  Sätze nicht als gleichsam protokollarischer Bericht unmittelbar nach den vorausgesetzten Ereignissen entstanden sind,sondern Jahrhunderte später in einer ganz anderen Lage: Die Landnahme war längst geschehen in ferner Vergangenheit, Israel hatte eine bewegte Geschichte in  und mit seinem Land erlebt, Höhepunkte wie die Zeit des Königs David, aber auch bittere Tiefpunkte, die alles in Frage stellten, vor allem die von feindlicher Übermacht erlittene Vernichtung des eigenen Staates und für viele die darauf folgende Verschleppung ins Exil. Manche waren daran zerbrochen und an Gott verzweifelt. Aber dann war  das Ende der Verbannung gekommen, die Rückkehr in das  Land der Väter stand offen, ein neuer
 Anfang war möglich, musste aber auch mit all seinen Schwierigkeiten und Herausforderungen gewagt werden.
In dieser Lage wird nun die Erinnerung an die alten Verheißungen und die Erfahrungen, die mit ihnen gemacht waren, als Ermutigung und Vergewisserung beschworen: Was damals gegolten hat, gilt auch heute: Gott wird mit euch sein, wie er es versprochen hat. Aufschlussreich ist, wie sich neben die Verheißung des Landes, die ja durchaus aktuell war, etwas Zweites schiebt. Getrost und unverzagt sollen sich Josua und mit ihm das ganze Volk an das Gesetz und die Gebote halten, die Gott als seinen gnädigen, guten Willen dem Volk zur Orientierung für ein gelingendes Leben gegeben hat. „Lass das Buch dieses Gesetzes nicht von deinem Munde kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht, dass du hältstund tust in allen Dingen nach dem, was darin geschrieben steht.“ Wenn man das einmal direkt auf Josua bezieht, dann erscheint er ja weniger als politischer oder gar militärischer Führer, sondern als eine Art Schriftgelehrter.
Aber es war ja eine ganz entscheidende Erfahrung für die Juden in den Jahren des Exils gewesen, dass sie den Willen Gottes im Gesetz, aber auch mit seinen nie aufgekündigten Verheißungen hatten und sich daran halten konnten. Fern von ihrem Land hatte ihnen das die Weiterexistenz, ihre Identität, wie wir heute sagen würden, ermöglicht. So ist es geblieben, durch die Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch, bis heute. Im Festhalten an Gottes Willen und an seinen Verheißungen hat das Judentum gelebt und überlebt, gegen alle Anfeindungen und Verfolgungen, zuletzt sogar gegen den Vernichtungsplan größenwahnsinniger Verbrecher, die so viele zum Mitmachen verführt haben. Festhalten, sich Verlassen auf Gottes Willen und Verheißungen, dieses Erbe haben wir Christen von den Juden empfangen, das verbindet uns mit ihnen.
Wir begehen den Neujahrstag und gehen in ein neues Jahr noch im Licht von Weihnachten. Da ist für uns Gottes neue, große Verheißung hörbar und sichtbar geworden. Da hat er in der Geburt des  Kindes in der Krippe, im Kommen des Mannes, der aus diesem Kind geworden ist, das unüberbietbare Ja zu allen seinen Verheißungen gesprochen. Und dazu gehören auch für uns Christen die Gebote mit ihren ihren hilfreichen Grundsätzen zur Lebensorientierung. Da hat Gott sich in Person verbürgt, dass er uns ganz nahe sein will, dass er mit uns sein will auf allen unseren Wegen, egal wohin wir auf ihnen geraten. Darauf können wir uns verlassen, fast hätte ich gesagt: Darauf können wir uns garantiert verlassen. Aber wenn wir an den Weg Jesu von der Krippe zum Kreuz denken, dann wird schnell klar: Garantie ist keine angemessene Kategorie für Gottes Verhältnis zu uns und unser Verhältnis zu Gott. Da sprechen wir besser von Treue und Verlässlichkeit auf Gottes Seite, von Vertrauen und Glauben, von Wagnis und Hoffen auf unserer Seite. Gottes Treue geht und reicht so weit, dass er alles, auch unsere Tiefen und Abgründe mit uns teilt, und uns doch nicht darin umkommen lässt, sondern herausreißt zu sich. Er hat ja auch Jesus am Kreuz nicht im Tod gelassen, sondern ihn herausgerissen  zu sich ins Leben.
So lasst uns denn getrost und unverzagt in das neue Jahr gehen: Von guten Mächten wunderbar  geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag. Denn wir haben seine Verheißung: Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende. Amen.
Perikope
01.01.2012
1,1