Von kleinen und großen Geschichten - Predigt zu Jos 2, 2-21 von Anika Mélix
Predigt zum 17. Sonntag nach Trinitatis, 12.10.2025
Autorin: Anika Mélix
 
Predigttext: Jos 2,1–21
Titel: Von kleinen und großen Geschichten
Move 1: Auftakt (zumindest der kleinen Geschichte)
 
1 Josua aber, der Sohn Nuns, sandte von Schittim zwei Männer heimlich als Kundschafter aus und sagte ihnen:
„Geht hin, seht das Land an, auch Jericho.“
Die gingen hin und kamen in das Haus einer Hure, die hieß Rahab, und kehrten dort ein.
2 Da wurde dem König von Jericho angesagt:
„Siehe, es sind in dieser Nacht Männer von den Israeliten hereingekommen, um das Land zu erkunden.“
3 Da sandte der König von Jericho zu Rahab und ließ ihr sagen:
„Gib die Männer heraus, die zu dir in dein Haus gekommen sind; denn sie sind gekommen, um das ganze Land zu erkunden.“
4 Aber die Frau nahm die beiden Männer und verbarg sie. Und sie sprach:
„Ja, es sind Männer zu mir hereingekommen, aber ich wusste nicht, woher sie waren.
5 Und als man das Stadttor schließen wollte, da es finster wurde, gingen die Männer hinaus, und ich weiß nicht, wo sie hingegangen sind. Jagt ihnen eilends nach, dann werdet ihr sie ergreifen.“
6 Sie aber hatte sie auf das Dach steigen lassen und unter den Flachsstängeln versteckt, die sie auf dem Dach ausgebreitet hatte.
7 Die Verfolger aber jagten ihnen nach auf dem Wege zum Jordan bis an die Furten, und man schloss das Tor zu, als sie draußen waren.
8 Und ehe die Männer sich schlafen legten, stieg Rahab zu ihnen hinauf auf das Dach
9 und sprach zu ihnen:
„Ich weiß, dass der HERR euch das Land gegeben hat; denn ein Schrecken vor euch ist über uns gefallen, und alle Bewohner des Landes sind vor euch feige geworden.
10 Denn wir haben gehört, wie der HERR das Wasser im Schilfmeer ausgetrocknet hat vor euch her, als ihr aus Ägypten zogt, und was ihr den beiden Königen der Amoriter, Sihon und Og, jenseits des Jordans getan habt, wie ihr an ihnen den Bann vollstreckt habt.
11 Und seitdem wir das gehört haben, ist unser Herz verzagt und es wagt keiner mehr, vor euch zu atmen; denn der HERR, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden.
12 So schwört mir nun bei dem HERRN, weil ich an euch Barmherzigkeit getan habe, dass auch ihr an meines Vaters Hause Barmherzigkeit tut, und gebt mir ein sicheres Zeichen,
13 dass ihr leben lasst meinen Vater, meine Mutter, meine Brüder und meine Schwestern und alles, was sie haben, und uns vom Tode errettet.“
 
Move 2: Schau mich an! Die ungehaltene Rede einer ungehaltenen Frau
Du suchst die Heldin dieser Geschichte? Du suchst die fromme Frau? Die, die zu den Guten gehörte, von Kindesbeinen an? Die, mit den richtigen Eltern, der richtigen Schule, den richtigen Entscheidungen? Die mit dem lückenlosen Lebenslauf, dem geordneten Sexualleben?
 
Ich bin es nicht. Ich bin Rahab. Ich bin die Andere. Die mit dem zweifelhaften Ruf. Die Schöne. Die Verruchte. Die Hure. (Und glaube nicht, die Kundschafter seien zum Kaffeetrinken bei mir gewesen.)
 
Schau mich an! Und nimm verdammt nochmal das Mitleid aus dem Blick! Ich bin eine Augenweide. Ich weiß es. Du weißt es. Doch ich bin so viel mehr als das. Nicht auszumalen, wo du gelandet wärest, hättest du nur eine kleine Weile in meinen Schuhen gehen müssen. Ich stehe hier. Ich lebe. Und du hast keine Ahnung, was das gekostet hat.
 
Glaube mir: Ich weiß von richtig und falsch. Von gut und böse. Mein innerer Kompass ist intakt. Aber ich habe nicht den Luxus gehabt, in Ruhe und bei voller Beleuchtung zwischen Lebensabzweigungen in Schwarz und Weiß abwägen zu können. Ich bin oft auf Sichtweite durchs Grau gewatet.
 
Doch als es darauf ankam, habe ich das Richtige getan! Ich bin eine Frau der Tat! Alle wissen das: Wenn es gilt, kannst Du auf mich zählen!
 
Ich kenne das Leben und die Menschen. Keiner macht mir etwas vor. Durch mein Bett wandern die Männer aller sozialen Schichten. Sie wollen Sex. Aber sie wollen auch gehört werden. Und ich höre zu. Und ich verstehe.
 
Ich bin das Gegenteil von naiv. Ich kenne das Grau, das Vergängliche, das Undurchsichtige. Aber ich kenne auch das andere. Ich verpasse das Ewige, das Klare nicht, wenn es mir begegnet. Ich respektiere es, aber ich scheue es nicht. Ich weiß, was es vermag, und fordere es ein. Auf mich kann man zählen, zuallererst meine Familie. Schau mich an!
 
Move 3: Landnahmetexte predigen. Herbst 2025. (Oder: die kleine und die große Geschichte.)
 
Liebe Gemeinde,
 
liest man die Geschichten der Bibel, besonders jene aus dem Alten Testament verweben sich stets vermeintlich große mit vermeintlich kleinen Geschichten. Auf der einen Seite scheint es ständig um das Schicksal ganzer Völker zu gehen. Und doch lernen wir auch immer wieder Einzelschicksale kennen. Dabei scheinen die Einzelgeschichten häufig den ‚großen heilsgeschichtlichen Linien‘ merkwürdig entgegenzulaufen.
 
Mit dem heutigen Text ist es nicht anders: Es geht um ein solches Einzelschicksal. Eine vermeintlich kleine Geschichte. Die Heldinnengeschichte einer beeindruckenden Frau. Eine Glaubensgeschichte! Genügt es, diese Geschichte ohne ihren Kontext wahrzunehmen? Als würde ich die Augen so zusammenkneifen, sodass nur noch ein kleiner Punkt innerhalb des möglichen Sichtfeldes einigermaßen scharf bleibt.
Denn: Öffne ich die Augen ganz, ist diese Geschichte der Auftakt zu der Erzählung eines göttlich verordneten Vernichtungsfeldzugs, der seinesgleichen sucht. Die Kundschafter, denen in dieser Geschichte das Leben gerettet wird, sind die Vorhut des Todes für die Einwohner Jerichos und aller sogenannten Kanaaniter. Bis heute (und das meine ich sehr wörtlich) ist das Josua-Buch ein schmerzhaftes Buch für jene, gegen die es instrumentalisiert wird.
Trete ich zurück, weite ich einmal mehr das Bild, ist diese grausame Geschichte wiederum Teil einer großen Befreiungsgeschichte für ein kleines, unterdrücktes Volk. Die Geschichte eines Volkes, das seine einzige Hoffnung in ihren Gott zu setzen wusste.
 
Wie weit muss man zurücktreten, um das ganze Bild sehen zu können? Ist das Gesamtbild wahrhaftiger als die Nahaufnahme?
 
Ich kann im Herbst 2025 nicht über Rahab, nicht über diese Auftaktgeschichte zur Landnahmeerzählung predigen, ohne an Israel heute zu denken. Ohne an Gaza heute zu denken. Ohne mich zu fragen, welche Wirkungsgeschichte gerade das Josuabuch, in dem wir die Geschichte finden, bis heute hat. Als Befreiungsgeschichte. Als Vernichtungserzählung.
In der Vorbereitung hat mich der Gedanke daran nicht wenig beschäftigt. Doch an einem Punkt wurde mir klar: Ich predige heute nicht das Josuabuch. Ich predige heute nicht die Landnahme. Ich predige heute Rahab. 
 
Und vielleicht, vielleicht ist die Frage nicht, welches Bild wahrhaftiger ist, das Gesamtbild oder die Nahaufnahme. Vielleicht muss ich der Frage einen anderen Zielpunkt geben: Auf welche Weise verändert das scheinbar belanglose Detail im Bild den Gesamteindruck? Wie verändert die kleine Geschichte die große? Was lernen wir von Rahab?
 
Move 4: Lies genau! Rahabs Geschichte
Es lohnt sich, noch einmal genau hinzusehen, was Rahab den Kundschaftern sagt. Schon der erste Satz ist erstaunlich: „Ich weiß, dass der HERR euch das Land gegeben hat.“ Das ist so kurz, so informativ formuliert, dass man fast dazu neigt, darüber hinwegzulesen. Aber: Woher um Himmels willen weiß sie das? Sie sagt nicht: „Ich befürchte, ihr könntet Jericho erobern.“ Oder: „Hilfe, unser Land ist in Gefahr.“ Sie statuiert eine Tatsache, die bisher noch keine faktisch nachprüfbare ist: „Ich weiß, dass der HERR euch das Land gegeben hat!“ Wir dürfen nicht vergessen, wer hier spricht: eine Frau, eine Nichtjüdin, eine Hure! (Pause) Eine Prophetin?
 
Immer wieder verbindet Rahab ihre Weitsicht im Blick auf das, was geschehen wird, mit dem, was das für ihr eigenes Volk bedeutet. „… denn ein Schrecken vor euch ist über uns gefallen, und alle Bewohner des Landes sind vor euch feige geworden.“ Sie spricht im Wir. Verbindet sich mit ihrer Community. Später wird sie sagen: „Und seitdem wir das gehört haben, ist unser Herz verzagt und es wagt keiner mehr, vor euch zu atmen.“ Rahab rettet nicht ihrer Familie und sich selbst den Hintern, um darüber ihre Nachbarn zu vergessen. Sie ist eine von ihnen. Sie alle sind verzagt. Keiner von ihnen wagt zu atmen.
 
Und dann kommt der Satz, der für mich der eigentliche Höhepunkt ihrer Rede ist: „Denn wir haben gehört, wie der HERR das Wasser im Schilfmeer ausgetrocknet hat vor euch her, als ihr aus Ägypten zogt, und was ihr den beiden Königen der Amoriter, Sihon und Og, jenseits des Jordans getan habt, wie ihr an ihnen den Bann vollstreckt habt.“ Wieder: Beim oberflächlichen Lesen scheint Rahab zu sagen: „Ihr seid mächtig! Ich hab davon gehört!“ Schaut man genau hin, sagt sie so viel mehr. Sie sagt: „Ich erkenne die Befreiungs- und die Vernichtungsgeschichte! Ich erkenne den Gott der Barmherzigkeit und den Gott der Macht.“ (Und wenn man ganz genau hinsieht, schreibt sie dem Herrn nur die Befreiung, nicht die Vernichtung zu!)
 
„Der HERR, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden!“
 
Ich glaube: Weil Rahab eine Prophetin ist. Weil sie klar sieht und genau hört, wusste sie, dass der Herr dieses Volkes auf seine Barmherzigkeit ansprechbar ist. Und sie geht in Vorleistung. Sie solidarisiert sich mit dem Feind. Sie beweist Barmherzigkeit und fordert sie ein. „So schwört mir nun bei dem HERRN, weil ich an euch Barmherzigkeit getan habe, dass auch ihr an meines Vaters Hause Barmherzigkeit tut, und gebt mir ein sicheres Zeichen, dass ihr leben lasst meinen Vater, meine Mutter, meine Brüder und meine Schwestern und alles, was sie haben, und uns vom Tode errettet.“
 
Und Rahab spricht nicht nur. Sie handelt: Sie nimmt auf und verbirgt, sie schützt und verhandelt. Sie rettet Leben.
 
Wie verändert Rahab die große Geschichte?
 
Die große Geschichte handelt von großen Verheißungen und davon, endlich das Land bewohnen zu können, auf dem alle Hoffnungen liegen. Die große Geschichte handelt auch von Männern, von Gewalt und von Tod im Namen Gottes.
 
Die kleine Geschichte handelt von einer unkonventionellen Heldin. Von einer Frau, einer Nichtjüdin, einer Hure. Einer, die von Gott weiß! Einer, die Mut hat und Gott bei seiner barmherzigen Seite behaftet. Einer, die auf diese Weise Leben rettet. 
 
Die Rahabgeschichte ist kein zufälliger Auftakt zur Landnahme. Sie ist Kontrapunkt zur großen Geschichte. Man muss keine theologischen Klimmzüge machen, um das Josuabuch kritisch lesen zu können. Es ist alles da. Es ist eine Befreiungsgeschichte, eine Vernichtungsgeschichte und durch Rahab eine Geschichte, die Gottes Barmherzigkeit intoniert. Eine Barmherzigkeit, die weit über Volkszugehörigkeit oder moralischen Status hinausreicht. Die letztlich Leben rettet, auch da, wo das einer vermeintlich ‚großen Linie‘ zuwiderläuft. Und so kann ich Rahab auch im Herbst 2025 und vor dem Hintergrund des aktuellen Konfliktes lesen. (Freilich ohne hier irgendetwas auflösen zu können.)
 
Move 5: Meine und deine kleine Geschichte – und die große
So viel war bis hierher von großen und kleinen Geschichten die Rede. Aber wo ist deine vermeintlich kleine Geschichte? Und wo meine? 
 
Ich möchte dazu eine kleine persönliche Anekdote erzählen: In einer Situation, in der ich gerade schwanger mit meinem zweiten Kind war und das Gefühl hatte, das Leben mit zwei Kindern doch niemals meistern zu können, den Eindruck hatte, von dem sinnlosen Kleinklein der Care-Arbeit, dem ewigen Waschen und Putzen und Kochen und Aufräumen und Logistik-planen aufgefressen zu werden, traf ich eine ältere jüdisch-orthodoxe Frau. Sie hatte 10 Kinder großgezogen, inzwischen war sie Oma von 40 Enkeln. Zudem hatte sie eine Schule gegründet und so vieles mehr. Ich fühlte mich sofort klein. Denn trotz Teilzeitarbeit, einem Mann, der die Hälfte der Care-Arbeit stemmt, und nur zwei Kindern (das eine erst im Werden) fühlte ich mich am Rand meiner Kraft. Ich musste es einfach wissen: „Wie geht das?“ Und was die Frau sagte, beschäftigt mich seither. Sie riet mir, bei jeder kleinen Tätigkeit an die große Geschichte zu denken: „Deine Kinder werden eines Tages die Welt gestalten, in der wir leben, die Gott uns geschenkt hat. Wir sollten vor lauter Furcht, dass die Welt den Bach runtergeht, nicht aufhören, Kinder zu bekommen, sondern sie darin unterstützen, Menschen zu werden, die gut sind, die Gottes Güte in der Welt leuchten lassen. Jedes Essen, das du deinem Kind bereitest, wird es zu einem Kind machen, das sich geliebt und gesehen weiß. Von Dir. Von Gott. Jeder Krümel, den du aufwischst, wird ihm ein Vorbild sein, dass es wert ist, mit seiner Umgebung gut umzugehen.“ Mit diesen wenigen Sätzen hatte diese weise Frau meine kleine Geschichte in eine große Geschichte eingeschrieben.
 
Und dann denke ich an Rahab. Und überlege, ob es möglich ist, einen Schritt weiterzugehen. Einerseits meine eigene kleine Geschichte in die große Geschichte Gottes mit den Menschen einzuschreiben und ihr damit Sinn zu verleihen. Und andererseits dieser großen Geschichte Gottes eine andere Nuance zu geben. Durch mein Wissen, mein Reden und mein Handeln. Wie Rahab. Gott bei Seiten zu behaften, die ich meine, an ihm wahrgenommen zu haben. 
 
(Als Gebet:)
Gott, ich durfte Dich als einen kennenlernen, der die Freude liebt. Sie sei eine Frucht deines Geistes, sagt man. Und doch habe ich so oft das Gefühl, dass die große Geschichte, die du mit uns Menschen schreibst, keine freudvolle ist. Dass es um Gerechtigkeit und Heil geht, doch selten um die Freude. Ich möchte dich bei deiner Freude behaften. Ich möchte Freude verbreiten, wo es mir möglich ist. Ich wünsche mir, dass Freude Teil der großen Geschichte wird. Ich möchte deine Freude einfordern. Mit Rahabs Mut! 
Gott, ich durfte Dich als einen kennenlernen, der Frieden liebt. Er sei eine Frucht deines Geistes, sagt man. Und doch habe ich so oft das Gefühl, dass die große Geschichte, die du mit uns Menschen schreibst, keine friedliche ist. Höchstens perspektivisch. Ich möchte dich bei deinem Frieden behaften. Ich möchte Frieden halten, wo immer es mir möglich ist. Ich wünsche mir, dass Friede Teil der großen Geschichte wird. Ich möchte Frieden einfordern. Mit Rahabs Mut. 
 
Gott, ich durfte Dich als einen kennenlernen, der die Güte liebt. Sie sei eine Frucht deines Geistes, sagt man. Und doch habe ich das Gefühl, dass die große Geschichte, die du mit uns Menschen schreibst, immer nur Einzelne mit Güte bedenkt. Ich möchte dich bei deiner Güte behaften. Ich möchte gütig sein, wo immer es mir möglich ist. Ich wünsche mir, dass Güte Teil der großen Geschichte wird. Ich möchte deine Güte einfordern. Mit Rahabs Mut.
Move 6: The End (zumindest der kleinen Geschichte)
14 Die Männer sprachen zu ihr:
„Tun wir nicht Barmherzigkeit und Treue an dir, wenn uns der HERR das Land gibt, so wollen wir selbst des Todes sein, sofern du unsere Sache nicht verrätst.“
15 Da ließ Rahab sie an einem Seil durchs Fenster hinab; denn ihr Haus war an der Stadtmauer, und sie wohnte an der Mauer.
16 Und sie sprach zu ihnen:
„Geht auf das Gebirge, dass eure Verfolger euch nicht begegnen, und verbergt euch dort drei Tage, bis zurückkommen, die euch nachjagen; danach geht eures Weges.“
17 Die Männer aber sprachen zu ihr:
„So wollen wir den Eid einlösen, den du uns hast schwören lassen:
18 Wenn wir ins Land kommen, so sollst du dies rote Seil in das Fenster knüpfen, durch das du uns herabgelassen hast, und zu dir ins Haus versammeln deinen Vater, deine Mutter, deine Brüder und deines Vaters ganzes Haus.
19 So soll es sein: Wer zur Tür deines Hauses herausgeht, dessen Blut komme über sein Haupt, aber wir seien unschuldig; doch das Blut aller, die in deinem Hause bleiben, soll über unser Haupt kommen, wenn Hand an sie gelegt wird.
20 Und wenn du etwas von dieser unserer Sache verrätst, so sind wir frei von dem Eid, den du uns hast schwören lassen.“
21 Sie sprach:
„Es sei, wie ihr sagt!“,
und ließ sie gehen. Und sie gingen weg. 
Und sie knüpfte das rote Seil ins Fenster.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Leipziger Stadtkirche. Tendenziell gebildet, bürgerlich, Alter vornehmlich 50+ sowie junge Familien. Hier wird politisch gepredigt und gebetet. Viele ringen um eine angemessene Haltung in den multiplen politischen Krisen. Kurz vor dem Sonntag gibt es in kurzem Abstand zwei Friedensgebete für die Situation im Nahen Osten mit unterschiedlicher politischer Nuancierung.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich fand es von Beginn an spannend, die Figur Rahab „dreidimensional“ werden zu lassen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Kleine Geschichten sind nur vermeintlich klein. Sie haben das Potenzial großen Geschichten eine andere Richtung zu geben.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Durch ein hervorragendes und sehr sensibles Predigtcoaching ist die Predigt zuletzt klarer und fokussierter geworden. Vieles, was anfangs nur ein Nebensatz oder-gedanke war, hat mehr Raum gewonnen.
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12.10.2025 - 17. Sonntag nach Trinitatis
Gamechanger gefragt - Predigt zu Josua 3,5-11.17 von Markus Nietzke
Erlebnis: Beglaubigung von Dokumenten
Neulich stand ein junger Mann vor meinem Büro. Es klingelt an der Tür: „Können Sie mir bitte mein Abi-Zeugnis beglaubigen? Ich brauche es für eine Bewerbung - die Originaldokumente habe ich dabei!“ Während ich die Dokumente prüfe und mit dem Siegel beglaubige, kommen wir ins Gespräch. „Wissen Sie, eine Beglaubigung ist so zu behandeln, als wäre es das ursprüngliche Dokument.“ Ich ergänze schmunzelnd: „Die ursprüngliche Prüfung muss deswegen zum Glück nicht noch einmal wiederholt werden.“ –Mein Gegenüber nimmt den Spaß auf: „Na – zum Glück nicht!“
Einführung in Situation des Bibeltextes
Um eine besondere Art der Beglaubigung geht es im Abschnitt aus der Bibel, der uns heute aus dem Ersten, dem Alten Testament zur Predigt vorliegt. Josua und das Volk Israel befinden sich im Westjordanland, am Ufer des Jordans. Nicht weit weg von der Stadt Jericho entfernt. Lange Zeit war das Volk mit Mose durch die Wüste gezogen. 40 Jahre, heißt es. Die Israeliten stehen vor einem Neuanfang, wenn sie in Kürze den Jordan überqueren. Es ist ein entscheidender Wendepunkt: Sie blicken zurück auf die Wüstenzeit. Nun stehen sie kurz davor, ins „Gelobte Land“ einzuziehen. Aber ehe es so weit ist, tut Gott etwas Bemerkenswertes.
Bibeltext
Hören wir, was uns im Buch Josua, Kapitel 3,5-7 (ff.) berichtet wird: Josua sprach zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der HERR Wunder unter euch tun. Und Josua sprach zu den Priestern: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her. Und der HERR sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein. 
[Optional kann verlesen werden:] Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen. Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des HERRN, eures Gottes! Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter: Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan. […] Und die Priester, die die Lade des Bundes des HERRN trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war. 
Josua wird als Original beglaubigt
Gott sagt etwas Bemerkenswertes zu Josua: „Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit Dir sein!“ (Josua 3,7). Gott selbst setzt hier Josua ein, sein Volk durch den Jordan hindurch in das Land der Verheißung zu führen. Gott beglaubigt Josua. Josua ist dabei nicht nur eine billige Kopie von Mose. Josua wird von Gott als eigene Identität, als eigene Person bestätigt. Mit ihm hat Gott Großartiges vor.
Die Zeit des Auszugs aus Ägypten und die Wüstenwanderung ist nun zu Ende. Der Auszug aus Ägypten ist weit mehr als nur die Befreiung aus der Sklaverei. Das Volk sieht ein Heimatland, das Gott seinem auserwählten Volk zugesagt hatte: „Siehe, ich habe das Land vor euren Augen dahingegeben. Zieht hinein und nehmt das Land ein, von dem der HERR euren Vätern Abraham, Isaak und Jakob geschworen hat, dass er’s ihnen und ihren Nachkommen geben wolle.“ (Deuteronomium 1,8). Nun ist es endlich so weit. 
Aber die Landnahme ist nicht einfach so zu haben.  Josua lässt das Volk nicht einfach durchs Wasser ziehen. Er ruft Gott und sein Handeln ins Bewusstsein: „Heiligt euch, denn morgen wird der HERR Wunder unter euch tun.“ (Josua 3,5) Nur im Bund mit dem HERRN kann Israel das Land in Besitz nehmen. Unübersehbares Zeichen dafür ist die Bundeslade mit den zehn Geboten, die Josua von Priestern voraus in den Fluss tragen lässt. 
Sich zu heiligen hieß für die Israeliten ihr Leben in Bezug auf Gottes Weisung hin zu überprüfen. Sich heiligen ist immer ein Ausdruck von Ehrfurcht und Bereitschaft, Gott zu begegnen. Für uns kann das heißen, immer wieder aufs Neue innezuhalten und unser Herz auf Gottes Wirken durch Jesus Christus an uns, in uns und durch uns vorzubereiten.
Josua erinnert das Volk daran, dass dieser Übergang nicht aus eigener Kraft, sondern im Vertrauen auf Gottes Handeln gelingen wird. Er konnte das so sagen, weil er gehört hatte, was Gott zu ihm gesagt hatte: „Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein“ (Josua 3,7). Mit Josua, durch Josua bringt Gott eine, und zwar seine Verheißung an Abraham und Mose zum Ziel: Ein Ort, ein Land, in dem das Volk Gottes leben kann.
Josua: ein „Gamechanger“ – er bringt das Volk zum Ziel
In unserer Zeit nennen wir eine solche Person, wie Josua es damals für das Volk Israel war, einen „Gamechanger“. Das ist ein Begriff aus dem Sport. Gemeint ist damit, wenn beispielsweise im Hockey eine Spielerin durch einen geschickten, neuen und unerwarteten Spielzug eine Wende in Gang bringt. Genau dann, wenn es gar nicht gut aussieht. Dieser Moment, diese Wende im Spiel führt dann dazu, dass ihre Mannschaft das Spiel gewinnt. Auch wenn es noch nicht alles rund läuft. Erst im Nachhinein erkennt man dann die eine, die alles entscheidende Szene. Von Gott beglaubigt, in seinem Tun bekräftigt wird Josua zu solch einem „Gamechanger“. Mit ihm verändert sich die Perspektive: Nun gibt es keine Wüstenerfahrungen mehr, sondern ein Leben in ganz neuen Umständen. Mit Gottes Hilfe bringt Josua das Volk Israel ans Ziel. Schrittweise siedeln sich die Israeliten im Land Israel danach an. 
Solch einen „Gamechanger“, der nachhaltig Frieden mit sich bringt, wünscht man sich in unserer Zeit – besonders für die Menschen im Heiligen Land. Dort, im gleichen Westjordanland und Gaza-Streifen, wo Israelis und Palästinenser miteinander und aufeinander angewiesen leben. 
„Gamechanger“ Jesus
Etwa 1200 Jahre mehr oder weniger nach diesen Ereignissen geschieht am Jordan wieder etwas Großartiges. Sie ahnen es vielleicht schon – es wird wieder um einen „Gamechanger“ gehen! Im Evangelium des Tages klingt es an: Dort wird uns von der Taufe Jesu berichtet. Jesus wird von Gott bestätigt und beglaubigt. Der Himmel steht offen, und die göttliche Zusage wird hörbar: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ (Matthäus 3,17) Mit ihm hat Gott Großes vor. Mit dem, was Jesus sagt und tut, leitet Jesus eine Wende ein. Ich sage das aus der Perspektive im Nachhinein, ähnlich, wie man es erst im Sport beobachten kann. Jesus eröffnet eine komplett neue Perspektive. Neben dem auserwählten Volk Gottes wird Menschen aus anderen Völkern der Zugang zu dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs möglich gemacht.
Von Josua und Jesus zu uns
Das Bibelwort „Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein“ (Josua 3,7) klingt noch in mir nach. Ich möchte es als konkrete Zusage für mich heute mitnehmen – ohne mich dabei mit Josua oder gar mit Jesus auf eine Ebene stellen zu wollen. Josua wurde damals vom HERRN und seiner Zusage beglaubigt und führte sein Volk ins verheißene Land. Ich glaube, dass Gott auch heute Menschen seine Nähe zusagt, sie beruft und stärkt, neue Wege in unserer Zeit zu gehen und Hoffnung zu bringen. Neue Perspektiven, veränderte Sichtweisen – mit Gottes Zusage und Hilfe, darauf setze ich.
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen – sei es in der Weltpolitik, in unseren Gemeinden oder im eignen, ganz persönlichen Leben – wirken manchmal unüberwindbar. Doch an Josua zeigt sich: Mit Gottes Beistand sind selbst die größten Hindernisse zu überwinden. Das alles ohne den Druck, zu einem „Gamechanger“ werden zu müssen.
Gott ist treu. Gott bleibt treu. Er verlässt uns nicht. Er kann uns solche „Gamechanger“ wie Josua auch heute schenken – Menschen, die von Gott befähigt werden, einen besonderen Dienst in herausfordernden Zeiten zu tun. Wer weiß, vielleicht werden Sie oder ich zu einer Gamechangerin, einem Gamechanger – durch Gottes Gnade? Dabei geschieht schon so vieles unter der Zusage Gottes an uns – vielleicht nicht so spektakulär wie bei Josua, aber in der festen Zusicherung: „Ich bin bei dir! Ich bin mit dir!“ Bei dem, was Du tust!
Klar ist: Auch in unserer Zeit braucht es Menschen, die als „Gamechanger“ handeln – nicht aus eigener Kraft, sondern im Vertrauen auf Gottes Zusage. Menschen, die anpacken, sich nicht scheuen, große Herausforderungen anzunehmen und Schritte im Glauben zu wagen. Menschen, die etwas in unserer Zeit und Welt verändern.
Solche Hoffnungsträger können wir sein – in unseren Familien, in unseren Gemeinden, in unserer Gesellschaft, in unserer Zeit.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe vor allem eher ältere Menschen in den Gottesdiensten vor Augen. Erzählungen, wie sie im Buch Josua überliefert sind, sind kaum oder nur noch sehr selten wirklich vertraut oder bekannt. Das macht es nicht ganz einfach, solche Bibeltexte auszulegen – es bleibt bei Andeutungen zum damaligen Kontext. Ich möchte gerne beides tun: das Bibelwort auslegen und deuten und den Zuspruch der Nähe Gottes deutlich werden lassen, meistens mit einem hervorgehobenen Wort aus dem Abschnitt der Heiligen Schrift – hier aus Josua 3,5: „Ich werde mit Dir sein!“
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Idee eines „Gamechangers“ hat meine Auslegung dieser schwierigen Bibelstelle in besonderer Weise bestimmt. Die Gedanken zu Beglaubigung und Bestätigung gaben dazu den Ansporn: Was genau bewirkte denn die Beglaubigung des Josua durch Gott? Oder bei Jesus in Bezug auf das Evangelium des Tages? Sie veränderten etwas – nachhaltig, wie ein Gamechanger in einem Spiel im Sport.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Zusage an Josua: „Ich werde mit Dir sein“ ist für mich der evangelische Zuspruch. Ein echtes Trostwort! So erlebe ich Gott: Er ist uns Menschen – den Gemeindegliedern und mir – stets zugewandt. Er nimmt uns in seinen Dienst. Wir brauchen solche Worte der Ermutigung bei den Herausforderungen unserer Zeit. Ich wünschte mir Gamechanger in manchen Situationen (Politik, Gesellschaft…), aber das lässt sich erst im Nachhinein erkennen. Ich bin und bleibe darauf gespannt!
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich bin dankbar für die Ermutigung, mehr direkte Rede und mehr Verben zu nutzen. Rückfragen und Anfragen motivieren mich, meine Gedanken zu überprüfen. Ich kann dadurch an der Sprache feilen, den Fokus klarer herausstellen. Die Möglichkeit, vorab bereits eine oder mehrere Versionen der Predigt mit jemanden anders mit zeitlichem Vorlauf zu bearbeiten, ist für mich ein besonderes Geschenk. Das kommt im Alltag (ich predige nahezu jeden Sonntag) sonst so gut wie nie vor. 
Link zur Online-Bibel
12.01.2025 - 1. Sonntag nach Epiphanias
13.10.2019 - 17. So. nach Trinitatis
Über den Jordan... – Predigt zu Josua 3,5.11+17 von Jasper Burmester
Gnade sei mit uns und Friede, vom Gott, unserem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus, Amen!
Liebe Gemeinde -
heute gehen wir über den Jordan.
Na, habe ich Sie und Euch erschreckt? Diese Redensart bedeutet ja; Hier wird gestorben, mindestens aber: Hier geht etwas unwiederbringlich kaputt. Beispiele gefällig? „Und die Firmen, die diesen Mist gesponsert haben, dürfen von mir aus bei der nächsten Pleitewelle auch gleich mit über den Jordan gehen.“
„Mir ist richtig viel Kohle überhaupt nicht wichtig, denn was nützt dir das ganze Geld, wenn du über den Jordan gehst?“
„Ach, die blöde Karre ist längst über den Jordan gegangen.“
Wahlweise geht, je nach Landschaft, einer auch über die Wupper oder über den Deister oder etwas geht den Bach runter.
Heute gehen wir über den Jordan. Echt jetzt. Wir schauen uns nämlich heute genau die Szene in der Geschichte Israels an, in der die im gelobten Land ankommen. Und dazu müssen sie über den Jordan. Es wird erzählt, die aus Ägypten befreiten israelitischen Sklaven seien nun nach vierzig Jahren der Wüstenwanderung nun endlich an der Grenze zum einst den Vorvätern versprochenen Landes angekommen, dem Land, in dem Milch und Honig fließen sollen, endlich. Mose, so wird erzählt, hat sie bis hierher geführt, betreten wird das Land nicht mehr, aber anschauen kann er es noch, bevor er stirbt. Josua heißt der neue Anführer des wandernden Gottesvolkes. Am Fluss, der die Grenze zwischen Wüste und bewohnbarem Land markiert, lässt Josua sie erst einmal rasten.
Dann aber ist es soweit. Es soll nun über den Jordan gehen. Der Jordan ist zu normalen Zeiten kein reißendes Gewässer, eher ein Flüsschen als ein Strom. Nur wenn im Libanon Gebirge, wo der Jordan seine Wasser her hat, der Schnee schmilzt, dann tritt er auch im weiteren Verlauf einmal über die Ufer. Um den Übergang etwas dramatischer erscheinen zu lassen, wird genau diese seltene Situation vorausgesetzt.
Und so erzählt es das Buch Josua im 3. Kapitel:
Josua sprach zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der HERR Wunder unter euch tun. Und zu den Priestern sprach er: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her.
Und der HERR sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein.
Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen. Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des HERRN, eures Gottes!
Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter: Siehe, die Lade des Bundes des Herrschers über alle Welt wird vor euch hergehen in den Jordan.
Und die Priester, die die Lade des Bundes des HERRN trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.
Liebe Gemeinde,
trockenen Fußes gelangen sie nun über den Jordan. Ein kurzer Weg ist das nur im Vergleich zu dem jahrelangen Weg, den sie hinter sich haben, ein letzter Schritt noch, um anzukommen. Und es erscheint wie ein Wunder: Als die Priester mit der Bundeslade mit den nackten Fußsohlen das Wasser berühren, vielleicht so wie wir mit den Zehenspitzen beim Schwimmengehen die Wassertemperatur testen, da staut sich das Wasser des Jordan viele Kilometer oberhalb, nach unten zum Toten Meer läuft es ab und siehe da: Ein Übergang ohne nasse Füße wird möglich. Alles sieht so ein wenig aus wie die undramatische Wiederholung des Schilfmeerwunders, als die Israeliten mit knapper Not den ägyptischen Verfolgern entkamen und deren Rosse und Reiter jämmerlich ertranken.
Wie auch immer dieser Übergang historisch stattgefunden haben mag: Dieser Übergang über den Jordan aus der Wüste ins verheißene Land gehört zu den Gründungserzählungen Israels, eine Erzählung die immer wieder nacherzählt und ausgeschmückt und überarbeitet wurde, was sich in unzähligen Brüchen, Doppelungen und Erzählfäden in den beiden Kapiteln des Buches Josua wiederfindet. Darum interessiert mich diese Frage auch nicht besonders. Spannend finde ich diese Geschichten vom Übergang über den Jordan als ein Beispiel für Übergänge, für Schwellen und Grenzüberschreitungen, die jede und jeder von uns in seinem Leben durchleben muss. Und nicht erst dann, wenn es für uns heißt: Sie oder er ist über den Jordan gegangen.
Damit Übergänge gelingen können, so wie das Volk hier gut rüber kam über ihren Jordan, gibt es in dieser Geschichte ein paar Gesichtspunkte, die auch uns in unseren Schwellensituationen, vor Schritten und an Grenzen helfen könnten.
Da ist einmal der Zeitpunkt. Wann ist es Zeit für den ersten, oder auch für den nächsten Schritt? Als die Israeliten nach dieser unendlichen mühsamen Wanderung durch Wüste und Gebirge endlich fast da sind, machen sie erst einmal Rast, sie schlagen ihre Zelte auf, warten ab. Der richtige Zeitpunkt für den nächsten Schritt scheint noch nicht gekommen. Das kennen wir ja auch aus unserem Leben. Will ich meinen Job kündigen und mich beruflich noch einmal neu orientieren? Da zögern wir, halten inne, horchen in uns hinein. Soll ich meine Liebste fragen, ob sie mich heiraten will? Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen? Sollen wir es wagen, die Wohnung zu kaufen, auch wenn wir uns dabei bis zum Hals verschulden müssen? Wann ist es Zeit? Wir wissen alle aus unserem eigenen Leben Beispiele zu erzählen, dass es da beides gibt: Ein zu schnelles, spontanes Handeln, dessen nicht mitbedachte Folgen uns auf die Füße fallen. Und ein zu langes Zaudern, durch das uns Chancen und Aufbrüche davoneilen und wir hinterher schauen wie einer davonfahrenden U-Bahn. Die Bibel kennt zwei Bedeutungen von Zeit. Da ist einmal Chronos, die unbeirrt laufende Zeit, die Minute zu Minute, Stunde, Tag und Jahr dahinströmt. Und da ist der Kairos: Der eine richtige Zeitpunkt, an dem alles stimmt und der Schritt gegangen werden kann, Gottes Zeit. Das ist die Zeit, von der die Bibel spricht, wenn sie sagt: Ein jegliches hat seine Zeit und jedes Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. (Übrigens ist die Ausstellung in unserer Kirche eben diesem Thema gewidmet)
Da ist zum zweiten: Wo geht es hin? Habe ich eine Vision, eine Ahnung, einen Traum ein Ziel? Die Israeliten damals am Jordan hatten das seit Generationen, ein Land, in dem sie frei und unbedroht würden leben können. Diese Vision wurde im Grunde niemals Wirklichkeit, und das biblische Israel war – ebenso wie das gegenwärtige – immer Bedrohungen und Gefahren ausgesetzt von außen wie von innen. Aber ohne diesen Traum wäre das Volk schon damals, vor dem Schritt über den Jordan untergegangen. In persönlichem und kleineren Maßstab geht es aber auch um uns: Was ist der nächste Schritt in meinem Leben? Habe ich noch ein Ziel oder mehrere? Wovon träume ich und wonach sehne ich mich? Ich persönlich glaube, dass wir Menschen so etwas brauchen, solange wir leben, um uns lebendig zu fühlen. Welchen Fluss müssen wir dazu überqueren, welche Schwellen überschreiten, welche Grenzen ausprobieren? Und da gibt es eben auch den großen Unterschied zwischen den Übergängen, die wir selber in der Hand haben und die planbar auf uns zukommen, wie in meinem Fall der nahende Ruhestand und da gibt es die Zustände, in die wir vom Leben hineingeworfen werden, wie eine plötzliche schlimme Krankheit. Aber mit alledem können wir es im Leben zu tun bekommen. Ich weiß nur: Verdrängen, verleugnen und ausweichen ist der schlechteste Plan.
Und wenn es dann um den nächsten Schritt geht, ist da immer wieder zwischendrin: Der hemmende Konjunktiv. … eigentlich wollte ich doch, im Grunde müsste ich, vielleicht sollte ich mal. Wo ist das aus Lebenserfahrung heraus gebotene Vorsicht und wo ist es der berüchtigte innere Schweinehund, der mich hindert? Das unterscheiden zu können ist schon einmal hilfreich.
Da ist zum dritten: Wer begleitet mich? Wer zeigt mir den richtigen, den gangbaren Weg? Damals, als es über den Jordan ging, war es so: Josua, du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen. Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des HERRN, eures Gottes! Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist: Siehe, die Lade des Bundes des Herrschers über alle Welt wird vor euch hergehen in den Jordan. Hier geht Gott nicht nur mit, er geht voran. Wir hören diese Botschaft am Ende der Weihnachtszeit. Wir haben den gefeiert, von dem wir glauben: Er ist für uns. Er ist für uns in diesem Kind in diese Welt gekommen und trägt den Namen Immanuel, Gott ist mit uns. Damals galt: Haltet euch vom Heiligsten fern, haltet 2000 Ellen Abstand. Das Heiligste hilft euch, rettet euch, stoppt das Wasser von Schilfmeer und Jordan, aber kommt ihm nicht zu nahe. Nach Weihnachten können wir ihn, den Herrn der Welt, berühren und uns von ihm berühren lassen. Welche Schwelle, Grenze oder welcher Übergang auch vor uns liegt; Wir gehen ihn nicht allein. Aber.
Da ist zum vierten: Kann ich vertrauen, darf ich vertrauen, will ich vertrauen? Darauf müssen wir alle unsere persönliche Antwort finden. Ich weiß Ihre und Eure Antwort nicht. Ich weiß nur für mich selber: Ich werde nicht aufhören, es zu versuchen. Amen
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Konfi-Impuls zu Josua 3, 5-11.17 – (1. Sonntag nach Epiphanias) von Gerlinde Feine
Josua 3 gehört zu den Texten, die durch die Perikopenrevision neu in die Liste der Predigttexte aufgenommen wurden, und dies gleich anstelle des Evangeliums (Mt 3, 13-17; Taufe Jesu), das im kommenden Jahr Predigttext sein wird. Ihm musste Mt 4, 12-17 (Beginn der öffentlichen Wirksamkeit Jesu; seither Reihe III) weichen. Die Geschichte vom Durchzug der Stämme Israels durch den Jordan wird hier Teil des Klangraums „Taufe“ und ist insofern klug gewählt, weil sie (anders als etwa die Naeman-Erzählung) nicht an das Bild vom Reinigungsbad anknüpft, sondern mit der Epistel (Röm 12,1-9) korrespondiert, wo es um Heiligung und Dienst geht.
Man muss nicht den Urtext bemühen, um die textkritischen Probleme zu bemerken. Der Konfirmandengruppe, die diesen Impuls mit vorbereitet hat, kam die Geschichte auch in neueren Übersetzungen im wahrsten Sinne des Wortes „komisch“ vor. Der Text sei „unlogisch“ und „kompliziert geschrieben“.
Auch die Figur des Josua war ihnen fremd. Bei einigen verschmolz er mit Jesus. Dass das Volk Israel nach der langen Zeit in der Wüste ja irgendwie noch ins Gelobte Land ziehen und dabei (wieder) ein Gewässer überqueren müsse, war selbst den Hochverbundenen mit langer Kinderkirchvergangenheit nicht bewusst. Die Parallele zur Exoduserzählung fiel niemandem auf, sie wussten aber, dass die Bundeslade die Steintafeln mit den 10 Geboten enthielt, die am Sinai in Empfang genommen worden waren. Das Wunder finden sie dennoch seltsam, weil sie mit der Heiligkeit, die die Lade umgab, nichts anfangen können. Außerdem fällt ihnen auf, dass nur Männer die Lade tragen (und auch sonst nur Männer handeln)
Bezüge zur Taufe ergeben sich durch:
- Das Wasser. Auch wenn die Menschen hier nicht nass werden.
- Das heilige Zeichen des Bundes mit Gott
- Der Übergang vom Alten zum Neuen
- Durchs Wasser ziehen, um ins Gelobte Land zu kommen
- Bewahrt und gerettet werden
- „groß sein“ bei Gott
- (sich) heiligen: innerlich und äußerlich der Nähe Gottes im eigenen Leben entsprechen
Für die Konfis ist die Geschichte ein Beispiel tiefen und unerschütterlichen Vertrauens, und zwar in beide Richtungen: Josua und die Seinen vertrauen Gott ganz und gar. Und Gott wiederum vertraut Josua, traut ihm die Führung zu und verspricht, ihn „groß“ zu machen
Folgerungen für den Gottesdienst:
- Den Predigttext nicht einfach verlesen (lassen), sondern noch einmal in verständlicher Weise nacherzählen, dabei Brüche und Anschlussfehler glätten und, wo nötig, Informationen zum Kontext geben
- Auf geschlechtergerechte Sprache achten
- Parallelen zum Exodus aufnehmen, z. B. durch eines der Erzähllieder, eine Schriftlesung oder eine Textcollage (auch denkbar mit anderen „Wasser“ oder Tauftexten)
- Tauferinnerung:
Mit langen, blauen Tüchern einen „Grenzfluss“ durch den Raum legen, der am Ende der Predigt überquert werden kann.
Auf der dem Altar abgewandten Seite könnten all die Dinge abgelegt werden, die nicht zum Neuen Leben passen (Zettelkörbchen, Stifte)
In der „Flussmitte“ erinnert ein Spiegel an die, die „die Lade tragen“ – also Menschen, die mir auf meinem Glaubensweg helfen (z. B. Paten, Eltern, Freund*innen, Lehrer*innen…).
Auf der „anderen Seite“ sollte es etwas Schönes geben (Blüte, Keks, Milch und Honig…)
Ideen zur Vorbereitung und Weiterarbeit:
- Themeneinheit „Bibel“ die Eigenheiten des Textes vermitteln, Motivik erklären, Hintergründe erkunden
- Themeneinheit „Gott“ bzw. „Gottesdienst“ über das Stichwort „heilig“ nachdenken: Was ist mir heilig? Wo erfahre ich Gott / erlebe heilige Orte? (vgl. Arbeitshilfe von Stefan Kammerer: „Thema ‚heilig‘? Oder: ‚Kann man Gott spüren?‘“, Bezug über rpi Karlsruhe: https://nanopdf.com/download/rpikarlsruhe-konfirmandenarbeit-ideen-fr-konfi-und_pdf)
- Themeneinheit „Taufe“: z. B. korrespondierend zu Röm 6,35 einspielen
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13.01.2019 - 1. So. nach Epiphanias
Schuhe aus, die Zukunft kommt! – Predigt zu Josua 5,13-15 von Nico Szameitat
Die Eltern sind sich sicher: Der eine Taufspruch soll es sein, der mit den Engeln. „Etwa Psalm 91?“ „Ja genau der: Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ „Mhm. Genau: Dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“ „Nee, den Satz nicht mehr, das mit dem Stein muss nicht sein.“
Psalm 91 Vers 11 feiert seit einigen Jahren Hochkonjunktur als Taufspruch. Und auch immer mehr Jugendliche wählen diesen Vers als Konfirmationsspruch aus. Der Wunsch dahinter ist nachvollziehbar. An der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt wünschen sich Menschen den Schutz Gottes. Und weil man den sich so schlecht vorstellen kann, ist das Bild vom Schutzengel nahe liegend. Da passt jemand persönlich auf mich auf, lenkt meine Schritte und schubst, wenn es sein muss, mir sogar kleine Stolpersteine aus dem Weg.
Doch ist die Bibel nicht so romantisch. Mit Ausnahme des Engels Raphael im Buch Tobit ist der Bibel der Glaube an einen persönlichen Schutzengel fremd. Engel sind Boten Gottes. Sie überbringen eine Botschaft und die ist nicht immer weiß und flauschig.
Als Angela Merkel am Morgen des 25. September 2017 aufwacht, muss sie sich erst einmal orientieren. Ist sie jetzt noch Kanzlerin oder nicht? Die ersten Hochrechnungen gestern, und dann irgendwann das vorläufige Endergebnis – vieles wie erwartet, und dann doch einige Überraschungen. Bei der Elefantenrunde im Fernsehen war es dann bunt und teilweise wild zugegangen. Der Wahlkampf ging mal wieder nahtlos in die Koalitionswerbungen über. Anstrengend!
Sie schwingt die Beine aus dem Bett und tapst barfuß ins Bad. Und dann diese Begegnung heute Nacht… Oder war das nur ein Traum gewesen? Da stand, als sie nach Hause kam, in ihrem Vorgarten plötzlich ein Mann mit einem Schwert. Sie war einfach zu müde gewesen, um sich zu erschrecken. Sie hatte ihn einfach nur gefragt: „Soll das jetzt ein Scherz sein oder meinen Sie es Ernst?“ Und was antwortete der Kerl? „Nein!“ Als ob man auf eine Oder-Frage mit Ja oder Nein antworten könnte! „Was wollen Sie um Gottes willen?“ „Genau.“, hatte er geantwortet. Noch so eine bekloppte Antwort! Und dann kam er rüber mit seiner Forderung: „Ein Stopp. Eine Woche Pause nur, bevor Ihr weiter verhandelt.“ „Und wofür soll das gut sein?“ Da lachte der Mann. An seine Antwort kann sie sich nicht mehr erinnern.
Muss wohl doch ein Traum gewesen sein. Aber schön wäre es schon, denkt sie, als sie sich die Zähne putzt, jetzt eine Woche Urlaub. Einfach weg. Auf die Insel oder so. Und wo sind eigentlich meine Pantoffeln?
Das Volk Israel hat es geschafft: Endlich! Nach ewigen Zeiten, die die Israeliten durch die Wüste gelaufen waren, sind sie nun endlich im versprochenen Land angekommen.
Gott hatte ihnen dieses Land versprochen, damals, als er sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit hatte. Mose war vorausgegangen und hatte sie zum Berg Sinai geführt. Da war ihnen auch noch ein Engel als Navigator versprochen worden: „Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und dich bringe an den Ort, den ich bestimmt habe.“ (Ex 23,20) Doch dann passierte die Sache mit dem Goldenen Kalb und es schien, als hätte Gott es sich anders überlegt: „Na gut, dann sollen sie mal sehen, wie sie alleine klar kommen.“
Tja, kein Engel, kein Kompass. Stattdessen jahrzehntelange Wanderung durch die Wüste. Kurz vor Ende der Reise starb Mose. Sein Nachfolger Josua führte das Volk nun das letzte Stück durch den Jordan hindurch in das verheißene Land. Und die Geschichte will es so, dass inzwischen nicht nur Mose, sondern die gesamte Generation, die damals aus Ägypten geflohen war, gestorben ist. Alle, die nun das neue Land betreten, kennen das alte Sklavenland nur vom Hörensagen. Es ist wirklich ein vollkommener Neuanfang!
Kaum im neuen Land angekommen, setzt Josua die alten Bräuche wieder in Kraft, die in der Wüstenzeit geruht hatten. Als Zeichen des Bundes werden alle Männer beschnitten. Danach ein paar Tage Erholung. Als Zeichen der Gemeinschaft feiert dann das ganze Volk erstmals wieder ein großes Passamahl. Und als Zeichen des Angekommen-Seins hört auch das Manna auf, das als ewige Zwischenmahlzeit vom Himmel fiel. Jetzt gilt es, sich von den Früchten des Landes zu ernähren.
Frisch gestärkt könnten die Israeliten nun mit Trompeten und Posaunen gen Jericho ziehen – und das tun sie ja auch drei Verse später –  wäre da nicht diese kleine Episode.
(Lesung von Jos 3,13-15 an dieser Stelle, falls nicht bereits vorher im Gottesdienst geschehen)
Kurz und rätselhaft ist die Begegnung:  Der Engel mit dem Schwert wie bei Bileams Eselin; der Befehl, die Sandale auszuziehen, wie am brennenden Dornbusch – ein Traum, in dem alles zusammenkommt.
Der Engelfürst, der vor Josua steht, ist keine sanfte Traumgestalt im weißen Gewand mit großen Flügeln, sondern ein Krieger mit einem Schwert. Nicht gerade das, was sich Taufeltern unter einem Engel vorstellen.
Und dieser Engelfürst rückt Josua erst einmal den Kopf zurecht. Auf die Frage, ob er Freund oder Feind sei, antwortet der Engel schlicht: „Nein“. Und mit diesem einen Wort macht er nicht nur deutlich, dass er weder Freund noch Feind ist, sondern dass die ganze Fragestellung unsinnig ist. Warum denkst Du, Josua, immer noch in diesen Kategorien aus der Wüstenzeit? Freund oder Feind? Koalition oder Opposition? Es gibt mehr als Falsch und Richtig, als Schwarz und Weiß. Und was es nun im neuen Land braucht, ist ein konstruktives und buntes Miteinander und kein Denken in alten Feindmustern.
Der Engel lässt es aber nicht bei dem Nein, sondern er offenbart sich: „Ich bin der Fürst über das Heer des Herrn. Und ich bin jetzt gekommen.“ „Na endlich“, denkt Josua, „hat ja auch ein paar Jahrzehnte gedauert. Endlich einmal göttliches Geleit.“ Und dann übermannt ihn doch die Ehrfurcht: Er wirft sich nieder, betet und fragt, was er nun tun soll. „Zieh die Sandale von den Füßen, denn die Stätte, worauf du stehst, ist heiliges Land.“ „Nur eine Sandale?“, denkt sich Josua. „Und was ist mit der anderen? Und welche nun, die rechte oder linke? Und was für eine geheimnisvolle Kultstätte habe ich hier unbewusst betreten? Ist das noch irgendwas von Abraham?“ Der Engelfürst seufzt deutlich vernehmbar. „Also, Rhetorik musst du noch lernen. Die eine Sandale steht für alle Sandalen Deines Volkes, ja für alle Sandalen der Welt. Und es geht auch nicht um diesen einen Quadratmeter hier, sondern um das ganze Land, das Ihr betretet, um Eure Zukunft. Oder um es kurz zu fassen:
Schuhe aus, die Zukunft kommt!“
Strandspaziergang im Frühherbst. Die Wolken ziehen kräftig vorbei und lassen ab und an Lücken für die Sonne, die dann meinen Rücken wärmt. Ich schmecke das Salz in der Luft und rieche den Tang der Nordsee. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus. Ich ziehe Schuhe und Strümpfe aus und kremple die Hosenbeine hoch. Barfuß an der Wasserkante entlang. Auf dem Wattboden federn die Füße, sinken nur manchmal leicht ein. Ein Schritt nach links und die kleinen Wellen umspielen meine Knöchel. Ein Schritt nach rechts und ich spüre den Sand und die Muschelscherben zwischen meinen Zehen. Vielleicht komme ich langsamer voran als in Schuhen. Aber wer will überhaupt schnell sein, wenn er barfuß geht? Barfuß spüre ich viel mehr von diesem Ort, von meinem Weg mit der Sonne im Rücken.
Am Morgen des 25. September 2017 hat Angela Merkel sich spontan eine Stunde mehr Zeit zuhause genommen, um mit ihrem Mann in Ruhe zu frühstücken. Auf die eine Stunde kommt’s heute auch nicht drauf an. Da klingelt es an der Tür. Seufzend stellt sie das Frühstücksei zur Seite und geht durch den Flur. Noch bevor sie die Haustür öffnet, hört sie eine vertraute Stimme: „Und finden Sie gefälligst heraus, wo meine richtigen Schuhe geblieben sind!“ Sie öffnet die Tür: „Herr Schulz! Was machen Sie denn hier?“ Er sieht ein wenig zerknirscht oder verwirrt aus, wie er da so auf der Stufe vor ihr steht. „Guten Morgen, Frau Merkel. Sie müssen wissen, heute Nacht, also da hatte ich so einen Traum, ein Mann, der vor mir, also ich glaube, dass es ein Traum war, aber das tut auch nichts zur Sache, und die letzten Wochen waren doch sehr anstrengend, also für uns beide, und was denken Sie, wenn wir mit den weiteren Verhandlungen einfach, also ich meine das nur als Vorschlag, noch ein wenig, vielleicht nur eine Woche…“ „Eine Woche Pause?“ fragt sie grinsend. „Äh, ja… Woher wissen Sie?“ „Kommen Sie erst einmal rein. Ich glaube, es ist noch Tee da. Ein Frühstücksei?“ Selten sah sein Chauffeur Martin Schulz so verwirrt.
Ach, ihr Menschen,
wenn Ihr an der Schwelle steht,
zu einer neuen Zeit,
zu einem neuen Land,
dann rennt nicht gleich los.
Das sind hier keine Bundesjugendspiele,
kein „Auf die Plätze-Fertig-Los!“
Haltet inne, macht eine Pause,
bevor euch noch der Schwert-Schlag trifft.
Zieht die Sportschuhe wieder aus.
Geht achtsam, geht heiter,
geht barfuß.
Spürt unter euren Füßen das Land – es trägt.
Spürt über euren Häuptern den Himmel – er trägt.
Vertraut den neuen Wegen.
Gott ist mit euch.
Sein Engel geleitet euch.
Amen.
Liedvorschläge:
EG 142,1.5.6 „Gott, aller Schöpfung heilger Herr“
EG 322,1-6 „Nun danket all und bringet Ehr“
EG 395 „Vertraut den neuen Wegen“
EG 437 „Die helle Sonn leucht‘ jetzt herfür“
freiTöne 145 „Die Seele wird frei“
freiTöne 194 „Go Gently, Go Lightly“ („Geht achtsam, geht heiter“)